(Enztalbote)
Amtsblatt für Wilbbad. Chronik und Anzeigenblatt
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Druck der Buchdruckerei Wildbader Tagblatt; Verlag und Schriftleitung: Th. Gack in Wildbad.
AE
Nummer 283
Fernruf 179.
Niläbuä, Zumslsg, äen 4. Dezember 1920.
Fernruf 179.
54.)skrgsng
i. «lall.
Sountagsgedanken.
Die Sehnsucht.
Wenn die Menschen wüßten, was sie an ihrer Sehnsucht haben! .heilig ist die Sehnsucht! Soviel Sehnsucht in einer Seele» soviel ist die Seele wert! Nicht betäuben sollen wir diese Sehnsucht» sondern ihr vertrauen. dann führt' sie uns sicher durch die Welt zu Gott. . Rittelmeyer. *
Wochenrundschau.
Dem Reichsfinantminister wurden vom Reichs- labinett außerordentliche Vollmachten übertragen, damit er dein Neben- und Gegeueinanderregieren der vev- schiedenen ,,Ressorts" ein Ende mache und einen starken, einheitlichen Zug in die Verwaltungsmaschine des Reichs. Ordnung in das Staatsgetricbe bringe. Darüber sind nun einige Wochen dahingegangen, aber von einem Ruck nach dieser oder jener Seite merkt man noch nicht viel. Wenn man die — allerdings sehr langweiligen — Verhandlungen im Reichstag in dieser Woche verfolgte, so möchte man ja stsagen: wir stehen noch ans dem alten stileck. Es wurde über den Haushaltsplan des R e i ch s w i r t s ch a fts m iniste rin ms verhandelt und da Ware sicher manches zu sagen gewesen, vor allem vonseiten der Regierung, denn die wirtschaftlichen Fragen stehen doch ohne Zweifel bei unseren heutigen Verhältnissen im Brennpunkt des Interesses. Reichsminister Dr. Scholz lehnte, es aber ab, ein Wirtschafts-Programm zu geben mit der Begründung, eine bestimmst* Richtlinie nuszustellen, sei untunlich, solange wir die Forderungen des Verbands für die Wiederherstellung nicht kennen, und solange unsere Valuta so schwankend sei. Freilich: aber man hätte vom Reichs- wirtschastsminister doch gerne gehört, was die Regierung zu tun gedenkt, um auch ihrerseits das Valuta- Elend zu bekämpfen. So ein klein bißchen Regierungs- Programm hätte man also wohl erwarten dürfen. Daß die Hauptarbeit dem Volk als Ganzem zufallen muß«, daß wir alle tüchtig arbeiten und entsetzlich sparen müssen, das ist eine ausgemachte Sache und, gottlob, was wenigstens das Arbeiten anlangt, so sind wir schon ein gan', nettes Stück vorwärts gekommen; Beweis unter anderem die überraschend große Förderung von Steinkohlen, die im Oktober nicht nur die Ansprüche des Verbands voll zu befriedigen vermochte;, sondern über U>0 000 Tonnen darüber ergab, dazu dazu noch den deutschen Eigenbedarf so leidlich, deckte und für freien Verkauf ins Ausland eine immerhin nicht ganz geringe Menge verfügbar machte. Ter Oberste Rat schein« über das Wiedererwachen des deutschen Fleißes nick'i wenig erfreut gewesen zu sein, er soll flugs beschienen haben, daß Deutschland auch fernerhin 2 Millionen Hannen Hohlen abzuliefern habe. Das Abkommen von Spa läuft nämljch jetzt ab und es muß eine neue Vereinbarung über die Kohlenmcnge getroffen werden. Frankreich „schwimmt" dank dem Abkommen von Spa in Kohlen und kann davon einen namhaften Teil fast zum doppelten Preis, den es uns auf die „Wiederherstellung" anrechuct, Weiterverkäufen. Bei einem solchen Geschäft wäre es selbstverständliche daß die Ablieferungsmenge nun herabgesetzt würde. Hoffentlich werden unsere 'Regierungsmänner fest Hinstehen.
Mit Nachgiebigkeit und Freundschaftswerben erreicht man beim Verband nicht viel. Was hat es uns z. B. genutzt, daß der Rcichsministcr des Auswärtigen Dr. Simons den Italienern zuliebe erklärte, die Italiener könnten es mit Recht nicht dulden, daß die 500 000 deutschen Südtirvl e r, die die abgrundtiefe Weisheit des Obersten Rats zu Zwangs-Italienern gemacht hat, jetzt noch zu ihren Stammesbrüdern nördlich der Vrennerlinie halten «und auf eine Zeit der Erlösung hoffen; daß der deutsche Botschafter in Rom, Beren- berg-Goßler diese Meinung seines Vorgesetzten in einem Schreiben an das römische Blatt „Tribuna" mit Worten übertrumpfen zu müssen glaubte, die für die Lüdtiroler im höchsten Grad verletzend waren. Italien wird
deshalb nicht weniger die Wiederherstellungsforderungen Frankreichs unterstützen; den Südtirolern wartete aber vie italienische Regierung sofort mit strengen Maßregeln auf, um ihnen ihre „deutschen Sondergelüste" zu nehmen, und in ganz Tirol herrscht die größte Erbitterung gegen die deutsche Regierung. Das haben wir davon, die wir mit Freunden in der Welt wahrhaftig nicht überreich gesegnet sind.
Bleiben wir vorerst ganz bei unseren eigenen Angelegenheiten. Es gibt da noch genug zu ordnen. Die Frage- der bayerischen Einwohnerwehren — die wohl zu unterscheiden sind von der unbewaffneten Organisation Escherich, Orgesch genannt — scheint sich jetzt klären zu wollen, nachdem der bayerische Ministerpräsident von Kahr, der als Kandidat für die Reichs- Präsidentschaft ansersehen sein soll, in mündlichen Verhandlungen in Berlin mit der Reichsregierung und mit
verschiedenen Vertretern des Verbands den bayerischen Standpunkt hat zur Geltung bringen können. Es scheint ihm gelungen .zu sein. Sie Reichsregierung für die
bäuerische Auffassung zu gewinnen. Wenn die Zeitungs- meldungeu richtig sind, so wird Frankreich von der
geforderten Auflösung der Einwohnerwehren in Bayern abstehen. Der englische General Malcolm begab sich selbst nach München und e " ll ans Unterredungen mit dem Forstrat Tr. Ese ich und einigen Vertretern der Regierung und Einwohnerwehr die
Ueberzengnng gewonnen haben, daß Einwohnerwehr und Orgesch den Bestimmungen des Friedensvertrags und des Eniwafsnnngr-abkommcns von Spa nicht zuwiderlaufen. Amtlich verbürgt sind diese Meldungen nicht; aber sie End auch nicht widenvrachen.
Daß es abe: mit der Vereinheitlichung in der Reichsregierung noch nicht jo recht klappen will,' erfuhr man auch aus dem Bericht über die Sitzung des Steueraus- schnsses des Reichstags am 1. Dezember. Der Reichsbankpräsident Haben stein legte da einmal los, was ihn schon lange drückt. Er sitzt ja sozusagen an der Quelle, aus der die Papiernoten sprudeln. Mehr als eine Viertelmilliarde hat die Reichsdruckerei davon täglich neu zu liefern. Das macht dem Reichsbankpräsidenten Kopfschmerzen. So kann es nicht weitergehen, sagt er Die „schwebende Schuld" des Reichs beläuft sich auf 147. Milliarden Papiermark und sie wird sich um weitere 30 Milliarden steigern durch die Fehlbeträge der Verkehrsverwaltung, die steigenden Löhne und Gehälter. Dazu hat die Reichsregierung einen Notl'redit von 10 Milliarden eingebracht, der ebenfalls nur durch neue Papiergeldausgabe zu decken sein wird. Ende März nächsten Jahres werden wir wahrscheinlich einen Papiergeldumlauf von 100 Milliarden haben. Tie ungeheure finanzielle Gefahr durch eine Beschleunigung der Abgabe des Reichsnotopfers abzuwehren, hält Havenstein nicht für ausreichend, noch auch für ratsam, denn das Betriebskapital, von dem wir leben müssen, würde plötzlich zu stark vermindert. Er habe einen Plan ansgearbeitet, das Reichsnotopfer mit einer 4prozentigen Zwangsanleihe zu verbinden, die etwa 60 Milliarden ergeben könnte; daneben müßte eine völlige Wiederaufrichtung der Bank- und Münzgesetz- gebung erfolgen, um aus der Papierflut wieder heraus- znkommen. Auf den Steuerausschnß mackite der Bericht Havensteins „tiefen Eindruck", er war aber auch «aufs höchste überrascht, denn er hatte von dem Finanzplan bisher nichts gewußt. Reichssinanzminister Wirth bestätigte das Vorhandensein des Plans, das Reichskabinett habe sich aber dagegen ausgesprochen und so fei er begraben worden. Neues Erstaunen. Der Ausschuß verlangte nun die Vorlegung des Plans in der nächsten Sitzung. Ter Reichsfinanzminister erklärte, ihm wäre eine Verbindung von Reichsnotopfer und Zwangsanleihe auch lieber als eine Beschleunigung des ReichZnotoPfers. Ter Reichswirtschaftsminister dagegen schien schwankend zu fein. Das Reichskabinett hat den Plan Havensteins wohl in der Ueberzengnng abgelehnt, daß beide Belastungen, Reichsnotopfer und Zwangsanleihe, für unser Wirtschaftsleben zu drückend seien. Nun aber ist die Finanzkatastrophe augenscheinlich in drohende Nähe gerückt und so dürfte wahrscheinlich doch noch mit einer Verbindung der beiden Reichseinnahmequellen zu rechnen sein.
An unserer Finanznot sind — das betonte auch Havenstein — nicht Wm wenigsten die unerhörten Bef et-, znngskosten im Rh ein gebiet schuld, wo uns jeder
Mann der drei oder vier Bcsatznngsheere auf über 100000 Mark jährlich zu stehen kommt. Rund 16 bis 20 Milliarden, je nach dem Stand der Valuta, verschlingt der Besetzungs-Moloch jährlich von unserem Volksvermögen und unserer Arbeit. Da kommt nun sehr gelegen die Entdeckung eines, am 16. Juni 1919 zwischen Amerika, England und Frankreich abgeschlossenen Sondervertrags, in dem diese Mächte sich verpflichten, die Besetzung schon vor der im Friedensvertrag festgesetzten Frist von 15 Jahren aufznheben, wenn Deutschland „W einem früheren Zeitpunkt Beweise von seinem guten Willen und befriedigende Bürgschaften für die Erfüllung seiner Verpflichtungen" gegeben hat; auch soll „der jährliche Beitrag Deutschlands zu den Besetzungskosten bei zufriedenstellender Durchführung der (Äit- waffnung die Summe von 240 Millionen Goldmark (nach heutigem Balutastand höchstens 3 Milliarden Papiermark) nicht übersteigen." Von deutscher Seite sind die Bedingungen erfüllt, das hat Lloyd George öffentlich anerkannt. Die Besetzungskosten müßten demnach ganz bedeutend und zwar auf weniger als den fünften Teil des seither bezahlten Betrags herabgesetzt werden und dieser durchführbare, berechtigte „Preisabbau" würde nicht nur unsere Notenpressen zum Stillstand bringen können, sondern auch für die deutsche Valuta von wohltätigen Folgen begleitet sein; die 240 Millionen Goldmark würden auf 2 Milliarden Papiermark und mit der Zeit auf immer weniger zusammenfchrumpfen und der sehnlichst herbeigewünschte allgemeine Preisabbau, der ohne Hebung der Kaufkraft der Mark ein Ding der Unmöglichkeit ist, wÄde sich von selbst einstellen.
Freilich, den Verbündeten mag die Erinnerung an ihren Sondervertrag jetzt gerade nicht so recht passen, denn es bestehen wieder einmal zwischen ihnen tiefgründige Meinungsverschiedenheiten. Die Besprechungen in London haben zu keinem Ergebnis geführt und der französische Ministerpräsident Leygues ist Knall und Fall von London abgereist; den italienischen Minister Sforza hat er überhaupt nur kurz gesprochen. Die griechische Frage, die der Eckstein im Ban der 'Orientpolitik Frankreichs geworden ist, wirkt wie ein Spaltpilz in der Einmütigkeit der Verbündeten. König Konstantin wird wieder in Athen einziehen, das läßt sich nicht mehr verhindern, aber Griechenland soll dafür unter die Aufsicht des Verbands gestellt werden, — ein offener Hohn auf das berühmte Selbstbestimmungsrecht und die Freiheit der kleinen Nationen. Frankreich will auch noch, daß Fürsten, die im Krieg gegen den Verband waren, in Griechenland nicht wohnen dürfen. Die Besprechungen in London sollen nun am Samstag wieder ausgenommen werden und um Leygues dafür eine feste Stellung zu schaffen, hat der französische Senat sich mit der Frage der Abänderung des Friedensvertrags mit der Türkei beschäftigt, in dem Sinne, daß der Türkei von den entrissenen Gebieten wieder ein Teil zurückgegeben werde. Was das für Gebietsteile sein sollen, ob solche, die Griechenland erhielt oder andere, die England wegnahm, ist nicht gesagt, jedenfalls ist der Anteil Frankreichs (Syrien und Cilicien) nicht gemeint. Eine „Verständigung"
wird in dem Kuhhandel sich wohl nur wieder auf Kosten Deutschlands erzielen lassen. Frankreich nimmt die Sache aber gewaltig ernst- Und es hat allen Grund dazu; hat es doch nach einer glaubhaft erscheinenden Zeitungsnachricht in dem Wrangel-Unternehmen 16 Milliarden Goldmark verdummt und den Polen bis jetzt rund-40 Milliarden „vorgeschojfen", was die edlen Polen nicht, hindert, weitere 20 Milliarden Zuschuß W verlangen. Daneben haben französische Geschäftsleute allerdings ungeniert Kriegsmaterial im Wert von 72 Millionen Franken an die Sowjetregierung in Moskau durch Vermittlung eines holländischen Händlers verkauft, während Belgien den Polen Waffen liefert, — eine ganz reizende Befeuchtung des „Kampfes gegen den Militarismus und für Menschlichkeit und Frieden." Der Völkerbund aber vertreibt sich in Genf die Zeit mit Festessen und, soweit die andere Zeit es noch erlaubt, mit Besprechungen in dm Dunkelkammern der Kommissionen. Es wurde beschlossen, daß der Völkerbund als die „souveräne Macht" jährlich einmal Zusammentritt, in der Zwischenzeit soll alles dem Völkerbundsrat d. h. der Entente überlassen sein, an dessen Verfügungen die „souveräne Macht" sowenig etwas