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Druck der Buchdruckerei Wildbader Tagblatt; Verlag und Schriftleitung: Th. Gack in Wildbad.

Nummer 250

Fernruf 179.

Milcibgö. Mitt>vocki. öen 27. Oktober 1920.

Fernruf 179.

54. lerkrgemg

Die Früchts von Versailles.

England durchlebt kritische Tage. Der Streik der Bergarbeiter, der auf den 25. September angefetzt wir, ist am 18. Oktober wirklich ausgebrochcn. Die eng­lische Regierung saß zuerst auf sehr hohem Roß. Gegen Ende der ersten Streikwoche aber trat eine Wendung ein. Tie Eisenbahner beschlossen, Sonntag um Mitter­nacht die Arbeit einzn stellen, falls die Regierung nicht noch im Lauf des Samstag die Verhandlungen mit den Bergleuten wieder aufnähme. Einen ähnlichen, anschei­nend noch etwas schärfer gefaßten Beschluß hat die Ge­werkschaft der Verkehrsarbeiter gefaßt. Die Regierung hat über Nacht die Entdeckung gemacht, daß sie sich in eine wenig beneidenswerte Lage hineinmanövriert hat. Denn sie hat nicht nur den Generalstreik vor sich, son­dern das. gärende und brodelnde Irland im Rücken. Sic hat dann auch am Sonntag aufs neue mit den Vertretern der Bergarbeiter verhandelt.

Man versteht nicht recht, warum Lloyd George die Verhandlungen mit den Bergleuten überhaupt hat zum Scheitern und den Streik zum Ausbruch kommen lassen. Letztes Ziel der Bergleute ist die Verstaatlichung der Grub en, wie die Verstaatlichung der Bahnen das letzte Ziel der Eisenbahner ist. Aber diese letzten Ziele spielen bei dem gegenwärtigen Streik keine sicht­bare Rolle. Es geht anscheinend allein um Lohner­höhung. Zwei Schilling Schichtlohn mehr forderten die Arbeiter, einen wollten Regierung und Grubenbesitzer zu­gestehen. Um den einen Schilling Unterschied geht an­geblich der Streik, und das bei märchenhaften Gewin­nen aus der Koh-lenausfuhr! Aber freilich, der Staat, der die ganze Kohlenwirtschaft unter Aufsicht und unter Steuerdruck hat, braucht auch märchenhafte Einnahmen, die er sich nicht mag schmälern lassen. Tann ist da noch ein Punkt, worüber man sich nicht einigen konnte. Tie Lohnerhöhung sollte abhängig gemacht werden von einer Steigerung der Kohlenförderung. Da­zu wollten die Arbeiter sich nicht verpflichten, denn sie bestreiten, am Rückgang der Förderung schuld zu sein. Wie seinerzeit die Ruhrbergleute, machen sie, sicher mit gutem Grund, geltend,' daß Gruben, Ma­schinen und Handwerkszeug, infolge des Raubbaus im Krieg, nicht mehr in dem Zustand sei, wie in der Vor­kriegszeit, die als Maßstab für die Förderung gelten soll. Man darf freilich schon annehmen, daß Regie­rung und Grubenkapital, die der Arbeiterschaft schein­bar festgeschlossen gegenüberstehen,' einander im stillen auch mit Mißtrauen betrachten. Vermutlich spürt die Regierung -keinerlei Neigung, die Kohlenwirtschaft, auf die sie im Krieg die Hand gelegt hatte, je wieder völlig aus der Hand zu lassen, und mitunter möchte man dem Verdacht Raum geben, als spiele Lloyd George vielleicht mit dem Gedanken, die Gruben auf dem Um­weg über den Streik reif für die Verstaatlichung zu ma­chen. Aber das mag er auch im Interesse des Staats für nötig halten, der, wenn er die Gruben übernimmt, sie nicht für die Arbeiter, sondern für die notleiden-, den Finanzen bewirtschaften will.

Tie englische Regierung scheint sich allzusehr davon haben bestimmen zu lassen, daß. die Führer der Arbeiter den Streik, wenn irgend möglich, vermeiden wollten. Diese Führer haben gebremst, was in ihren Kräften stand, und nicht der Wind der Massenmeinung hat sie umgeworfen, sondern sie sind mit ihren Be­mühungen gescheitert am schroffen Nein der Regie­rung. Nachdem nun die Eisenbahner und Verkehrsarbei- tcr auch ihr Ultimatum gestellt haben, möchte, die Regierung einlenken. Ob das noch möglich ist, ist gegenwärtig für England nicht allein, sondern für Eu- rvpa die wichtigste Frage. Infolge des Ausstands der Bergleute sind eine Menge Betriebe zum Stillstand gezwungen. Tie dadurch arbeitslos geworden sind, ha­ben vorerst nur ein Interesse daran, daß die Arbeits­niederlegung so allgemein wie möglich werde. Sie treiben zum Generalstreik.

TieLeipz. N. Nachr."" machen dazu folgende tref­fende Bemerkungen: Ein Wunder wäre es nicht, wenn die Moderlust, die seit anderthalb Jahren durch Europa weht, endlich auch das vorbildliche englische Gewerk­schaftsleben zu vergiften begönne. Steht doch der Streik der englischen Bergleute schon im engsten Zusammen­hang mit derSiegerkrankheit", die das europäische .Wirtschaftsleben verseucht. Ten letzten Anstoß zur KM-

bewegüng der Bergarbeiter gab die nl lgemeine G e- s ch ä ft s sO> cku n g , die sich mit Ausgang des Som­mers auch in England empfindlich bemeribar machte. Diese Geschäftsstockung ist an und für -sich eine un­natürliche Erscheinung. Ter Krieg hat unendliche Gü­termengen vernichtet. Am Ende des Kriegs bestand also ein ungeheurer Güterbedarf. Es wäre nur daraus angc- kommen, sowohl die Gütercrzeugung wie den Güter­austausch so rasch wie möglich wieder in geregelten Gang zu bringen. Tem aber stellt sich der Vertrag von Versailles andauernd in den Weg. Erst wurden sechs kostbare Monate damit vertrödelt, das deut­sche Volk um die Zusicherungen zu betrügen, auf Grund deren ss den Waffenstillstand geschlossen hatte, und das künstliche Hindernis von Versailles aufzurich­ten. Tann begann prompt der Ablliirz der deutschen Währung. Es folgte, statt der Anfänge eines geregel­ten Güteraustausches, die Auspumpung des wehrlos gemachten Deutschlands. Endlich zwang Man die völlig erschöpfte deutsche Wirtschaft, ohne ihr die geringste Zeit zur Erholung zu gönnen, zum Kvhlcntribut von Spa. Das nächste Ziel ist, wie man diesen Tribut in die Höhe schrauben und verewigen könne. Tie Entente, in erster Linie Frankreich, wünscht dauernd auf Kosten Deutschlands zu leben, und sucht doch jede Lebens- regrmg Deutschlands zu leben, und sucht doch jede ^ !

regung Deutschlands ängstlich im Keime zu er­

sticken. Dabei kommt Europa aus dem wirtschaftlichen Siechtum nicht heraus, sondern nur immer tiefer hinein.

Wer den Krieg verloren hat, muß die Kriegskosten be­zahlen. Aber eben doch nur das, was man, seit Be­stehen einer Weltwirtschaft, völkerrechtlich unter Kriegs- kosten versteht. Tie deutsche Dummheit, die vor ge­schlossenem Frieden abrüstete, durfte sich nicht beklagen, wenn die Kostenrechnung der Feinde rechthappig" aus­fiel. Was die Lansing-Note vom 5. November 1918 forderte, legte dafür eine ausreichend dehnbare Grund­lage. Was aber der Vertrag von Versailles und das Abkommen von Spa daraus gemacht haben, ist keine Kostenzahlung mehr, sondern eine Tributzahlung. Ter deutsche Arbeiter muß sich nun für den französischen Kapitalisten schinden. Das tut auf die Tauer nicht gut. Eine Gütererzeugung, die über dem fremden Luxusbedarf den heimischen Lebensbcdarf vernachlässigen muß, ver­trägt Mitteleuropa nicht.

Tie giftigen Früchte desFriedens" von Versailles beginnen in Ueberreife zu Platzen. Nun bekommt auch England die Folgen ihrer Ausdünstung am eigenen Leib zu spüren. England, das 1913 für 875 Millionen Mark Waren allein an Deutschland verkaufte. Was für ein Abnehmer könnte das warenhungrige Teutschland heute für England sein, wenn man es vor anderthalb Jah­ren, statt zum tributpflichtigen Hörigen Frankreichs zu machen, in den Stand gesetzt hätte, feine Zahlungsfähigkeit wiederherzustellen! Ter englische Streik, wenn er nicht rasch gütlich verglichen wird, wenn er auf das Fest­land überspringt, kann sich gar leicht zu einer Stockung miswachsen, die Europa noch einmal ans Leben geht.

König Alexander ch.

Achen, 26. Okt. Havas meldet: Ter König vvn Griechenland ist gestorben.

Schon vor mehreren Tagen verbreitete sich das Ge­rücht von dem Tod des jungen Königs. In Athen selbst blieb alles still und keine.Silbe meldete der sonst so geschwätzige Telegraph über den Zustand Alexanders. Offenbar ist da etwas nicht in Ordnung. Der König war bekanntlich von einein Affen, den er als Haustier hielt, gebissen worden, woraus sich eine Blutvergiftung , entwickelte. Ter Pariser Professor Vidal, der noch an das Krankenlager berufen wurde, behauptet, dem Af­fen, der ein Liebling des Königs gewesen zu fein scheint, sei in verbrecherischer Absicht das Gift der Tollwut ein- geimpft worden. Das erscheint wohl möglich; so teuf­lisch niederträchtig die Art ist, einen Menschen aus? schein­bar natürliche Weise aus der Welt zu schaffen, so muß muß man doch gestehen, daß sie in den letzten Jahren nicht mehr ungewöhnlich ist. Man braucht nur daran zu erinnern, wie zu Beginn des Weltkriegs einem frü­heren englischen Konsularbeamten, einem geborenen Iren und Deutschenfreund, der amtliche, Dolchstoß in Christia- nia zubcreitct war, dem er nur durch schleunige Flucht j nach Teutschland entging, bei der Rückkehr nach Jr-

land siel^ er dann doch den englischen Häschern in die

Hände und endete auf dem Schasfott im Tower in Lon­don. Und noch so mancher andere, unbequeme Mann: starb seither an der großen rolitischen Krankheit, die seit Jahrtausenden schon unzählige Opfer gefordert hat und die, wie'gesagt, in -deir letzten Jahren wieder be­sonders hoch gekommen, ganz abgesehen von dein blu- * ligen Rußland. . , s

Es ist kein Zweifel, daß König Alexander dem ge­genwärtigen Diktator von Griechenland, dem schlauen kretenser Advokaten Venizelos, sehr gelegen starb.

Schon im Juni 1917, als der Vater des Königs, Kon-i stantin, gegen den bekanntlich auch der vergiftete Dolch gezückt worden war und der jahrelang an der Wundes litt, auf Betreiben Venizelos vom Verband des Landes/ verwiesen wurde, machte sich Beniz.los Hoffnung, alÄ Präsident an die Spitze der griechischen Republik ge-, stellt werden. Frankreich begünstigte seine Absichten,! von London her aber wurde abgeivinkt und der ehr-s geizige Kreter mußte sich bereit finden lassen, seine selbst- f

herrliche Regierung selbstherrlich natürlich nur im,

Rahmen des Verbaue : Programms durch einen Schein- könig etwas in Sc en zu stellen. Es scheint aber, daß der 27jährige .^.onig sich allgemach der Diktatur!/ - des allen Ministerpräsidenten zu entwinden suchte, was? bei dem starken Anhang, den König Konstantin im Lande hat, Venizelos gefährlich, werden konnte. Der? rechtzeitig applizierte Affenbiß hat ihn vorläufig der Sorge enthoben. Alexander ist tot. Ob er am 25. Oktober, gestorben ist oder vor acht oder 14 Tagen, was, luts? .

Tie Frage ist nun die Nachfolge. Würde Venizelos, sich jetzt im Einverständnis des Verbands zum Präsi-s denten der Republik machen, so wäre der Skandal offen.!

Freilich, was kümmert man sich heutzutage um einen? Staatsskandal! Allein Italien, das mit Griechenland: d

schon vor der strittigen Kriegsbeuteverteilung auf dem?

Fuß des eifersüchtigen Wettbewerbers in Anatolien stand,? könnte doch den Sittenrichter spielen wollen und müßte? bei England, das ja auch nur aus moralischen Gründeft Deutschlands Knochen zerschlagen hat, schandenbaiber Ge­hör finden. -So ist Venizelos wohl, oder übel bereit,? den 19jährigen Prinzen Paul, den jüngsten Sohn Kon­stantins, auf den Thron zu erheben, aber der Vater soll, sich jedes Rechts auf den Thron förmlich begeben. Dft aber billig zu bezweifeln ist, daß der Vater dies tuft wird, so ist die Thronfolge in Griechenland vorläufig noch eine offene. An sich wäre sie nicht gerade von! weltbewegender Bedeutung, aber sie erhält ihr Gewicht, durch ihre eigenartige Rolle, die das kleine Gnechen-j land im Auftrag der Berbandsgroßmächte zu spielen? hat und die im einzelnen so verschiedenartig ist wie die Interessen dieser Müllte im nahen Orient über-,

Haupt.

Verständigung zwischen Stadt und L ind.

Der Vorsitzende des Württ. Grundbeiitzerverbaud -, Frei­herr von Freyberg schreibt uns:

Nachdem es gelungen ist, durch die S.ati, i: des Nc- formbunds der Gutshöfe darüber Klarheit zn re-oin- men, in welchem Verhältnis der große, wi-t ere und kleine landwirtschaftliche Betrieb an der Versorgung der Städte beteiligt ist, gilt es, eine immer grössere Ver­ständigung zwischen den Verbrauchern und den landwirt­schaftlichen Erzeugern herbciznsühren. Je,.,er, der an die­sem Werk mitarbcitet, wird sich den Danc des Vater­lands verdienen.

In -Hesseir haben sich die Landwirte unter Führung des Nesonnüundö zusammmgc.-clpossen und beliefern die Städte mit Kartoffeln. Leider ist cs bei uns in diesem Jahr dafür zu spät. Aber wir können uns für die kom­mende Zeit darnach richten. Wenn die Städter erst sehen, daß die Landwirtschaft die Absicht hat, ibnen ihre Erzeugnisse ohne Verteuerung durch einen unreellen .Han­del, ohne Schieber zuznsühren, dann werden sie auch wieder mehr Zutrauen zur Ehrtichkell und zum guten Willen der Landbevö-kerung haben.

Die wissenschaftliche Volkswirtschaft lehrt, daß Ange­bot und Nachfrage die Preise regeln. Aber außerordent­liche -Zeiten haben immer außeroiwenttiche Mittel ver­langt. Unsere traurige Zeit verlangt, daß das eigene Jnreressc hinter dem der Allgemeinheit Ulrücktritt mich.