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(Enztalbote)
Amtsblatt für Wildbad. Chronik und Anztts-ublatt
für das obere Cnztal.
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Druck der Buchdrnckerei Wildbader Tazblatt; Berlag «nd Schriftleitnng: Th. Sack in Wildbad
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Nummer 290 Fernruf 17S. Mil<1 dgä, Monlsg, äen 13. Dezember 1920 Ferorof u». S4.7akrgang
Der große Taumel.
Der Londoner Berickiterstatwr der „Köln. Ztg." hat, wie wir mitteilten, dieser Tage unter Hinweis auf die Artikel in englischen Blättern gezeigt,.wie peinlich das. Ausland von dem Schlemmerleben gewisser Kreise und der Versbive-ndiingswirtschaft zu Geld Gekommener in Deutschland berührt wird, und wie deutschfeindliche Kreise des Auslands immer wieder bemüht sind, diese? Treiben als den Grnndzug des heutigen deutschen Charakters und als den Massstab für unser Wohlergehen feüc.i,s-''-en. mit dessen Hslfe sich die Entschädig» n g s f o r d er u n g e n bestimmen ließen Das Ausland sieht ia nicht odm will nicht s'hen, daß hier einem kleinen Bruchteil der Bevölkerung eine Alk- gemeinbedeutuna Zuwmess n wird, die ihm nicht zusteht. Der Ausländer sieht dm gro'en.wivs^af' icken Jammer nicht, der in allen den deutschen Famisten herrscht, die durch Krieg und Revolution verarmt sind, er sieht das Versinken ganwr Volksschichten in eine materielle und geistige Rot nicht, und glaubt den Wahlen nicht, mit denen die unerbittliche Statistik die aeiundhestliche Zerrüttung unseres Volks schildert Der Ausländer nagelt nach dem Beispiel der „Times" die wahnsinnigen Wett- nmsätze bei den Pferderennen lest — es wird auch viel ausländisches Geld bei ichien verwettet —, rechnet uns unseren Champagnmv''rbrauch vor — er fließt zu einem guten Teil durch die Kehlen der Ausländer. Ter Ausländer hört und liest von Prnnksaaliesten und Faschingswimschen. ihn brüllen von den Anschlagewänden die bunten Werbeplakate von tausend Lustbarkeiten an,, und manche A u s l'a g e fenster erinnern ihn mit ihren übersatten Aufmachungen an die Kochknnstausstellungen vergangener Zeiten. Ter Ausländer hört, daß in einem Berliner Vergnügungspark allein 1350 Personen beschäftigt sind und vermag nicht einz:is"h.m, daß die Arbeit uns retten kann: er sieht ellenlange Speisekarten und Weinppreise,' die ins Fabelhafte gehen. Ter Ausländer läßt sich von.unseren seichten illustrierten Blättern einreden, daß man in Deutschland keine größeren Ideale habe als die Bügelialtenintelligenz der Filmhelden und die ungezogene Nacktheit der ihnen entsprechenden weiblichen Leinwandgötzen. Ter Ausländer sieht bei uns'mehr und mehr jene Sorte von illustrierten Geistlosigkeiten groß werden, die sich mit gespreiztem Acsttze- tendünkel. abmühen, dem biderbcn Jägerhemddeutschen die „Begrisie des „wirklich gut Gekleideheins" beizubringen. und er sagt sich, ein Volk, das solche Blätter ernährt, scheint keine grvßen Sorgen zu haben. Und lcher allem dem sieht der Ausländer dann einen Kübel von geistloser, schmutziger Literatur ausgegossen, die sich breit machen konnte, seitdem die Revolution der Zensur den, Bureaukrateuzopf nutsamt den Haarwurzeln ansriß.
' Das alles sieht der Ausländer, und, falls er Journalist ist, meldet er es seinem Blatt, falls er Politiker ist, schlachtet er es zuuug mst n Teius hlands aus, und, falls er nichts w.'itc^ als ein anständiger Mensch ist, wendet kr sich mit Ekel davon ab und bedauert ein Volk, .das so tief gesunken zu s.sn s.h.int. Aber es gibt auch Tinge, die der Ansländtr nicht sieht oder nicht sehen will. Er lieht die Armut, sieht das Elend in weiten Kreisen nicht. Er zählt die Krankenbetten nicht uno nicht die Gräberreihen auf den Friedhöfen. Er hört nichts von der Not von Millionen von Familien, die früh-r gut gestellt waren und sich nun durch eine trostlose Zeit hindurchdarüen. Ter Ausländer sieht nichts von gewendeten, fadenscheinig:» und geflickten Klei- Z der», nichts von der Not der gebildeten Kreise. Und der Ausländer zähst auch nicht die Scharen Ausländer, die in den deutschen Weinhäusern sitzen und von ihm zu Lasten deutschen Schlemmertums gebucht werden. Es muß . betont werden, daß gerade das Ausländische Schieb er tum und sonstige Begleiterscheinungen der Besetzungsverhaltnisse im besetzten Gebiet erst die Zustände mit herausbilden halfen, dir der Ausländer heute bei uns sieht.
Indes, das, was der Allsländer bei uns nicht sieht .oder nicht sehen will, besängt nicht sein Urteil über das,
, was er sieht. Er sieht die tief eingegrabenen Züge des Granis und des Hungers nicht im Antlitz des deutschen Volks, weil seine Währungsverhältnisse ihm gestatten, b'-rt zu weilen, wo Kriegs- und Revolutionsgewinne den Körper mit einer Fettschicht überzogen- 'haben. Daher das iclnese Urteil, das das Ausland sich über unsere
materielle Lage bildet. Und die unendliche Gefahr, die - darin für uns liegt, sollte, uns endlich veranlassen, den i e n t s ch i e d e n st e n Kamps init dem Wucher- und Schieb er tum und den Stätten, an denen es praßt, § anfznnehmen, den auszunehmen bisher noch keine Regierung gewagt hat. Man streife doch endlich die falsche Sentiinalität ab, die sich vor abschreckenden Strafen stheut. Man hänge mir den Kleinen aber auch die Großen und Gr o ß gew or d enen. Läßt-man sich' durch keine falsche Nachsicht abhalten, dann wird man auch den Stätten beikommcn können, in denen das Treiben Per Schieber und Wucherer zum Aergernis. für das Ansl-nd und zum Ansteckungsherd und Anreiz für den noch guten Teil* unseres Volks wirp, wenn auch den Gemeinden Vergnügungssteuern abgehen, die am Ende nichts weiter sind als Blntpfennrge, die man «ns einem todkranken Volk herausholt. Ter Wucher lebt zu einem guten Teil nur, weil man ihn leben läßt und den Aamps wider ihn nicht zum Kernpunkt aller j Negierungskunft geinacht hat; und die Vergnügungssucht « konnte nur in diesem Maß um sich greifen, weil man ihr nicht entgegentrat, in der irrigen Ansicht, daß die Vergnügungsmöglichkeiten das Volk beruhigen könnten. Statt dessen hört man immer nur die Klage, daß man sich' wegen der Wncherpreise an keinem Vergnügen mehr j beteiligen könne^ und immer weitere Kreise werden ver- i anlaßt; die Mittel zu erraffen, die die Teilnahme an ! diesen ers.chnten Genüpen ermöglichen. Darum wächs ' das Schieber- und Wuchertnm, anstatt zurückzugehen.
Damit wächst dann auch der scheinbare Wohlstand, den der Ausländer sieht, und er kommt uns mit seiner Champagnerstatistik, die doch nichts weiter beweist, als daß die Zeiten»eines allgemeinen Niedergangs stets Zeiten einer fauligen Blüte für die wenigen gewesen sind, die sich soweit des moralischen Ekels zu ent- äußern vermögen, um Aasspeise zu sich zu nehmen. Ter Ausländer aber, der jetzt das Bild einer Scheinblüte r sieht, der sollte sich gerechterweise auch fragen, ob der t Friede von Versailles nicht durch die Hoffnungs- losigkeit, zu der er den Besiegten verdammtestauch dis Moral eines Volks hätte erschüttern können, dessen Wi- , derstandskraft nicht durch einen vierjährig"en Krieg ge- 1 gen die Heere der ganzen Welt und einen vierjährigen j Kampf gegen den Hunger erschüttert war. Wer den j Frieden von Versailles billigt, der hat l kein Recht, sich zum Sittenrichter übe'' ein ! Volk anfznwerfen, das an diesem Fr-e.cn zugrunde geht.
Neues vom Tage.
Vom Rcichswirtschastsrat.
Berlin, 12. Tez. Vor Eintritt in die Tagesordnung erheb: ein. Vertreter der Gastwirte Einspruch aezen die Schließung der Berliner Hotelbetriebe. Tie Behörden solchen zunächst bei den Privaten anfangen, die Schleichhandel treiben, nicht aber bei den Wir- ten, die da? T-Ieiich nnr verarbe^m. Der Ausschuß i hält die Freiaabe der Znckerwirtschaft für a-boten. Eigentlich babe sich die Zwangswirtschaft selber aufgehoben. Unsere.B r o tv er so r g n n a erscheine gefährdet. Tie Ernährung sei zu einer Fraae von weittragender politischer Bedeutung geworden. Tr. Rö ficke erklärt, über ^ die Ernährnngssckrpie^chi'''". komme man nur hinweg > durch günstigere Erzengnna'bedingung-m. Ter Landwirt müsse einen bestimmten Teil der Erzeugung für die Ernährung seines Viehs behalten. Er wolle aus der Zwangswirtschaft heraus.
Die Ablehnung bes Redeverbots.
§ Berlin, 12. Tez. Tie Noten Englands, Frankreichs i und Belgiens wegen der Ministerreden im besetzten Gebiet ! vom 6. Dezember werden jetzt amtlich veröffentlicht. Tie Mächte behaupten, die Reden seien geeignet, im besetz- ten Gebiet Unruhen zu erregen: die Mächte werden künftig Reisen von Reichs- und Staatsmännern dort ^ nur zulassen, wenn dieselbcm aus den Reiien jeden An- ; griff gegen die Regierungen oder Behörden der Verbündeten und gegen den Friedensvertrag unterlassen.
! Tie Reichsregierung bestreitet in der Antwortnote,
§ daß im besetzten Gebiet „Beunruhigung" entstanden sei. i Vielmehr haben die Reden zur Beruhigung der Ge- ! müter nach der durch die Besetzung erregten Verzweif- I lung beigetragen. Auf eine Würdigung des Vertrags
von Versailles konnte dabei nicht verzichtet werden. Die Reichsregierung muß es ihrem eigenen Ermessen vorbe- ' halten, ob und wann Reichsminister sich von den Verhältnissen im besetzten Gebiet überzeugen wollm und sie kann über den Inhalt etwaiger Reden keine:..1 verbindliche Znsicberungen abgeben.
Die Stell,mgnEnc der Beamten.
Berlin. 12. Tez. Ter Deutsche Beamtenbund hält in einer Erklärung an dem „vertragsmäßigen Recht. Kehaltsforderungen mit g'werkschaf liehen Mitteln (Streik) zu erkämpfen" fest, Ulk aber bei der gegenwärtigen allgemeinen Lage es' nicht für angebracht, vom letzten Mittel Gebrauch zu machen, ohne jedoch damit seine Forderungen aufzugeben.
Tie R e i ch s g e.w er k sch a ft deutscher Eisenbahn beamten und Anwärter beschloß, in Ge- meinschait mit dem Deutschen Beamtenbund, eine Urabstimmung unter den Mitgliedern über den Streik z« veranstalten.
Ter G e s a m tv e r La Md deutscher Beamten - und Staatsangestelltengewerkschaften, der )em Deutsch. Gewerlschaftsbund (Vors, preuß. Wohlfahrtsminister Stegerwald) angeschlossen ist, erklärt sich mit der vom Reichstag beschlossenen Lösung der Zulaaenfrage nicht zufrieden, da kinderlose und unverheiratete Beamte nicht berücksichtigt werden. Die Forderung der Betriebszulage und die Abänderung des Par. 25 des Besoldungsgesetzes wird aufrecht erhalten. Hinsichtlich der Arbeiter forderungen wird die Reichsregierung ersucht, die Verhandlungen vor Weihnachten im Geist des Entgegenkommens zum Abschluß zu bringen. Davon werde gas weitere Verhalten des Gesamtverbands abhängen.
Die Münchener Bemntenzahl. i München, 12. Tez. In der letzten Sitzung deS ^ Münchener Stadtrats wurden einstimmig 62^ Beam- ) ienstellen genehmigt, was eine Mehrung gegen 1914 ' um über ein Drittel ausmacht.
Streikunruhen in Prag.
Prag, 12. Tez. Tie kommunistischen Arbeiter stellen am Freitag die Arbeit ein, um gegen die von der Regierung angeordnete Rückgabe der von den Kommunisten beschlagnahmten Zeitungsdruckerei im Volkshaus an die cechtmäßigen Eigentümer, die tschechische sozialistische Par- :ei, Widerspruch zu erheben. Abends käm es zu scharfen Zusammenstößen mit Polizei und Gendarmerie, die mit gefälltem Bajonett Vorgehen mußte. Acht Streikende ölieben auf dem Platz liegen, sieben Gendarmen und drei Wachleute sind zum Teil schwer verletzt. Tie Bergarbeiter in Kladno wollen den Generalstreik ausrufen. In Brünn und an einigen anderen Orten traten die Arbei.er in den Unterstützungsstreik, sie kehrten aber am anderen Tag zur Arbeit zurück.
Die Volksabstimmung in Griechenland.
Athen, 12. Tez. Bei der Volksabstimmung stimmten für die Rückkehr des Königs Konstantin 999 954, gegen die Rückkehr 110 383, ungültig waren 11.090, leer waren 1200 Zettel. Bei der Wahl am 14. November wurden im ganzen 858371 Stimmen abgegeben.
Ter französische Gesandte überreichte dem Ministerpräsidenten Rhallis eine Note der französischen Regierung, in der diese darauf hinweist, daß eine Rückkehr des Königs Konstantin den sofortigen Abbruch aller finanziellen Hilfelei st ung nach sich zie- ' Heu würde. In Finanzkreisen ist man besorgt, weil der -Kurs für Drachmen sinkt- (Alles „Finanz"s- sache.) »
Tem Pariser „Journal" zufolge schuldet Griechenland Frankreich jetzt 376 Millionen Francs an Vorschüssen in bar oder Schatzscheinen und 440 Millionen Francs für Material- und Naturallieferungen usw.
Brüssel, 12. Tez. Tie sozialistische Zeitung „Peuple" meldet, seit Donnerstag sei der Bahngüterverkehr zwischen Belgien und Deutschland 'in beiden Richtungen plötzlich eingestellt. Tie Ursache ist unbekannt.
Das belgische Heer.
- Brüssel, 12. Tez. Nach der Vorlage des Rats der Landesverteidigung soll das belgische Heer 100000 Mann stark sein. Dazu kommen 13 500 Mann für die Besetzung drs RheingebietS.