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Nr. 193.
Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.
96. Jahrgang.
Srtideinuuasweife: 6mal wöchentlich. Anzeigenpreis: Die «einspaltigeZeile 60Pfg.
itttlaimll Mt. 2.— Auf Snmmelanzeigeu kommt ein Zuschlag von — .fernlpr.9.
Bezugspreis: In der Stadl mit Lrügerlohu M preis Mk. 1S.S0 mit Bestellgeld. — Schlutz der
LU. 12.90 viertetjührlilü. Postbezugs- Anzeigenannahme S Uhr vormittags.
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Politische Wochenschau.
Die Woche ist zu Ende: viel hat sich seit der sogenannten Entscheidung de« Obersten Rats in Paris nicht ereignet, aber es kann noch k-mi-n. Me oberschlesische Frage ist nach wie vor eine ungelöste Frage — und der Völkerbund keine Antwort darauf. Erstens: die Tagung — wie geplant ist — soll frühestens am 1. September beginnen; die Entscheidung etwa um den Oktober herum fallen: bis dahin kann sich in Oberschlesien alles Mögliche und Unmögliche ereignen. Zweitens: hat der Völkerbund bisher noch keine Finge von Bedeutung ihrer Bedeutung entsprechend behandelt oder sie gor so nach der politischen Billigkeit entschieden, daß die Völker der Erde zu diesem .Bund des Rechts und der Gerechtigkeit" das «ge Vertrauen hätten. Und drittens: Deutschland ist noch nicht - auch nur vorübergehend — Mitglied dieser „Elite der Rati neu", Vas vielleicht sein größtes Glück ist. Denn fällt der Schiedsspruch zu unseren Gunsten aus, so ist es gut; wird er zu unfern Ungunsten, so sind wir wenigstens rechtlich nicht gebunden. Ein Rechtsspruch für die eine Parte! ist ein Machtspruch gegen die andere; die letzte Entscheidung, ist zu fürchten, wird trotz allem in Oberschlesien, dem schwergeprüften Land«, selbst fallen. Das Recht ist auf Deutschlands Leite, der Reichskanzler hat wieder einmal geschickt darüber md dafür gesprochen; wird eS auch der Völkerbund sein? Fast könnte mm von einem Umschwung in der Ententepolitik reden. Aber reden vir lieber nicht. Aus den „Nach"-reden Lloyd Georges und Briands zur Tagung ist zu hören, daß die Entente in Paris am Zerspringen «ar. Aus keinen Fall uns zuliebe! Aber Englands „Haltung" blieb fest und hat sich zur „Stellung" umgebildet: Lloyd Grorge nahm, der Ueberlieferung Großbritanniens entsprechend, die Führung der europäischen Politik wieder in die Hand, d. h. Briand, Frankreich, aus der Faust. Ob das so bleibt, ob er sie hält und be- W, das sind wieder Fragen für sich. Lloyd George wird seine Gründe haben; der Brite ist nie umsonst „Gentleman" und für das ,sair Play"; hinter diesen Gründen stehen wahrscheinlich große Ur- sochrn: Rußland, Japan, Amerika. England hat den Weltkrieg in ,stinem Sinne" nicht gewonnen, sondern verloren: von allen Völkern, die am Kriege teilgenommen, hat sich Deutschland auch wirtschaftlich vrrhältmsuiäßig rasch erholt; Frankreich ist die erste Militär-, Am er ik a die ersteSeemacht geworden, die engl. Dominions werden, nach Lloyd Georges eigenen Worten, von Aag zu Tag selbständiger und die irische Frage ist auch noch in drr Schwebe. — Was in Rußland vor sich geht, wissen wir nicht: «brr vielleicht wußte es Lloyd George bereits auf der Tagung in Paris. Ob der Bolschewismus bleibt oder fällt, Rußland ist Machst ein Chaos. — Der Weltgeschichte geht der Witz, und auf ftni Balkan der Zündstoff nicht aus: die alte Mutter Europa hat, i» all den andern hin, ein neues Kind erhalten: dieungarisch - likbischeRepublikBaranhaist ausgerufen worden. Wahrscheinlich auf Betreiben großpolitischer Südslaven, in dein Augenblick, da Ungarn West Ungarn an Oesterreich abtreten M. Aber nach neuem Meldungen sollen die Ungarn das ihnen zu- fthmde Gebiet schon besetzt haben und mit Jubel von der Bevölkerung empfangen worden sein. — König Peter von Serbien V Schocken. Man hat diesem Manne zu Lebzeiten so viel Nächtiges nachgesagt, daß wir heute darüber schweigen. Im Sinne sei- Volkes war Peter ein Held. Seine Pläne waren groß; di« Mit- / ^ fit«" Zwecken nicht immer einwandfrei, aber von unsem west- SUi. mitteleuropäischen Anschauungen aus können der Balkan und «me Bewohner nie gerecht beurteilt werden. — Vom kleinasia -
'ichen Kriegsschauplatz nicht viel Neues. Die Ke-
NiV i " Halbinsel Jsmid geräumt und damit ihre
«rage zunächst zugegeben. Die Griechen scheinen auf dem Marsch aufAngora zu sein. Wir haben hier keine Partei zu m/ir . deutsche Volk und die deutsche Presse haben früher vid b«i asten Welthändeln und Mnkclkriegen Partei für oder Kein Mensch hat es uns gezahlt; im Gegenteil: Welt" ^ Lohn. — Drr „Fatalismus" der islamitischen
!i<b, scheint im Lauf der Zeit den türkischen Völkern wirk-
»der zum „Fatum" zu werden. Wer — als Mensch
Sftubt m ^ ^ Geschick als ein „unentrinnbares Verhängnis"
als kkni alles, im täglichen Leben wie geschichtlichen Geschehen Miw dem werden mit der Zeit alle physischen und
das K-/" zur Aktivität ausgehen; aber der .Passivismus", tust» Dar*, E Kommenlassen der Dinge führt notwendig zum rühmen Ovt'" ^ "ach unrühmlicheren Ende. — Man sollte daher Kitteln " s derzeitiger Menschen nicht ohne weiteres be-
ia der K ^>Eeln. Wer an die Zukunft glaubt, wird stets «l,Perssm^,""Optimist sein. Und der Pessimist ist ein, überNem ^ "^ist so charakterlos wie seine Philosophie und stets Ludern r ^^arscheinung. — Das Urteil des Amerikaners wundert t, ^ I""Eet günstig und ungünstig über Deutschland. Er ^!u Gruni, ^Optimismus der derzeitigen Reichsregierer, steht aber --2 Elends ln den unerfüllbaren ReD.ara-tions-
forderungen. Möge er sich an die richtige Adresse in Paris und London und Newhork wenden. Sie steht ihm näher als uns. — Die neuen Steuerpläne erfordern jedenfalls mehr als Optimismus. Wir wollen sie heute noch nicht besprechen. In einem Volk steckt ungeheure Kraft, wenn eS leben will. Auf den politischen Willen kommt es heute bei jedem einzelnen Staatsbürger an. Aber der Deutsche war sich selten seiner Kraft bewußt. Deutsch sein, heißt, Charakter haben, hat einmal ein Deutscher gesagt.
Sie neue» Sikiiergeseg-EntniSrsik.
Berlin, IS. Aug. Die Mehrzahl der in Vorbereitung befindlichen Sleuergeietzentwürfe wird nunmehr im Wortlaut veröffentlicht, so der Entwurf eines Gesetzes betr. Erhöhung einzelner Verbrauchssteuern, der Entwurf eines Gesetzes über Erhöhung von Zöllen, über Abänderung des Kohlensteuergosetzes, eines Rennwett-Eesetzes, eines Kraftfahrzeugsteuergesetzcs, eines Versrcherungssteuergesetzrs, eines Gesetzes betr. Abänderung der Umsatzsteuergesetze, eines Gesetzes zur Aenderung des Körperschaftssteuergesetzes, eines Kapitalverkehrssteuergesetzes, eines Vermögenssteuergesetzes, eines Vermögenszuwachssteuergesetzes und eines Gesetzes über crne Abgabe vom Vermögenszuwachs aus der Nachkriegszeit. Die Steuerhöhung des erstgenannten Gesetzes bezieht sich, wie bekannt, auf Beleuchtunzsmittcl, Zündwalen, Bier, Mineralwasser und Tabak. Die Mehreinnahme wird für das Rechnungsjahr 1922 auf rund 1,4 Milliarden Papiermark berechnet. Dazu kommen die Erträgnisse des Süßstosf- Monopols, der Zuckeisteuererhöhung und des Branntweinmonopols, die auf 2 Milliarden geschätzt werden. Aus der Erhöhung der Tabaksteuer allein werden rund 300 Millionen Mark erwartet. Die Zollerhöhungen betreffen eine große Anzahl ausländischer Erzeugnisse. D'e Mehrerlräge aus Kaffee, Tee, Kakao, Gewürzen und Südfrüchten werden auf 46,6 Millionen Goldmark, die Mehrerträgnisse aus den übrigen Zollsrhöhungen auf tt'va 15 Millionen Goldmark ge'chätzt. Von der Erhöhung der Kohlensteuer erwartet man einen Mehrertrag von 4,5 Milliarden Mark (bisher 4,7 Milliarden Marks. Der Entwurf eines Rennwett-Gesetzes sieht bekanntlich eine Versteuerung auch für Buchmacher-Wetten vor. Die Mehreinnahme wird auf 150 Millionen Mark berechnet. Die neuen Steuergesetze betragen für Perionenkraftwagen 175 -1t für 10 Pfrrdekläfte, 3450 -1t bei 30 Pserdekräftcn, für jede Pferdestärke mehr ein Zuschlag von 175 ^t. Dazu kommt die Besteuerung für Lastkraftwagen mit Steuersätzen von 150 bis 2000. Der Ertrag der Steuer wird auf 55 Millionen Mark geschätzt. Der Mehrertrag aus dem Dersicherungssteuergesctz wird auf 200 Millionen Mark jährlich geschätzt. Dir Umsatzsteuer wird mehr als verdoppelt. Die Speise- und Schankwirtschaften werden in 2 Gruppen eingeteilt. Für die erste Gruppe lLuxuswirtschaft) beträgt die Umsatzsteuer 10 Prozent, für die zweite Gruppe 5 Prozent. Die Umsatzsteuer ist im Haushaltsplans für 1921 mit 4,5 Milliarden Mark eingerechnet. Es kann jedoch damit gerechnet werden, daß zwischen 6 und 7 Milliarden Mark eingehen. Dabei ist es bisher nicht voll gelungen, die großen Umsätze der Landwirtschaft restlos zu erfassen, sodaß der bisherige Ertrag noch auf 8 Milliarden Anwachsen dürfte. Dazu werden infolge der Einschränkung der Bevorzugung des Ein- und Ausfuhrhandels rund 2,5 Milliarden Mark hinzutreten. Auf dieser Basis läßt die Erhöhung der Steuer' auf 3 Prozent einen Ertrag von 21 Milliarden Mark erwarten, wozu noch eine halbe Milliarde aus der Luxussteuer treten dürfte. Das Körperschaftssteuergesetz belegt die Erwerbsgesellschaften mit einer Steuer von 30 Prozent, die übrigen steuerpflichtigen mit 10 Prozent des steuerbaren Einkommens. Dagegen soll das Dividendeneinkommen in der Hand der Besitzer insofern milder besteuert werden, als es, wenn das gesamte steuerbare Einkommen 100 000 -1t nicht übersteigt, nur mit 75 Prozent des um die Kapitalertragssteuer gekürzten Betrags in Ansatz gebracht wird, im übrigen mit 90 Prozent, wobei dieser Mehrbetrag jedoch nur insoweit zu entrichten ist, als er aus dem fünften Teile des steuerbaren Einkommens über 100 000 -1t bestritten werden kann. Die Mehrerträge aus Körperschaftssteuer und Kapitalverkehrssteuer werden auf 881,4 Millionen Mark geschätzt. Die Lcuchtmitiel- und die Zündwarensteuer sollen am 1. Oktober 1921 in Kraft treten, bei der Biersteuer die neuen Jnlandssätze am 1. April 1922, die neuen Zoll- und Einfuhrausgaben am 1. Oktober 1921, die Mineralwassersteuer am 1. April 1922, die Tabaksteuer am 1. Januar 1922, das Umsatzsteuergesetz am 1. Januar 1922. Die Vorschriften des Körperschaftssteuergesetzes sollen Anwendung finden bei der Veranlagung des Einkommens- der Geschäftsjahre, die nach dem 31: Dezember 1920 zu Ende gegangen sind. Bei den übrigen Gesetzentwürfen, die ja alle noch der Beschlußfassung im Reichsrat unt erlieg en, sind T er mine nickt angegeben.
Die oberfchlesifche Frage.
Vorarbeiten im Bölkerbundrat.
Paris, 19. Aug. Nach einer Havasmeldung ist das Mitglied deS Völkerbundsrats, Quinones de Leon, der Vertreter Spaniens, beauftragt worden, einen objektiven Tatsachenbestand zur Informierung der Mitglieder des Völkerbundsrats vorzulegen.
Paris, 19. Aug. Nach einer HavaSmeldung hat Jshii, der derzeitige Präsident des Völkerbundsrats, Quinones de Leon, den Vertreter Spaniens beim Völkerbundsrat, ersucht, das Amt des Bericht- erstatterts bei der außerordentlichen Sitzung des Völkerbundsrais, die für den 29. August nach Genf einberufen ist, anzunehmen.
Schnelle Entscheidung des Bölkerbundrats?
Paris, 19. Aug. Der „Matin" glaubt zu wissen, daß der Völkerbundsrat entschlossen sei, in der oberschlesischen Frage schnell zu entscheiden. Es sei wahrscheinlich, daß er keinerlei weitere Untersuchungen vornehmen wolle, sondern seine Beschlüsse auf Grund der Dokumente, die ihm der Oberste Rat übermitteln wird, fassen werde. Der Völkerbundsrat werde nur über das Gebiet, das zwischen der Briand- und der Lloyd George-Linie liege, zu urteilen haben.
Berichterstattung des polnischen Gesandten.
Paris, 19. Aug. Nach einer Blättermeldung aus Warschau ist der polnische Gesandte in Paris, Graf Zamoyski, in Warschau angekommen und hat dem Ministerrat einen ausführlichen Bericht über den Stand der oberschlestschen Angelegenheit erstattet.
Am die Truppenverstlirkungen.
Paris, 20. Aug. Wie der „Temps" meldet, scheinen sich die alliierten Regiemngen darüber einig zu sein, wie viele Truppenverstärkungen sie nach Oberschlesien schicken. Großbritannien und Italien würden je 2 Bataillone, Frankreich 1 Brigade entsenden. Es bleibe nur noch das Datum für den Abtransport festzusetzen.
Freigabe der deutschen Gefangenen.
Berlin, 19. Aug. Wie die „Voss. Zig." aus Breslau meldet, werden die von den Polen noch in Lagern jenseits der Grenze festgehaltenen 250 deutschgestnnten Oberschlesier durch Vermittlung der Interalliierten Kommission in den nächsten Tagen freigegeben werden. Ein Transport von 50 Mann passierte bereits am Donnerstag nachmittag die Grenze bei Myslowitz.
Die wirtschaftlichen Wirkungen der polnischen Besetzung.
Berlin, 19. Aug. Nach einem Bericht des Reichsverbands der deutschen Industrie, der das katastrophale Wirken der Polen auf den in polnischer Hand gegebenen Gruben beleuchtet, zeigte die Aprilförderung in Oberschleflen mit 2925420 Tonnen noch eine erfreuliche Aufwärtsbewegung gegenüber 2 581 702 Tonnen im April 1920. Die Maiförderung brachte einen jähen Sturz'auf 977 306 Tonnen gegenüber 2 843 407 Tonnen im Jahre 1913 und 2 247 471 Tonnen im Jahre 1920. Im Juli, ist nach vorläufiger Ermittlung wieder eine Tonnenziffer von 2 074 123 Tonnen erreicht worden. Nach dem Bericht schalteten die Polen^ie deutschen Oberbeamten und die deutschen Betriebsräte aus. Die polnischen Betriebsräte waren aber nicht einmal in der Lage, für die notwendigen Jnstandsetzungsarbeiten Sorge zu tragen. Einzelne Grubenstrecken befinden sich noch unter Wasser.
Zur auswärtigen Lage.
Gin Streitfall zwischen England und Amerika.
London, 19. Aug. Aus Washington wird gemeldet: Die britische Regierung hat im Zusammenhang mit der 12 Meilen von der Lang Island-Küste entfernt erfolgten Beschlagnahme des britischen Dampfers Henry Marshal, der eine Ladung Branntwein an Bord gehabt haben soll, formell mitgeteilt, daß sie die Rechtsgewalt der Wereinigten Staaten über die hohe See außerhalb der vom Völkerrecht bestimmten Dreimeilenzone nicht anerkennen könne. Man erwartet jedoch, daß die britischen Behörden das Ergebnis der Gerichtsverhandlung und die endgültige Bestätigung der Registrierung des Schiffes abwarten werden, bevor ein Schritt unternommen wird.
Die irische Frage.
London, 19. Aug. In Dublin ist gestern abend bekanntgegeben worden, daß das Sinn Femer-Parlament dir Antwort auf die Vorschläge der britischen Regierung am Montag in geheimer Sitzung erörtern wird.
London, 19. Aug. Im Unterhaus erklärte Lloyd George bei Einbringung deS Vertagungsantrags, falls die Bedingungen der Regierung von Irland angenommen würden, würden Verhandlungen folgen. Die Ergebnisse würden dann in einem dem Parlament zu unterbreitenden Gesetze niedergelegt werden. Im andern Fall werde die Regierung genötigt sein, nach Befragung des Parlaments Schritte zu ergreifen. Lloyd George schloß mit der Aufforderung an di« Sinn Feiner, lieber die Bedingungen anzunehmen, als neuen Streit SU, entfachen.