Im Banne des Bösen.
Novelle von C. Western.
(Nachdruck verboten.)
9 .
„Und ich," schluchzte Ruth könnte keinen Mann heiraten, von dessen Sittlichkeit und moralischer Reinheit ich nicht triftige Zeugnisse hätte! Eden dieses, Mama, was ich trotz aller anderen Eigenschaften an meinem Vormund, so sehr verachte, die Lascivität der Sitten in Bezug aus die Frauen, das muß ich auch an dem Manne finden, dem ich mein Herz zu schenken im Begriffe war I Aber wenn ich auch darüber zu Grunde gehen sollte, Mama, einem solchen Manne reichte ich nie meine Hand!"
Die Frau Oberst nickte, fuhr dann aber in demselben Tone fort:
„Was liegt denn gegen den Professor vor, K>nd?"
Ruth ward sehr ernst und entgegnetc: „ES muß schließlich auch einmal gesagt sein, Mama, unv mutig getragen werden, ich fürchte, daß Papa in seiner Bitterkeit einen Fehlgriff gethan, als er dem Professor Pfeil sein Vertrauen schenkte!"
„Wie so?"
„Höre I Durch Zufall entdeckte ich neulich, daß Herr Pscii, Professor der Chemie an der Nachbar-Universität gewesen I Da aus der Universitätsstadt auch meine Freundin Alma von Sternau stammt, so schrieb ich ihr vor einiger Zeit und fragte auch nach Herrn Professor Pfeil. Lies die Antwort, die gestern eingetrosien ist!"
Sie holte den Brief hervor und reichte ihn der Mutter, die dann wörtlich las:
„Meine liebe Ruth I Als Du die Pension verließest, trauerte das ganze HauS I Mir persönlich war es schrecklich, länger dort zu verweilen, wo ich Dich ständig vermißte. Ich ging ebenfalls heim und war gerade im Begriff, Dir zu schreiben, als mich Dein Brief traf, der mir so schmerzliche Deine Hellen Mädchenjahre so tief verdunkelnde Nachrichten brachte. Arme Ruth I Den Vater verloren! O, wie bedaure ich Dich I Komme, sobald Deiner lieben Mama, die ich herzlich unbekannter Weise zu grüßen bitte, Deine Abwesenheit nicht zu schmerzlich ist, auf einige Zeit zu uns, und im heitersten Familienkreise das Gleichgewicht Deiner Seele wiederzufinden ! Nicht wahr, Du kommst?
Was nun Deinen Vormund, Herrn Professor Psi betrifft, so konnte ich nur einiges durch meinen Bruder Norbert erfahren, soweit dieser andeutungsweise über den Herrn Mitteiiungcn machen konnte. Norbert hat unter Pf. noch selbst Chemie gehö.t; er halte die Vorlesung belegt, weil er als stuck. weck. sich für Chemie interessierte. Er gab an — ^mein Bruder ist jetzt Arzt in M . . . . — der Herr Professor sei ein gewiegter Kopf, aber ein höchst unmoralischer Mensch! Während seiner Anstellung als außerordentlicher Professor hat er ein Liebesverhältnis mit V. Mempler, deren Vater Dekan der Universität und ein in den höchsten Kreisen hochangesehener Profi ssor der Theologie war, angesponnen; wie es um dieses Verhältnis gestanden, soll sich der Beschreibung entziehen; kurz, eines Tages hatte sich die
arme Veronika in den Schwarzsce, der nahe bei der Stadt liegt, gestürzt und wurde als Leiche herausgezogen. Der Professor * Pf. wies alle Anklagen, die gegen ihn erhoben wurden, starr ab, aber seitens der Regierung wurde er in sehr ungnädigen Ausdrücken kurz darauf entlassen. Dieses sind so bekannte Thatsachen, daß ich für ihre Mitteilung nicht einmal Dein Schweigen zu erbitten brauche.
Und nun, meine Liebe, wiederhole ich meine Bitte, uns Deinen Besuch zu schenken, womit Dich herzlich tausendmal begrüßt und küßt
Deine treue Freundin
Alma v. Sternau."
Frau von Linden ließ den Brief sinken und rief:
„Allmächtiger Gott!"
„Und was das Schlimmste ist, Mama," fiel hier Ruth ein, „mein Vormund ist noch heute derselbe, denn kurz nach meiner Ankunft habe ich es Abends spät selbst gehört, wie er einer — sagen wir Dame — Einlaß in dieses Haus gewährte I
„Und Du schwiegst?"
„War Papa denn zu überzeugen?"
„Arme Ruth I"
Aber die gute Tochter umfaßte die Mutter und sagte:
„Nie hat eine Stiefmutter ihre Stieftochter so geliebt, wie Du, Teure; nie hat eine Tochter ihre Mutter mehr geliebt als ich Dich, Du Liebe; so lange wir uns beide haben, sind wir noch nicht arm!"
Die Frau Oberst nickte und küßte Ruth auf die Stirn, dann entschied sie:
„In der nächsten Woche übersiedeln wir nach M . . . . acht Tage später kannst Du Alma begrüßen; vielleicht zerstreut es Dich ein wenig!" — — —
Am andern Tage warb Herr Professor Pfeil bei der Mutter feierlich um Ruths Hand. Die Frau Oberst wies ihn direkt an Ruth selbst. Diese aber sagte:
„Herr Professor, wir verkennen nicht, was Sie für uns gethan, aber für die Ehre Ihre Gattin heißen zu sollen, muß ich denn doch danken I Sie werden mich nicht zwingen wollen, Ihnen die Gründe dafür angeben zu müssen I"
„Keineswegs; ich habe es nur gut gemeint, denn em Mädchen ohne männlichen Schutz — I"
Ruth richtete sich hoch auf und sagte stolz:
„Ich werde mich selbst zu schützen wissen I Nicht wahr, Sie wohnten früher in der Nachbar-Universitätsstadt ?"
„Allerdings, Fräulein Ruth, aber - ."
„In der Familie des Professors Mein« pel — !«
Bei diesem Namen ward Pfeil bleich wie der Tod, doch raffle er sich zusammen und sagte:
„Ich habe Ihre Antwort gehört, Ruth; mögen Sie dieselbe nie bereuen! Was mir böser Leumund angedichtet, weiß ich; ich kann nur versichern, daß ich schuldlos leide I"
Ec zog sich zurück, ballte aber auf der Treppe die Hände zusammen und knirschte zwischen die Zähne hindurch:
„Das sollt Ihr mir büßen, Ihr hoffähigen Weiber!"
Ruths Besuch bei Alma Sternau hatte
doch einen Aufschub erlitten, da Frau von Linden ein kleines Unwohlsein zu überwinden hatte. Das Ende des Septembers war her- angckommen als Ruth endlich auf Deggen- hof, dem Gute deS Herr» von Sternau, nahe bei der Universitätsstadt belege», au- kam.
Die Felder prangten im Sonnenschein, als der Postwagen dem Gute zufuhr. Ruth traf cs prächtig, denn Almas Bruder Norbert, der Arzt, war auch eben unerwartet zu Besuch eingetroffen, Herr von Sternau aber, der den Rang eines Professors einnahm, weilte seit einigen Tag n in der Stadt. Frau von Sternau dagegen nahm die beste Freundin ihrer Tochter liebevoll auf.
Deggenhvf lag romantisch am Bergabhange; nicht weit ab breitete sich das Dorf gleichen Namens aus; tiefer im Thal lag der einsame Schwarzsee. Tie Gegend bot zu den schönsten Ausflügen Veranlassung, welche die beiden Mädchen in Gesellschaft deS jungen Arztes machten. Bei dieser Gelegenheit bemerkte Ruths durch die Erfahrung geschärftes Auge, daß der junge Arzt, eiu überaus feiner und gebildeter Mann, ihr eine größere Aufmerksamkeit widmete, wie ihr sonst zugekommcn. Sie beschloß, vorsichtig zu handeln, denn so viel sie sich auch bemühte Edgar von Bach zn vergessen, so stand doch sein Bild unverblaßt in ihrer Seele; sie hätte über sich selbst erzürnt werden können!
(Fortsetzung folgt.)
Verschiedenes.
.'. Das weibliche Leben ist ein steter Kampf; vom fünften bis fünfzehnten Lebensjahre ein Kampf der Natur gegen die Bildung , vom fünfzehnten bis dreißigsten ein Kampf des Herzens mit der Koketterie, vom dreißigsten bis sechzigsten ein Kampf des Alters gegen die Schneiderin.
.'. Will heut' ein junger Mann heiraten, so fragt zuerst der Vater: „Wer ist er?" Dann kommt die Mutter und fragt: „Wie ist er 2" Die Tochter aber fragt: „Wo ist er?"
.'. Warum sagt man Mutter- und nicht Valersprachc? Weil man mit Gewißheit bestimmen kann, welche Sprache die Mutter, aber nicht immer, welche der Vater gesprochen hat.
Welches ist der Unterschied zwischen den Ehen von einst und jetzt? Bei den früheren Ehen gab's bei der Hochzeit viel Lärm, und die Ehe war still, jetzt ist die Hochzeit still, unddcrLälm komm: hinterher.
.'. Mann und Frau sind ein Leib und eine Seele; aber wenn der Leib oft an die Unsterblichkeit der Seele denkt, wird er betrübt und unruhig.
(Abfertigung.) „Ich versichere Sie, Fräulein, Sie sind das einzige erträgliche Gesicht, das ich in diesem Neste gefunden habe." — „Da sind Sie viel glücklicher gewesen, als ich — ich habe noch keines gefunden."
(Pariert.) Reisender (zu einem Herrn im Koupee): „Sagen Sie, mein Herr, ist das da drüben Rothausen oder Schwarzthal; ich bin nämlich farbenblind?" — Herr (mit Ironie): „Bedaure, 's geht mir ebenso. Ich kann kaum noch einen Naseweis von einem Grünschnabel unterscheiden."
Verantwortlicher Redakteur -Bernhard Hofmann.) Druck und Verlag von B e r n h a rd H o smaun in Wildbad.