(Enztalbote)
Amtsblatt für Wildbad. Chronik und Anzeigenblatt
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Druck der Buchdruckerei Wildbader Tagblatt; Verlag und Schriftleitung: Th. Gack in Wildbad.
Nummer 116
Miläbsä, Zum5wg, öen 22. Mui 1920.
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Ein neuer Geist.
In all den vielen Versammlungen unserer Tage steht im Mittelpunkt des Interesses die Frage: Wie kommen wir aus der Not unserer Zeit heraus? Das Heil wird nicht selten in Maßnahmen äußerer Art gesucht. Gar große Hoffnungen setzt man auf allerlei politische und wirtschaftliche Vorschläge.
Psingsten aber lehrt die alte, ewige Wahrheit: der Geist ist es, der Neues und Großes schasst. Tie besten Politischen Verhältnisse und die schönste wirtschaftliche Lage vermögen nicht, neue, bessere Menschen zu bilden; sie sind nicht imstande, den Geist der Selbstsucht, der Geldgier und der Unaufrichtigkeit zu überwinden. Ein Gottes- zeist muß kommen, der Geist der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der Liebe. Ter Psingstgeist allein kann uns «rS unserer Not heraushelsen, weil nur er uns aus der Ichsucht unseres natürlichen Menschen herauszureißen vermag und in der Gottesliebe die große Menschenliebe des Nazareners in unsere Herzen pflanzt.
Wie sehnen wir uns alle nach ,,besseren Zeiten"! Wir wollen nicht erst äußere Staats- und Volkswaiidlungen »bwarten, sondern dem Psiugstgeiste die Tore unserer Herzen weit össneu. Spüren wir sein Wehen? Ec hat «uch heute noch die Krast, neue Menschen zu schassen, die das Gute wollen und tun. An schönen Ideen und ernsten Vorsätzen fehlt es heute nicht. Aber wo sind die Früchte? Tem Wollen folgt kein Vollbringen. Tie Gedanken werden nicht Tat; und den Vorsätzen fehlt die Erfüllung. Darum brauchen wir den Psingstgeist, der unser Wollen mit Krast erfüllt, der uns stark macht, daS Gute und Edle und Neiue zu tun.
Möchten wir Pfingsten nicht bloß feiern, sondern erleben, daß in Herz und Haus, in Gemeinde und Welt ein neuer Geist einziehe, Gottes Geist, der heilige Geist, der die Selbstsucht überwindet und in edler Nächstenliebe zum Tienst an den Brüdern treibt. So nur gibt es ein „Auswärts" für uns und unser Volk, wenn der
P iu r zeist siegt, e-
Wochenrmrdschair.
Am 17. Mai haben die Franzosen den Main- gau nun wirklich wieder gerä-umt, in den sie am 6. April einfallartig eingezogen waren. Sie hatten sich damals die Sache wohl etwas anders vorgestellt uns) träumten von einer langjährigen Besetzung. Wahrscheinlich wäre es auch so gekommen, wenn nicht Lloyd George bei der Besprechung in dem englischen Seebad Hythe, wo er zur Erholung weilte und wohin er den Kollegen Millerand mit einem Stab von „sachverständigen" Finanzleuten zur Aussprache gebeten hatte, dem französischen Ministerpräsidenten begreiflich gemacht hätte daß es wirklich nicht länger angehe, dem Friedens- Vertrag und allem Völkerrecht zum Hohn die Besetzung länger aufrecht zu erhalten. Besonders das Treiben der schwarze n Truppen in Deutschland erregt denn doch in der ganzen Welt, nicht zum wenigsten auch^in Amerika, den tiefsten Unwillen bei allen, denen noch ein Funken von menschlichem Gefühl geblieben ist. Tie Franzosen hatten ihre schwarzen Brüder einst zum Krieg begeistert mit dem Versprechen, daß sie in Deutschland Hausen dürsten, wie es ihrer Veranlagung entspreche, namentlich stehen ihnen die weißen Frauen zur Verfügung. Dieses Versprechen wollen die Schwarzen und Braunen, die noch in Europa sind, jetzt eingelöst wissen. Sie weigern sich, in die afrikanische Heimat zurückzu- kehren und wenn Frankreich sie nicht im eigenen Land befriedigen will, so muß man sie eben auf die De ut- schen loslassen. Möge Lloyd George, mögen aber auch die Deutschen und die ganze Kulturwelt nicht vergessen, daß die „schwarze Pest" im linksrheinischen besetzten Gebiet immer noch ihr Wesen treibt. Fast wie ein schlechler Witz hört es sich au, wenn das Pariser Blatt „Tem-s", das mit Millerand Beziehungen hat, schreibt, Frankreich werde sich von Teutschlano auch noch die „Kosten" der Besetzung des Maingaus in Höhe von runo 70 Millionen Mark bezahlen lassen.
Millerand hat sich seine ,',Nachgiebigkeit" in .Hythe übrigens sehr teuer abkausen lassen. Nach den ourch das halbamtliche französische Nachrichtenbureau Havas verbreiteten und von Millerand in Gesprächen mit Zeitungs- Vertretern bestätigten Mitteilungen soll Deutschland eine Kriegsentschädigung von 120 Milliarden Goldmark oder 1200 Milliarden Papiermark auferlegt werden, wovon auf Frankreich allein 66 Milliarden Goldmark, zahlbar in 30 Jahren, kommen. Bei dieser wahnsinnigen Forderung hat es aber keineswegs sein Bewenden; bessern sich die Verhältnisse in Deutschland, so soll späterhin die Kriegsentschädigung entsprechend erhöht werden, denn, so meint Herr Millerand, es sei nur billig, daß die Verbündeten von der Besserung der Lage Deutschlands auch ihren Nutzen haben. Die Franzosen möchten auch eine Rückversicherung haben für den Fall, daß die deutsche Valuta weiter steigen und die französische weiter fallen würde, wodurch die Deutschen bei der Kriegsentschädigung „zu glimpflich" wegkommen und sie selber Einbuße erleiden könnten. Je fleißiger also das deutsche Volk sein wird und mehr es sich anstrengt, um so größer soll die Last sein, die man ihm auferlegt. Das deutsche Volk soll, mit anderen Worten, nach französischem Willen niemals mehr aus dem Elend, aus der Knechtschaft der Entente herauskommen.
Weil aber Frankreich, das selber in höchsten Geldnöten steckt und vor dem Zusammenbruch steht, schleunigst viel Geld braucht, kam man in Hpthe auf einen besonders schlauen Gedanken. Deutschland soll gezwungen werden, eine Anleihe aufzunehmen, die von Deutschland, den Verbündeten und wahrscheinlich anch den Neutralen gedeckt würde und die als Pfand für die Kriegsentschädigung dienen soll. Aus dieser Anleihe soll Frankreich sofort einige Milliarden in Gold erhalten, nachdem bisher schon 33 Milliarden von Deutschland an Frankreich teils in bar, teils in Lieferungen von Kohlen, Vieh, Eisenbahn- und Kriegsmaterial und anderen Dingen geleistet.sind. Die internationale Anleihe würde aber für Deutschland und Europa die Lage nur verschärfen. Deutschland wäre zur Abtragung dieser Schuld unter allen Umständen verpflichtet und unser Zusammenbruch — aber nicht nur der unsrige — wäre unvermeidlich'.
Während nun in England sich Stimmen erheben, daß die Kriegsentschädigung zu hoch gegriffen sei, da Deutschland sie unmöglich werde knüllen können, ist man
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in Frankreich noch lange nicht damit zufrieden. Herr Poincare, der Vater des Kriegs, der nach Ablauf seiner Präsidentschaft 'bekanntlich zum Vorsitzenden der famosen „Wiedergntmachungskommis'ion" ernannt wurde, bat in seinem Unmut über die „ungerechtfertigte Milde gegen Deutschland" dm Vorsitz niedcrgelcgt.
Tie Konferenz in Spa, die am 20. Mai stattfinden sollte, ist, wie von englischer Seite gesag: wurde, mit Rücksicht ans die deutschen Vertreter bzw. d e Rrie-rs- tagswahlen verschöbe n worden, es werden a.cr wart auch andere und für die GegenieOe wich igcre Gründe mitgesprochen haben. Herr MUlerand unterließ es jedoch nicht, nochmals hervorzuheben, daß die deutMen Vertreter, die allenfalls berufen werden, keine andere Rolle zu spielen haben werden als bei den sogenannten Friedensverhaudlungen in Versailles. Sie sollen einem Verhör unterzogen werden und im übrig'» haben sie den Spruch des Obersten Rats hinzunehmen, wie er ihnen gegeben wird. Es ist aber noch die Frage, ob die deutsche Regierung sich diese ihr zugedachte Rolle gefallen lassen wird.
In einigen deutschen Ländern haben bereits Landtagswahlen stattgesunden. In dem neugebackenen „Freistaat" Danzig, der ja leider nach Verbandswillkür vom Reich abgetrennt ist, der aber geistig doch m.t ihm verbunden bleibt, haben die Polen eine vernichtende Niederlage erlitten. Innerhalb der deutschen Parteien hat sich hier, wie auch bei den Wahlen in Braun- schweia und M e ckl e u b u r g-S t re l i tz, die Erscheinung wiederholt, die man auch in der letzten Zeit bei Gemeindewahlen allenthalben beobachtete: day die Oppositionsparteien von rechts und links starken Zuzug erhielten auf Kosten der Koalitionsparteien mit Ausnahme des Zentrums, das seinen früheren Stand so ziemlich überall behauptete. In Mecklenburg-Stretch haben die Sozialdemokraten ihre seitherige absolute Mehrheit an die bürgerlichen Parteien verloren, in Vraun- schweia aber ist vor allem der starke Gewinn der 1l n -- - abhängigen auf Kosten der Mehrheitssozialdcmokralic bemerkenswert. Zum ersten Mal wurde auch ein Kommunist gewählt.
Tie Schweiz hat nach hancm Kampf durch Volk- abstimmung am 16. Mai sich end ich für den Beitritt zum Völkerbund entschieden. Rune -llOOlO Stimmen waren dafür, 320 000 dagegen. Für den Völkerbund war vor allem die französische Westschweiz, die Gegner teilten sich in zwei Lager. Tie Nationalschweizer unter Führung deS Genera s Wille, des Füh rers des schweizerischen Volkshcers, verwahrten sich dagegen, daß die Jahrhunderte alte Ueberlieserung der Schweiz, ihre Freiheit, Unabhängigkeit und Neutralität preisgegeben und daß die Schweiz zum Vas Ulen hcrrsch- süchtiger Großmächte gemacht werden solle. Viele Deutschschweizer grollen der Entente wegen deS Schmachfriedens von Versailles. Tie radikalen Sozialisten aber waren gegen den Völkerbund, weil er ein Bund der Kapitalisten sei; sie verlangten einen Revolutionebund in bolschewistischem Sinn. Ter Bundesprasident Motta hielt in vielen Städten des Landes Reden für den Beitritt und er suchte die bittere Pille mit der Begründung schmackhafter zu machen, daß der Schweiz keine andere Wahl bleibe. Die Schweiz werde im Völkerbund iür die Aufnahme der Mittelmächte, namentlich Oesterreichs - Mot a ist bekannt.ich kein Freund Deutschlands — bemüh: siin und sehen, ob an den harten Friedensbedingungen sich etwa-5 ändern laste: die Verbündeten haben der Schwei) die Ehre erwiesen, den Sitz des Völkerbunds nach Gens zu verlegen ußv. Die Sache ist jetzt entschieden. Das eine ist aber sicher: die alte Freiheit und Neutralität der Schweiz ist dahin.
Ter Vorstoß der Po'. >' ins südliche Rußland ist nach der Besetzung der Haup. der Ukraine, Kiew, ins Stocken geraten. Tie Bolschewisten haben ihre Snd- sront eiligst verstärkt und werden voraussichtlich die Polen zu einer Entscheidungsschlacht zwingen. Die Lage des polnischen Heeres, das unter französischer Führung stehen soll — dem Namen nach iührt der unerfahrene PilsudsEi den Oberbefehl —, kann recht gefährlich werden, zumal inzwischen die Bolschewisten an der Nord- sront, südlich der Düna, die Polen zurückgcworsen haben.