Notstand auf dem Lande.

Eine Heimsuchung, schwer in den N»t- ständen, die sie jetzt schon heivorgerufen, schwerer , och in den Folgen, die im kom­menden Späijahr und Winter erst noch zu befürchten sind, hat unser Vaterland betroffen.

Seit mehr als 3 Monaten fehlte unfern Fluren Thau und Regen. Eine bei uns ganz unerhörte Dürre hat in vielen Gegenden das Erdreich dermaßen versengt und verbrannt, daß, wenn auch die jetzt ein- geiretene gnädige Regen nachhaltig wirkte, doch der Fu>ter-E,t,az ganz bedeutend ver­mindert ist.

Dadurch ist die Erhaltung des Viehstandes, einer Hauptnahrungs- und Erwerbsquelle unserer landwirtschaftlichen Bevölkerung viel­fach in Frage gestellt.

In vielen Ställen brüllt daS hungernde Vieh. Ratlos, hilflos, verzweifelnd schlägt der Besitzer ein Stück nach dem andern um einen Spottpreis los oder schlachtet'«, um wenigstens einen etwas höheren Preis zu er­zielen.

Unsire Berichterstatter melden uns, daß viele Familien, deren ganzer Reichtum ihre Milchkuh war, dieselbe in einzelnen Fällen bis herab zu ein Fünftel ihres Ankaufspreises, selbst zu 25 Mark haben Weggehen müssen- Mancher bisher nicht ganz unbegütertete Mann hat feinen Viehstand von 6, 7 Stück auf 1 oder 2 heradsetzcn müssen mit dem Verlust seines halben Vermögens, weil seine Scheuer leer und Fuift r selbst zu den höchsten Prei­sen nicht zu,haben oder weil überhaupt kein Geld zum Futleikaufen mehr aufzutreiben war.

Sollen unsere Felder aufs Epätjohr auS Mangel an Arbeitsvnh nichtunbcbaut bleiben, sollen unsere armen Familien aus dem Lande im kommenden Winter nicht infolge mangel- haster Ernährung Krankheiten anheimsallcn, soll unser landwirtschaftlicher Mittelstand, der fleißigste, genügsamste und mit seinem harten Los zufriedenste nicht in schwere Be- diungns kommen, so muß und zwar sofort und nicht nur mit karger Hand, sondern reichlich geholfen werden. Es handelt sich um die Abwehr einet B rlusteS von Millio­nen, um die Existenz eines großen Teils un­serer Landwirtschaft.

Unsere Regierung Hai soeben umfassende Maßregeln ergnfftn und wirksame Anord­nungen getroffen, um das Aevßnste abzu- wendcn.

Aber in Z itm solchen Unglücks kann nicht Alles von der Regierung geschehen, darf nicht Alles von ihr erwartet werden.

Die Privatwohfthätigkeit darf nicht zurück- bleiben. Ihr öffnet sich jetzt ein weites Feld zu gesegneter Arbeit.

Unser Verein zur Hilfe in außerordent­lichen Notstandsfällen auf dem Lande ist in Ergänzung der öffentlichen Fürssrgeangesichts der schweren Not und der drohenden Gefahr entschlossen, nach Maßgabe seiner Miltel hilfreich einzugreifen : sei's hier einer armen Familie die Nahrung spendende Kuh zu er­halten oder w-nn das nicht möglich, im rich- tigen Zeitpunkl z» einer neuen zu verhelfen, sei's dort um mittellose Familien in den Stand zu setzen, an den allgemein eriffneten Kreditquellen teilznnehmcn, sei's endlich um den fleißigen und sparsamen mit dem Ruin bedrohten Mann aus dem Mittelstand über Wasser zu Hallen.

Wer ein Herz hat für die Notleidenden

unseres Volkes, der öffne weit seine Hand und fülle die unsere, daß wir helfen können, wo brüderliches Erbarmen und werklägige Liebe mehr als je geboten sind.

Stuttgart, den 23. Juni 1893.

Der Ausschuß desVereins zur Hilfe in außerordentlichen Notstands Fällen auf dem Lande" :

Vorstand: Hofprediger Dr. Braun, Krvnenstraße 47,

Rechner: Paul Lechler, Krsnenstraße 50,

Schriftführer: S'adtpfarrer Umfrid, Marlinsstraße 6,

Oberregierungsral von Clausnizer, Neckar- straße 55, Pfarrer Falch, Färberstraße 2, Stadtpfarrer I. Kopp, Rothestraße 19, Rechtsanwalt Kraut, Neue Weinsteige 16, Pfarrer a. D-Schmid-Sonneck, Seestraße 48» Stadlpfarrer Stahlecker, Christophsstraße 4, Kaufmann Vöhringer, Marktstraße 15/17, Hermann Werner, Dorothecnplatz 2, Mini­sterialrat Zeller, Olgastraße 102, Direktor Paul Zilling, Kriegsbcrgstraße 13, sämtlich in Stuttgart.

Pfarrer Burkhardt in Fcllbach, Pfarrer Fleischhauer in Feuerbach, Kaufmann Max Hartenstein und Or. gur. Hartenstein in Cannstatt. _

Rundschau.

Die Württ. Eisenbahnverwallung wird auch Heuer in den Monaten Juli und August Sonderzüge mit ermäßigten Fahrpreisen aus- führen und zwar von Stuttgart nach Freu­denstadt, Alpirsbach und Schramberg am 23. Juli; nach Berlin am 23. Juli; nach Friedrichshofen am 30. Juli; nach Henau am 6. August; nach Wildbad am 13. August; nach Urach am 20. Aug.; nach Friedrichshofen am 27. August.

Stuttgart, 30. Juni. Der Ausschuß der Nolstandskommission hier hielt bis j,tzi fast täglich eine Sitzung; gestern Nachmittag kam die Frachtermäßigung wieder zur Sprache, die bis jetzt nur in Württemberg um ft» herabgesetzt war. Die Kommission beantragte eine weitere Herabsetzung bis zu ft« zu er­streben. Diese Ermäßigung soll aber aus den Verkehr in ganz Deutschland, namentlich auch auf den Transitverkehr ausgedehnt wer­den. Der Vertreter der kgl. Generaldirektion versprach in der Sache da» größte Entgegen­kommen, welches indes nicht von Württem­berg allein, sondern von den übrigen Staaten übereinstimmend geschehen müßte.

Eßlingen, 30. Juni. In der Filialge- meinde Wäldenbronn wurde gestern nachmit­tag ein frecher Diebstahl verübt. Ein Hand­werksbursche kam in die Wirtschaft z. Ochsen und drang da unbemerkt in eine Schlaskam- mer ein, wo er sich unter einer Bettlade ver­steckte. Die Wirtin, die das Gemach betrat, bemerkte den Fremden mit Schrecken ; sie zog sich schnell zurück, schloß die Thür ab und rief ihren Mann, der den Eindringling er­greifen sollte. Als aber der Wirt in Be­gleitung einer Nachbarin die Thüre öffnete, war der Siromer verschwunden; derselbe halte einen Sprung durchs Fenster auf die Straße unternommen und sich in raschem Lauf dem nahen Walde zu geflüchtet. 25 Mark, die in einem Kasten lagen, trug er als Beute davon.

Altcnsteig, 1. Juli. Die Hauptversamm­lung deS Schwa, zwaldvcreinS fand Heuer am Petri und Paulfeiertag in Altcnsteig statt. Unter dem Vorsitz von Oberregirrung-rat

Nestle begannen die Verhandlungen ,'n der Linde". Der Verein hat auch im letzten Jahr durch Herausgabe von Karten, B,o- schüren, Anbringung von Wegweisern, Wald- weganiagcu, Erbaunng von Ausstchlsiürmen u. s. w. zur Erschließund des Schwarzwalds und zur Förde, ung des Fremdenverkehrs bci- getragen. Beiträge wurden verwilligt: Alten­steig 500 (zum AuSsichtSinrm bei Egen- Hansen), Calw, 300 Freudenftadi 400 Oberndorf 600 Zum Andenken an den verstorbenen Oderbaural R inhardt soll auf der Ruine Waldeck (zwischen Thalmühle und Bahnhof Teinach) eine Erzlasel in einen Felsen gesetzt werden. Als monatlich er­scheinende Zuschrift wird künftig im Verlag von Ringe in WildbadAus dem Schwarzwald" herauSgcgeben werden; als Redakteur ist Rektor Weizsäcker in Calw auf- gestelll. Der Stuttgarter Bezirksverein hat zu diesem Unternehmen 2000 verwilligt. Auf ein an S. M. den König sbgegangencS Huldigungstelegramm traf währen» des Fest­essens in derTraube" der königliche Dank ein.

Rsttkllburg, 30. Juni. Die feierliche Inthronisation de» Bischofs Dr. Wilhem v. Reiser in der Domkirche ist auf Dienstag den 11. Juli festgesetzt. In dem nahen Kiebingen ertrank gestern nachmittag beim Baden der 16jährige Bäckerlehrling Wilhelm Gaupp, von Ergeuzingen gebürtig.

Der Staat hat in Ochsenhausm einen im Rettumthal gelegenen, dewässerbaren Wie- senkompftx von etwa 120 Morgen im Besitz, der auch dieses Jahr einen recht befriedigen. Stand aufweist. Das SchuUheißeuamt in Ochsenhausen richtete angesichts der Futter- uot an daS K- Kameralamt das Gesuch, es möchten die Erträge von etwa 50 Morgen um den Durchschnittspreis der letzten Jahre der Gemeinde zuerkaunt werden. Die K. Domäncudireklion hat diesem ihr vorgelegten Gesuch entsprochen und die bedürftigsten Vieh­besitzer, bei denen die Erhaltung eines nor­malen Viehbestandes sehr in Frage stand, um den Selbstkostenpreis abgetreten. Der K. Domäncndireklion zollt die ganze Ge­meinde aufrichtigsten Dank für dieses Ent­gegenkommen. Bei der heutigen Versteiger­ung der übrigen 70 Morgen wurden bei überaus starker Nachfrage pro Morgen durch­schnittlich 70 ^ bezahlt und so bei diesem Kompl-x ein Mehrerlös gegen das Vorjahr von 3400 ^ erziehlt.

Crailsheim, 2. Juli. Ein billiges Pferd kaufte ein hiesiger Bierbrauer von einem aus­wärtigen Bauern ; der Preis wurde nach dem Gewicht des Pferdes festgesetzt, per Zentner zu 50 Das Pferd wog netto 8 Zent­ner und mußte zu 4 Mark abgegeben weiden.

Vom schwarzen Grat, 1. Juli. Erb­graf Bertram Otto v.Quadt-Wykradt-Jsuy ist infolge Abdankung seitens seines Vater« nunmehr Herr der Slanderherrschaft J-ny in Württemberg, sowie der im Königreiche Bayern befindlichen Fideikommissgüter gewor­den, womit zugleich alle Rechte als Haupt de« standesherrlichen Hauses auf ihn über- gezangen sind.

Aus Baden-Batzen schreibt man der Fr. Zig-: Da» neueröffnete Augusta-Bad ist neben dem weltberühmten Fricdrichtbad, auf der Baustelle des früheren Armenbades, er­richtet; der Bau nahm eine Bauzeit von 3 Jahren u. einen Kostenaufwand von 860,936 Mark in Anspruch, einschließlich der inneren