Rundschau.

Eine Kugel aus dem Jahre 1870. Aus Stuttgart wird berichtet: Buchbinder Wellner hier, welcher im Jahre 1870 von Paris durch einen Schuß in den linken Fuß­knöchel verwundet worden war, empfand in letzterer Zeit a» diesem Fuße häufig heftige Schmerzen. Der Schuß war ein Prallschuß, der erst vom Gewehrkolben aus in den Fuß fuhr; es wurde ihm damals sofort das Kugel­stück samt einem Lederflcckchen herausgenom­men, und Wellner glaubte, der Fuß sei ge­heilt und namentlich bleifrei. Die in letz­teren Tagen vorgenommene Operation, die eine sehr schmerzliche war, förderte nun aber­mals einen Splitter jener Kugel zu Tage. Wellner ist noch an das Zimmer gefesselt.

Die Futternot und die geringen Preise, welche die Händler für das feile Vieh bieten, haben in Radelstetten, OA. Blau­beuren, wie dieUlm. Schnellp." berichtet, eine Anzahl Bürger veranlaßt, einer. Verein zu bilden, dessen Mitglieder bei Konventio­nalstrafe sich verpflichten, an keinen Händler mehr ein Stück Vieh zu verkaufen. Dagegen melden diejenigen Mitglieder, welche wegen Futtermangel oder aus anderen Gründen ihren Vichstand verringern müssen, dies beim Vor­stand an, der Verein kauft das Vieh an, wofür je nach dem Wert des Stücks ver­schiedene Preise festgesetzt sind. Das Vieh wird im Auftrag des Vereins geschlachtet und das Fleisch unter die Mitglieder je nach der Geöße der Familien verteilt zu einem Preis, der nur die entstandenen Kosten und Auslagen decken muß. Jedes geschlachtete Tier muß vollständig aufgebraucht sein, bevor ein neues gekauft und geschlachtet wird. Werden mehrere Tiere zugleich zum Kauf an- gkboten, so entscheidet darüber, welches zuerst gekauft werden soll, das Los oder die Dürf­tigkeit deS Verkäufers. Die Händler haben die Preise unter aus Ausnützung der Not­lage der Landwirte so gedrückt^ daß der Bauer durchschnittlich 18 bis 20^ für das Pfund lebend Gewicht erhält. Andererseits stellt sich bei den dermaligen niedrigen Fleischpreisen die Fleischkost kaum teurer als fleischlose Kost. In dem benachbarten Schareustctten soll ein gleicher Verein gegründet werden, der mit dem in Radelstetten zusammengehen will.

Die Dürre. Dürre und heiße Som­mer finden sich in jedem Jahrhundert. So schreibt eine Heiibronner Chronik von1473: Der Sommer war so heiß und trocken, daß alle Bäche und Brunnen austrockncten; anfangs September war die Weinl-se vor­über. 1540 ging die Dürre am Dienstag nach Quastmodogeniti an, gcwert bis in den Winter, wenig geregnet, gar kein Daub (Thau) gefallen; man hat bei unS an sant ubrichS Tag (4. Juli) gar abgcschnitten gehabt. Es ist wenig Heu »und gar kein Ohmat wor­den ; das Fuder Heu hat 5 fl. gekost. Die Wiesen haben um Jakobi ausgesehen wie Brachäcker." So schrieb der Pfarrer Herold von Weinsberg, der Chronist des Haller Landes. Aus der Gegend von Gerabronn finden wir von 1684:Im Jahr 1684 er­eignete sich der dürre Sommer, da man den Haber mit den Händen aut dem Erdboden rupfen mußte und nicht einmal schneiden konnte. DaS Vieh wurde wegen Mangels an Futter so unwert, daß man eine feine Kuh um 34 fl. verkaufte." Auch 1740 und 1807 waren solche Mißjahre.

Eßlingen, 14. Juni. Die ,Eßl. Ztg."

erzählt: In Vorahnung der Titelerhöhung unseres StadlvorstandeS war am Montag mittag im Vestibül des Rathauses ein präch­tiges neues Ovalfaß von 363 Liter Gehalt (hervorgegangcn aus der Wcrkstätte deS Herrn G. Spannenberger hier) aufgestellt, das auf der Stirnseite als Widmung, umgeben von einem Rebenkranz, die Inschrift trägt: Wer ra widmet seine Kraft Tag für Tag der Bülgerschaft Dem gebührt auch unbe­dingt, Daß er abends einen trinkt, Der da neu belebt die Geister; Prosit, Oberbürgermeister!

Blaubeuren. Dieser Tag fand e>n Knabe auf dem Wege zum Bahnhof einen größere» Briefumschlag, in welchem, wie sich bei dessen Untersuchung ergab, Papiergeld und zwar in dem namhaften Betrag von 2600 Mark befand. Der 'Vater des Finders vermutete, das Geld werde einem zur Bahn gegangenen Viehhändler entfallen sein, und ging sofort zum Bahnhol, wo er den Viehhändler traf. Die Vermutung war richtig, das Geld ge­hörte tem Händler, der indessen noch keine Ahnung von seinem Verluste hatte; er nahm dann ruhig sein Geld in Empfang und gab dem Finder 1 50 (Jsts da ein Wunder,

wenn die Unehrlichkeit überhand nimmt I)

Deckenpfronn, 20. Juni. Ein ehrbares hiesiges Bäuerlein kam gestern mit zwei Pferden nach Pforzheim, um dieselben an Pferdemetzger wegen großen Futtermangels zu verkaufen. Da ihm ein Spottpreis ge­boten wurde, überließ er das eine Pferd dem Hausknecht im Gasthof z. Kreuz in Pforzheim für das Stall- und Futtergild von 80 als Eigentum und ritt mit dem andern wieder hierher zurück.

Au« Pforzheim wird geschrieben: Die hiesige Bijoulerie-Fachau-stelluug wurde in letzter Zeit auch aus Württemberg zahl­reich besucht. Wir nenne» nur den Prin­zen Hermann von Weimar, Geh. Hofrat Jobst und Oberinspektor Senfft, O.-Reg.- Rat a. D Diefenbach, Prof. Ör. Hub-r und in kleineren und größeren Gruppen fast sämtliche Fabrikanten der Bijouteriebranche in Stuttgart und Gmünd. Besonders hcr- vorzuheben ist das schöne Bild sozialen Frie­dens , welches am letzten Samstag äußerst wohlthuend in der Ausstellung bemerkt wurde. Fabrikant Karl Härdtner aus Oberndorf a. N., gebürtig aus Laufen a. N., welcher hier eine Filiale seiner Keltenfabrik eingerichtet hat, war mit feinem ganzen Personal, 80 Personen, zum Besuche der Ausstellung von Lochcrh-f, OA. Rottweil, hierher gekommen. ES war ein gar freundlicher Anblick, Hirdt- »er inmitten seiner Schwarzwälder, die Mäd­chen in Landestracht, wie einen Vater walten und sie alle äußerst reichlich bewirten zu sehen.

Karlsruhe , 22. Nach derBadischen Landcszcitun-g" wurde heule in Pforzheim der Gvldarbeitcr Lutz, Vorstandsmitglied de< Sanitätsvereins, verhaftet, da sich in der Kasse ein Vermögen von 6 Mark gegenüber 6000 ^ Schulden. Die Bücher sind ver­brannt.

Berlin, 22. Juni. Der Reichsanzeiger veröffentlicht eine kaiserliche Verordnung wo­nach der Reichstag auf den 4. Juli einbe­rufen ist.

Der Polizei von Berlin gelang es, am 21. d«. eine Falschmünzerbande bei der Arbeit abzufafsen; sie fand 1055 Mark in falschen Fünf-, Zwei- und Einmarkstücken vor. Die Fälscher sind Polen; weitere

Recherchen sind im Gange, da die eigentliche Falschmünzerwei kstatt anderswo vermutet wirb.

Das 3'/-jährige Töchterchen einer in Düsseldorf wohnenden Familie ist in Ab­wesenheit seiner Ellern einem scheußlichen Attentat zum Opfer gefallen. Der Verbrecher, ein dortiger Kolporteur, ist berciiS ermittelt und verhaftet, das Mädchen an dem ihm von dem Scheusal beigcbrachten Verletzungen in­zwischen gestorben. Ucber diesen zweiten Fall von Kinderschändung innerhalb kurzer Zeit herrscht große Aufregung.

Wien, 22. Juni. In Aubeln bei Jägern- dorf öffnete vor der Beerdigung der angeb­lich an Lungenentzündung verstorbenen Haus­besitzern Rosa Blaschkc deren Gatte den Sarg­deckel, um die Gattin nochmals zu sehen. Da bemerkte er, daß die Scheintote Gattin im Sarg ein Kind geboren hatte, das jedoch bereits tot war. Eine Untersuchung ist ein- geleitet.

Infolge eines Wolkenbrnchs trat der Liskowezback bei Storozvnetz (Bukowina) au« und riß die Eisenbahnbrücke und die Rcichsstraßknbrücke weg; außerdem wurden von den Waffermaffen drei Häuser fortge- schwemmt.

Im Park-Villa-Tunnel zwischen Brooklyn und Concy-Jsland entgleiste am 20, dS. ein Eistnbahnzug mit 1000 vom Rennen zurückkehrenden Passagieren. N un Personen sind tot und ungefähr 100 ver­wundet. Die Katastrophe soll dadurch ver­ursacht worden sein, daß ein Eifenbahnwär- ter eingefchlafen war. Auf der gleichen Bahn­strecke war gestern ein anderer Zug, der vom Wettrennen kam, bei Long Island ertgieist; doch wurde dabei niemand verletzt.

Neueste Nachrichten.

Reichstagswahl.

Wahlergebnis bei den am SamStag den 24. Juni vorgenommenen Stichwahlen:

U Wahlkreis. Siegle (D) gewählt.

2. Schnaidt (V.) gewählt.

3. Haag (V,) gewählt.

4. Kercher (V.) gewählt.

5. Ebni (V.) gewählt,

8. Galler (V-) gewählt.

10. , Speiser (V.) gewählt.

Berlin, 24. Juni. Bis Mitternacht sind 64 Wahlresuttate bekannt. Gewählt sind: 5 Konservative, 2 Reichspartei, 13 National- liberale, 5 freisinnige Vereinigung, 6 frei­sinnige Volkspartei, 4 südd. Volkspartei, 5 Zentrum, 3 Polen, 3 Antisemiten, 18 So- zialisten.

Gewählt sind in:

Pforzheim: Frank (N).

Mannheim: Basstrmann (N.).

Straßburg: B-bel (Soz).

Berlin : Langerhan» (Frcff ) und 3 So­zialisten.

Karlsruhe: Pflüger (Freist V.).

Frankfurt: Schmidt (Soz.).

Elberfeld: Harm (Soz.).

Leipzig: Haffe (N.).

Offenburg: Reichert (Z).

Lübeck : Nationaliiberaler.

Solingen : Schuhmacher (Soz.).

Halle a. S. : Meyer (Fr. V-).

Ludwigshafen: Ciemm (N.).

Homburg: Brühme (Soz.).

Hanau: Stroh (Kons.).

Lahr: Schätzen (Z.)

Hagen: Eugen Richter (Fr. V-).

Offenbach: Ulrich (Soz ).