Im Banne des Blutes.
Roman »SN H. von Ziegler.
Nachdruck vertaten.
9.
Schweigend, sehr ernst und sehr bleich saß Arnold neben der kleinen Cousine und blickte hinaus in die heimische Gegend von der nun auf Jahre hinaus Abschied nehmen sollte; gerade heute in dem warmen Sonnenschein des Oktobertages schien alles ganz besonders hübsch und farbenprächtig und schien dem jungen Manne zuzuwinken: „Auf Wiedersehen I"
Sei nicht thöricht, Ruth," sagte er endlich sanft, „Du gehst doch nur für kurze Zeit in das Institut und wirft Dich bald dort wohl fühlen ; dann schreibst Du an den Großpapa und erzählst ihm allerlei, das wird ihn freuen. Nun und Weihnachten ist ja kalb vor der Thür und dann besuchst Du den Großvater."
Ruth blickte schon etwas beruhigter bei diesen Trostworten auf und frug zögernd: Aber fällt es Dir denn gar nicht schwer bis nach England über das große Wasser zu. reisen, in dem das Schiff untergehe» kann ?"
„Der liebe Gott begleitet mich, Ruth. Wenn c« nicht in seinem Willen liegt, geht da- Sckiff, welches mich trägt, nicht unter."
„Ja, Arnold, Du bist schon groß und brauchst nicht zu weinen, wenn man Abschied nimmt, aber ich bin ein kleines Mädchen —"
„Und doch verstehe ich Dich, Ruth, und sage Dir, „eS scheidet sich sehr schwer aus dem Vateihause und der Norderhof ist Dir ein solche- geworden."
„Wann kommst Du wieder, Arnold?" frug die Kleine, sich die letzten Thränen abwischend, „doch gewiß nicht zu Weihnachten."
„Nein, Kind, vielleicht in 5 Jahren I"
„O, so lange," rief sie erschrocken, „armer Arnold, und da bist Du so ganz allein unter lauter fremden Menschen I"
„Ja," wiederholte er ruhig, „unter fremden Menschen."
„Wenn ich Dich doch besuchen könnte! Ich wollte Dir lauter hübsche Sachen mitbringen. Aber, sieh her, Du sollst ein Andenken haben, damit Du weißt, daß ich an Dich denke und auch für Dich beten will."
Ruth holte ihr Reisetäschchen hervor und nahm daraus ein kleines Notizbüchelchen aus durchsichtigen Pergamentblättern; hastig ergriff sie den daran hängenden Bleistift und schrieb auf das erste Blatt:
„Lebewohl, lieber Arnold, auf Wiedersehen!"
Die Buchstaben waren groß und ungelenk, sie gingen in Wellenlinien bald auf bald nieder und doch schienen sie dem ernsten Manne in wunderbarem Glanze zu schimmern. Wie die ferne, ferne Zukunft tauchte eS zwilchen diesen steifen Schriftzügen auf und im Grunde seines Herzens hallte eine frohlockende Stimme: „Aus Wiedersehen I"
„Ich danke Dir, meine liebe Ruth," sagte er mit schwankender Stimme, „dies Andenken soll mich nicht einen Moment verlassen; eS wird uns hoffentlich ein frohes Wiedersehen gewähren I"
„Ja, fünf Jahre sind auch bald um," erwiderte Ruth, „und dann gehen wir gar nicht wieder in die fremde Welt, sondern bleiben bei dem Großpapa ans dem Norderhof.
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Vor dem eleganten Pensionat deS Fraulein Lindow in der Residenz hielt eine Droschke, au« der ein Herr und ein junges Mädchen stiegen und ins HauS traten, woselbst man sie sehr höflich in das Sprechzimmer der Vorsteherin deS Pensionat- wie-. Diese, eine gutmütig aussehende, ziemlich korpulente Persönlichkeit, empfing Ruth Berger mit einer Umarmung, wodurch sie sogleich deren Herz gewann.
„Mein liebes Kind," rief sic gutmütig, „wir werden un« schon lieb gewinnen. Willkommen bei mir!"
Ruth ängstliches Gesichtchen hellte sich auf, sic schlang die Arme um den Hal« der Dame und flüsterte:
„Ach ja, wenn Sie mir gut sein wollten, dann würde ich nicht da- böse Heimweh bekommen, wie alle sagten. Und Arnold geht auch fort bis nach England, wa« mir sehr weh thut."
„Mein Fräuleinsagte Arnold jetzt, ich möchte den Abschied nicht verlängern ; mein Cousinchen regt sich zu sehr auf. Lassen Eie mich Ruth nochmals Ihnen an'« Hrrz legen, sic ist eine Waise, der liebevollen Behandlung bedürftig und leicht zu lenken. Adieu, mein liebes Csusinchen. Gott behüte Dich — und auf Wiedersehen l"
„Adieu, Arnold, Du lieber, guter Vetter," klang e« zurück und zwei Kinderarme schlangen sich um den Hals des blassen Manne-, rote Lippen drückten sich auf feine bärtigen und eine heiße Thräne fiel auf seine Wange.
Es war wie ein schwerer, böser Alpsruck, der auf Arnold lastete, als er da« Pensionat verließ und sich in den harrenden Wagen warf; nur das Nolizbüchlein war ihm geblieben statt der lieben, kleinen Elfe, die ihn seit Jahren schelmisch umkaugelt und sein durch den frühzeitigen Tsd der Eltern ödes, freudloses Leben leicht und sonnig gemacht hatte.
„Ruth, ich bleibe Dir treu," murmelte er wehmütig vor sich hin, dann legte er die feinen Pergamentblättchen in feine Brieftasche. Eie sollten ihm als ein Heiligtum gelten jetzt und für alle Zeiten, bis er die süßen, braunen Augen wiedersehe» sollte, die ihn soeben noch weinend gegrüßt.
Im Hotel wartete ein Herr Karsten, ein alter Geschäftsfreund seines »erstorbenen Va- tcrS, auf Arnold. Herr Karsten begrüßte Arnold herzlich und frug nach der ganzen Familie Berger.
„Sagen Sie mir nur einmal, mein lieber, junger Freund, wie ist denn die traurige Sache mit — hm mit der etwas excentrisch angelegten bildschönen Anna, Ihres Vaters Schwester abgelaufen, welche Kunstreiterin wurde. Ich mochte Ihren braven Großvater brieflich nie nach der Tochter fragen und möchte so gerne etwas Nähere« darüber wissen."
„Anna ist iot, Herr Karsten; ich habe soeben ihre Tochter in Fräulein Lindow's Institut gebracht."
„Was der tausend, Anna war verheiratet und mit wem, wenn ich fragen darf?"
„Es ist eine traurige Geschichte, aber um die Ehre meiner verstorbenen Tante willen muß eS gesagt sein. Sie heiratete einen Grafe» Jeltsch, der den Absch-kd als Offizier nahm und begleitete ihn nach Amerika, von wo er als Wilwer mit einem Töchter- chen heimkehrte, denn meine Tante Anna
war an den Folgen eine- Sturze» vom Pferde gestorben."
„Schlimme Geschichte," erwiderte Herr Karsten teilnehmend, „mein armer Freund, Ihr Großvater, muß viel darunter gelitten haben! Und die kleine Gräfin ist jetzt bei Fräulein Lind»« hier?"
„Großvaters Enkelin heißt schlichiweg wie wir, Ruth Berger; der Großvater ist zu stolz!, um jenen hochgeborenen Namen für seine Enkelin zu beanspruchen. Da die Familie Acllsch den Vater Ruth«, den inzwischen auch verstorbenen Kunstreiter Berger, ehemaligen Grafen Albrecht Aeltsch, auSgesteßen hat."
„Braver Großvater, armer, alter Bursche," antwortete der Kaufmann bewegt. „E< war ein Prachtmädchen die Anna, abertrotz ihrer Vorliebe für die Reitkunst hätte sie doch keine Kunstreiterin werden sollen, eS wurde ihr Unglück I"
„Just ehe sie sich wegen Ihre- Entschlüsse«, Kunstreiterin zu werden, mit ihrem Vater überwarf, besuchte sie meine Frau und mich und stahl uns da« Herz aus dem Leide. So habe ich nie mehr ein Weib lächeln sehen, wie Anna Berger. In ihrer Nähe mußte man förmlich glücklicher werden, denn ihre heilere Anmut bezauberte Alt und Jung."
„Meine Tante Anna ist nicht so unglücklich gewesen wie viele denken. Ihr Gatte, Graf Albrecht Jeltsch, war ein edier Mann und starb vor fünf Jahren in meinen Armen und legte mir Ruth, sein Kind an'« Herz; sie ist seitdem Großvaters Augapfel geworden, ja der Liebling des ganz, n Hauses."
„Und kennt die Gräfin Jeltsch ihre Enkelin?"
„Ja — aber sie wandte sich von ihr und damals gelobte ich mir, daß das Kind nicht mehr mit jenen herzlose Menscven zu- ssmmenkomme solle. Nach des Sohnes Tose überkam rin letzter Rest von Mutterliebe die kalte, harte Frau, sie wollte Ruth zu sich nehmen, «der ich litt eS nicht. Vielleicht wird einst der Tag kommen, da das junge Mädchen als Erbin in die Reihen ihrer Verwandten cintritt. Ich w>ll, die Papiere des verstorbenen ergänzend, in den gesetzlichen Listen New-OrlcanS »achsehen lassen und Ruth al« eheliche Tochter des Grälen Alb- recht von N-ltsch leginmicren."
„D«S freut mich," ries Karsten, mit der Hand dröhnend auf den Tisch schlagend, „die alte, hochmütige Gräfin verdient eine exemplarische Strafe, denn sie erklärt jedem, ihr Sohn sei tot und habe keinerlei Beziehungen mehr zu ihr gehabt. Wissen Sie denn auch, daß die Gräfin mit den beiden Hohenstein'- schen Mädchen hier ist?" (Forts, folgt.)
Neueste Nachrichten. Berlin, 6. Mai. Der Reichstag lehnte Paragraph 1 des Regierungsentwurfs der Militärvorlage gegen die Stimmen der Konservativen ab. Hierauf wurde in namentlicher Abstimmung Paragraph 1 des Antrags Huene mit 210 gegen 162 Stimmen abgclehnt, ein Abgeordneter enthielt sich der Abstimmung. Der Reichskanzler verlas hierauf die kaiserliche Botschaft, welche den Reichstag auflöst.
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ikklauiwi-'.tttcher Redakteur r BernhardHosmann.) Druck und Verlag von ig,