WerLHers Schatten.

Novelle von Karl Cassau-

(Nachdruck verboten.)

11 .

Was Er sagt I Das ist gut I Wir ziehen also fort?"

So sagten der Herr Chef!"

Weither schwieg jetzt einen Augenblick und betrachtete wehmütig die Veilchen.

Was ich sagen wollte, Gröhlmann, ich bin wohl lange krank gewesen?"

Leider, Leider, Herr Doktor ; wir schrei­ben heute den 23. März."

Den 23. März? Mein Gott! Und im Nachbarhause? Er versteht doch?"

Gröhlmann sah ihn scheu an, aber W- lächelte :

Sag' Er nur alles; ich bin gefaßt und stark; wissen muß ich's ja doch einmall" Gröhlmann traute sich noch nicht recht: Ja, du lieber Herrgott, Herr Doktor!" Nun, schieße Er nur los I"

Da erfuhr er denn, daß die Trauung Pauls und Lauras am 2. Januar in aller Stille stattgefunden und daß die Frau Amt­mann auf Hennigstedt sehr leidend sei. An­fang März habe denn auch Herr Reißner, jetzt Advokat in Harpstedt, mit Sophie Hoch­zeit gehalten. Der H.rr Doktor habe aber das alles noch nicht wissen sollen. Werther Hörle es mit Ruhe an und bat daraus: Geb' Er mir Schreibzeug, Gröhlmann!" Der Alte thal's, ging dann aber in die Küche und berichtete Frau Helbig alles.

Die kleine lebendige Frau war mager und blaß geworden. Auf GröhlmannS Be­richt zupfte sie an der Haube und meinte dann:

Gott sei Dank, nun wird e>'s wohl überwinden!"

Der Brief, den Werther jetzt schrieb, war an den Herr Amtmann Butsch auf Hennigstedt gerichtet und lautete:

Schwalbhcim, den 23. März 1785.

Lieber Freund Paul I Indem ich nach überstandeuer Krank­heit, zu Deiner Verbindung mit L-iura meine heizlichsten Glückwünsche beistcure, bitte ich, di? Vergangenheit zu vergessen und mir Eure Freundschaft bewahren -zu wollen. Möget ihr Beide recht, recht glücklich werden, wie ihr es ja auch ver­dient I Wir Menschen sind nur Bälle auf dem Billard des Schicksals; wie sie ge­schoben werden, so laufen sie. Vergebt mir meine Heftigkeit in meinem Schmerz? und bleibt gut

Eurem Werther Helbig."

Er adressierte das Schreiben und gab es Gröhlmann zur Besorgung.

VII.

Doktor Kngler hatte aber leider nicht recht behalten. Werthers Befanden ward von Tag zu Tag wieder schlechter und der Gebrauch eines Bades notwendig. Die Elter» beglei­teten den teuren Sohn nach dem eben ent­deckten Bade Lippspringe, dessen Wassern man besonders Brustkranken gegenüber großer Heilkraft zusprach. Strenge hielt Werther auf Vaters Durchführung des Kurreglemcnts und das half. In der Zwischenzeit hatte ein Vetter der Grafen von Falkenburg mit Weither Verhandlungen angeknüpft und diese endeten damit, daß der junge Doktor die Rntamt-

mannsstelle zu Arnburg zum 1. Oktober de­finitiv acc-ptiert.

Neuer Lebensmut sing an, die Brust d?s schwer geprüften Werther zu schwellen, und eines Tages gestand er der Mutter:

Ich dachte nicht, Mütterchen, daß ich es so gut überstanden hätte I Ich habe mir aber vorgenommen, sie nie wieder zu sehen; ihr Anblick, glaube ich, würde alles Errungene über den Haufen stoßen I"

So verging der Sommer, und Ende August schickte der Brunnenarzt den Pa­tienten zur Nachkur in das Seebad Norder­ney.

Adrian Helbig dachte mit seiner Frau, daß Werther so gut als geheilt wohl die Reise nach Norderney allein unternehmen könne; nur der alte Gröhlmann sollte bei ihm bleiben und ihm Gesellschaft leisten. Sie selbst dagegen wollten heim und alles zur Uebersiedlung nach Arnburg bereit machen. In diesen Plan stimmte Werther ein und nahm herzlichen Abschied von den Eltern.

In dieser Zeit traf ein Brief Reißners an Werther ein, welchen wir hiermitteilen:

Mein lieber, guter Werther I Wenn mich die vielen Advokaturgeschäfte nicht neben den Reizen meiner kleine lieben Sophie festhielten, wäre ich längst bei Dir gewesen, aber so geht es wirklich nicht.

Du scheinst nach allem, was Du mir letzthin mitleiltest, die Sache doch besser zu überwinden, als ich dacht?. Sophie hat mir den Brief, den Du damals an Herrn Woland geschrieben, als ein Sou- venier an Dich überlassen. Darin fällt mir auf, was Du über Goethe sagst, in­dem Du sein Leben in äuloizubilo tadelst, weil er vergessen wollte. Wenn ein so großer Geist sich also über seine erste Liebe hinwegsetzen konnte, sollte» wir Kleineren es denn nicht auch ohne Gewissenskruppcl können? Du wirst gut Ihun, zunächst ein­mal wieder mit dem Strome des Lebens zu schw'mmen, und wenn Du den Gleich­mut der Stoiker wiedergefunden, Dich unter den Töchtern des Landes umzusehen. Dem Menschen soll unter Umständen mehr als einmal der Lenz der Liebe blühen können, sagen sie alle. Und nun hoffe ich, Dich bald in alter Gesundheit an mein Herz zu drücken! Lebe wohl und befolge den Rath

Deines treuen Freundes Doktor Reißner."

Werther schüttelte nach der Lektüre des Briefes den Kopf und meinte:

Mir blüht kein Liebeslenz mehr, Reiß- ner! Ja, wenn ich wie die Anderen wäre!"

Nach einer Woche hatte Werther mit Gröhlmann auch die Insel Norderney er­reicht und auch ein Unterkommen bei einem alten Fischer, Clas Kasten, gefunden. Als Werther zum ersten Mal über die Watten dem Meere zugewandert war und die groß? dunkelgrüne, leichtbewegte Wasserwüste vor sich sah, ließ er den Blick über die weite Fläche streifen und dachte melancholisch:

Welch' ein Anblick, wie öde! Gleicht das Meer nicht meinem Leben? Und die Monotonie des Wellenschlags am Ufer, hat sie nicht Aehnlichkeit mit der Abwicklung meines Tagewerkes! Wo sind die erträumten Ideale geblieben? Zerstoben, wie dort am Ufer Welle auf Welle zerstiebt I"

Die Seebäder kräftigten indessen Werther

an Leib und Geist; er ward heiterer, mit­teilsamer und unterhielt sich sogar öfter mit seinen Wirten. Auf die Frage, ob das Ehe­paar keine Kinder gehabt, ergriff Clas Kast>n den Südwester und eilte schleunigst anö Meer, die Alte aber, Frau Kalhi, erzählte Werther eine lange Geschichte von einem einzigen Sohne und dessen unglücklicher Liebe, die ihn in den Tod getrieben.

Werther konnte es nicht weiter hören, und er unternahm rasch einen weiteren Spa­ziergang. Der alte Schmerz meldete sich nochmals, dann ward Werther aber nach und nach ruhig.

lFortsetzung folgt)

Vermischtes.

.-. Eine hartnäckige Mieterin. Man schreibt aus Paris: Ein reicher Pariser Haus­besitzer, H.D., hatte an ein Ehep iar ein Gar« tcnhäuschcn vermietet. Kürzlich kündigte er dem Ehepaar, ohne daß die Leute Lust zeig­ten, auszuziehcn. Um sich seiner hartnäckigen Mieter zu entledigen, machte Herr D. kurzen Prozeß. Er ließ einen Rvllwag-n kommen und das ganze Haus darauf verladen, in dem sich die Frau, die von den Absichten des Mietsherrn in Kenntnis gesetzt worden war, eingcschlossen halt, während ihr Mann in Geschäften abwesend war. AlS dieser Abends nach Hause kam, war er nicht wenig erstaunt, sein Heim mit sammt seiner Frau von der Bildstäche verschwunden zu finden; er begab sich jedoch, von dem Geschehenen unterrichtet, sofort auf die Suche nach seiner besseren Hälfte, die in ihrem Hause mittler­weile auf einem unbebauten Stück Land in der Nähe abgesetzt worden war. Herr D. ist seine Mieter immer noch nicht los."

.-. (Jagdabenteuer.) Graf:Hirfl, sperr'« Maul nicbl immer so auf, sonst fliegt Dir doch »och 'mal a Schnepf hinein." Treiber:War'schon recht, Herr Graf, Ihr trefft' a so koan."

.'. Lehrer:Sag' Du mir doch einmal Fischer, was für Haare hatten die alten Deutschen?" Schüler:Die alte Deutschen hatten (stockt) die alten Deutschen hatten graue Haare."

.-. In der Gewerbe-Ausstellung zu N. hing ein Stück Sohlenleder mit einem Zettel daran, worauf geschrieben stand: Dieses Sohlenleder ist von einem inländischen Ochsen verfertigt.

Der Kellner zu einem Gast, welcher fortgeht, ohne ihm ein Trinkgeld zu entrich­ten:Der Herr Baron wird meiner doch wohl nicht vergessen?Nein, mein Freund, ich werde Ihnen schreiben."

.-. (Sonderbare Fortschritt.) A:Wie steht es denn mit Ihrer Bewerbung um das reiche Fräulein Neumann? Ist sie Ihnen gewog-nD' B-!Sehr sogar, ihr Hund wedelt jedesmal mit dem Schwanz, wenn er mich sieht!"

.- Einen kuriosen Geschäftsbericht ver­öffentlicht der Konsumverein zu Mühlau, eingetragene Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht in Liquidation, im dortigen Amts­blatte. Die Bilanz per I. Juli 1893 lautet: Einnahme: nichts. Ausgabe: nichts. Vermögen: nichts. Etwaige Ansprüche an die Genossenschaft sind bis spätestens den 1. Oktober d. I. geltend zu machen."

Verantwortlicher Red^teur: Bernhard Hofmann.) Druck und Verlag von Bernhard Hosmaun in Witdbad.