Irrwege.
Novelle von F. v. Pückler.
Nachdruck verdaten.
7 .
„Gut lieber Onkel I Auf WiedersehenI"
Gedankenvoll lenkte Jsa ihren Rappen nach dem Schlosse zu; ich muß immer wieder an Herrn von Waldstein» zuckende» Gesicht und seine bebende Stimme denken, als die Rede auf ihre Mutter gekommen. Wie mußte er sie geliebt haben, daß er noch jetzt so treu ihrer gedachte.
„Würde ich wenn e» da» Schicksal von mir verlangt, ss selbstlos sein können, dem eigenen Glück zu entsagen, um de« Geliebten willen? murmelte sie träumerisch, „ich glaube nein — und doch, wenn ein Mann es »er- mag, muß e» auch die Frau durchsetzen. Im Entsagen soll ja ein Frauenherz noch größer sein als ein Männerherz "
Sie blickte in die Ferne in den noch blätterlosen Buchenwald und den blaue» Frühlingshimmel; da- junge Mädchenherz schlug Höher, e« sehnte sich unbewußt nach dem köstlichsten, was da» Menschenleben besitzt, nach der Liebe und tief drin in ihrer Brust flüsterte es leise, ganz leise von schönen Hoffnungen und bangem Sehnen.
Bald war die schmucke Reiterin an der großen Freitreppe des Schlosses Waldstein angelangt, mit Hilfe de» alten Kutscher» stieg sie vom Pferde und eilte in Schloß, wo ihr eine nicht mehr junge Dame ziemlich gries- grämlich entgegentra!.
„Kommst Du endlich, beste Isaf," frug st: scharf, „es ist schon recht spät geworden und Du kannst Dich nur rasch umziehen und an die Malerei gehen."
„Verzeih', Tante Sophie," bat das junge Mädchen freundlich, e» war so köstlich im Walde und der Onkel erfüllte meine Bitte, recht lange zu bleiben; er ist nur noch bis zum Vorwerk geritten."
»Ja, wenn Du einmal im Sattel sitzest, kommst Du sobald nicht wieder heraus," er. widerte Fräulein von Waldstein und zuckte spöttisch mit den Achseln, „das ist Erbteil Deiner Eltern."
Jsa biß sich auf die Lippen, doch sie entgegnet« nichts und eilte in ihr Stübchen, um das Reitkleid mit einem dunkelblauen Hsus- kleide zu vertauschen. Wenn Fräulein Sophie so herb und unfreundlich gestimmt war, half nur Schweigen über die spitzen Reden, und das junge Mädchen that es Onkel Alfred zu Liebe, wenn schon ihr Blut heftig auswallte.
E» verstrich wohl eine Stunde u. Herr vonn Waldstein kam noch nicht zurück.
Die beiden Damen saßen zusammen und arbeiteten an einer Staffelei. Das Essen sollte bald aufgetragen «erden, doch der Hausherr fehlte noch immer.
«D»S kommt davon, weil Alfred Junggeselle geblieben ist," begann Sophie spitzig, „nun hat er allerlei Unarte» sich angewöhnt, die ihm eine Frau wohl abgewöbnt hätte; aber sein Eigensinn, nach jener Erfahrung mit einem treulosen Mädchen nie mehr an eine Heirat zu denken, ist unverändert derselbe."
Isis Geduld war beinahe zu Ende, noch hielt sie an sich, aber ihre Lippen bebten. Es war nicht leicht, die tote Mutter so jchmähen zu hören!
„Urber Deine Zukunft hat wohl mein Bruder noch gar nicht gesprochen ?" fuhr die unerbittliche alte Jungfer fort, „eigentlich wird es nun bald Zeit, sich noch einer anderen Stellung für Dich umzuthun, denn Du wirst doch nicht daran denken, diese» lhatenlofe Lebe» als verzogene» Schloßfräulein hier weiter zu führen."
„Wie meinst Du, Tante?" stotterte Jsa totenbleich, „Onkel Alfred will mich nicht von sich lassen."
„Das geht aber nicht I" rief Sophie erregt, Deine Erziehung hat ihn viel gekostet u«d Du darfst nicht annehmen, fortan alseine Tochter Dich im Leben amüsieren zu können? Nein, mein Kind, d«S geht doch nun einmal nicht."
Jsa fuhr empor, totenbleich, an allen Gliedern zitternd, und deudete mit den Fingern hinaus; offenbar hatte sie die letzten bösen Worte gänzlich überhört.
„Was ist das Tante, um Gotteswillen — sie bringen — eine Tragbahre — und deS Onkels Pferd —
Pinsel und Palette sielen zur Erde, Jsa flog «uS dem Zimmer, die Treppe hinab zur HauSthür gerade in dem Moment, als man die Bahre zur Erde setzte; auf derselben lag Herr von Waldstein, bleich, leblos und von der Schulter de« herabhängcnden rechten Arme» quoll das Blut hervor.
„Allmächtiger! WaS ist geschehen?" frug Jsa in verlöschendem Tone, und sank nieder neben dem geliebten Oheim, seine linke Hand mit heißen Küssen bedeckend.
Ebenfalls totenbleich trat der Inspektor näher. „O, gnädiges Fräulein! Diese» Unglück! Der gnädige Herr flnd von einem umstürzenden Baume an der Schulter getroffen worden, che auch nur einer von un« zuspringcn konnte. Ich habe schon nach dem Arzt gesandt und wir wollen »un den Patienten ins Zimmer tragen."
Jetzt war auch Fräulein von Waldstein klagend und jammernd herbeigekommen und hatte die Leute mit einer Flut von Schmäh- redcn überhäuft, fodaß der Kranke, mühsam die Augen aufschlagend, sagte: „Sophie — sie sind — ohne — jede Schuld —"
Als der Arzt erschien und die Dame sich zu ihm wandte, runzelte er die Stirn und sagte, nicht allzu verbindlich: „Znerst meine Gnädige, werde ich Sie ersuchen müssen, Fräulein Jsa und mich mit dem Patienten allein zu lassen. Ich werde den Bader aus dem Dorfe noch kommen lassen, Herr von Waldstein muß chloroformiert werden, ehe ich die stattgesundene Quetschung untersuchen und verbinden kann.
„O nein, ich kann viel eher Ihnen helfen, als Jsa die so völlig unerfahren ist."
„Ich will eS versuchen, lassen Sie das Fräulein immerhin hier — ich werde Sie benachrichtigen, wenn es so weit ist."
Nun folgte eine trübe, schwere Zeit. Das Wundsieber trat mil solch ungewohnter Stärke und Konsequenz auf bei den» Paljenien, daß der Arzt erstaunt und bedenklich den Kopf schüttelte.
„Wo soll da- hinaus", murmelte er vor sich hin, „die Kräfte auch des Gesündesten halten solche Hohr Temperatur nicht aus, und ich habe keine Mittel mehr dagegen. Es hilft alles nichts."
Bleich, angstvoll, aber doch ruhig und besonnen faß Jsa Tag für Tag am Bette
de» Onkels, um ihn voll rührender Liebe und Hingebung zu pfleg-n. Kein Mensch außer ihr verstand es so gut, ihn zu verbinden, die Kissen zurechtzurückcn und das Fiebermittel einzutropfen; wenn sie sich über den Kranken beugte, hellte sich sein Aittlitz auf, er lächelte schwach.
Fräulein Sophie war empört über diesen Eingriff in ihre Rechte, aber kein heftiges Wort, keine boshafte Bemerkung verscheuchte Jsa; sie blieb auf ihrem Posten, da auch der Arzt es energisch verlangte.
Nur wenn Herr von Waldstein schlief, wenn alles umher still geworden, knieete das junge Mädchen an seinem Lager nieder und weinte bitterlich; sie sollte ja fort von hier, wo sie gemeint, eine Heimat z» finden, sollte hinaus in die Welt, welche so fremd und kalt vor ihr lag. Aber sie war nicht Onkel Alfreds Kind, sondern nur eine Waise, die er hatte erziehen lassen!
Zum erstenmale sagte die arm: Jsa sich das alles und weinte bitterlich darüber, nur vor Fräulein Sophie nicht; jsie, die ihr so erbarmungslos ihre abhängige Lage klar gemacht, sollte nichts davon erfahren, daß sie elend geworden sei.
Und endlich kam der Tag, daß Wald- steiii zum erstenmale mil klarem Verständnis die Augen aufschlug; Js», die neben seinem Lager saß und einen Strumpf strnkte, jubelte hell auf, sank in die Kniee und lüßie seine Hände.
„Onkel Alfred, mein geliebter Onkel," stammelte sie bewegt, „so wird es doch noch gut werden! Du bleibst bei uns, Gott erhört mein Gebet! O wie bin ich glücklich!"
Und sic brach in einen Strom heißer Thränen aus, der gar nicht versiegen wollte, bis der Patient endlich seine Hand auf ihren Scheitel legte.
„Sei ruhig, meine Jsa! Ich bin auch sehr glücklich, Dich wieder zu haben. Nun wollen wir mit einander recht heiter leben."
Das arme Mädchen fühlte bei den Worten einen Stich im Herzen, aber sie bezwang sich und lächelte nur mühsam: „Guter, lieber Onkel!"
Der Arzt kam jetzt ins Zimmer und, als Jsa hinüber ging, um Fräulein Sophie zu holen, schilderte er Herrn von Waldstein, wie rührend das junge Mädchen bei der Pflege gewesen sei.
„Sie ist seit acht Tagen nicht von Ihrem Belt gewichen, hat kaum ein Auge geschlossen und die unsäglichste Angst prägte sich in jeder Miene, aber sie war stumm; sie klagte und jammerte nicht, nur beten sah ich sie oft. Ein vorzügliche« Fräulein, Herr von Waldstein!"
Der Kranke nickte gerührt, er kannte seinen blonden Liebling, aber dennoch that es ihm wohl, auch von andern deren Lob zu Vernehme».
Jetzt stürzte Fräulein Sophie laut und erregt wie immer, in die Krankenstube und zu ihrem Bruder hin. „Mein armer Alfred! Nun endlich darf ich zu Dir. Man hat mich unverantwortlich von Dir fern gehalten, trotzdem ich vor Angst beinahe vergangen bin, ob Du auch gut verpflegt wurdest."
„Ich danke Dir, liebe Schwester. Jsa war mein guter Engel — ich bin tief in unsers Lieblings Schuld!"
(Fortsetzung folgt.)
Lkrantwsrtlicher Redakteur : Bernhar -> Hosmann.) Druck und «erlag von Bernhard Hosmann in Wttdhgd,