Rundschau.
Stuttgart, 11. Jan. (Kammer dkr Abgeordneten.) J:> der heutigen ersten Sitzung der Kammer der Abgeordneten wurden die neueintretenden Mitglieder Commerell, Harlmann und Leibbrand für legitimiert erklärt. Eingclaufen sind die in der Thronrede «»gekündigte Gesetzesvorlagen bezüglich de« Nachvarrechls, der Malzsteuerabstufung, der Steuerbefreiung neubestockter Weinberge, der Besteuerung der Kunstweinfabriktion. Ter Präsident teilt mit, daß die Vorlagen über V rlüssungsrevision und Wasserrecht erst in einer Herbst« und Winterseston zur Behandlung kommen werden.
Stuttgart, 13. Jan. Die gestrige öffentliche meiiiteraissitzung fand erstmals unter dem Vorsitze des neuen Stadtschulthcißen Rümeliu statt. Im Einlaufe befand sich eine Zuschrift des Bürgerausschußobmanns K. Schott, in welcher derselbe sein früher eingereichttS Gesuch um Befreiung von dem Amt eines BürgerauSschußmitglicdcs wieder zurnckzicht.
— Gestern vormittag wurde vom Ober- landesgericht in Stuttgart das Urteil in dem Zivilprozeß gegen den Reichstagsabgeordneten Frhrn. Oskar v. Münch betr. Bezahlung seines Schneiders in Frankfurt a. M. verkündigt. Danach wird da« Urteil der 1. Instanz dahin bestätigt, daß v. Münch die restie- rende Summe von 277 nebst Zinsen, sowie die Kosten beider Instanzen zu bezahlen hat.
Dußlingen, 10. Jan. Am Abend de« 20. Dezember v. I. wurden dem Bauern M M. von vier aus einem unverschlossenen Kasten 700 ^ entwendet. Der »der die Thater mußten mit den Lokalitäten gut bekannt sein; denn ein nebenanstehender der schlossener Kasten war unerbrochen. Auch fand sich vor dem Hause eine ältere Militärmütze, allem Anschein nach, um den Verdacht abznlenken. Es ist nun der Thätr in der Person eines Wirtes ermittelt und in das Amtsgefängnis Tübingen eingeliefcrt worden. Auch wurde dessen Ehefrau, als der Beihilfe verdächtig (in deren Leibchen, daS am Rock angenäht war, wurden 200 ^s in Gold gesunden), vor einigen Tagen an da- Amtsgericht Tübingen «ingelicfeet. Die Verhandlungen werden mehr Licht in die Sache bringe». Der Dieb soll in bedrängten Ver- mögenSverhältnissen leben.
Ulm, 12. Jan. Heute nachmittag fuhr tin hiesiger Herr in seinem Schlitten durch mehrere Straßen der Neustadt in schnellstem Tempo und warf auch um. Obgleich das Pferd sehr unruhig mar, wurde doch weiter- gefahren, die Insassen wurden aus dem Schlitten geschleudert und eS rannte das Pferd mit dem letzteren in den Obstbahnhof, dort über die Schienen springend. Der Führer einer Lokomotive, die in vollem Laufe war, hatte gerade noch Zeit, seine Maschine anzuhalten und hiedurch ein größeres Unglück zu verhüten. — Einige Handwerksburschen halten heute in einer hiesigen Herberge verabredet, zu dem heute nachmittag ftattgefun- deuen Vortrag dcS Prediger« Schrenk in der Tuchhalle sich einsinde», um am Schlüsse desselben die Erschienenen anzubetteln. Das Manöver glückte gut, da die meisten der Zuhörer glaubten, es handle sich um daS Einsammeln eines Opfers, zu welchem Zweck die anständig gekleideten jungen Leute aufgestellt seien.
Laupheim, 11. Jan. Die Gcsamiein- wohnerzahl hiesiger Stadt beziffert sich auf 4541 Seelen. — Au« zuverlässiger Quelle entnehmen wir, daß wegen Anlegung eine« Telephons in jüngster Zeit Unterhandlungen gepflogen wurden. Verschiedene Geschäftshäuser haben zu dem Unternehmen bereit« ihre Zusage erteilt.
— Der deutsche Kaiser hat, wie erwähn«, der Hochzeits-F icrlichkeit des rumänischen Thronfolgers mit der Prinzessin Marie von Edinburg sin Sigmanngen beigewohnt und ist Über Karlsruhe, wo er seinem Oheim, dem Großherzog, einen kurzen Beiuch ab- staltete, wieder nach Berlin zurückgekehrt, um die letzten Vorbereitungen zur Vermählung seiner jüngsten Schwester Margaretha mit dem Prinzen Friedrich Karl von Hessen zu treffe«. Die Hochzeit findet noch vor dem G- burtstag de« Kaisers statt. An derselben wird auch der russische Thronfolger teilnehmen.
Straßburg i. E , 11. Jan. Der Kaiser ist soeben unerwartet hier eingetroffen und ließ sofort die Garnison allarwicrcn.— Der Kaiser hatte die Pferde in seinem Zuge mit nach Siraßburg gebracht, so daß er hier auf niemandes Mittwissenschaft angewiesen war, und so geheim hatte er seine Absicht, Straßburg einen heimlichen Besuch abzu- statten, gehalten, daß selbst seine Umgebung nickt eher davon erfuhr, «IS bis der kaiser- liche Zng aus Bahnhof Appenweier auf Befehl des Kaisers auf da« Straßburger Geleise übcrgcführt wurde. In Kehl hatte der Hofzug den hier um 12 Uhr 32 Min. sn- ksmmenden Personenzug eingehslt. Der Bahnhofsvorsteher in Kehl wurde zum Hofzug gerufen und erhielt den Befehl, die Ankunft de» Kaiser« nach Straßburg nicht zu melden. Der Hotzug traf »m 12 Uhr 40 Minuten in Straßburg ein. Am Donnerstag früh '/-10 Uhr, fuhr der Kaiser nach Karlsruhe weiter.
— In Durlach spielte der 12jShr1ge Knabe de« Gärtnert M. mit einem Gewehr; ein Schuß ging loS und traf das 10jährige Schwesterchen in den Kopf und nach einer Stunde war da- arme Kind verschieden. — Immer und immer wieder der alte Leichtsinn, die alte Klage. Waffen, namentlich aber geladene, sollten doch so aufbewahrt werden, daß sie den Kindern nicht zugänglich sind.
— Im Schullehrerseminar in Würzburg brach am 10. ds. Großfeuer ans. Der Musiksaal mit zwei Studierzimmer», der Speisc- saal, der Aufenthaltssaal und die Kapelle sind nahezu ausgebrannt oder durch Wasser zerstört. Fast sämtliche Bücher, Musikalien und Hefte der Seminaristen sind verbrannt. Größere Unfälle sind nicht vorgekommen; da» Mobiliar der Anstalt ist versichert.
— In Mühlhausen i- E. wurden der Zollasststent Seebauer und Steuerausseher Bertschinger beim Überschreiten de« Geleise« auf dem Bahnhof durch den heranbrausenden Ostender Schnellzug überfahren. Seebauer starb sofort, Berlschinger wurde schwer ver» letzt.
— Ein versalzener Fluß. Darum die Elbe herum sich ausdehmnde Staßsurt-Hal- derstädter Becken enthält starke Kali- und Sleinsalzlager, durch deren Ausbeutung die Salzindustrie in jenen Gegenden zu großer Blüte gelangt ist. Eine weniger angenehme Nebenwirkung dies,« Aufschwungs de« tzsr-
ti'gen Salzbergbaues besteht darin, daß durch die Huuderltausende von Zentnern Salz, die Jahr für Jahr mit dem abg'hcnden Betriebswasser in die Elbe obfließen, dieser Fluß wie seine Nebenflüsse im Bereiche jener Gegend mehr und mehr versalzen. Diese Versalzung, über welche gerade neuerdings wieder stbr geklagt wird, macht sich zeilweise so stark fühlbar, daß das Kochwsffer, da« anS der Elbe entnommen wird, sich als ungenießbar erweist.
— Ein sonderbares „Verhältnis". Man wird sich vielleicht jener Affaire noch erinnern, in deren Mittelpunkt seiner Zeit die junge ungarische Komtesse Sarolla V»Y stand. Diese halte Männerkleider angelegt und war auf ihren heiter verbrachten Kieuz- und Querfahrlin lchließlich in eine östernichische Provinzialhauptstadt gelangt, wo sie sich mit der Tochter au« einer angesehenen Familie verlobte und auch verh'iraNtc. Heber eine» ähnlichen Fall hat nun das „N. W. Tbl." zu berichten; die Affaire, die in Wien spielt, ist folgende: Vorgestern (9. Ja» ) Vormittag bemerkte ein Wachmann in der Stiftgasse in Hernals einen Passanten von schwächlichem Aussehen, der mühsam ein Faß mit sich schleppte. Dem Wachmann kam die Sache verdächtig vor, er schritt auf den Mann zu und iorderte ihn zur Ausweisleistung auf. Der Augehallene wurde verlege», gab aber keine genügende Aufklärung, w thalb er vom Wachmaune arretiert wurde. Bei der üblichen Visitation entdeckte der Polizeiarzt, daß der Häftling, der sich Joses Gnendinger nannle, ein — Weib sei, Maria Joses» Gnendinger mit Namen und 34 Jahre all. In der Wohnung der Verhafteten traf man ein Mädchen, die 27 Jahre alle Metallschleifcrin Marie D., die sich als die Geliebte der Gnendinger bezeichnte. Wie die Metallschleiferin erzählt, hat sie die Gnendinger vor fünf Jahren in einer Fabrik, wo sie Beide arbeiteten, kennen gelernt. Die Gnendinger trug such damals Männerkleider. „Er" bewarb sich geradezu stürmisch und durch läng re Zeit um die Neigung der Metallschlciferin, die endlich nachgab und mit „ihm" gemei»- schaftl-ch eine Wohnung bezog. Marie D. blieb es nicht lange verborgen, mit w m sie lebte. Gnendinger hatte ihr alsbald selbst sein Geheimnis auvrrtraut und dabei unter Thränen beteuert, daß „er" alle Männer verabscheue und ohne die Geliebte das Dasein »ich! eblragen könne. Aus Mitleid brach eie Melallschlcifciiu da« „Verhältnis" nicht ab Gnendinger hat die ganze Zeit über mit einem auf den Namen Joses Gnendinger ausgestellte» Arbeitsbuch Beschäftigung gesucht und auch erhalten.
— Der Buchhalter Bpt vom Zabrzcr Mühlenetablissement ist nach Unterschlagung von 100,000 ^ eulflohen.
London, 13. Jan. Au« New Aork wird gemeldet: Eine von Antisemiten aufgereizte Menge brannte in den Pikobezirken 27 Judeuhäuser nieder, verjagte die schwarzen Diener, vertrieb alle Neger und Jude» und zerstörte die Plantagen.
San Francisko, 13. Jan. Dem Courier de Japan zufolge wurden in Osaka am 20. Dezbr, durch eine in einer Spinnerei aus- gebrochene Feuertbrunst 250 Gebäude zerstört. 125 Personen sind urngekommen, meist in der Spinnerei beschäftigt gewesene junge Mädchen.