Werthers Schalten.

Novelle von Karl Cassau-

(Nachdruck verboten.)

5.

Jndeß wandelte Weither im dunkelblauen Gehrock mir blanken Knöpfen, gelber Weste, grauen Kniehosen, bläulichen Strümpfen, gelb ausgeschlagenen hohen Stiefeln, an Hals und Brust ein krauses Jabot, an den Händen Epitzenmanschetten, auf dem natürlich gelock­ten Kopfe einen halbhohen Hut mit breitem Rande ins Nachbarhaus, um seinen Besuch bei der Familie Woland zu machen. Er war eine stattliche Erscheinung, wohl würdig, einer Jungfrau Herz mit Entzücken zu er­füllen.

Werther fand die beiden Schwestern allein. Herr Woland sei auf einer Geschäftsreise begriffen, erzählten sie, nötigten «der den Nachbar in's Gartenzimmer, wo das Clavi- zimbel aufgeschlagen war und mit Nöten be­legt zuerst in's Auge fiel. Offenbar hatte Sophie gesungen, setzte sich aber mit einer Stickarbeit Werlher gegenüber, während Laura mit einer Stickerei am Tische vor dem Ka­napee Platz nahm.

Es bestand ein großer Contrast zwischen den Geschwistern. Laura, etwa achtzehn Jahre alt, war hellblond und schlank ge­wachsen, im Gesicht von glücklicher Regel­mäßigkeit, und halte dunkele Augen, Sophie war viel kleiner und zierlichrr gewachsen und brünett; die dunklen Augen aber halte sie wie Laura von der Mutter geerbt.

Die jungen Leute sprachen von der Kin­derzeit, wie sie zusammen auf den großen Stcmen in der Schwalb getanzt, im Hose Verstecken gespielt und sich zusammen be­lustigt Hallen.

Die Mädchen plauderten entzückend, ob­wohl sie etwas bedrückt schienen. Jetzt ent­deckte Werther im Bereiche seiner Hand ein Büchelchen mit Goldschnitt. Er nahm es und lasDie Leiden des jungen Werther von Wolfgang Goethe".

Ein neues Opus von diesem begabten Dichter?" fragte er.

Kennen Sie es noch nicht?" fragte Sophie.

Ein entzückendes Meisterwerk I" ver­sicherte Laura.

»Wenn Sie sein Lobredner sind, ist es das gewiß I Darf ich es mitnehmen und lesen?"

»Laura nickte, Sepie aber meinte:

Mir ist es zu rübrselig, es ist wie un­sere ganze Zeit I Lessing in Wslfenbüttel nennt das Buch verächtlich-großartig und klein-gigantisch.

Sonderbar I" bemerkte Werther.

Wenn das Buch nur nicht ein böses Omen für Sie ist, Herr Nachbar ; Sie hezhen ja auch Werther I" sagte dann Sophie naiv.

Wie liebenswürdig, daß Sie sich selbst meines Vornamens erinnern l"

Er richtete diese Worte mehr an Laura, Sophie aber bemerkte dazwischen:

Nun, kommen Sie mir doch zu Hülfe, Sie Lateinerl Sie haben ja ein Sprichwort: Nomen uomen I"

Sie meinen: Nomen est omen?"

Ja, ja, das meine ich!"

Ich will nicht hoffen, daß es auf mich Bezug habe! Sie sind musikalisch, Fräulein Sophie?" frug Werther dann.

Verantwortlicher Redakteur: Bern

Sic nickte lichelnd."1

So singen Sie uns ein Liedchen I"

Gern I"

Sie Letzte sich ohne Prüderie an's Spinett und fragte, schelmisch über die Schul­ter sehend:

Ist Goethe ihr Liebling?"

Ich lese ihn gern I" gestand Werther. Den Götz habe ich sogar einige Male durch- studiert I"

»Ja, ja, Goethe greift nach dem Lor­beerkranz!" meinte Laura,Werthers Leiden werden seinen Ruhm unvergeßlich machen Sie sprechen wie eine Prophetin, Fräu­lein Laura!" rief Werther nun begeistert aus, Sophie aber half der errötenden Schwe­ster über den Augenblick hinweg, indem sie leise intonierte und mit ihrer schönen Alt­stimme begann:

Holde Maid, in süßer Ruh I Ach, Dein Bild wird nicht erbleichen, Wird in meine Träume reichen,

Mir nicht aus dem Herzen weichen.

Gute Nacht, ruf ich Dir zu:

Schlaf in Ruh, schlaf in Ruh I J>tzt war die Reihe des Errötens an Werther, denn er erkannte sofort Reißners Improvisation wieder.

Ist eS von Goethe?" fragte Sophie lachend.

O nein, nicht von so edler Herkunft," stotterte Werther.Reißner ist der Ver­fasser ! Er ist Dichter und Musikus I"

Also ihr Freund brachte uns das Ständ­chen ?" fragte Laura sichtlich erfreut.

Ich bitte über meine Eröffnung schwei­gen zu wollen I" bat er noch.

Natürlich!" versicherte Laura,Aber nun, Sophie sage uns noch das Veilchen von Goelhe I"

Sophie begann sogleich:

Ein Veilchen auf der Wiese stand I" Die Komposition mar gut, der Vortrag dramatisch belebt. Mit Interesse lauschte Werlber, Lame dachte wohl an etwas an­deres, denn ihre Augen starrten in die Ferne. Und sterb' ich dann, so sterb ich doch Durch sie, durch sic Zu ihren Füßen doch I"

Mit diesen Strophen das Lied trostlos, öde. War das nicht auch ein Omen?"

Werther schwieg lange, bis ihn Lauras Stimme aus seinen Träumereien mit der Frage weckte:

Waren Sie öfter auf Jrenenstein?" Ja, in meinen Knabenjahren, Fräulein I" erwiderte der junge Mann.

Wie weit mag es von dort bis Hennig- stedt sein?"

Was wollte sie denn in Hennigstedt? Ah, weibliche Neugier I Wahrscheinlich nichts weiter I" dachte Werther.

Tann beschrieb er idie Entfernung nach Hennigstedt und verabschiedete sich.

Der tiefe Eindruck, den Laura auf ihn gemacht, hatte sich verstärkt. Er wollte jetzt fleißig sein, seine Examen machen und dann um Laura freien.

III.

Der alte Helbiz war wie verjüngt. Das hatte aber auch seinen Grund. Werther hatte sich ganz und gar verändert, und der Kaufherr sah frohen Herzens in die Zukunft. ES war selbst dem alten Gröhlmann ausge­fallen, daß der junge Herr so fein ehrbar-

hard Hofmann.) Druck und Verlag von B e

lich lebe. In der That hatte sich Werther jetzt ganz aus den Wirtshäusern zurückge­zogen, dagegen war er, ss weil er nicht seinen Studien oblag, jeden Nachmittag im Woland- schen Garten zu finden,

Werthers Vater wiegte bei dieser Wahr­nehmung den Kops bedachtsam hin und her und meinte zu seiner Frau:

Die Laura wäre mir schon als Schwie­gertochter recht, und eine ehrbare geheime Liebe hat oft vorteilhaft auf einen jungen Menschen gewirkt I"

Das meine ich auch I" setzte Frau Helbig hinzu und die Eltern hofften von der Her­zensneigung des Sohnes das Beste.

Das aber mit der Lektüre des Werther von Goethe auch eine glühende Leidenschaft in des Sohnes Brust gezogen, ahnten die Eltern nicht, denn die äußerliche Ruhe W. war nur Maske und in ihm tobte ein Vul­kan, dessen Ausbruch ein Zufall herbeiführen konnte.

Am zweiten Tage nach Entlehnung des Buches saß Werther mit dem Werk, das einen so dunklen Schatten auf seinen Weg werfen sollte, im väterlichen Garten.

Ist der Mensch," so dachte er, das Buch zukloppend, nicht ein Product seiner Lage, ein Ball in der Hand des Schicksals? Und liebte sie Dich wieder, Werther?

Thörichte Frage I Ihr Herz ist ja noch frei; ich werde es mir erobern! Die kleine Sophie hat Recht, es ist ein Omen, daß ich Werther heiße, aber müssen denn alle jungen Männer, die tiefen Namen tragen, den ihnen der Zufall veeliehen, unglücklich sein? O nein, Laura wird die Meinige; meinem Fleiße wird es gelingen, den Doktorhut bald zu er­werben und dann Laura, dann ist's Zeit, offen anzuklopfen und zu fragen:Willst Du mein sein?"

«Fortsetzung folgt)

Vermischtes.

(Alles oder nichts.) In derSchles. Zeitung" findet sich folgendesstreng reelle" Heiratsgesuch:Witwer mit einem Vermögen von 200 000 Thalcrn, 38 Jahre, 1 Kind, sucht eine tadellose, liebenswürdige, lustige Dame zur Frau, entweder mit viel oder direkt gar keinem Vermögen. Gefl. Off. (wennmöglich mit Photographie und alles Nähere) bitte ich mir vertrauensvoll unter Xhauptpostlagernd einzusenden und verspreche auf Ehrenwort strengste Diskretion." Die liebenswürdigen, jungen Damen mit direkt gar keinem Vermögen" werden wohl die Mehrheit unter den Bewerberinnen bilden.

.. (Motivierung.)Du, deine Braut ist aber nichts weniger als hübsch . . . ."

Ja, mein Gott, wenn man sich am Ende der Saison verlobt, ist der Damenflor eben schon etwas stark ausgesucht I"

.'. (Kein Grund zum Schämen.) »Aber hör' einmal, Bursche; schämst Du Dich nicht, mit so zerrissenen Hosen herumzulaufen I"

Ich mich schämen I Nee I Die Hosen gehören ja gar nicht mir, sondern meinem Bruder!"

(Entfernte Verwandtschaft ) A:Es wundert mich, daß Sie sich um Ihren jüngsten Bruder gar nicht kümmern I"B tAber erlauben Sie mir, das ist doch schon eine ganz entfernte Verwandtschaft da liegen ja fünf Geschwister dazwischen!"

ruhard Hofmauu in Wtldbad.