Im Banne des Blutes.
Roman von H. von Ziegler.
Nachdruck verboten.
19 .
Der junge Offizier blickte die Tante sehr erstaunt an. Eine solche Zurechtweisung war ihm von ihr noch nie widerfahre», und seine Verwunderung wuchs, als er ihr Antlitz bei dem Erscheinen Ruths sich plötzlich aufhellen sah.
„Sie muß einen geheimen Grund haben, das Mädchen so zu protegieren," dachte er sinnend und redete gleich Cousine Olga an, welche ziemlich unmutig dareinsah.
„Nun, meine teuere Olga, warum so übelgelaunt? Denkst Du an unseren Cotil- lon, Herz?"
„Egon, bitte sei doch in Deinem Benehmen etwas vorsichtiger," zürnte aber Olga, „man merkt uns sonst sogleich an, daß wir —"
„Nicht einig sind," lächelte Egon ironisch. „Denn mein Schatz, Deinem Gesichte sieht Niemand eine glückliche Braut an."
„Ich ärgere mich über Betty und die Tante," fuhr Olga fort, „sie haben wirklich an der Ruth ihren Narren gefunden und ziehen sie auf ganz unerhörte Weise allen Anderen vor. Auch daß Du sie morgen als Brautjungfer führen mußt, finde ich geradezu empörend."
„Nun, nun, mein Lieb, ich mache eben gute Miene zum bösen Spiel," meinte Lieutenant von Hohenstein gelassen, „da ich Dich nicht führen darf, sind mir die anderen alle sehr gletchgiltig."
Ein coquettcr DankcSblick Olgas lohnte ihm, bann schlüpfte sie davon und ihr Liebhaber murmelte gelangwellt: „Tod u. Teufel I Mn Cousine Olga schmachten, ist eigentlich garz adtcheulich, aber was bleibt mir übrig? Sie beerbt einmal die teuere Tante und das ist die Hauptsache bei der ganzen Verlobung."
Am folgenden Morgen schlüpfte Ruth schon sehr zeitig in Bettys Schlafzimmer, um die Freundin bräutlich schmückt» zu helfen. Es war Ruth selbst so feierlich zu Mute, als müsse sich etwa« Wichtiges ereignen, und wenn sie an den vergangenen Abend dachte, so pochte auch ihr Herz schneller.
„Betiy," flüsterte sie feuchten Auges und setzte sich aus den Bttlrand, „nun bist Du bald sein Weib, gehörst ihm allein, den Du liebst. Ist dies nicht ein wundervolles Glück ?"
„Ja, das ist kS," Nickie die junge Braui erglühend, „und ich we>ß, d>.tz ich unaussprechlich glücklich m>l >hm sein werde I Ruih, liebst Du vielleicht auch wie ich?"
Die Gefragte errötete bis an die Haarwurzeln, dann ließ sie den Kopf aus die Brust niedcrstnken und flüsterte verwirrt:
„Ich weiß eS nicht, Betiy!"
„S»ll ich Dir's beschreiben, Kind?" lächelte Betty in glückseliger Uederlegenheit, „ich kenne es ganz genau, wie ein Mensch sich fühlt, der liebt I Es ist ein Sehnen und Jauchzen, ein Zweifeln und Bangen, welches durch einen einzigen Blick beschwichtigt wird. O Ruth, sage mir, wer ist es, sage es mir ganz allein I — Ist e- Arnold?"
„Nein," sagte Ruth und schüttelte energisch den Kopf, „ich glaube wohl, daß Arnold mir gut ist und ich mag ihn auch gern,
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und — wenn ich jenen — anderen nicht gesehen hätte, dann."
Es klopfte an der Thür und wie erleichtert fuhr Ruth empor. „Betty, ich kann es Dir nicht sagen," hauchte sie angstvoll, „sogar Dir nicht — ich will Dir darüber später schreiben."
„Meine liebe Ruth," sagte die Braut bewegt, „ich kann Dich verstehen, steh, ich hätte Eugens Namen auch nicht über die Lippen gebracht als wir noch nicht verlobt waren. Ober wer klopft da?"
Es war die Jungfer, welche Betty an- klciden wollte und bald darauf gingen die beiden Freundinnen Arm in Arm zum Frühstück in den Gartensalon, wo die Gräfin sie gütig lächelnd empfing.
„Liebe Ruth," sagte sie heiter, „soeben ist da« Bouquet Ihre« Brautführer- in Ihr Zimmer getragen worden ; ein wahres Kunstwerk von Rosen und Orangeblüten."
DaS schöne Mädchen errötete, sagte aber möglichst unbefangen: „Sehr liebenswürdig von Lieutenant von Hobenstein, sich nach den Farben meiner Toilette zu richten.
„Eugen kommt schon um halb elf Uhr, um mich zum Standesamt abzuhvlenbemerkte Betty mit der glücklichen Selbstsucht einer Braut am Hochzeitstage, „liebe Tante, ich muß mich sehr bald zurückziehen, um Toilette zu machen."
„Gewiß, Kind, Papa fahrt mit und Ex cellenz von Halden als Eugens Trauzeuge."
Sobald es ihr möglich war, eilte Rulb in ihr Siübchen und fand dort das wundervolle Bouquet, welches das Stubenmädchen auf die Wasserflasche gesetzt hatte; es war allerdings ein Wunderwerk in jeder Beziehung, denn mitten zwischen den dicksten Orangeblüten schimmerte etwas Bläuliches hervor.
„Was mag es sein ?" flüsterte Ruth errötend und schon griffen die Finger nach dem Billet, welches auf wappengeschmücktem Couvert ihre Adresse trug.
„Vielleicht nur ein Begleitschein," sagte sie ganz laut vor sich hin, „aber ich will das Couvert öffnen, um zu sehen, waS eS enthält."
Auf dem eleganten Billet selbst standen aber so leidenschaftliche Worte, solch eine glühendejLiebeserklärung, daß die junge Dame ganz starr dvrauf nicderblickte und endlich in heftige Thränen ausbrach ; sie wußte selbst nicht, weshalb sie weinte, es schien ihr ja auck, als sei es gar nicht Schmerz, der sie erfülle, sondern unbeschreibliche Freude, und wiederum murmelte sie wie an jenem Abend, da sie Hohenstein zuerst erblickt: „O, Mutter, Mutier könntest Du bei mir sein und mir raten I"
Als sie von daheim abgefahren und Ar nold sie zur Station gebracht, da war er noch bleicher und ernster gewesen als sonst, und beim Emsteigen hatte er ihr kleine Hand noch fester gehalten als sonst und liebevoll gesagt: „Lebewohl, Ruth, und — komme wieder wie Du gegangen, fröhlich und sonnig ; mir ist, als solle Dir großes Leid wie- derfahren I"
„Armer Arnold! In dieser Stunde, da ihr eignes zuckendes Herz erkannte, daß es jenem schönen, glänzenden O'fiz'er gehöre, wußte sie auch um des Vetters Geheimnis, weiches er doch so tief vor allen Menschen verbergen wollte. Ob sic ihn geliebt hätte, wenn sie Egon nicht gekannt? Erglühend
hsrd Hosmann.) Druck und Verlag von B k
barg sie da- süße Gefichtchen in den duftenden Orangeblüten, dann sprang sie auf wie ein übermütiges Kind und breitete beideArme aus: „Er liebt mich! Egon — ich liebe Dick wieder!" —
Betty hatte gewünscht, daß Ruth, ihre liebste Freundin, ihr den Kranz aufsetzen möge und, als sie mit iherer Toilette fertig war, eilte das junze Mädchen hinüber zu der strahlenden Braut, um ihr diesen Liebesdienst zu erweisen. Wie eine Elfe flog sie über die Corridsre; in den dunklen Locken lag ein Halbkränzchen von Rosen und gleiche Blüten schmückten den Ausschnitt des Kleides. Sie halte eine weiche, weiße Hülle um die Schultern gelegt, Bouquet und Fächer hielt sie in der Hand, um gleich mit Betty zur Gesellschaft gehen zu können. Das schöne Gesicht leuchtete und schimmerte so ganz besonders zauberisch, über Nacht schien ein Engel es berührt zu haben, denn dieser selige Ausdruck konnte nimmer von der Erde stammen.
Es war Ruth, als müsse sie jeden Menschen lieben, jedem tief ins Auge blicken, UM nach jenem Himmelsstrahl zu forschen, den sie selbst trug.
Betty stand, bereits im vollen bräutlichen Schmuck, inmitten des Gemaches und streckte der Eintretenden beide Hände entgegen,
„Gott lohne Dir Deine Liebe, mein Herz," sagte sie bewegt, „ich bin so glücklich in dieser Stunde!"
„Möchtest Du so glücklich werden, als Du es verdienst, Betiy," erwiderte Ruth und, schweigend vor tiesinnerster Bewegung, hielten sich beide Freundinnen lange, lange umschlossen.
„Es wird Zeit," mahnte Betty endlich, sich aufrichlcnd, „aber, laß Dich ansehen, Liebling! Wie reizend siehst Du aus!"
Keine Schmeicheleien, Uebeö Brautchen; nu» laß Dich schmücken!"
Ernst und doch glückselig Verließ Betty von Hohenstein, Hand in Hand mit Ruth ihr Mädchenzimmer und begab sich nach dem Salon, an dessen Thüre der Landrat seine Verlobte erwarlele; sie tauschten einen treuen Liebesblick und warmen Händedruck, dann aber traten sie zur Gesellschaft, die sich sogleich um sie drängte.
Ruth hatte ihren Umhang abgelegt und begrüßte nun gleichfalls alle die ihr bereits vom Polterabend her bekannten Herren und Damen; auch Lieulenanl von Hohenstein trat mit tiefer Verneigung zu ihr, sich nach ihrem Befinden erkundigend. Heiß errötend stammelte sie einige Worte des Dankes für das Bouquet, schlug jedoch rasch den Blick zu Boden, als sie seinem ausflammenden begegnete.
Der Hockzntszug ordnete sich zu Paaren und die Wagen fuhren vor. Als Ruth ihre Hand auf Egons Arm legre, zitterte diese merklich und beim HinauSgehen frvg er leise, hastig: „Ruth, meine angebeiete Ruth, haben Sie meine Zeilen ungüiig ausgenommen?"
„Ich hätte sie zurückweisen sollen," sagte sie sanft, „eine solche Sprache ziemt mir nicht anzuhören und Ihnen nicht, einer Dame gegenüber zu äußern."
„So herb kann Schneewittchen urteilen?" fing er mit seiner klangvoll weichen Summe, „haben Sie denn gar kein Mitleid mit dem armen Schmetterling, der sich an Ihrem Strahle die Flügel verbrannte?"
(Fortsetzung folgt.)
rntzard Hosmann in Mlöbad.