Rundschau.
— In Stuttgart ist am lktztm Miil- woch der bkkannte Rechtsanwalt, Justizrat Aug. Oesterlen, der Schwiegervater de« OBM- Rümelin und hervorragendes Mitglied der Volkspartci, im Alter von 73 Jahren gcst»rben.
Stuttgart, 1. März. Lehrerversammlung. Vergangenen Samstag fand in den Räumen des „Grafen Eberhard" eine von kiwa 300 Lehrern besuchte Versammlung statt. Ueber den 1. Punkt der Tagesordnung: Was nun? referierte Lehrer Löchner-Stuttgart. Derselbe wies darauf hi«, was unter den gegenwärtigen Verhältnissen für eine Revision der Schulgesetze zu hoffen sei. Prinzipielle Fragen wie die Fachaufsicht und die Simultanschule seien zurzeit aussichtslos. Dagegen sei es möglich, daß im Landtag eine Mehrheit gewonnen werde: 1. für Aushebung der Sonn- tagsschulc und Einführung einer Tagcsfort- bitdungsschule; 2. für Abtrennung verkirchlichen Nebenämter v»m Schulamte und Bezahlung des Organistcndienste«; 3. für gleiche Bezahlung de« AbteilungsunterrichtS in Stadt und Land; 4. für eine bessere Abstufung der GchsltSklassen, vor allem in Orten mit rasch zunehmender Bevölkerung, und 5. für Aenderung des Vorrückungsmodus in gri- ßeren Komplexen. Die Lage der Unständigen wurde in eingehender Weise von Lehrer Baisch- Fellbach beleuchtet. Es wurde die Besoldung von 500, 520 und 540 neben einem heizbaren Zimmer und den genau bestimmten Naturalbezügen für Lehrgehülfen (20 bis 25 Jahre alt) und von 600, 640 und 680 ^ für Unterlehrcr (26 bis 29 Jahre alt) für unzureichend erklärt. Für Lehrge- dilfen wurde eine Geldbesoldung von 800 Mark, für Unterlehrer eine solche von 900 Mark gefordert. Ferner wurde gewünscht, die Aufnahme von VolksschulsmtSzöglingen möchte ich ein entsprechendes Verhältnis zu dem Aufwand an Lehrkräften gesetzt werden. Auch sollte ein erkrankter Unständiger durch gesetzliche Einrichtung, etwa durch Weitcr- reichung des Gehalts bis zu 13 Wochen, vsr dem äußersten Mangel geschützt sein. Ueber die Errichtung eines „Lehrerheims" sprach Frank-Neuenbürg. Die weitere Verfolgung dieser Angelegenheit wurde dem Würtl. Votksschullehrerverein übergeben.
Bietigheim, 22. Febr. Schon seit Jahren bemühen sich die in Württemberg lebenden Anverwandten des im Jahr 1803 mit 600 Anbängern nach Amerika Ausgewanderten Rapp aus Iptingen, der 1847 als 90jähriger Greis starb, das auf Millionen veranschlagte Eibe desselben zu erlangen. Ihre Hoffnung setzen sie vor allem auf den am 25. Dezember v. I. erfolgten Tod des Va- lers Jakob Henri«, bisherigen Oberhauptes der Rappisten. An eine Auflösung der Gemeinde ist jedoch dem lutherischen Kirchen» blait zu Philadelphia zufolge, nicht zu denke», da noch heule deiireten kann, wer mit ihren Grundsätzen, durch die sich jedes Mitglied zu völliger Gütergemeinschaft uud Ehelosig. keit verpflichtet, einverstaudcn ist, und Johann Duß, welcher vor 6 Jahren der Gemeinde, die noch 500 Seelen zählt, beitrat, wahrscheinlich Nachfolger Vater Henricis wird. Gegenwärtig soll das Vermögen der Rappisten 10 Millionen Dollars betragen, zumal ihre Besitzung durch die in der Nähe entdeckten Erdölquellen wertvoll wird und
Dörfer und Siädte entstanden sind, wo früher Urwald gewesen.
Nagold , 28. Febr. Recht angenehm wurden verschiedene altersgraue Holzhauer unseres Bezirk- am Geburt-fest S. M. de« Königs überrascht. Alle, die seit 50 Jahren in den Etaattwaldungen beschäftigt sind, erhielten neben einem K. Dekret je 50 durch das Forstamt auSbezahlt. — Weniger angenehm wurde ein Epielbcrger Holzmacher berührt. Derselbe soll in Angelegenheit des an Weihnachten dort stattgcfnndcnen Brandes einen anonymen Brief geschrieben haben, um den Verdacht auf einen armen Reisenden zu lenken. Gestern wurde aber der Schreiber selbst als der Brandstiftung verdächtig ans Amtsgcricht cingeliefert.
Freudenstadt, 27. Febr. Wohl einzig dürfte eine solche Schneemaste zu finden sein, wie die« gegenwärtig auf dem Kniebis der Fall ist. Das den Luftkurgästen gut bekannte Gasthaus zum Lamm ist bi« zum 2 Stock »ollständigMgeschneit; zum Parterrc- eingang mußte ein Tunnel gegraben werden, und ist der Besitzer gezwungen, in seinen daselbst gelegenen Wirtschaflslokalitätcn den ganzen Tag Lichter brennen zn lasten; an der Straße vom Lamm nach Rippoldsau reicht der Schnee bis an die Telegraphen- drihte; eine Strecke von c«. 30 Meier konnte nicht frei gemacht und mußte ein Tunnel gegraben werden, durch welchen Personen und Fuhrwerke passieren können. Ein mit dem Schlitten von hier aut unternommener Ausflug lohnt diese interessante Ansicht reichlich. Den ältesten Einwohnern vom Kniebis ist kein derartiger großer Schneefall bekannt.
Nereshrim, 26. Febr. Indem benachbarten Weitermerkingen fand gestern das 4jährige Tichterchen de« Gcmeindepflegers Mühlberger durch Ertrinken den Tod. Dasselbe spielte in seine« Vater« Garten, der unmittelbar an der Scheuer sich befindet, an welcher sich eine schwere Gartenthüre ziemlich steil angelchnt war. Auf irgend eine Weise kam die Thüre zum Umstürzen und warf das Mädchen mit dem Gesicht nach oben in eine nahe Kalkgrube, die aber nur 35 om hoch mit Schneewaffer angesülll war. Durch da« Zusammenschlagen des Wassers über dem gefallenen Körper scheint der Tod herbeigeführt worden zu sein.
Ulm, 28. Febr. In Eßlingen wurde gestern ein de« Morde« an Frl. Selma Reuß verdächtiges Individuum ungehalten. Poli- zeiinspcktor Mack von hier ist heute vormittag dorthin gereist in Begleitung eines Mädchens, das am Sonntag einen Strolch am Thatorte umherschleicken sah. Wie e« sich herausstellt, hat der Mörder längere Zeit in einem benachbarten Gartenhäuschen zugedracht. Man fand daselhst ein Lager au» Heu und Stroh.
— Die Fälle, in denen Zivilpersonen wegen Begünstigung der Fahnenflucht zu Gefängnis verurteilt werden, mehren sich in letzter Zeit auffällig. In Ravensburg wurde ein Mädchen, da« die Fahnenflucht ihres als R-kruten in Weingarten dienenden Geliebten durch Beschaffung von Zivilkleidern u. Verwahrung der Uniform befördert hatte, unjer Anwendung des Strafmindestmaßes zu einer Gefängnisstrafe von 3 Monaten verurteilt.
Berlin, 28. Febr. Die Nationalliberale Korrespondenz tadelt, daß Frhr. v. Münch eine gute halbe Reichstagstagssttzung für die Darstellung seine» Prozesses in Anspruch ge
nommen habe. E» sei kein Wunder, wenn außer dem Redner und dem Bureau schließlich alle« davsnlaufe. Frhr. v. Münch brachte seine Beschwerden in sehr erregtem Tone vor. Desto kaltblütiger blieb der württembergiscbe BundeSraiSbevoUmächtigte v. Stiglitz D r gesamte Reichstag stellte sich auf seiten des letzteren und de«ReichstsgSabgeordnelen Payer.
Erstem i Elf-, 26. Febr. Beim Graden eines Kellers wurden gestern noch etwa 50 noch gut erhaltene menschliche Skelette gefunden. Nach Angabe eines Arztes rühren dieselben von starken jungen Männern her. Man vermutet, ein schwedisches Soldatengrab gefunden zu haben. Vielleicht waren eS Soldaten, welche bei der Belagerung von Benfcld 1632 verwundet wurden und hier starben. Wäsrend der Belagerung dieser Stadt lag die schwedische.Reilerei in Erstein. — Schülerverbindung „mit Damen".
In Würzburg wurde eine geheime Schüler- Verbindung aufgehoben und deren Mitglieder, Schüler des Realgymnasiums, sofort entlassen. Das Merkwürdige an dieser Sache aber ist, daß dieser Schülerverbindung, die studentisches Gebahrcn nachahmte, auch zwei Mädchen im Alter von 16 und l7 Jahren angehörten, welche bei den Kneipereien mit Mütze und Band abwechselnd präsidierten.
— Am Grabe der Mutter erfroren wurde auf dem Kirchhofe in Weißkirchlitz (Böhmen) ein 10jährige» Schulmädchen aufgefunden. Die Mutter war vor kurzem gestorben und das arme Ku>d besuchte täglich da» Grab. Kürzlich kam die Kleine von diesem Gange nicht wieder nachHiuse; man forschte nach und fand das Kind beim Grabe der Mutter für immer eingeschlafen.
— Ein großartiger Schmuggel ist an der schweizerisch-französischen Grenze entdeckt worden. Die Uhrenfabrik Götschel in ChllUx- defonds soll nämlich in drei Jahren ganze Uhrenladungen im Wert von 1,600,000 Francs in Frankreich eingeschmuggelt haben, und zwar mit Hilfe eines Fuhrmanns Namens Perrot, der die Uhren unter dem Sitze seines Wagens in einem sehr geschickt angebrachten Kästchen verborgen mit sich führte; der Zufall führte zur Entdeckung der Sache, und da fanden sich in dem Kästchen 180 Uhren vor. Es wurde ermittelt, daß ungefähr 1200 solcher Sendungen über die Grenze gegangen waren im Wert von je 1300—1400 ^ Götschel wurde verhaftet.
— Vor 12 Jahren etwa brannte der Hof Unter-Sedclegg im Hinteren Thurgau nieder, und der Besitzer desselben, KanlonS- rat Loutenschlagcr, wurde, trotzdem er fortwährend seine Unschuld beteuerte, vom Schwurgericht auf Grund der Zeugenaussagen, durch die er schwer belastet wurde, wegen Brandstiftung zu 6 Jahren Zuchthau» verurteilt. Er starb nach Abbüßung von 5 Jahren Haft in der Strafanstalt Tobel, nachdem er noch auf dem Sterbebett gesagt, er sitze unschuldig im Gcfängni«. Jetzt hat eine frühere Magd LautenschlagerS, eine Solothnrnerin, die kürzlich starb, auf dem Totenbett da« Bekenntnis abgelegt, sie sei die Brandstifterin und ihr Herr sei unschuldig bestraft worden.
— Die serbische Grenzstadt NiS wurde durch den Fluß Nisorra infolge plötzlicher Eisstauung überschwemmt. Mehr als 1000 Häuser stürzten ein. Mehrere Menschenleben sind zu beklagen.
— Au« Belgrad, 27. Februar wird gemeldet: Die Stadl Nisch steht seit gestern