Nr. 70.
Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.
VS. Jahrgang.
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Samstag, 28. März 1821.
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Die große BSlkerpaffio«.
?t. Gerade in den Palsionetagen denken wir wieder daran, daß in jedes Leben, sei es kurz oder lang, immer wieder wie von unsicherer Hand Passionszeiten eingeflochien werden. Das Leben des einzelnen Menschen findet seine ungeheure Ver- gröherung im Geschick des Volkes. Wer nur ein wenig Geschichte gelernt hat und mit offenen Augen den Lauf der Welt betrachtet, weih genau, daß auch die Völker immer wieder Passionszeiten durchmachen müssen. Diesem Schicksal kann kein Volk entrinnen. Besonders Heuer müssen dis Völker ans diesen Gedanken hingeleitet werden, denn eine große Bölkerpassion ist für die ganze Welt bereits angebrochen.
Dem deutschen Volk braucht man seit dem militärischen und politischen Zusammenbruch des Jahres 1918 nicht mehr zu beweisen, daß es eine Zeit des Leidens und der Not durchlebt. Der ungeheuer verschärfte Kamps ums Dasein siit dem Mangel auf allen Gebieten, mit der furchtbaren Neuerung, mit der großen Arbeitslosigkeit bringt es jedem Einzelnen von uns alle Tage zum Bewußtsein w i e arm wir daran sind. Zwischen den einzelnen Ständen und Berufen usw. klaffen tiefe schmerzliche Gegensätze. Im Versailler Friedensvertrag hat uns der Feind ein furchtbares Golgatha bereitet und die lchter Tage im Reiche ausgebrochenen anarchistischen Bestrebungen, die furchtbar gemeine Gewaltherrschaft sind die Nägel, die uns vollends dem Kreuzestods überliefern werden, wenn es nicht noch gelingt in letzter Stunde den Brand des Wahnsinns und Verbrechens, der ganz Deutschland zu erfassen droht, zu löschen. Auch in den letzten Tagen hat sich unsere innere Lage nicht gebessert und die Aussichten für die Zukunft find sehr betrübliche. Nachfolgend geben die neuesten Berichte Zeugnis der furchtbaren Gewalttaten und Ausschreitungen. Eine wahre Bölkerpassion, eine Leidenspassion ergreift aufs neue unser deutsches Vaterland. —
Die Kämpfe in Eisleben.
Eisleben, 25. März. Nach heftigen Kämpfen, di« seit gestern abend andauerten, und leider auch Opfer forderten, hat sich eine nicht unbeträchtliche Nerstärkungstruppe hierher durchgeschlagen. Der Erfolg ist sichtbar. Um 2 Uhr nachmittags erschienen schon die ersten Patrouillen der Polizeitruppen wieder in den Straßen, die in kurzer Zeit von herumlungernden Menschen gesäubert waren. Die ein getroffenen Truppen haben eine ganze Anzahl Arbeiter als Gefangene eingebracht, die ihnen als Spione der Roten Armee entgegengeschickt waren. An den in der Richtung auf Halle zu gelegenen Stadteingan- -en hatten die Roten Truppen Barrikaden errichtet, die jedoch kein wesentliches Hindernis darstellten. Die Gefangenen wurden sofort zum Aufräumen der Straßen verwendet. Das Gelände östlich von Eisleben ist laut Meldung des „Eislebener Tageblattes" von Roten Banden frei. Der Bahnhof ist den Kommunisten entrissen und von der Schutzpolizei besetzt worden. Ebenso ist der im Seminar untergebrachte Teil der Schutzpolizei befreit. Zurzeit wird noch um die Mädchenvolksschule gekämpft, in der gleichfalls einige Abteilungen der Schutzpolizei untergebracht sind. Sonst herrscht in den Straßen völlige Ruhe. Gleichwohl wird mit der Möglichkeit gerechnet, daß der Aufruhr in der kommenden Nacht wieder ausflackert.
Magdeburg, 24. März. Wie wir hören, ist der Bahnhof Hett- Pedt von den Kommunisten gesprengt worden.
Note KampfLkrrppen.
» ue, 25 . März. Die Staüusa/cn L-erie sind noch nicht wi r in Betrieb. Die Bevölkerung ist gänzlich ohne Wasserverso äuni Teil auch ohne Licht. Der private Telephonverkel och den von der Sicherheitspolizei besetzten Aufruhrortschaft, >r unterbunden. Das kommunistische Blatt „Der Klassenkamp '"Salle ist verboten. Der „Halleschen Zeitung" zufolge ist d ' roten Kampftruppen in der Gegend von Lenr
- E Gong. Das Riesenwerk in Leuna ist vollständig in d m-ü Roten, die sich bewaffnet haben und zu Kompa
Einheiten formiert find. Sie sind etwa b«1» Mar
- ' m Regimenter verfügen über einen wohlorgau
nimm« //"^'chtendienst mit Radfahrtruppen usw. Vorläuf ein m Kampftruppe noch eine abwartende Haltur
Baien, n ^"öen, wie die Blätter berichten, kowmunistisö Man» Halle von Haus zu Haus und befahlen kn
tion ^ äum Eintritt in die bewaffnete rote Organis
^ h°"en. Furchtsame, die der Parole nicht folg. , Een. werden mit Erschießen bedroht.
. sieben in den Händen der Kommunisten.
«k, 24. März. In Eisleben wie in dm Bergwettsdörfei
des ManSfelder SeekreiseS haben die Kommunisten die Oberhand. Sie requirieren alle OrtSautomobile. In Halle haben di« städtischen Arbeiter dem Magistrat ein Ultimatum gestellt, das heute Mittag ablief. Die Verhandlungen mit dem Magistrat sind jedoch noch im Gange Im Mittelpunkt stehen Lohnforderungen. Das Elektrizitätswerk dürste ebenso wie das Wasserwerk die Arbeit heute einstellen. In den Privatbetrieben Halles wird in Betriebsversammlungen zur Frage der Streikbetciligung Stellung genommen. Die Arbeiter der Güterabfertigungsstelle find in den Ausftand getreten, sodaß jede Güterabfertigung eingestellt werden mußte. Auf der Thüringer Strecke hielten die Arbeiter des LeunawerkeS einen Zug an und holten einige Sipo-Mannschaften heraus.
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Eisleben, 25. März. Dir Sicherheitspolizei beherrscht jetzt völlig die Lage. Die Arbeitertruppen wurden bis nach KreiSfeld abgedrängt Die Polizei hat zahlreiche Verhaftungen vorgenommen. Genaue Zifsernangaben über die Zahl der Opfer sind ncch nicht möglich. Die .Mansfelder Bolkszeitung* bringt einen Aufruf, in dem die Mansfelder Sicherheitspolizei zum Uebrrtritt auf die Seite der roten Kampftruppen ausgefordert wird.
Rach dem .Eislebener Tageblatt" ist Hettstcdt noch heftigen Kämpfen durch Verstärkungen entsetzt worden. In der letzten Nacht wurden die Truppen von den Aufrührern heftig beschossen. Die Behauptung der Kommunisten, daß die Sicherheitspolizei mit Dum- Dum Geschossen operiere, wird von zuständiger Seite als unwahr bezeichnet. Dagegen wurden zwei niedergegangene Geschosse der Ausrührer gefunden, die zu Dum-Dum-Geschoffen gemacht waren. Ferner wurden die Verstärkungstruppen auf dem Anmarsch mit Phoshor beschossen, durch dessen Verwendung der Munitionswagen der Anmorschtruppen in Flammen aufgtng. In Sangerhausen, Mücheln und Naumburg herrscht Ruhe.
Requirierungen der Roten Truppe«.
Halle, 25. März. Im Leuna-Werk, wo dis roten zrampstrup- pen formiert sind, beschlagnahmte man bei der Feuerwehr des Werkes die Fahrräder und requirierte Strohsäcke zur Einrichtung eines Lazaretts, ebenso Last- und Personenkraftwagen für die Zwecke der roten Truppen.
Aufforderung zum Generalstreik.
Querfurt, 25. März. Eine kommunistische Versammlung beschloß hier die Verkündigung des Generalstreiks. Sonst ist die Lage hier ruhig. In verschiedenen Ortschaften liest man an den Häusern Anschläge, in denen die gesamte Bevölkerung zwischen 18 und 35 Jahren zum sofortigen Eintritt ln die rote Kampstruppe aufgfeordert wird. Wer der Aufforderung nicht Folge leistet, wird erschossen werden. Der Aufruf ist von Max Hölz unterzeichnet.
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Esse«, 25. März. Vormittags versammelte sich anläßlich des Aufrufs des „Ruhr-Echos" des kommunistischen Organs sür das Ruhrgebiet, eine sehr große Menschenmenge auf dem Durgplatz. Die Redner forderten di« Menge auf, morgen in den Generalstreik zu treten, sich mit Massen zu versehen, die Sipo zu entwaffnen und den kämpfenden Brüdern in Mitteldeutschland und Hamburg tätige Hilfe zu leisten.
Ei« Aufruf an die Arbeiterschaft.
Wie das .Berliner Tageblatt" aus Magdeburg meldet, hat RetchSregierungSkommiffar Hörsing an die Arbeiterschaft des Regierungsbezirks Merseburg einen Aufruf gerichtet, in dem er betont, daß die Aufforderung zum Generalstreik, Kampf gegen Polizeibramte usw. von der Vereinigten kommunistischen Partei ausgegangen sei. Hörstng stellt dann fest, daß nur eine Minderheit der Arbeiter der Kommunistischen Partei gefolgt sei. Weiter heißt eS: Die kommunistischen ausländischen Hetzer und die mit russischem Geld bezahlten Söldner haben bereits zahlreiche Familien ins Unglück gestürzt. Ungeheuer groß ist der Lohnverlust. Diejenigen aber, die die Arbeiter ins Unglück gestürzt haben, find bereits verschwunden und abgereist, ihre Opfer dem Schicksal überlassend. Arbeiter, begreift ihr noch nicht, daß Ihr von Verbrechern, von bezahlten Subjekten zum Verbrechen aufgereizt und ins Verderben geführt werdet? Selbst kommunistische Gewerkschaftsführer haben mir ihren Abscheu ausgesprochen, den sie vor einem solchen wahnfinnigen Treiben haben. In letzter Stunde rufe ich Euch nochmals zur Umkehr und Vernunft. Laßt Euch nicht weiter aufhctzen!
Eine Eisenbahnbrücke in die Lust gesprengt.
Eisleben, 26. März. Dem „Eislebener Tagblatt" zufolge ist auch die Etsenbahnbrücke bei Hettstedt ln die Lust gesprengt worden.
Neuer Kampfbeginn.
EiSleben, 25. März. (9 Uhr abends.) Soeben haben die Schießereien wieder begonnen, nachdem der Tag ruhig verlaufen war. Die Zettungrn wollen Samstag wieder zu erscheine« versuchen,
Verhandlungen zur Kampseinstellung im Maus- selber Gebiet.
Magdeburg, 25. März. (Amtlich.) Die Kommunistenfüh- rer in Eisleben find beim dortigen Kommandeur erschienen und haben um Verhandlungen zur Einstellung des Kampfes im ganzen Mansfelder Gebiet gebeten.
Karsreitagsruhe in Berlin.
In Berlin herrschte am Karfreitag Ruhe. Es waren keine Zwischenfälle zu verzeichnen. Unter den Arbeitern, vornehmlich jedoch unter dm Arbeitslosen, wurden hetzerische Ausmfe verbreitet, in denen aufgefordert wird, heute (Sonnabend) zur gewaltsamen Besetzung größerer Betriebe zu schreiten. Die Schutzpolizei ist in jeder Weise vorbereitet.
Vereiteltes Kommunisterr-Attentat.
Wie die Blätter melden, versuchte in der Nacht zum Freitag eine Anzahl Kommunisten das Haus eines Landjägers in Marienfelde bei Berlin in die Luft zu sprengen. Der Plan scheiterte an der Wachsamkeit der dortigen Polizei. ES wurden 12Kilogramm Roboritt beschlagnahmt.
Volschewisten-Derhaftnuge«.
Wie die „Bosfische Zeitung" aus Magdeburg meldet, find al< Urheber der kommunistischen Aktion im Mansfelder Gebiet erwiesenermaßen russische Bolschewisten aufgetreten. Wie beim Oberpräst- dium festgestellt wurde, find allein am Montag 60 Russen in Eisleben ringetroffen. Heute Nacht wurden im Aufstandsgebiet bet Eisleben 30 Verhaftungen vorgenommen. Sämtliche nicht im Auf- standSgebiet seßhafte Ausländer werden von heute an entfernt.
Dev Gewerkschastsbuud gegen den Streik.
Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund hat in einer Sitzung am 23. März eine Entschließung angenommen, in der er sich gegen die durch die kommunistische Hetze heroorgerufene Streikbewegung im mitteldeutschen Industriegebiet wendet. Dir Bewegung habe mit gewerkschaftlichen Bestrebungen nichts zu tun und dte Gewerkschaftsleitungen warnen erneut die Arbeiterschaft, den kommunistischen Parolen zu folgen. In den gewerkschaftlichen Organisationen dürfe diese Streikhetze keinerlei Rückhalt finden.
3ur auswärtigen Lage.
Flucht der georgische« Regierung.
Konstantinoprl, 23. März. (HavaS.) Die georgische Regierung soll sich an Bord eines italienischen Schisses geflüchtet haben und binnen kurzem in Konstantinopel zu erwarten sein.
Kamps der Griechen.
Paris, 24. März. Wie die Agence HavaS aus Athen meldet» hat der Angriff der griechischen Truppen begonnen. In dem Abschnitt Brussa ist Jenischehi besetzt. Flugzeuge haben festgestellt, daß die Türken in Unordnung fliehen.
England vor schicksalsschweren Stunden.
Der Kamps gegen de« Sozialismus.
Londo«, 24. März. Lloyd George hielt gestern vor der New- Members Coalition Group (eine aus 112 Parlamentsmitgliedern bestehende von beiden Flügeln der Koalition zusammengesetzte Gruppe) eine große, innerpolitische Rede, in der er für eine Koalition zur Bekämpfung des Sozialismus eintrat. Lloyd George erklärte, die große Gefahr sei der phänomentale Ausstieg zur Macht einer neuen Partei mit neuen äußerst «m- stürzlerischen Zielen. Diese Partei nenne sich Arbeiterpartei. In Wirklichkeit sei sie eine kapitalistische Partei. Cie reiße die anderen Parteien in Stücke. Der Sozalismus bezwecke die Zerstörung alles dessen, was Regierung, Propheten und Führer beider Parteien seit Generationen mühsam aufgebaut hätten. Die unabhängigen Liberalen unterstützten diese Revolutionäre. Ihre Artillerie helfe, die Verteidigungsstellungen der bürgerlichen Gesellschaft zu vernichten. Wenn sie Erjolg hätten, so würden die Sozialisten in die Zitadelle eindringen und dort allein herrschen. Lloyd George forderte alle auf, die sich der Gefahr bewußt seien, die Reihen zu schließen und schloß mit der Erklärung: Alle Maßnahmen müssen getroffen werden, um die große Wählerschaft aufzuklären, die zu einem nicht entfernten Zeitpunkt zu entscheiden haben wird, damit, wenn diese schicksalsschwere Stunde schlagen wird, das Wohl Englands ruhig ihrer Sorge anvertraut werden kann. Die Rede de» Premierministers fand in der gestrigen Abendpresse die größte Beachtung.