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(Enztalbote)

Amtsblatt für Wildbad. Chronik und Anzeigenblatt

für das obere Enztal.

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Druck der Buchdruckerei Wildbader Tagblatt; Verlag und Schriftleitung: Th. Gack in Wildbad.

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Nummer 122

^iläbaä, Montag, äen 31. Mai 1920.

54. ^alirgang

Tie Polen kämpjen in ihrem Angriffskrieg gegen lkowjetrnßlnnd für keine gnte.Sache. Jetzt steht diese schlecht. Nach den anfänglichen Siegesberichten, die den Ereignissen vorauseilten, schweigen sie sich jetzt aus oder fetzen durchsichtige Lügenmeldnngen in die Welt, das; di« Bolschewisten fünf Millionen Mann an der Tüna- kont zusammengezogen hätten und dort angriffen, um in Ostpreußen einznfallen. So slnd wir, da die Funken­stationen der Sowjetregicrnng auch lvenig melden, auf andre Quellen angewiesen, die nach Lage der Tinge natürlich Anspruch auf unbedingte G aubwürdigkeit nicht erhebenftönncn. Tie Telegraphen-Union, die ans Breslau die Räumung der ukrainischen Provinzstadt Berditschew durch die Polen meldete, will weiter aus Prag erfahren haben, daß die Polen bei Minsk eine s.ros-e Niederlage erlitten hätten. Tie Sowjeltruppen stünden vor den Toren her Stadt, deren Fall eine Frage von Stunden sei. Auch westlich von Kijew entwickelten sich die Kämpfe günstig für die Russen. ,

Tie Polen sind sehr ungehalten darüber, daß die große Masse des deutschen Volks, ganz abgesehen von ihrer politischen Stellung zur Moskauer Regierung bei diesem Kampf innerlich auf russischer Seite steht. Der in Berlin erscheinendeOst.-Tienst" meldet in seiner Nr. 42 vom vom 26. d. M., einem Telegramm aus Warschau vom selben Tage zufolge stelle die polnische Presse mit Er­staunen und Erbitterung fest,wie wenig Verständnis die polnische Regierung im gegenwärtig m Augenblick für die Ziele ihrer Offensive in Deutschland findet". Die Aeußerungen der deutschen Presse seien fast ausnahmslos in einein Ton gehalten, der jetzt, wo die Sicherung des polnischen Staats sowie der Friede, Europas in Frage gestellt sei, auch in Berücksichtigung der nationalen .In­teressen Deutschlands unverständlich erscheine.

Nach dieser Probe von Naivetät oder Heuchelei, wie man es nehmen will, wären wir nicht erstaunt, wenn die Polen ihre wankende Form jetzt als Schutzwall hinzu­stellen versuchten, der uns bisher vor dem Einfall der Bolschewiken in Ostpreußen gesichert hätte. Es ist hier nicht der Ort, mit den Polen abzurechnen. Taß sie mit ihrem Angriff auf Rußland doch nur Eroberungs- Pläne verfolgen, weiß die ganze Welt.

Dafür, daß in Rußland alles ohne Unterschied der Partei sich gegen den herausfordernden Angriff der Polen s,ur Wehr setzft liegt heute ein neuer Beweis vor. Kerenski, der jetzt bald hier, bald dort austaucht, hat sich zwar durch seine unentschlossene Haltung in der Friedensfrage um die Aussichten, die er im Frühjahr und Sommer 1917 zu haben schien, selbst betrogen, immerhin kann sein Urteil im einzelnen.Fall sehr bemerkenswert sein. Ob­wohl er nach wie vor ein erbitterter Feind Lenins ist, der ihm im November 1917 die Macht entriß, nimmt kr den Polen gegenüber doch lebhaft für die Sovjetregie- ttmg Partei und schreibt, wie derOstdicnst" meldet, j»en Polen folgendes ins Stammbuch:

rungspalitik ist gefährlich; zwar Kana sie !m Augenblick Polen ilne günstige Position verschaffen, doch werden sich dis Fehler ttner solch n Po'ilik in der Zukunft rächen. Das ganze Selbst- bestimmui, gsrecht der Völker ist Schwindel und Mache. Die Staaten, die heute Rußland gegenüber das Selbst- visliminunisrecht anwendcn möchten, wenden es ans ihem eigenen Keiftet keineswegs an. In der Poliftk entscheidet nur die Macht. k»e Polen Kämpfen heute nicht mir gegen die Bolschewisten, sondern auch gegen Ruß'and. Nicht der Sieg des Verbands hat Polen gerettet und entstehen lassen, sondern die russische Re­solution, ^

x Selbst wem: Kereuski recht hätte mit der Behauptung, » die Wiederausrichtung Polens eine Wirkung der rus­sischen Revolution sei, würde er mittelbar damit bewei­sen, daß die Polen ihren neuen Staat Deutschland ver­danken. Die Siege Hindenburgs haben Kongreßpolen, in dessen Erde 70 000 tapfere deutsche Krieger ruhen, wn der Herrschaft des Zaren befreit, und ohne den deutschen Sieg wäre die Revolution in Rußland nicht wrchsührbar gewesen. ^ ^ ^ ,

^ Tie jetzige Not haben die Polen ganz selbst verschuldest, lud wenn sie für ihren zügellosen llebermut und Fanatis­mus von den Russen einen gehörigen Denkzettel bckom- Nen, so geschieht ihnen ganz recht; sie haben ihn schon vegeit ihrer tückischen Unterdrückung der deutschen Ost­gebiete reichlich verdient. Aber jetzt wollen sie auf em- .Metz, die Unschuldigen und Märtyrer stzn.

Zrrm Tode Carrarrzas.

Ter Präsident von Mexiko, Venustiauo Carranza, ist kurz vor den Neuwahlen, die am 1. Juni stattfinden sollten, ermordet worden; am 21. Mai um 4 Uhr mor­gens fiel er in dein Torfe Texaltenaugo im Staat Puebla den Verschwörern zum Opfer. Die Ursache der Jebel­lion gegen Carranza, die seit einigen Wochen im Gange war, scheint die Präsidentenwahl selbst gewesen zu sein. Namentlich in dem nördlichen, an die Vereinigten Staa­ten grenzenden Staat Sonora war eine Bewegung im Gang, die eine geordnete Wahl in' Frage stellte. Car­ranza, der selbst als Anwärter nicht mehr in Betracht *am, versuchte die Wahl mit den nötigen Sicherheiten zil umgeben und hatte deshalb in den Staat Sonora Trup­pen entsandt; bezeichnend ist, daß der Gouverneur dieses Staats, Adolfs dela Huerta, nach dem Fall Earrangns zum vorläufigen Präsidenten Mexikos gewählt wurde Die Seele der Bewegung gegen Carranza war der Ge­neral Obrego m, der anfänglich Absichten auf die Prä­sidentschaft hatte, später aber mit dem ebenfalls kandidie­renden General Gonzalez sich verständigte und mit den Truppen nach der Hauptstadt Mexiko zog. Carranza mußte fliehen. Unterwegs wurden seine Minister, die in seiner Begleitung waren, gefangen genommen, nach der 'Hauptstadt zurückgevrachr unv'oorc relw erschosjeu, teils in Freiheit gefetzt. Die Feindschaft der beiden Generale gegen ihren frühem Anführer Carranza, dein sie namentlich die wichtige Schlacht von Celaya gewannen, scheint darin zu wurzeln, daß Carranza für die Prüft-- dentschaft keinen Militär wollte, sondern die Wahl des mexikanischen Gesandten in Washington, Jgnacio Bonil- las, unterstützte.

Präsident Carranza hatte keine leichte Amtszeit. Er war ein überzeugter Nationalist und hielt es mit dein Satz: Mexiko den Mexikanern. Er hat deswegen vor allen Dingen eine vollständige Unabhängigkeit Mexikos angestrebt und die natürlichen Bodenschätze Mexikos dem eignen Land erhalten wollen, was, ihn dazu führte, wiederholt die Gesetzgebung des Landes iu diesem Sinn gestalten zu lassen. Mit den Vereinigten Staaten stand Carranza nicht auf gutem Fuß, da er der einzige ameri- kaniftbe Präsident war, der amtlich die Monroe - Dok - t r i u 'nicht anerkannt e, indem er erklärte, sie be­deute eine Vormundschaft, die Mexiko nie verlangt habe und die es auch nie gebraucht habe, noch brauchen werde. 'Auch erklärte er amtlich, daß er dem Völkerbund nicht beitreten werde, weil dieser dem Grundsatz der Rassen- und Völkergleichheit nicht entspreche. Bekannt ist, daß Carranza'während des Kriegs Deutschland gegen­über neutral blieb, daß er eine Belästigung unserer Landsleute nicht erlaubte und auch die schwarze Liste nicht zuließ. Diese freundschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Mexiko werden hoffentlich durch den gewaltsamen Regierungswechsel keine Einbuße erleiden, da die beiden Völker gewillt sein werden, bei der alten Freundschaft zu beharren. Mexiko und Deutschland sind wirlschaftlich stark aufeinander angewiesen. Mexiko kann uns eine Reihe von Rohstoffen liefern, die wir nötig baben, besonders Petroleum, Silber Kupfer,, Baumwolle, Kaffee, Kakao, Edelhölzer, Sisal-Hanf und eine Reihe anderer Erzeugnisse des von der Natur so gesegneten. Landes. Umgekehrt braucht Mexiko deutsche Maj-Hinen, deutsche Chemikalien und Farbstoffe und viele andere deutsche Waren. Der gegenseitige Warenaustausch ist al­lerdings vorläufig erschwert, da weder Deutschland noch Mexiko über die nötigen Handelsschiffe verfügen. An geordneten Zuständen in dem schönen Lande hat die Welt im allgemeinen ein um so größeres Interesse, als Mexiko eine der Haupthoffnungen des verarmten Euro­pas ist.

Wirtschaftlicher Wochenüberblick.

Geldmarkt. Auf den Balutamärkten hat es in der letzten Woche wilde Spekulationssprünge gegeben, die einen klaren Einblick gewähren, wie rettungslos das gesamte deutsche Wirt­schaftsleben edn Schiebungen eines i ntcrnationalen Jobber­tums verfallen ist. Es ist ganz ausgeschlossen, daß solche Schwankungen, wie sie beispielsweise die deutsche Mark m Zürich erfuhr, die am 26. Mai auf 17.60 am 28. Mai auf 13.30 Rappen stand, auf normale Ursachen von Reichstage und Angebot im Geld- und Warenverkehr zurückzuführen sind.

Börse. Die Vorgänge auf dem Markt der ausländische» Zahlungsmittel haben zunächst einmal das Börsengeschäft voll­ständig revolutioniert. Zuerst brachte der jähe Aufstieg unserer Valuta die Bvricn'v.ckuckmen zur Eikenntnis, daß cs mit der

Hochkonjunktur zu Ende sei, unv eine gewaltige Entwertung trat ein. Als sodann die Devisenkurse sich wieder zu verschlcch- ' tern begannen, Kain es an der Börse zu einer Erholung. Im allgemeinen aber sind die Hauptspekulalionsaktien gegen die vorige Woche bis um 50 Proz. gefallen. Immer deutlicher

kündigt sich der Krack am Warenmarkt an, dem die Börse mit uiiverkennbarcr Augst entgegensieht und dem die Groß­banken schon seit einigen Wochen durch Kreditsperre zu be­gegnen suche». Erfreulich ist dagegen die gute Haltung der fest­verzinslichen Anlagepapiere, besonders - der Württ. Staatsan­leihen, die zur Zeit unter allen deutschen Staatspapieren den höchsten Kurs aufweisen. nämlich 4proz. Württemberger mit 88. Die Deutsche Kriegsanleihe hielt sich auf 79V<u Warenmarkt. Der Rückgang der Preise in den meisten Wa- rengattlingen hält an, leider nur nicht in Kohle und in den wichtigen Eisensorte», obgleich der Metalimarkt bereits den schwersten Erschütterungen ausgesetzt ist und unter Zahlungs­schwierigkeiten mancher Firmen leidet. Interessant ist der Be­richt von der neuesten Kölner Warenbörse, wo Tee jetzt zu 40 Mk. das Kilo, Rohkaffee zum gleichen Preise, Haferflocken zu 5.40 Mk.. Schokolade zu 36 Mk. und Kakao zu 30 Mk. angeboten ist, wohlverstanden das Kilo, nicht das Pfund. An der Stuttgarter Garnbörse sind Baumwollgarne wieder um IS Mk. pro Kilo, Gewebe um 2^/2 bis 4 Mk. der Meter ge­fallen. Auch in den Wollprctsen gibt es jetzt stärkere Schwan­kungen. Am stärksten ist die rückläufige Preisbewegung auf dem Häute- und Fellmarkt, wo die Käufer zum Teil nur noch ein Viertel der Preise bieten,^ die sie vor zwei Monaten gern bezahlt hätten, wenn es nur "genug Ware gegeben hätte.

Bvhwarkt, Die Sevchennot nimmt immer noch zu. Die Pi>4 preise sind infolgedessen unsinnig gestiegen. Man hört, daß aus dem Lande Kalbkühr init mehr als 10 000 Mk. bezahlt wer­den. Auch die Ferkel sind kaum unter 350 bis 400 Mark das Siück zu erhalten. Daß die Pfcrdepeeise jetzt, wo es in vir-, len Gegenden des Landes angesichts der beginnenden Heuernle in gefährlichster Weise an Gespannen fehlt, noch teurer werden, vcrstzht sich von selbst.

Hctzmarkt. Für Nadeirundholz hat die Preisabschwächung noch zugenommcn. Auch Nadelpapierholz beginnt jetzt zu fal­len. So wurden neulich bei einer hohcnzollcrischen Obckförsterei für den Raummeter nur noch 60 dis 155 Mk. je nach Klasse ab Wald erlöst. Der Holzhandel zieht sich allmählich aus dem Ge­schäft zurück, was bei den Versteigerungen deutlich wird. Auch der Markt für Laubrundholz ist flau. Eichcnstämme I. Klasse gelten höchstens noch 151703 Mk. der Raummeter. Der Ab­satz in Brettern stockt fast vollständig, wer große Lager und wenig Geld hat, gerät in eine immer schwierigere Lage. Man sucht jetzt einen Zusammenbruch durch größeren Abfluß der Ware nach dem Ausland zu vermeiden.

Neues vom Tage.

Die Lage in Oberschlesien.

Benthen, 30. Mai. Etil französischer Soldat hatte sich an einem deutschen Mädchen vergangen. Als ei­nige Deutsche das Mädchen befreien wollten, wurde ei­ner von ihnen von den: Franzosen erstochen. Abends sammelte sich eine große Menge Deutscher vor dem Haus der Abstimmunaskommission der Verbündeten, um gegen die Scheußlichkeiten der Franzosen und Polen zu'protestieren.. > ,

Gegen die FrankenwAhr rng im Saargebiet.

Saarbrücken, 30. Mai. Die Arbeitsgemeinschaft der Saarindustriellen beschäftigte sich in einer Sitzung mit der bevorstehenden Einführung der Franke nentloh- nnng auf den Saargruben. Die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände sprachen sich entschieden gegen die Einführung der Frankenwührung ans, wobei hauptsäch­lich als ausschlaggebend der wirtschaftliche Zusammen­hang mit Deutschland angeführt wurde.

LisettSahncrsrreik. P -

Krefeld, 30. Mai. Das Personal des Krefelder Bezirks ist wegen Lohnforderungen in den Ausstand ge­treten. Der Betrieb ruht auf allen Strecken. .

Nene Vertrauensabstimmung für Millerand.

Paris, 80. Mai. Die Kammer hat die große An­frage über die finanziellen Bestimmungen deS Frie­densvertrags von Versailles und über die Verhandlun­gen von Hythe verabredeter,näßen, um im gegenwär­tigen Augenblick die Arbeit der Regierung in den Ver­handlungen gegen Deutschland nicht zu erschweren, nach kurzer Aussprache rasch beendet und der Regierung mit 501 gegen 63 Stimmen das Vertrauen ausgesprochen. Trohdcm gilt es für wahrscheinlich, daß das Kabinett Mlllcraud werde zurücktreten müssen, sobald die- Fragen mit England geregelt sind. Als Grund wird das Zer­würfnis mit Poincare angegeben, der gegen Millcrand den Vorwurf erhebt, daß er sich von England zu über­mässiger Nachsicht gegen Deutschland habe bestimmen lasten. '