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Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

96. Jahrgang.

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Dienstag, 14. Juni 1921.

Bezugspreis: In der Stadt mit Trägerlohn Mk. 12.90 vicrteljährlick. PostbejUgS- preis Mk. 12.00 mit Bestellgeld. Schluß oer Anzeigenannahme S Uhr vormittag-.

«Wßmg in der WiedermsdgiisrW?

Die Aussprache zwischen Rathenau «nd Loncheur.

Berlin, 13. Juni. Ter Minister für Wiederaufbau, Dr, Ratheuau, hat sich nach Wiesbaden begeben um mit dem französischen Minister für die befreiten Gebiete, Loncheur, zu zweitägigen Besprechungen zusalNMnzuireffen. Gestern wurde die Frage der internationalen Wirtschaftslage im Zusammenhang mit dem Wiedergutmachungs- Problem in fünfstündiger Aussprache der beiden Minister erörtert. ES kamen dabei die Fragen der Sachleistung. Arbeitsleistung und die Finanzierung zur Sprache. Heute soll eine Reihe von Eiuzelfragen erörtert werden. Ucbereinstimniung herrschte in dem Bestreben, dl« Aufgabe dcS Wiederaufbaus der zerstörten Geriete in großem Aus­maße und in verstärktem Tempo zu fördern.

Berlin, 1t. Juni. Nach einer Meldung derVoss. Zeitung" aus Wiesbaden hat der Wiederaufbauminister Rathenau nach seiner Konferenz mit dem französischen Minister Loncheur gestern nachmittag Wiesbaden wieder verlassen, um nach Berlin zurück- zukehren. Wie dieVoss. Zeitung" aus Paris meldet, kündigte Laucheur gestern abend in einem Telcphongespräch an, daß die Varschlüge Rathcnaus einen genauen Plan über den gesamten Wiederaufbau der zerstörten Gebiete enthielten unter voller Berücksichtigung der französischen Gegenvorschläge und daß die Vorschläge Rathcnaus für die französische Regierung annehm­bar feien. Louchcur ist gestern abend von Wiesbaden nach Paris abgereist und wird heute nachmittag die deutschen Vor­schläge dem Ministerpräsidenten Briand unterbreiten.

Fortdauer des polnischen Terrors.

Berlin, 14. Juni. Wie mehrere Blätter melden, sind in Hmdenburg Züge mit kongreß-polnischem Militär in Zivil ein- getroffen. Auch aus Beuthen und anderen Orten wird die Durchfahrt von kongreßpolnifchen Truppen gemeldet. Nach einer Meldung desBerliner Tageblatts" erließ Korfanty einen Ausruf zu einer einmaligen Abgabe von Grundstücken, Woh­nungen und gewerblichen Betrieben, sowie von Vermögen und Verdienst zur Unterstützung der insurgcntifchen Streitmacht. KorfantysObcrschlesischer Wegweiser" enthält, obwohl das Blatt unter interalliierter Zensur steht, eine Verfügung über bteuererhebung durch den Vollzugsausschuß der Jnsurgentent. Der oberschlesrfche Berichterstatter desVorwärts" stellte auf einer Besichtigungsreise durch Oppeln, Löfchwitz, Slnwenizitz, Kandrzin und Kofel vandalisches Treiben und unzählige Terror­akte der polnischen Insurgenten gegen die deutschen Bewohner Ich. Die Polen haben in dem Gebiet sämtliche Brücken und biege gesprengt. Dis Domänen und privaten Güter wurden des Viehs und der Pferde beraubt. Viele Wohnungen von Ge­flüchteten wurden zerstört, das Mobiliar vernichtet. Gefangene Celbstschutzleute und deutsche Abstimmungsleiter wurden bestia­lisch mißhandelt.

Ratibor, 18. Juni. Gestern nachmittag 6 Uhr wurde den Insurgenten ein neues Ultimatum gestellt, falls noch einmal Ratibor von ihnen sei es durch Artillerie, sei es durch Ma­schinengewehr- oder Jnsanteriefcuer beschallen werden sollte, »erde die italienische Artillerie ihre Stellungen unwiderruflich wit Feuer belegen Nach einer hier vorliegenden Meldung wurde festgestellt, daß als Verstärkungen für die Polen in der Eegend von Groß-Strehlitz Truppen aus Posen im Anmarsch sind. Bisher wurden vier Kompagnien festgestellt.

Lppelir, 18. Juni. Amtlich wird gemeldet: Im Nordabschnitt W der Gegner verschiedentlich mit starken Kräften an, ohne sich an das von Seiten des Selbstschutzes in vollein Umfang befolgte Ab­kommen über die beiderseitige Linie zu halten. Das von General Hknniker zugesagte Eingreifen englischer Truppen bei polnischen Os- stnswmaßnahmenä ist trotz mehrmaliger Benachrichtigung durch den Eclbstschutz von derartigen Aktionen »och nicht erfolgt. Die Polen Atzten nach Kampf mit Apo Wyssoke. Nachdem gestern zwischen Wichow und Wachowitz ein mit starken polnischen Kräften untcrnom- wener Angriff gescheitert war, Humten heute die Abteilungen des klbstschutzeZ Wachowitz vereinbarungsgemäß und gingen auf Wa-' WM zurück, während die Insurgenten entgegen dem Abkommen in achowitz sich fesffetzten. Gestern scheiterte cm heftiger polnischer ^ ^fkna, das im Gegenstoß vom Selbstschutz besetzt wurde, "ch heftigen polnischen Vorstößen zwischen Zembowitz und Pruskau, k che abgewiescn wurden, besetzten die Insurgenten die von ihnen . ö'-r ^ungzgemäß gdrimmten Ortschaften Skemrowitz, Frei-Pipa g,, ""i-Kadlub wieder und hoben Schützengräben aus. Zembowitz ^ wiederholten Kämpfe schwer beschädigt. Nördlich Groß- w sind erneut starke Jnsurgentenkräfte fcstgestellk. die sich in

keiner Weise an das getroffene Abkoimnen halten. Neben je einem Zug Engländer und Franzosen befinden sich in Birawa zwei Kom­pagnien Polen. Nachdem gestern in der Nacht und heute im ganzen Abschnitt Rattbor lebhaft geschossen worden war, gingen heute gegen Abend auf ein Ultimatum des Generals Gratier die Insurgenten gegenüber Ratibor zurück.

Kattowitz, 13. Juni. In der letzten Nacht gab es wieder schwere Schießereien. Bewaffnete Insurgenten drangen wiederholt bis zum Blücherplatz und von der Ferdinandgrubc her bis in die Friedrich­straße über die Rawa vor. Sie führten Maschinengewehre mit sich, mit denen sie verschiedene Straßen mit heftigem Feuer bestreuten. Aus dem Landkreise Kattwitz wird gemeldet, daß verschiedentlich die Insurgenten von der Front.heimkehren. Viele von ihnen führen Beutestücke" mit sich. Ueber die Kampshairdlungen schweigen sie sich vollständig aus, nur soviel hört man heraus, daß an der Front nicht mehr alles stimmt, weil angeblich jeder macht, was er will. In den Landgemeinden dauern die Zwangsaushebungen fort, doch steht fest, daß sich viele Personen ernstlich bemühen, nicht zum Frontdienst herangezogcn zu werden. Sie äußern, man solle doch das arbeit- schene Gesindel in die Kampftinie stecken. Die Gemeindevertreter von Bogutschütz hielten gestern eins außerordentliche Sitzung ab, in der beschlossen wurde, daß alle Lehrer und Beamte, die nicht inner­halb einer bestimmten Frist von wenigen Tagen auf ihren Posten zu- rückkchren, ihre Entlassung bekommen.

Schoppinitz, 13. Juni. Ein Aufruf Kvrfantys wünscht eine gründliche Aenderung in der Zusammensetzung der Jnsurgcnten- armee. Alle diejenigen, die zur oberschlesischcn Miliz übertreten wol­len, müssen im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte sein. Zuchthäusler und solche Personen, gegen die ein Strafverfahren schwebt, sollen nicht ausgenommen werden. Auch ist es verboten, daß Deutsche der Miliz angchöre».

Beuthen, 13. Juni. Die Insurgenten nützen jede Gelegenheit aus, um ihre Kriegskasse aufzufüllcn. Zu diesem Zweck sind in der letzten Zeit die von ihnen ausgestellten Ausweise für un­gültig erklärt worden. Neue Ausweise werden von den ein­zelnen Ausgabestellen nur gegen Zahlung von ganz willkürlich iestgesetzten Beträgen ausgehändigt. Weitere Einnahmen ver­schaffen sich die Insurgenten durch die sogenannte Ablösung. In vielen Orten werden deutsche Männer ohne Rücksicht auf Stand und Alter zür Bewachung von Verkchrseinrichtungen, Industrie­anlagen, Depots usw. herangezogen. Von diesem Dienst können sich die Deutschen durch Zahlung eines Lösegelds, das in vielen Füllen bis zu 1090tt beträgt, loskaufen. Neuerdings wird von den polnischen Betriebsräten der oberschlcsischen Werke «ine zwangsweise Abgabe von Bruchteilen der Beamtengehälter und Arbeiterlöhne gefordert, und zwar soll den Beamten ein Drei­ßigstel des Monatsgehalts, den Arbeitern der Lohn für eine der im Monat verfahrenen Schichten einbchalten werden. Ein An­schlag auf der Heimtz-Erube in Beuthen gibt bekannt, daß die männlichen Arbeiter einmalig 40 und die weiblichen 20 bezahlen müssen. Die Erbitterung unter der Arbeiterschaft über diese willkürliche Maßnahme ist sehr groß. In einzelnen Betrieben ist die Verfügung deshalb bereits rückgängig gemacht worden.

Eleiwitz, 13. Juni. Seit Beginn des Ausstands bis anfangs dieses Monats haben die Aufständischen Kohlen im Werte von etwa neun Millionen Mark aus den staatlichen Grube» über die obcrschlesijchc Grenze gebracht. Die der polnischen Regierung sofort überreichte erste Rechnung in Höhe von drei Millionen Mark ist von Korfanty mit deutscher Reichsmark bezahlt wor­den. Die Kohlenlieferungen nach Polen haben seither unver­ändert ihren Fortgang genommen, ohne daß man sich um das entgegenstehende Verbot der Kohlenoerteilungsstelle der Inter­alliierten Kommission in Eleiwitz irgendwie gekümmert hätte. Eine weitere Bezahlung oder Zahlungsanweisung ist seither nicht mehr erfolgt. Aus privaten Grubenbetrieben wird ohne Bezahlung die Kohle genommen.

Beuthen, 12. Juni. Auf der Deutschland-Grube in Schwien- tochlowitz sollte gestern auf Verlangen der Insurgenten den Ar­beitern je eine der im letzten Monat verfahrenen Schichten vom Lohn abgezogen werden. Da die Arbeiterschaft uneinig war und sich eine Mehrheit sür das Verlangen nicht ergab, verfügte der Ortskommandant kurzerhand den Abzug der einen Schicht. In Bismarckhütte ist eine Bekanntmachung des Ortskommandanten angeschlagen, nach der jedes Fenster, das zur Straße hinaus geht,zum feierlichen Empfang der Kommission" mit Flaggen in polnischen Farben und mit polnischen Abzeichen (Wappen usw.) geschmückt werden muß. Schwere Strafe wird jedem angedroht, der gegen diese Anordnung verstößt. Heute früh wurden zwischen der Eleiwitzer Straße «nd der Rofengasse von

Franzosen Haussuchungen oorgenommen. Ein HilfswachHwistcr und etwa acht bis zehn Deutsche wurden verhaftet. Ueber den Grund der Verhaftungen ist noch nichts Bestimmtes bekannt.

Der Lisenbahnangestellte Nowack, der den polnischen Mini­sterpräsidenten vor mehreren Monaten in Kottbus durch Hand­kuß begrüßt hatte, wurde von der Fachgewerkschaft der Eisen­bahnweichensteller wegen seiner vaterlandslosen Haltung scharf gebrandmarkt und aus der Fackgcrocrkschaft ausgeschlossen.

Französischer Angriff auf deutschen Selbstschutz.

Berlin, 13. Juni. Nach einer Meldung desDeutschen Abend­blattes auS Oppeln sollen französische Jugcrabteilungen in der Gegend von Alt-Kosel gegen deutschen Selbstschutz vorgcgangen sein. Es soll zu Vorpostengefechten gekommen sein, bei denen aus beiden Seiten einige Verluste zu verzeichnen gewesen seien.

Die Franzosen verhindern das englische Vorgehen gegen die Ausrührer.

Berlin, 13. Juni. Nach einer Meldung desLokalanzeigers" aus Oppeln versucht der Oberbefehlshaber der interalliierten Truppen, Gratier, den englischen Vormarsch gegen die Polen dadurch zu verhindern, daß er die Engländer in kleinere Trupps verzettelt und so altionsunsähig macht. Nach einer weiteren Meldung des Blattes ist das Hauptquartier Korfantys in stän­diger Fühlung mit Warschau. Der Eeneralstab Korfantys be­steht, wie das Blatt feststellt, aus 2V französischen Offizieren in Zivil.

Bemühungen der polnischen Regierung bei der Entente.

London, 13. Juni.Evening Standart" erfährt aus >...g- lischer Quelle, daß die polnische Regierung beschlossen habe, ... e- legierte nach London, Paris und Rom zu entsenden, um d.r französischen, englischen und italienischen Regierung den Stand­punkt der polnischen Regierung in der oberschlesischen Frag« darzulegen.

Zur auswärtigen Lage.

Der türkisch-griechische Krieg.

Lrnd-n, 13. Juni. DieTimes" melden aus Smyrna vom 12. Juni, die Ankunft des Königs Konstantin auf dem Kriegsschiff Lemnos", das von einer Flottille Zerstörer begleitet war. Mit dem König trafen der Kronprinz, die Prinzen Alexander und Nikolaus, Ministerpräsident Gunaris und der Kriegsministcr ein. Der König begab sich sofort an die Front. Die griechischen Streitkräfte betragen, lautTimes" 160 000 Mann.

London, 13. Juni.Daily Chronicle" schreibt in einem Leit­artikel, wenn es sich in dem Streit zwischen Griechenland und der Türkei um einen Streifen Landes hinter Smyrna handeln würde, dann könnte man Griechenland und die Türkei ihren Streit mitein­ander ausscchten lassen. England wolle sicher keinen Krieg, obgleich es, koste es was cs wolle, bereit sein müßte, dis Kontrolle > Meer­engen durch die Alliierten zu schützen.

Englisch-französische Verständigung

mit den türkischen Nationalisten?

London, 14. Juni. Der Berichterstatter desManchester Guardian" erfährt von maßgebender Seite, daß die französische Regierung mit der Angora-Regierung zu einem Uebereinkommen in Wirtschafts- und Finanzfragcn gelangt sei, was eine un­mittelbare Auswirkung auf die Beziehungen zwischen den Kc- malistcn und der britischen Regierung haben werde.

England und die Orientfrage.

London, 13. Juni. Lhamberlain teilte im Unterhaus mit, daß die Konferenz der Ersten Minister auf die nächste Woche verschoben worden sei, da Lloyd George von seinem Arzt unter­sagt worden sei, sich vorher den Amtsgeschästen zu widmen. Weiter erklärte Lhamberlain, die britische Regierung habe noch nicht die Hoffnung aufgegeben, den Frieden zwischen den Grie­chen und Türken zustande zu bringen. Sie werde keine Ge­legenheit sür diesen Zweck vorübcrgehen lassen. Die britische Regierung beobachte mit Bezug auf den Kriegszustand zwischen den griechischen und den türkisch-nationalistischen Sir>'' ' len Neutralität.

Die amerikanische Außenpolitik.

London, 13. Juni. Der Sonderberichterstatter derMorning Post" in Washington meldet, die amerikanische Regierung habe nicht die Absicht, sich an einem europäischen Bündnis zu beteiligen, sei es mit England oder mit Frankreich, und von ihrer augenblicklichen Politik des Nichteinmischens in die europäischen Angelegenheiten abzuweichen. Trotz dieser Politik des Nichteinmischens ist das Einverständnis zwischen Amerika und den Ententestaatcn i» Europa natürlich so vollkommen wie nur möglich.