Die größte Kirche der Wett.

Erzählung voy Wilhelm Schuss« i>.

Heute hat mir jemand eine Geschichte erzählt, die erst ge­stern passiert sei. Sie lautet:

Ein Mann mit Halalihut, Rucksack und kurzen Hose«, der einem Schwarm lärmender Ausflügler voranging, sagte scher­zend zu einem ihm bekannten alten Pfarrer:

Guten Tag, Herr Pfarrer. Wie schän, daß ich Sie wieder einmal treffe! Ich habe Sie, wenn ich mich recht erinnere, seit Jahren nimmer gesehen."

Ist meine Sebzeld nicht." lächelte der Pfarrer.

Aha, ich verjt^e. Sie wollen damit sagen, daß ich nie zur Kirche komme," entgegnet« fröhlich der Mann mit dem Halali- Hut und pafft« ein paar kräftige Züge aus seiner Kurzpfeife.

Der Pfarrer nickte leise.

Unterdessen hatte sich der ganze, laute Lustverein um die beiden Plauderer versgmmelt. Auch einige Radfahrer, die in diesem Augenblick daherjagten, stiegen neugierig von ihren Gäulen ab. Und zu guter Letzt machte noch ein vollgepfropf­ter Kraftwagen mit einem vornehmen Inhalt an der Stelle Halt.

Ihre Kirche ist eben leider zu klein, zu eng und zu be­schränkt," nahm der Mann^mit dem Halalihut wieder das Wort.

Heute vormittag war sie es jedenfalls nicht; denn sie war mehr als zur Hälft« leer", widersprach der greife Pfarrer.

Aber sie ist eben trotz alldem zu klein. Ich kenne «ine viel, viel größere, schönere, weiter« und herrlichere Kirche als die Ihrige, Herr Pfarrer, eine Kirche, die ohne Zweifel die wunderbarste und größte der Welt ist." Und der Mann im Halalihut hob seinen Bergstock in die Höhe und beschrieb damit einen Halbkreis in der Lust.Eine Kirche, Herr Pfarrer, vom größten aller Architekten geschaffen, wie keine andere. Kennen Sie diese Kirche, Herr Pfarrer?"

Der neugierige Lustkreis um diese beide» war jetzt so stille, daß einer den andern atmen hörte.

Nein", gab der alte Pfarrer zur Antwort, obwohl er sich schon einiges denken konnte.

Nicht?" rief der launige Mann im Halali aus,so will ich es Ihnen sagen, Herr Pfarrer." Und noch einmal stieg der lange Bergstock in» Klaue hinauf. ,

Es ist die Natur, Herr Pfarrer. Ist sie etwa nicht die größte, wunderbarste, von Gott selbst gebaute, einzige Kirche der Welt, zum wahren Gebet und zur wahren Andacht geeig­net wie keine andere?"

Der Schwarm der llmfteheiwen aber gab jetzt eine Bei- fallssalve ab, daß die Lerchen aus den Lüften fielen. Einige der jungen Leute warfen ihre Hüte in die Höhe, und die Fräu­

lein poben ihre bunten Feldsträube empor. Lin vom Aei» ^ > gesäuselter Biedermeier aber ließ noch hintendrein ein kos, das einem regelrechten Donner glich. Dann trat > wieder Totenstille ein vor lauter Spannung, was nun dnei, Pfarrer auf diese fadenklare Weisheit sagen würde. " '

Der aber nahm den Schlapphüt ab und erwiderte lieirM und gelassen:Sie haben wohl recht, mein lieber Herr Lanj^ mann. Wenn indessen die Natur eine so wundewolle eimia göttliche Kirche ist, dann sollte man sich darin auch bewegen wie in einer Kirche. Dies scheint mir nun nicht immer d« Fall zu sein; denn ich sehe, wenn ich Sonntags aus mein« Ihnen so armselig erscheinenden. Kirchlein trete und «inen Gang in die größte aller Kirchen tue, leider eben nicht HM viele Beter und Andächtige, wohl aber ziemlich viele M merkwürdige Leute, die ihrem erhabenen Aufenthaltsort »ich gerade Ehre machen."

Die Menge schwieg und wartet«, ob der Mann im HM>, Hut wohl seinen Witz wiederfänd«. Aber er fand ihn nicht mch

Nichts für ungut," schloß jetzt der greise Pfarrer, Indem er, immer noch den Schlapphut in der Hand, barhäuptig und langsam aus der kleinlauten Menge wegging.

<»ur »Freund Huchter*, Berla, Salz«, HUId»«,.)

Für die Schriftleitung verantwortlich: Otto Seltmann, Ealk

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