Nr. 137.

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

SS. Jahrgang

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Tvnnerstag, 16. Juni 1921.

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Zur Lage

Dis Entwicklung der Ereignisse in Oberschlesien deutet aus eins Zuspitzung des Konflikts hin. Es ist offensichtlich, daß di, Entente trotz aller Versprechungen nicht geneigt ist, gegen die polnischen Ausrührer vorzugehen, und daß sie nur das Be­streben zeigt, die tatsächlichen Verhältnisse zu verschleiern und Deutschland, wenn'möglich, auch noch ins Unrecht zu setzen. Wir haben anlässlich derberühmten" Polenrede des englischen Ministerpräsidenten sofort darauf hingewiejcn, daß es diesem schlauen Fuchs nicht im geringsten darum zu tun sei, dem deutschen Volke in der obcrschlcsischen Frage Gerechtigkeit wider­fahren zu lassen, sondern daß man in London nur nicht den assenen brutalen Rechtsbruch wünschte, wie ihn Franzosen und Polen auszusührcn beabsichtigten. Das Prinzip der englischen Politik besteht darin, durch raffinierte Machenschaften den kegner in eine Lage hineinzudrängen, in der ihn der Selbst­erhaltungstrieb zwingt, in irgend einer Form einen Vorstoß gegen irgend einen Vertrag oder ein noch so dunkles Recht anderer begehen. Um sich den Anschein der Gerechtigkeit zu geben, hat England denn auch im Hinblick auf die zunehmenden Gewalttaten der polnischen Ausrührer, die sich zu einem Skan­dal in bezug auf das Benehmen der Ententekommission aus­wuchsen, eine größere Anzahl Truppen nach Oberschlesien ge­schickt, Wer aber geglaubt hatte, daß nun diese Truppen gegen die Ausrührer Vorgehen würden, der hat dis englische Politik immer noch nicht erkannt. Es mar den Engländern nur um eine moralische Geste nach außen hin zu tun. Nach diesen! Hel­denstück haben sie sich, wie vorauszusehen war, sofort wieder mit den Franzosenversöhnt", und auch gleich den Punkt hcr- ausgefunden, von dem aus die Pressionen gegen die Deutschen einsetzen konnten. Man sagte, jetzt werden die Entente-, bzw. die englischen Truppen eine sog. Säubcrungsaktion vornehmen, aber zuerst muß der deutsche Selbstschutz aufgelöst werden. Diese Forderung stellt neben dem Wilsonfrieden die größte Versöhnung jedes Moral- und Rechtsgefühls dar, derzn der deutsche Selbstschutz war doch nur gebildet worden, weil trotz aller Versprechungen die Ententetruppen die deutsche Bevölke­rung in keiner Weise gegen die Raub- und Mordtaten der polnischen Aufrührer geschützt haben. Der deutsche Selbstschutz leimte sich also nicht mehr auf bloße Versprechungen verlassen, und deshalb ist es eine unerhörte Gemeinheit seitens der En­tente, die Auslösung desselben zu fordern, ehe sie gegen die Ausrührer vorgeht, für deren Schandtaten sie die volle Verant­wortung trägt. Es wird der größten diplomatischen Geschick- Weit der deutschen Regierung bedürfen, um den raffinierten Machenschaften, wie sie jetzt in Szene gesetzt werden, zu be- Ugnen. Die neueste Note der deutschen Regierung scheint darauf berechnet zu fein, die teuflischen Verschleierungsmanöver zu durchkreuzen, indem sie darauf hinweist, daß die Alliierten kein Recht haben, zuerst die Auflösung des deutschen Selbstschutzes i» verlangen, nachdem sie durch ihr passives Verhalten den Ausstand direkt begünstigt hpben. Das ist der Standpunkt, den ^ gegenüber jeder Verschleierungsaktion seitens der Entente immer wieder zu betonen haben. Wir wollen die Wiederher- hellung des Rechtszustandes narb dem Friede -Vertrag, und l-- ^ichnen jede Handlung, die darauf ausgcht, uns von die-' Münz abzudrängen, als Rechtsbruch.

Die Entwicklung der Dinge in Oberschlesien ist aber nicht "la Einzeloorgang zu betrachte», sie steht u. E. in engstem Zusammenhang mit der außenpolitischen Lage. Bekanntlich benscht seit Wochen, wie aus dem englischen Pressemeldungen "u d-r Erörterungen im Unterhaus deutlich erkennbar ist, in Mon eine starke Nervosität über die Vorgänge im Orient, milchig hg; die Lage als sehr ernst bezeichnet. Der Ernst der l Uation besteht nun nicht etwa darin, daß die türkischen Na- ^ualisten sich die Ententeherrschast nicht gefallen lassen, son- ru in der allerdings unausgesprochenen Befürchtung der Aus- ^ türkischen Widerstandes aus ganz Mittelasien, wo- auch Indien in den Gefahrenbereich gezogen wird. ^ schwerste Gefahr für die- Ententeherrschaft wird aber in .^"^blichen Zusammenarbeiten vom Türken und Bol- -E'E, welch letztere übrigens eine gewaltige Pro- ganzen Orient entfalten. BruMow, der bekannte I°Il mit ^ alle Negierungssysteme überdauert hat,

At d fotzen Heere nach Kleinasien gezogen sein, um

Sroüe?a- . zusammenzuarbeiten. Deshalb ist jetzt ein stmme ^ englischen Flotte im mittelländischen Meer zu- eventuell die vollständige Vereinigung der «wißen und Türken und einen Angriff derfelben auf den

Balkan von den Meerengen aus zu verhindern, von wo aus der europäische Krieg wieder entfacht werden könnte. Das sind die Kombinationen der Entente, deshalb rüstet Frankreich so fieber­haft. deshalb werden die engeren militärischen Bündnisse inner­halb der Wesimächte geschlossen, deshalb schließt sich auch die Kleine Entente" so eng zusammen, und deshalb wird letzten Endes Deutschland unter dauernden! Druck gehalten. Be­kanntlich ist auch das polnische Heer aus dem Grunde mobili­siert, weil man mit einem bolschewistischen Angriffe rechnet. Die nächste Zukunft schon wird zeigen müssen, ob das Oricnt- problem und damit die ganze asiatische Frage einer gewalt­samen Lösung entgegengesührt r^rden soll, oder ob die Diplo­maten der Entente nocheinmal siegen. O. 8.

Die oberschlefifche Feage.

Bauernd ernste Lage.

Berlin, 16. Juni. Wie derVorwärts" aus Oppeln meldet, fin­den heute Verhandlungen zwischen dem britischen Bevollmächtigten bei der Interalliierten Kommission, Siuart, und dem Vertreter der deutschen Parteien, Pfarrer Ulitzka, in der Raumungsfrage statt.

Der von den Insurgenten verschleppte sozialdemokratische Reichs­tagsabgeordnete Blas ist nach einer Meldung desVorwärts" nach dreitägiger Hast wieder frcigelassen worden.

Räch einer Meldung desBerliner Tageblatts" aus Veuthen liegen dort Nachrichten aus den Landgemeinden vor, die besagen, daß die nationalistische Jnsurgentenbswegung immer mehr in bolsche­wistisches Fahrwasser geht. Sogar Korfanth trägt diesem Umstand Rechnung und erklärt in seinem BlattWegweiser", daß der Ausstand nicht wir national. sonder» auch politisch revolutionären .Charakter trage. Der Kamps gelte vornehmlich den preußischen Großindustriel­len, den Großagrariern und den Verwaltungsbehörden.

Nach einer weiteren Meldung desBerliner Tageblatts" fanden in Beuthen Kämpfe zwischen eindringendcn Insurgenten und Selbst­schutz stat. Die Insurgenten verloren Tote und Verwundete. Durch Handgranaten wurde bedeutender Sachschaden angerichtet.

Berlin, 14. Juni. DerBerliner Lokalanzeiger" berichtet, daß der Prokurist der Chorzower Stickstoffwelke, Jäger, am 6. 6. von pol­nischen Banditen verschleppt, ermordet, seines Bargeldes beraubt und dann verscharrt worden ist. Nach einer Meldung desBerliner Lokalanzeigers" aus Beuthen wurde der sozialdemokratische Reichs- tagsabgeordncte Bias in dem Benthener Vorort Roßberg von pol­nischen Banditen festgenomnicn und mit noch zwei anderen deutschen Einwohnern fortgcschleppt. Diese Verhaftungen sollen als Repressalie wegen Belästigung polnischer Bürger in Beuthen erfolgt sein.

Oppeln, 15. Juni. Nach Verhandlungen, die heute nachmittag stattgefunden haben, stellte General Höfer dem General Henniker die Ortschaften östlich der Linie, 1,3 Kilometer nordwestlich Dollna AnnabofWestrand LichiniaOstrand Kuschnitza zur Unterbringung englischer Trnpepn für die Sänberungsaktion zur Verfügung. Die Kampstätigksit der polnischen Insurgenten hat wesentlich nachgelassen. Im Kreise Rosenberg griffen polnische Banden eine Höhe bei Jastrzi- gowitz ohne Erfolg an. Kleinere Vorstöße in der Gegend Pruskau Zembowih scheiterten ebncfalls.' Der Bahnhof und die Eisenbahn- hauptwerkstätte in Gleiwitz wurde gestern früh von Matthcsdorf durch einen polnischen Panzcrzug der mit 200 Insurgenten besetzt war, an­gegriffen. Der örtliche Selbstschutz in Gleiwitz umzingelte die Insur­genten und nahm 69 Mann gefangen. Die Insurgenten wurden den italienischen Truppen übergeben. Im Kreise Raiibor schwache Kampf- iät-.gkcit der Polen bei Zawada und Schimischow. Die Insurgenten haben ihre Rückwärtsbewegung gegenüber der Stadt Ratibor weitet fortgesetzt, jedoch sind hier wie auch im nördlichen Teile des Kreises Groß-Strehlitz polnische Banden zurückgeblieben, die in den ge­räumten Ortschaften ihr Unwesen treiben. Es ist festgcstellt, daß die Insurgenten in Waldstücken westlich Ratibor große Mengen Waffen vergraben haben.

Berlin, 15. Juni. Nach einer Bekanntmachung des Oppelner Aerztevereins ist der Arzt Dr. Frand in der Nacht zum 11. Juni von einem Mitglied der französischen Mission ohne ausreichenden Grund verhaftet, beschimpft und auf einer sranzösischen Wache in Gegenwart eines französischen Offiziers schwer mißhandelt worden. Infolge dieses Vorfalls erklären die Oppelner Aerzte, daß sie den Mitgliedern der Ententekommission jede ärztliche Hilfe solange verweigern, bis eine ausreichende Genugtuung gegeben wird.

Grauenhafte Mordtat der Aufrührer.

Myslowitz, 15. Juni. In der Nacht zum 7. Juni ist hier einer der angesehensten Bürger, der Buchdruckereibcsitzer Rolle, von den polnischen Insurgenten grausam ermordert worden. Er wurde auf grundlose Verdächtigungen zweier polnischer Mädchen hin mit seinem Faktor Kott nach dem Ewald-Schacht, einer als Prügelsta­tton und Folterkammer bekannten Stelle, geschleppt. Wäh­rend cs Kott gelang^ mit dem Leben davonzukommen, erlag Rolle den

furchtbaren Mißhandlungen und Martern, denen er während der Nacht ansgesetzt war. Seine Leiche fand man am 7. Juni in einem Tümpel in der Nähe der Mordstelle, wohiy^fic noch in der Mordnacht verschleppt worden war. Tie von verschiedenen Seiten während des Nachmittags angestellte Bemühung, den Bür­germeister Dr. Radwaisaky und den polnischen Stadtkommandanten Blacha zur Rettung Rollcs zu veranlassen, blieb erfolglos. Erst am 9. Juni fuhr der Bürgermeister mit.dem Sohn des Ermordeten nach Schoppinitz, wo man den Fallzur Kenntnis" gab. Bei dieser Kundgebung hatte es sein Bewenden.

Heuchlerische Boxstellungen der Entente in Berlin.

Berlin, 15. Juni. Der französische Botschaft!! und der englische Geschäftsträger haben heute abend die bereits in der Presse aus Paris angekündigten Vorstellungen bei dem Neichsminister des Aus­wärtigen gemacht. Im Laufe der Besprechungen versuchten sic, die Verantwortung für die kritische Lage, die durch das Scheitern den Verhandlungen zwischen der Jitteralliierten Kommission und den ZwölferauSschuß iu Oberschlesten zeitweilig geschaffen war, dem Selbstschutz zuzuschiebcn. Diesen Ausführungen trat der Reichs­minister Dr. R o s en mit Nachdruck entgegen. Er teilte dem franzö­sischen Botschafter und deni englischen Geschäftsträger, die einzeln bei ihm vorsprachen, bei diesem Anlaß mit, daß eine Note an die alliierten Regierungen abgegangen sei, in der die unerträgliche Lage in Oberschlesten geschildert ist und erneut das Verlangen an diese Re­gierungen gerichtet wird, Oberschlcsieir von den Insurgenten zu säu­bern. Inzwischen scheint sich eine Verständigung der interalliierten Truppenführcr mit dem General Höfer anzubahnen.

Erneuter scharfer Protest der deutschen Regierung wegen der Untätigkeit der Alliierten.

Berlin, 15. Juni. Aach PariS, London und Rom ist heute folgende Note abgegangen:

Seit sechs Wochen hat Korfanth die Macht nahezu im gesamte» Oberschlesten an sich gerissen und hat in den von seinen Banden be­setzten Gebieten tatsächlich alle Befugnisse der Interalliierten Kom­mission übernommen. Sechs Wochen erduldet die oberschlestschc Be- vökerung die ungeheuren Leiden, welche dieser Rechtsbruch über alle Teile des Landes heraufbeschworeu hat. Die Verluste an Menschen­leben sind groß. Die Aufständischen häufen Greuel auf Greuek. Hunderte von friedlichen Bürgern sind verschleppt. Ueber ihr Schick­sal rst nichts bekannt. Historische Bauten wie die Schlösser von Schimischow und Stubendorf, von Zcubowitz und Kalinow und viele andere sind dem Vandalismus der Insurgenten zum Opfer gefallen. Den Bauern und Gutsbesitzern sind Pferde und Vieh weggetrieben, die Gebäude und Geräte zerstört. Die Einbringung der Ernte ist bereits jetzt in vielen Gegenden unmöglich. Nicht minder traurig liegen die Verhältnisse bei der Industrie. Auch der Verkehr steht nahezu überall füll. Der Bolschewismus findet in diesem verwüste­ten Land einen günstigen Boden und breitet sich in erschreckender Weise aus. Blutenden Herzens, aber mit gefesselten Händen soll das deutsche Volk zusehe», wie unter den Augen der Interalliierten Kom­mission, der die Verwaltung des Landes zu treuen Händen über­geben war, seine Volksgenossen brutalster Gewalt ausgcliefert und die Früchte deutschen Fleißes und deutscher Wirtschaft der Vernichtung preisgegeben werden. Sechs Wochen polnischen Terrors sind über unsere Volksgenossen hingegangen, ohne daß die Interalliierte Kom­mission die geeigneten Mittel gefunden hätte, die allein eine Nieder­werfung des Aufstandes ermöglichen. Seit Ende Mai sind erheb­liche Truppenverstärkungen der Entente mit reichlichem Kriegsmate­rial in Oberschlesten eingetroffen. Mit geringen Ausnahnien und abgesehen von den großen Städten, die noch in der Hand der Deut­schen sind, ist jedoch das gesamte Aufstandsgebiet nach wie vor im Besitz der Insurgenten geblieben, welche dort unumschränkt herrschen. Die Grenze nach Polen ist offen. Von dort kommt dauernd Zuzug an Kämpfern, darunter eine erhebliche Anzahl regulären polnische» Militärs. Von dort werden Waffen und Munition aller Art her­übergeschafft. Beweise für diese Tatsachen werden den alliierten Regierungen besonders übergeben. Wenn aber alliierte Truppen bei ihrem Vorgehen die Ortschaften besetzten, konnten die Insurgenten vorher, wie z. B. in Rosenberg, unbehelligt mit Waffen und Muni­tion, sowie unter Mitnahme alles geraubten Gutes abziehen und ihren fanatischen Haß auf dem Rückzug an den unschuldigen Ein­wohnern freien Lauf lassen. Haben aber interalliierte Truppen ein Gebiet durchzogen, so tauchen in ihrem Rücken alsbald die polnischen Banden wieder auf und treiben in gleichem Maße ihr Unwesen wie vorher. Eine Befriedung ist nirgends zu verzeichnen. Längs der ganzen Front sind die Ortschaften, wie z. B. Kostellwitz, Frei-Pipal, Schemrowitz, Waldhäuser, Hohenbirken, Bukau, welche vorübergehend von den Polen geräumt worden waren, erneut von den Banden be­setzt und schwer heimgesucht worden. Die oberschlesische Bevölkerung und mit ihr das gesamte deutsche Volk haben mit einer Selbstbeherr­schung, die von der gesamten Well als bewunderSwert anerkannt wird, bisher die Ruhe bewahrt. Der oberschlesische Selbstschutz hat