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Nr. 107.
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Amis- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw
96. Jahrgang.
kleinspaltige Zeile M Psa. v»n IM»/. — Ferulpr.9.
Mittwoch, 11. Mai INI.
VezuaspreiL: In der Stadt mit Trägerlobn Mk.1L.SO vtertelsährUch. PaftbezugA»
preis Mk. 12.SO mit Bestellgeld. — Schluß der Anzeigenannahme S Uhr vormittag«.
Annahme des Ententeultimatmns. Die neue Reichsregierung.
Die Entscheidung in Berlin.
MS der deutsche Außenminister Dr. Simons in London die Forderungen der Alliierte» abkehnte, geschah dies unter der Voraussetzung, daß die Entente die im Versailler Vertrag zugestandenen Rechtsgrundsütze nicht durchbrechen würde. Der Vertrag steht nämlich eine Regelung der Entschädigungsforderung der Alliierten nach dm Grade der Leistungsfähigkeit Deutschlands vor, wobei die Leistungsfähigkeit jeweils nach Anhörung der deutschen Sachverständigen festgestellt werden sollte. Der-Vertrag bietet keinerlei Handhabe für militärische Zwangsmaßnahmen im Falle einer MeinungS- derschiedenheit der Parteien in bezug auf die Leistungsfähigkeit Deutschlands. Die Pariser Beschlüsse waren von den deutschen Sachverständigen als unausführbar bezeichnet worden, weil sie weit über die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit, namentlich im Hinblick ans die systematische Behinderung unseres Außenhandels hinausgingen. Anstatt sich nun über die Möglichkeit einer vertragsmäßigen Regelung hinsichtlich der deutschen Entschädigungsleistungen weiter zu unterrichten, hat die Entente den kürzeren Weg des Ultimatums gewählt, den st« tm Hinblick auf die Machtverhältnifse sich heute natürlich leisten kann.
Die deutsche Regierung stand nun, nachdem der Verhandlungsweg abgeschnitten war. vor der schwersten Entscheidung. Das Ersuchen an Amerika um Vermittlung war in schroffster Form abge- vlesen worden, die amerikanische Regierung hat sich, wie aus der seitherigen Politik Amerikas gar nicht anders zu erwarten war, vollständig auf den Boden der Ententeanschauungen gestellt, sodaß eine Unterstützung von außen her nicht mehr in Aussicht stand. Wir stmden also vor der Wahl, entweder durch Ablehnung des Ultimatums den Alliierten den gewünschten Vorwand zur Besetzung des Ruhrgebiets zu geben, oder durch Annahme desselben ihnen wenigstens die „moralische" Berechtigung zu ihren geplanten Maßnahmen zu nehmen. Wir wissen nämlich noch nicht, ob die Franzosen trotz der Annahme des Ultimatums nicht doch noch zu Gewaltmaßnah- «itn schreiten und unter dem Vorwand irgend einer Verletzung der Versailler Bedingungen trotzdem das Ruhrgebiet besetzen. Auch über die Entschlüsse der Entente bezüglich Oberschlesiens sind wir vollständig im Unklaren. Für uns handelt es sich angesichts unfein völligen Ohmnacht aber in erster Linie darum, daß wir der Welt de« guten Willen zur Einhaltung des Versailler Diktats zeigen, und daß dadurch jede Maßnahme der Entente, die diesen Vertrag verletzt, als das gekennzeichnet wird, was sie ist, nämlich eine Gewalttat gegenüber einem durch Betrug wehrlos gemachten Volle.
Die Stimmung innerhalb der Parteien war anfangs gefühlsmäßig auf eine Ablehnung gestellt. Die Ueberlegung der Tragweite eines solchen Entschlusses angesichts unserer derzeitigen militärischen »nd politischen Ohnmacht hat aber die Mehrheit der Volksvertretung V der Auffassung geführt, daß die Annahme das kleinere Uebel sei. Hir Wen durch die Besetzung des Ruhrgebtets nicht nur unermeßliche« wirtschaftlichen Schaden genommen, der französische Vormarsch ^itk fraglos auch auf die Polen anregend gewirkt, wir hätten viel- lW auch im Innern schwerste Auseinandersetzungen bekommen, «ir vollen nicht sagen, daß nun die Gefahren im Westen und Osten «schworen sind, wir möchten aber wiederholt betonen, daß wir uni miFalle weiterer Grwaltschritte an unseren Grenzen für alle spä- ««« Entschlüsse das moralische Recht durch die Unterwerfung unter du Ultimatum gesichert haben. Die Annahme des Ultimatums be- dUtrt für die Entente weder die Erwerbung eines juristischen noch moralischen Rechtsanspruchs, denn jede ,Vertrags"handlung,
unter Zwangsumständen »orgenommen wird, ist ungültig und ^cht nicht als dauernd bindend betrachtet werden. Unter diesem Alchtspunkt hat wohl die Mehrheit der Abgeordneten abgrstlmmt.
deutsche Vollkpartei die Verantwortung für dir Annahme des Mwatums abgelehnt hat, ist die alte Koalition (Zentrum, Drmo- v» Mehrheitssozialisten) wieder gebildet worden, die nun
Odium dies,» Entschlusses auf sich zu nehmen hat. O8.
Die Erklärung des neue« Reichskanzlers.
Der Herr Reichspräsident hat mich ersucht, die Kabinettsbildung zu übernehmen und ich habe geglaubt, in einer , so entscheidungsschweren Stunde mich diesem Rufe nicht versagen zu dürfen. Dr. Wirth stellt hierauf das neugebildctc Kabinett vor und erklärt, daß die Ergänzung des Kabinetts in Erwägung aller für seine Zusammensetzung wesentlichen Gesichtspunkte unverzüglich in Angriff genommen werde. Redner fährt fort: Meine Damen und Herren! Ihre Aufgabe in dieser schweren Stunde ist, die Entscheidung des Reichstags über das Ultimatum der alliierten Regierungen herbeizuführen. In langwierigen und eingehenden Verhandlungen haben Sie, meine Damen und Herrn, sich Ihre Meinung über Inhalt und Bedeutung des Ultimatums gebildet. Im Hinblick auf den Ablauf der Frist muß ich Sie bitten, dieser Ihrer Meinung durch unverzüglichste Entschließung Ausdruck zu geben. Es bleibt uns keine andere Möglichkeit als Annahme oder Ablehnung. So hat es der Sieger beschlossen. Das Ja bedeutet, daß wir uns dereit erklären, die scheren finanziellen Lasten, die man Jahr für Jahr von uns fordert, in steter Arbeit zu trogen. Die Ablehnung aber würbe bedeuten die Zwangsvollstreckung über unsere ganze Volkswirtschaft, würde bedeuten Sklavenarbeit unter Aufficht feindlicher Bajonette, würde bedeuten die Auslieferung der Grundlagen unserer ganze« industrielle» Tätigkeit. Zerreißung unsere» so stark geschwächten Wirtschafts- körpers und Verelendung unsere-, ganzen Erwerbslebens wirr» die Folgen. Aber noch ungeheuerlicher könnten sich die Wirkungen auS- lösen für unsere politische Existenz, für unser Reich. Es steht mehr als Geld und Gut auf dem Spiele. (Sehr richtig!) Es handelt sich um die ganze Zukunft unseres hartgeprüsten geliebten Vaterlandes, darum, das Reich und seine Einheit zu retten, und deutsches Land vor der Gefahr feindlicher Invasionen zu bewahren und die deutsche Freiheit zu erhalten. (Lachen bei den Kommunisten.) Dafür ist das deutsch« Voll zu den höchsten materiellen Opfern bereit. Die deutsche Regierung nimmt aus diesem Grunde das Ultimatum an. Wir wissen, daß mit dieser Annahme gewaltige Folgen verknüpft sein werden für die Gestaltung unseres Wirtschaftslebens, wissen vor allem, daß die Wirkungen für die weltwirtschaftliche Eingliederung Deutschlands außerordentlich schwer sein werden. Die Verantwortung für die weltwirtschaftlichen Folgen des. Ultimatum» liegt bei der Gegenseite. Nur durch Leistungen können wir unsere Gegner von der Aufrichtigkeit unseres Wollens überzeugen und dadurch die Atmosphäre schaffen, in der eine erträgliche Handhabung der Londoner Beschlüsse im Rahmen unserer Leistungsfähigkeit gesichert wird. Durch die Annahme des Ultimatums beseitigen wir die nahe drohend« Besetzung des Ruhrgebiets. Die vielfach geäußerte Besorgnis, daß es auf jeden Fall, mögen wir unterzeichnen oder nicht, zum Einmarsch kommen werde, findet in dem Ultimatum keine Stütze. Rach seinem Sinn und Wortlaut bildet die Abstandnahme von Sanktionen, insbesondere die Nichtbesetzung des Ruhrgebiets, die Grundlage der Annahme des Ultimatums. Daß wir bei dieser schicksalsschwere» Entschließung unsere Blicke auch auf Obrrschleprn richten, bedarf keiner Begründung. In dieser Hinficht vertrauen wir fest auf das Ergebnis der Volksabstimmung. Worauf eS jetzt ankommt, ist, daß die alliierten Regierungen den von polnischer Seite gemachten Versuch, eine allem Recht Hohn sprechende vollendete Tatsache zu schaffen, nicht dulden werden, daß auf keinen Fall ein polnischer Diktator die wenigen Rechte, dir uns der Friedensvertrag gibt, mit Füßen tritt. Dieser Friedensvertrag, durch den uns so gigantische Lasten auferlegt werden, begründet für die Eierten Regierungen hett>e Pflichten. Die ««gebildete Regierung empfiehlt Ihne» n-.-ü gewissenhafter Prüfung die Annahme de» Ultimatum».
Die neue Reichsregierung.
Berlin, 10. Mai. (Amtlich.) Der Reichspräsident hat den bisherigen Reichsfinanzminister Dr. Wirth unter Ernennung zum Reichskanzler mit der Bildung des Kabinetts beauftragt «ad nach dessen Vorschlag folgende Reichsmintster ernannt: RetchSschatzmini-
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Annahme des Ententeuttimalums durch den Reichstag.
«erlin , 11. Mai. 1L» Uhr »«mittag». De» Reichs ag i»t da, «ntrnteultimatuni mit «1 gegen 175 Stimme« bei *i«e Stimmenthaltung augenommr«.
sterium und Vizekanzler: Bauer; Innere»: Dr. Gradnauer; Wirtschaft: Robert Schmidt; Justiz: Dr. Schiffer; Heer: Dr. Gehler; Post: GieSbertS; Verkehr: Gröner; Arbeit: Dr. Brauns; Ernährung: Dr. HcrmeS; AeußereS, mit einst- weiliger Wahrnehmung der Geschäfte beauftragt: Dr. Wirth. Finanz, und Wiederaufbau-Ministerium And noch unbesetzt.
Die deutsche Industrie gegen die Annahme des Ultimatums.
Berlin, 10. Mai. Der Reichspräsident empfing heute den Borfitzenden des Reichswirtschaftsrats, Edler von Braun, und «ine Abordnug der Arbeitgeberabordnung des Reichswirtschafts- rats. Die Abordnung Lbererichte den Beschluß der Arbeitgeber, abteilung des Reichswirtschaftsrats und «ine Entschließung des Vorstandes des Reichsverbands der deutschen Industrie, die die Londoner Beschlüsse als undurchführbar bezeichnet und der Regierung ihre Ablehnung auch auf die Gefahr der angedrohten Eewaltmaßnahmen empfehlen.
Lügenhafte Begründung des Ententeuttimatums durch den belgischen Außenminister.
Brüssel, 11. Mai. Der Minister des Aeußern, Za spar, gab gestern in der Kammer und im Senat eine gleichlautende Erklärung ab, die sich mit der Londoner Konferenz besaßt. Der Minister sagte Deutschland nach, mit der Ablieferung im Rückstand zu sein uud neue Waffe» herznftelle«. Die Londoner Beschlüsse hätten das Einvernehmen zwischen den Alliierten gefestigt. Ueber Deutschland behauptete der Minister, daß es den Geist des Friedens und der Versöhnlichkeit habe vermissen lassen.
Der militSrische Plan
zur Besetzung des S».. ..^biets.
Paris, 10. Mai. Nach der „Chicago Tribüne" ist in dem Plan des Generals Weygand zur Besetzung des Ruhrgebtets vorgesehen, daß das ganze Rnhrtal binnen 15 Stunden nach Abmarsch der Truppen von Düsseldorf in den Händen der Besatzungsarmee sein soll. Tanks, Kavallerie und Panzerautos würden entlang dem Lippe- und Wuppertal vorrncken und oberhalb des Eisenbahnknotenpunkts von Dortmund wieder Zusammenkommen. Die neue Grenze sei 80 Meilen lang. Die Franzosen beabsichtigten, alles Kriegsmaterial zu zerstören, das bei Krupp und den anderen Munitionsfabriken des Ruhrgebiets noch angehäust sei, (9 wo, wie berichtet wird, Tausende von Militär- und anderen Gewehren und Maschinengewehren noch unzerstört seien. (!) Die Franzosen gedächten auch, die Bevöl- kerung zu entwaffnen.
Der polnische WersM M Sders-lefic».
Wettere Ausdehnung der polnischen Angriffe.
Oppeln, 11. Mai. Die Lage in Oberschlesien hat sich nach den Meldungen, die bis zum 10. Mai, abends, in Oppeln Vorlagen, da- durch verschlimmert, daß nunmehr die Aufständischen, nachdem sie Verstärkungen erhalten haben, einen Angriff auf das westliche Oder- «frr vorbereiten. Die Städte Ratibor und Cosel sind besonders bedroht. Seit gestern Nachmittag S Uhr war mit Cosel eine Verbindung nicht mehr zu erhallen. Der Hafen von Cosel ist gestern von den Aufrührern bereits besetzt worden, denen größere Mengen von Lebensmitteln in die Hand fielen. Bei den Kämpfen um Kandrzin habe» die polnischen Aufrührer Artillerie verwendet. Auch einig, Ortschaften in der Nähe von Kandrzin find gestern von den Jnsur- genten mit Artillerie beschaffen worden. Gogolin bei Kandrzin wurde gestern von den Polen beseht. Bei den Kämpfen um Kandr- >i» find weiterhin einwandftei erneut die Angehörigen eines regulären polnischen FelbartillerierrgimentS, sowie einer Grenzschutz- und Gendarmeriedivifion festgestellt worden. Di« Arbeitsaufnahme i« einzelnen Bezirken mit vorwiegend deutschgeflnnter Arbeiterschaft hat mit einer Entspannung der Lage nicht» zu tun. Die Wiederkehr gesrtzmäßlger Zustände muß durch andere Mittel herbeigeführt werden. Die Lage in den einzelnen Gebieten ist sonst wenig verändert. Au» Larnowttz wird eine sehr starke Lebenrmittelknapphrit gemeldet. Alt-Rosenbrrg mußte von den Aufrührern gestern wieder ge- räumt werde».
Berlin, 10. Mai. Meldungen verschiedener Blätter zufolge ist di« Einnahme des wichtigsten Eisenbahnknotenpunktes Kan- drzi» tn Oberschlesien durch di« Pole« mit Hilf« eines Panzer- zug» nnd zahlreicher polnischer Artillerie »ach heftigem Widerstand der gemeinsam fechtenden Italiener und Deutschen erfolgt. Dem „Tageblatt" zufolge haben in einem schweren Gefecht bei Tzernionka di« Italiener SO Tote, über 40 Verwundet«, und IS Gefangen« verloren. Bei Kofel, das mit feinem großen Lkerhasen heftigen polnischen Angriffen ausgesetzt ist, sollen di« Polen angeblich 500 Tote verloren haben. — Nach Meldungen au» Kattowitz überschreiten Tausende von Hallersoldaten die oberschlesische Grenze und bringen große Mengen Artillerie mit. In Hindenburg wurden erneut Hallersoldaten in Uniform und voller kriegsmäßiger Ausrüstung festgestellt.
Beuthen, 10. Mai. Die Lage ist unverändert. Die nächtlichen Schießereien haben etwas nachgelassen. Den deutschen Gewerkschaftsvertretern hat der Stadtkommandant gestern aufs neu« erklärt, dß dl« Sicherheit von Deutschen gewährleistet sei.