Im Banne des Blutes.
Roma» von H Von Ziegler.
Nachdruck verboten.
15 .
Um dieselbe Zeit fuhr auf der Landstraße ein Wagen im rasche» Tempo in der Richtung des Norderhofes daher, aber immer noch zu langsam für den darinsttzeuden Mann, dessen Augen strahlend über die Landschaft glitten. Der Insasse des Wagens war der heimkehrende Arnold Berger und mit dem Hochgefühle der Freude und des stolzen Selbstbewußtseins näherte sich der junge stattliche Mann der Heimat. Er war ein tüchtiger Chemiker und gewandter Geschäftsmann geworden, auch erschien er in seinem Aeußeren vornehm und elegant, wenn auch nicht gerade schön. Arnold zeigte aber jetzt voll und ganz ein Bild echter Männlichkeit, feine Gestalt war kräftig, ein kurzer Vollbart umrahmte sei» gebräuntes Antlitz und in seinen ernsten Augen lag jener leicht melancholische Zug, welcher besonders bei Männern so anziehend wirkt.
Auf der Brust trug Arnold noch immer jenes zierliche Notizbüchlcin, welches ihm einst Ruths kleine Hände zum Andenken gegeben. Oft hatte Arnold das Büchlein hertzorgczogen und liebevoll betrachtet und dabei an Ruths süße Augen und an ihr silberhelles Lachen gedacht. Stach und nach knüpfte sich in Arnolds Geiste eine andere Gcdankenreihe an die feinen Pergamcntblätlchen. Die Bilder, welche ihm der Großvater von Ruth nach England gesandt Halle, waren immer schöner, Ruth, das zierliche Mädchen, war ein liebreizende junge Dame geworden, und Arnolds Herz schlug höher, wenn er sie im Bilde betrachtete. Ein unsäglich bezauberndes Gefühl erfaßte ihn dann, und er fragte sich heimlich : „Ob Ruth ihn einst lieben könnte?"
Auw Ruth hatte zuweilen an Arnold geschrieben, und er hatte die eleganten Briefbogen mi! der zierlichen und doch ausdrucksvollen Handschrift ganz besonders sorgsam aufgehoben; sie enthielten heileres Mädchen- geplaudcr und ließen ein weiches und doch charaktcivolles Gemüt erkennen, das in allen Einjklhülen zu studieren dem ernsten Geschäftsmann in seinen abendlichen Mußestunden viel Freude gewährte. Und nun sollte er nach so langer Trennung diese harmonische Mädchenerscheinung Wiedersehen. Erst noch vorhin im Eisenbahnwagen hatte Arnold die steife KiNderhanrschrifl Ruths gelesen, die ans dem ersten Pergamentbtatlc stand. „Auf Wiedersehen I" hatte sie getaute! und es war ihm vorgekommen, als leuchtete» zwischen den Buchstaben braune, sanfte Mädchenaugen grüßend hervor.
„Ruih, meine liebe Ruth," murmelte Arnold vor sich hin; es war ihm so freudig und erwartungsvoll zu Mute, wie einem Kinde vor Weihnachten.
Da tauchten, scharf gegen den noch Hellen Abendhimmel abgegrenzt, die Umrisse des Norderhofs vor Arnolds Augen auf; jetzt bog der Wagen in die Lindenallee die zum Bergcr'fchen Gute führte ei», und laut klatschte der Kutscher mit d.r Peitsche. An den Fenstern erschien Licht, jetzt war die Hauslhür geöffnet, und hell beleuchtet von einem Wind- licht, stand der ehrwürdige Friedrich Berger da, strahlend vor Freude den heimkehrenden Enkel begrüßend.
»Gott zum Gruß, mein lieber, Arnold I" rief der Greis froh bewegt, „so seheich Dick doch noch wieder in diesem Leben nach so langer, langer Trennung!"
„Guten Abend, Großpapa," klang Arnolds sonore Männerstimme, „da bin ich wieder glücklich daheim I"
Und zwei kräftige Männerarme umschlangen den allen Mann treu und warm; lange hielten sich Großvater und Arnold umschlungen, dann endlich hob Friedrich Berger das Haupt und sagte: „Und nun komm herein in die Stube, mein lieber Junge, daß ich Dich bei Licht ordentlich ansehen kann! Potztausend, welch' ein stattlicher Mann bist Du geworden, zu elegant und neumodisch für unseren alten stillen Nvrderhof I"
„O nein, Großpapa," entgegnete Arnold heiter, „ich bin innerlich ganz der alte und habe seit dem Augenblick, da ich vor sechs Jahren die Heimat verließ, keinen anderen Gedanken gehabt, als wieder helmzukommen. Aber wo ist Ruch?",
„Komm nur herein, Arnold I Wir ha ben Einquartierung und da muß sie die Rolle der Hausfrau spielen."
Die Thür zum Speisezimmer öffnete sich jetzt. Auf der Schwelle desselben stand in Hellem Kleide eine zarte, schlanke weibliche Gestalt mit lichtbraunem Lockenköpfchen und streckle herzlich unbefangen dem Ankommenden beide Hände hin.
„Arnold, Vetter Arnold," jubelle dieselbe süße Stimme wie einstmals, „willkommen daheim. Wie freue ich mich, Dich wieder zu sehen I"
„Ruth, mein liebes Schneewittchen," rief Arnold staunend, „bist Du es denn wirklich?"
„Ah, der liebe, alte Kindername" lachte das schöne Mädchen, „ich danke Dir, lieber Vetter, für diese liebe Erinnerung, das ist mir das schönste Wort zum Willkommen. Aber nun laß Dich nicht znm Eintreten nötigen I"
„So im Reiseanzuge, liebe Cousine, geht es dock nicht," wehrte Arnold ab, mühsam sich beherrschend, denn so schön und liebreizend wie Ruth wirklich war, hatte er sic sich gar nicht gedacht. „Bitte entschuldige mich für zehn Minuten, — denn wie ich sehe, habt Ihr Besuch!"
Herr von Hohenstein, der sich im Hintergründe des Speisezimmers befand, hatte mit augenscheinlicher Langweile die Begrüßungsscene zwischen Ruth und Arnsld mit angesehen, und als setzt Berger mit Arnold nach des letzterem Zimmer ging, atmete der junge Offizier befriedigt auf und er wandte sich scherzend zu der jungen Dame, die ihren Platz an der Theemaschine von Neuem einnahm.
„Welch märchenhafter Name, meine Gnädigste, wurde Ihnen soeben beigelegt I Schneewittchen nannte sie der Herr Vetter. Ich glaube wohl, daß der Spiegel immer noch recht hat, welcher der dösen Stiefmutter zuruft, daß sie nicht die Schönste im ganzen Lande ist l"
Ruth erglühte leicht unter dem bei dieser Huldigung aufflammcnden Blicke Hohensteins und erwiderte etwas befangen: „Ich kann Ihren Vergleich doch nickt zutreffend finden, Herr von Hohenstein, ich machte auf di: Schönheit Schneewittchens keinen Anspruch und wurde auch nicht gerade deshalb
in meiner Kindheit Schneewittchen genannt. Doch Sie verzeihen, Herr von Hohenstein, daß Großpapa mit Arnold hinausging, er muß gleich zurück kommen "
„Im Gegenteil, ich bin entzückt mein Glaö auf das Wohl des holdselige» Prinzeß Schneewittchens leeren zu dürfen, ehe die Herren wicderkehren," erwiderte Herr von Hohenstein galant,
„Sie bleiben wirklich noch einige Tage hier, Herr von Hohenstein?" frug dann Ruth.
„Allerdings, mein gnädiges Fräulein, und ich hoffe, Sie auch bei dem Manöverballe nächste Woche zu sehen, der den „Krieg im Frieden" glänzend beschließen soll."
„Ich weiß jnicht, wi Großpapa über meine Teilnahme an dem Balle denkt und kann deshalb auch jetzt noch keine Zusage machen. Sind Sie auch bei Bettys Hochzeit, Herr von Hohenstein?"
„Gewiß — und Vielleicht sügt es das Glück, daß ich auf der Hochzeit die Ehre habe, Sie, gnädiges Fräulein, die schönste der Brautjungfern geleiten zu dürfen."
Eine jähe Bluiwelle schoß Ruth in da- Antlitz, als sie den Sinn dieser Worte voll erfaßte, und sie wandte sich offenbar sehr erleichtert zu den jetzt eintrelcnoen Herren.
„Wie Du verändert bist, Vetter Arnold," rief sie heiter und reichte ihm vom Thee- tische her die Hand, „ich würde Dich auf der Straße kaum wieder erkannt haben, so ganz anders bist Du geworden."
„Aber Du hast Dein Kindergesichtchen behalten," lächelte der Angeredete, „Du bist noch wie damals die kleine Märchenprinzeß."
„Nur keine derartigen Komplimente, Arnold," wehrte Ruth ab, „wir dcmschen Frauen lieben solche nicht und Du vergißt vielleicht manchmal, daß Du jetzt wieder in Demsch- land bist. Ich vergaß, die Herren einander vorzustellen; mein Vetter, Herr Arnold Berger — Lieutenant von Hohenstein!"
Die beiden Verbeugungen der jungen Männer gegen einander waren ziemlich kühl, Arnold musterte den schönen Offizier scharf und ein rascher Blick streifte von diesem zu Ruth hinüber. Sollte hier auch im Kleinen der „Krieg im Frieden" ausgejührt werden? Der Name klang ihm auch bekannt, doch er vermochte nicht, sich desselben zu erinnern.
Man begann die Mahlzeit noch einmal und der altes Berger, welcher nun ungemein fröhlich geworden war, goß scherzend ben Champagner in die Gläser, dann erhob er bas seine und rief heiler:
„Auf ein fröhlich Willkommen, mein Junge, und die Erfüllung all unserer Wünsche I"
Nicht mißzuverstehend blickte er Arnold ins Auge und von da zu Ruth hinüber, welche diese Sprache aber nicht sah oder verstand, sondern gerade Herrn von Hohenstein Salat reichte; der ernste Kaufmann aber lächelte und nickte dem Großvater zu: „Will's Gott — und ich werde von Herzen glücklich sein."
„Aber Sie müssen auch ausirinken, Herr Lieutenant," nötigte der alte Mann gutmütig, „und Du Prinzeßchen flink, eile Dich, sonst wird Atnold nicht glücklich." (Forts, folgt)
Merk's.
Beneide keinen Flegel um sein schweinsledernes Haupt l
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