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(Enztalbote)

Amtsblatt für Wildbab. Chronik und Anzeigenblatt

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Druck der Buchdruckerei Wildbader Tagblatt; Verlag und Schriftleitung: Th. Gack in Wildbad. ^

Nummer 170

Fernruf 179.

Miläbaä, Montag, äen 26. luli 1920.

Der Boykott gegen Llngarn»

LemHamb. Fremdenblatt" wird aus Budapest ge­schrieben:

Tie am 20. Juni in Wirkung gesetzte Boykott- Vlockade der zweiten Internationale gegen Ungarn bildet einen bemerkenswerten Grenzstein in der Ent­wicklung des Sozialismus. Wohl sind während des Welt­kriegs und in der Nachkriegszeit vorübergehend Be­schlüsse von einzelnen Arbeiterverbänden erschienen, in denen gegen die Lieferung von Waffen für gewisse Staa­ten Stellung genommen wurde. So verweigerten z. B. tschechische kommunistische Eisenbahner erst unlängst die Beförderung polnischen Kriegsmaterials, das gegen die Sovjetrepublik bestimmt war. Tie wiederholte Sabo- tieruna ähnlicher Transporte von seiten englischer Ha­fenarbeiter ist ebenfalls bekannt. Ties sind jedoch un­bedeutende Lokalfälle gegenüber dem Amsterdamer Syn- dikatsanfruf, der die allgemeine Arbeitsverweigerung alles Arbeiter der Welt bewußt als Waffe gegen einen fou-» veränen Staat ins Treffen führte.

Die Kampflage in Budapest nach einigen Wo-" chen der Blockade ergibt folgendes: Tie Einstellung der auswärtigen Einfuhr, die ausschließlich Iw dustrieartikel betrifft, setzte für Ungarn in einem Augen-- blick ein, als derKäuferstreik" des Publikums geges die phantastischen Einfuhrpreise ohnehin eine allgemeine Stockung des Verbrauchs hervorgerufen hatte. Ter Aus­fall dieser Einfuhr ist nicht zu empfinden. Allerdings wurde von seiten der Blockadeverhänger die größere Wir­kung von der Lähmung der ungarischen Ausfuhr, besonders des leicht zu Schaden kommenden Obst- und Gemüsehandels erwartet. Nun bedeutet die Exportstörung jedenfalls den Ausfall von etwa 150200 Waggons an Obst- und Gemüsesendungen, die täglich über die Grenze «ach Wien und Niederösterreich ausliefen. Diese Mengd könnte bei dem jetzigen ungünstigen Stand der ungarischen Valuta immerhin einigermaßen von Bedeutung fein. Die staatliche Regelung des ungarischen Außenhandels ist je­doch noch derartig unorganisiert, daß die Verkehrssperre im unmittelbaren Zollausfall für die ungarischen Staats­finanzen nur einen sehr geringen Posten bedeutet. Ge­schädigt werden die direkt getroffenen Großkapitalisten. zum Teil sehr zweifelhafte Zwischenhändler, de­ren persönliches Wohl das öffentliche Leben Ungarns ziemlich gleichgültig läßt. In Mitleidenschaft gezogen werden wohl auch die Erzeuger, diese jedoch in einseitigem Maße, da der Exportmonat Juli sich nur aus einibe besondere Obst- und Gemüsegattungen beschränkt, dre Hauptausbeute der Landwirtschaft jedoch zum größten Teil erst im Herbst zur Ausfuhr gelangt.

Die Ausfuhr nach. Wien bedeutete ein stetes Anspan­nern der Inlandspreise in Ungarn aus dem Höchststand, dessen Niveau für das ungarische Volk sehr ungünstig fühlbar war und einen gerechten Preisabbau der Regie­rung sehr erschwerte. Infolge der Grenzsperre kamen Angebot und Nachfrage in ihr natürliches Verhältnis, und die Ermäßigung der Lebensmittelpreise ist erheblich. Kirschen, von denen das Kilo zu Anfang der Blockade 16 Kronen kostete, stehen nun in Budapest auf 6 Kro­nen und die Ermäßigung am Gemüsemarkt beläuft sich ebenfalls auf 4050 Prozent. Die Produzenten kom­men noch immer auf ihre Gestehungskosten, und die Wirtschaftsordnung ist ausgeglichen worden. Die Re­gierung hat das staatliche Branntweinmonopol für die Tauer der Blockade aufgehoben, so daß die wirtschaftliche Verwertung des Obstüberschusses auf diese Weise ge­sichert wird.

In Wien ist es wegen der Boykottblockade, die für die österreichische Hauptstadt eine Hungerblockade wurde, innerhalb der sozialistischen Partei zu sehr bedenklichen Trübungen gekommen. Der liberalen Presse zufolge sol­lt» 40000 Beamte und Eisenbahner zum Uebertritt in bi« Christlich-Soziale Partei bewogen worden fein.

Der Krieg irn Osten.

Der Bolschewismus hat in letzter Zeit starke innere Wandlungen durchgemacht, ganz vaterlandslos ist er freilich nie gewesen. Er hat nie daran gedacht, vor dem wasfenstarrenden Ausland die Waffen wegzuwerfen, und wenn er die Weltrevolution betrieb, so war ihm das s" der Hauptsache eine Waffe gegen das feindliche Aus­land. Ter Bolschewismus hat sich aber mit der Zeit mehr

und mehr zu einem Zarismus'von unten gewandelt. Tie Räte spielen in der staatlichen Organisation Rußlands offenbar, nur mehr eine äußerliche und untergeordnete Nolle, der Charakter einer Diktatur eines engen Kreises von Einzelpersönlichkeiten tritt immer schärfer hervor. Vor allen Dingen muß sich, die Sovjet-Nepnblik gründ­lich militarisiert haben. Der Feldzug gegen Polen läßt eine stark fortgeschrittene Wiederherstellung der Wehr­kraft des alten Zarenheers erkennen, die Führung ist einheitlich und verfolgt strategische Ziele, echte Hinden- burg-Schule. Ob die Heere, die aus solchem Feldzug siegreich hcimkehren, sich noch unter Zivilisten stellen, muß die Zukunft lehren. Zu wundern brauchte man sich jeden­falls nicht,, wenn die Diktatur Lenins und Trotzkis von einer reinen Militärdiktatur abgelöst würde.

Natürlich lassen sich über die innere Festigkeit des neuen russischen Militarismus nur Vermutungen aufstel­len. i Tatsache ist aber, daß der militärische Wider­stand des Polenstaats vor ihm zusammengeknickt ist. Das ist bitter für die Entente, namentlich für die Franzosen. Polen einfach im Stiche lassen, können sie nicht, ihren kriegsmüden Völkern einen langwierigen und kostspie­ligen Feldzug gegen Rußland zumuten, mögen sie nicht. Man sucht den Polen also zunächst mit den beliebten Drohungen zu Hilfe zu kommen. Man wird aber, wenn die Russen an der von der Entente gezogenen polni­schen Grenze nickfi Hall machen auch mehr tun müssen, s Und dann geht die Sache auch uns an. Tenn ohne , Zweifel werden die Franzosen begehren, ihre Zufuhren s für die bedrängten Polen quer durch Deutschland zu, l befördern. Darum war es nicht überflüssig, daß die deutsche Regierung im Krieg zwischen Rußland und s Polen ihxe Neutralität in aller Form erklärt hat. f Wie die Durchführung des Kohlenabkommens bei den f Bergleuten, so liegt die Durchführung der Neutralität s bei den Eisenbahnern. Mit der Möglichkeit, daß sie sich i weigern, Hilfstrnppen und Kriegsbedarf für Polen und ! gegen Rußland zu befördern, haben wir immerhin zu rech- i nen. Und auch damit, daß Frankreich dann den äußeren l Anlaß zu eurer seiner beliebten Einmarschdrohungen ge- ! fanden hätte.

Ter Vertreter der Sovjet-Republik in Berlin erklärte, j ein Kampfziel seiner Regierung sei das, mit Deutsche ! land wieder eine unmittelbare Grenze zu be­kommen. Das kann uns sehr recht sein, vorausgesetzt, daß Rußland darauf verzichtet, über diese Grenze in erster Linie die bolschewistische Heilslehre nach Deutsch­land auszuführen. Je russischer die Natu? des Bolsche­wismus wird, um so weniger eignet er sich znm Ausfuhr­artikel. Für einen ergiebigen Austausch wirtschaft­licher Güte und Kräfte sind die Bedürfnisse hüben und drüben groß genug.

Es sieht alles auf dem Kopf.

Bisher haben wir gewußt, daß der Wassertrans­port von Massengütern erheblich billiger sei als der auf der Bahn. Und bei dem Lokomotiven- und Wagcnmangel haben wir bisher angenommen, daß es eine wesentliche Erleichterung und Verbilligung der Trans­porte sei, wenn der Wasserweg anstatt der Bahn beson­ders für die Kohlenversorgung eingeschaltet werden könne. Auch das ist ein Irrtum überwundener Zeiten, auch hier haben sich die Zeiten gewaltig geändert. Aus der Nachrichtenabteilung des Landesversorgnngsamts"wird nämlich demLübeckischen Anzeiger" über die Kohlenver­sorgung Lübecks geschrieben:Briketts, die jetzt 25.75 Mk. kosten, werden künftig frei Haus um 2 Mark bil­liger geliefert. Sie kosten demgemäß 23.75 Mk., bei Bezug von 10 Zentnern frei Haus 22.25 Mk., ab Lager

20.25 Mk. und ab Waggon 19.55 Mk. Die Senkung

dieser Preise beruht darauf, daß laut telephonischer Zu­sage des Reichskohlenkommissars die Hälfte der ratio­nierten Menge nils dem Niederlansitzer Bezirk statt per Kahn, wie bisher, künftig per Eise nbahn bezogen wird. Während sich früher der Bezug auf dem Wasser­weg bedeutend billiger stellte, ist heute das Umgekehrte der Fall: die Beförderung mit der Bahn ist rationeller.

Die Ermäßigung hätte sich für Lübeck noch günstiger

gestalten müssen, wenn diegesamte Menge Briketts mit der Bahn nach hier befördert werden könnte. Da dafür nur die Hälfte der Briketts in Frage kommt, ist zurzeit - eine weitere Ermäßigung als um 2 Mark nicht mög-t lich." Die Beförderung mit der Bahn billiger als auf dem Wasserwege! So weit, haben wirs glücklich

Fernruf 179.

54. ^akrgemg

gebracht mit der Unsicherheit des Wassertransportes durch Streiks und langes Liegenbleiben der Kähne.

Neues v-m Tage.

Schutz der Neutralität.

Berlin, 25. Juli. Tie Reichsregierung hat beim Obersten Rat um die Ermächtigung nachgesucht, die Truppen in den Abstimmnngsbezirksn Marien Wer­der und All enstein durch Freiwillige zu verstär­ken, um diese Gebiete gegen bolschewistische Einfälle zu schützen. (Im Abstimmungsgebiet übt die Verbandskom- mifsion das Recht der Staatshoheit aus-)

Zur Wahrung der Neutralität hat der Reichspräsident außerordentliche Vorschriften für den Bezirk des Wehr­kreiskommandos 10 erlassen. Die Sicherheitspolizei ist verstärkt worden.

Berlin, 25. Juli. Die Unabh. soz. Partei fordert in einen: Aufruf die deutschen Arbeiter aus, eine Ver­letzung der deutschen Neutralität, insbesondere den Durch­zug französischer Truppen und die Auslieferung von Kriegsmaterial an die Polen nicht zuzulassen. Ernennungen zum Reichswirtfchaftsrat.

Berlin, 25. Juli. Tie Reichsregierung hat Dr. Walter Rathenau zum Mitglied und Dr. Guggen- heimer zum Reichskommissar des vorläufigen Reichs- wirtschaftsruls ernannt. (Rathenau war für den Wirt­schaftsrat vorgeschlagen gewesen, aber vom früheren "Reichswirtschaftsminister Schmidt gestrichen worden.)

In einer Entschließung des wirtschaftspolitischen Aus­schusses des Reichswirtschaftsrats wird rücksichtslose Be­kämpfung des Schiebertums bei der Verteilung der Koh­len, gründliche Verbesserung der Ernährung und Woh- nnnasverhältnisse der Bergarbeiter und Prüfung des Be­richts der Sozialisierungskommission über die Soziali­sierung der Bergwerke beim Reichswirtschaftsrat ver­langt. In der Ausschußsitzung erklärte ein bekannter Bergarbeiterführer, daß die Bergarbeiter zu Ucberschich- teu weiter bereit seien.

Streik.

Berlin, 25. Juli. DemBerl. Lokalanz." zufolge haben die Hafenarbeiter und Kranmaschinisten im Duis- burg-Ruhrorter Hafen beschlossen, falls die ge­forderte Lohnerhöhung abgelchnt würde, in der nächsten Woche in den Streik zu treten.

Der Landarbeiterstreik in Pommern kann für er­loschen gelten.

Berlin, 25. Juli. Das Reichskabinett hat dem Reichs­lohntarif der Eisenbahner im wesentlichen zugestimmt und beschlossen, daß künftig Aenderungen des Tarifs der Ge­nehmigung des Kabinetts bedürfen. Der Reichsverkehrs­und der Reichspostminister wurden beauftr-mt, in Verbin­dung mit anderen Ministerien Fürsorge zu treffen, daß die Staatsbetriebe Eisenbahn und Post wieder ertrags­fähig werden. -

Anslieferung von Schulschiffen.

Berlin, 25. Juli. Nach demBerl. Lokalanz." sind die Schulschiffe des Deutschen Schulschiffvereins Groß­herzog Friedrich August und Prinzessin Eitel Friedrich an den Feindbund abgeliefert worden.

Verschleppung Deutscher durch Polen.

Berlin, 25. Juli. DieNene Oberschles. Volksztg." bringt unter Nennung der Namen die aufsehenerregende Mitteilung von über 40 Fällen, in denen oberschle­sische Einwohner nach Polen gewaltsam verschleppt wur­den, darunter auch Minderjährige. !

Das geheime Heer.

Hamburg, 25. Juli- Entgegen der Ableugnung der hamburgischen Polizei halten die bürgerlichen Blätter daran fest, daß von den Radikalen etwas vorbereitet wer­de. Für die Ueberrumpelung des Hafens und der im Hafen lagernden Vorräte seien schon bestimmte Pläne ausgearbeitet. :

Grotzheffische Pläne.

Darmstadt, 25. Juli. Bei der Besprechung der Frage des Zusammenschlusses der preußischen Provinz Hessen mit dem früheren Großherzogtum erklärte Mini­sterpräsident Ulrich in der Kammer, das Reichswirt­schaftsministerium habe sich tatsächlich, mit der Frage besaßt und festgestellt, daß derartige Maßnahmen nur aus vcrwaltnngstechnischen Gründen ergriffen werden sollten. .Der WdMük auL Berlin ixi eirLZMiiLML«