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verantwort!. Schriftleitung: Frieärich Hans Scheele Druck und Verlag äer A. Oelschlöger schen Luchdruckerei
Montag, den 25. November 1929
102. Jahrgang
Die Schicksalsfrage der deutschen Wirtschaft
Die künftige Finanzpolitik wird entscheiden
TU. Berlin, 25. Nov. In einem aufsehenerregenden Artikel berechnet das Berliner Tageblatt an der Spitze seiner Sonntagsausgabe unter der Überschrift „Die Schicksalsfrage der deutschen Wirtschaft", daß 70,7 v. H. der deutschen Erzeugung vom Fiskus beschlagnahmt werden. Es wird die Steuer- rechnnng einer normalen deutschen offenen Handelsgesellschaft wie folgt aufgemacht:
Vom Einkommen gehen ab: 40 o. H. für Einkommensteuer, 11,1 v. H. für (Gewerbesteuer, 8,8 v. H. für Umsatzsteuer, 5,5 v. H. für Vermögenssteuer, S,S v. H. für Jndnstriebclastung, 2.5 v. H. für Kirchensteuer, 2,2 v. H. für Hauszins- und Grundsteuer, zusammen 70,7 v. H. des Einkommens für alle Steuern.
In dem Artikel heißt es dann: „Wenn also ein Betrieb Kredit zu 9 v. H. anfnimmt, so muß er damit über 13 v. H. verdienen, ehe sich ein Gewinn ergibt, ehe also die Kapital- anfnahme lohnend wird. Die Wirkung dieser Steuerlast auf die Preishöhe ist bei den vielen Stadien und Stcuerzugriff- stellen, durch die eine Ware geht, «he sie den Konsumenten erreicht, unschätzbar groß. Hier liegt der Grund für unsere ungenügende Konkurrenzfähigkeit in der Ausfuhr, für mangelnde« Absatz im Inland, für Arbeitslosigkeit und niedrige Löhne. Im Abbau dieser Lasten, die die Wirtschaft hemmen, liegt das wirkliche Interesse der Arbeiterschaft, aber nicht in dem Ideal der hohen Besteuerung des reichen Unternehmers,
Viele ahnen, daß bei aller Unabänderlichkeit unserer Ne- parationspflicht die ungeheure Steuerlast wesentlich erleichtert werden könnte durch eine gute Finanzpolitik, da Finanzsystem und Finanzpraxis in Deutschland noch heute so jammervoll schlecht sind, wie sie es mit Kriegsausbruch wurden und wie sie es auch vorher schon in mancher Hinsicht waren, und daß die deutsche Wirtschaft durch die Beibehaltung die- . ser traurigen Tradition in immer schivcrcre Gefahre« gerät. Aber nur wenige wissen, wie nahe diese Gefahren sind, wie ungeheuer nnd untragbar die Last tatsächlich ist, die Krieg,
Inflation und eine verständnislos-untätige Finanzpolitik der deutschen Wirtschaft aufgchalst haben. Ob diese Kenntnis in das Bewußtsein weitester Bolkskreisc dringen und dort Wille zu energischer Abhilfe werden wird? Davon hängt es ab, welchen W:g Deutschland in wirtschaftlicher, politischer und sozialer Hinsicht gehen wirb. Bleibt cs bei dem heutigen Zustande, so kann weder die jetzige Wirtschaftsform noch die jetzige Staatsform bestehe« bleiben.
Der Neichshaushalt 1930 serliggeslellt
TU Berlin, 25. Nov. Wie der „Demokratische Zeitungs- dienst" erfährt, ist im Neichssinanzministerium der Reichs- Haushaltsplan für 1930 fertiggestcllt worden. Die Neichs- regicrung wird in den nächsten Tagen mit der Durchberatung des Etats beginnen. Dem Reichstag wird der Etat für 1930 zusammen mit dem Nachtraasetat sür 1929 zngehcn. Wie verlautet, hat der Ncichsfinanzminister bei der Etatgestaltung noch nicht in allen Dingen endgültig entschieden, sondern dem Neichskabinett ist freie Hand gelassen worden, insbesondere muß darüber entschieden werden, ob noch in Aussicht stehende Anforderungen des Rcichsarbeitsministcrs Berücksichtigmrg im ncmen Reichshaushaltsplan finden sollen.
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Beginn der parlamentarischen Wintertagnng.
In dieser Woche nehmen die beiden großen Berliner Parlamente ihre Tätigkeit wieder auf. Der Reichstag tritt bekanntlich am Mittwoch, 27. November, wieder zusammen, während der preußische Landtag bereits am Dienstag seine Arbeiten wieder anfnimmt. Der Auswärtige Ausschuß des Reichstags ist ebenfalls auf Dienstag einberufen worden. Der Haushaltsausschuß des Reichstags und der Volkswirtschaftliche Ausschuß versammeln sich bereits am Montag. Bon den NeichstagSfraktionen sind bisher die Fraktion der Deutschen Bolkspartci zum 26. und die der Deutsch- nationalen Volksparte! und der Demokraten zum 27. November cinberufen worden.
Die Grenzlandpolilik im Osten
Verhängnisvolle Vertragspolitik mit Polen
TU. Breslau, 25. Nov. Auf der Ostlandkundgcbung des Augustinusvereins sprach Prälat Ulitzka über „Grenzland- polittk im Osten". Er wies u. a. darauf hin, daß planvoll «ine Annäherung und Verständigung zwischen Deutschen und Polen angebahnt werben müsse, aber ein Ostlocarno sei unmöglich. Bon Handelsvertrags- und ähnlichen Verhandlungen eine minderheitenpolitischc Entspannung in Polen zu erwarten, sei eine Utopie, die die Lage und Psyche des Gegners verkenne. Ebenso sei wenig von dem Minderheitenschutz durch den Völkerbundsrat z« erwarten. Dazu komme das Nachgebe» des Reiches, so daß Pole« die deutsche Nachgiebigkeit als feste Tatsache i« feine Rechnung einfetze.
Die vorliegenden Schwierigkeiten entzögen «nS jedoch nicht der Frage, die Gegeruvartsaufgaben sür beide Völker zu lösen. Dazu gehöre vor allem die Regelung der wirtschaftliche» Beziehungen, aber die jetzt angebahnte Nauschersche Vertragspolilik, auch der Abschluß in der LiquidattonSfrage, sei ein Verhängnis. Jedenfalls dürfe der Handelsvertrag nur geschloffen werde» «nter völliger Sicherung der agrarischen Ostflanke des deutschen Volkes. Das Kohlenkontingent sei für Oberschlesien nur zu ertragen, wenn man «S nach Norddeutschland in das Gebiet der englischen Kohle leite.
Gesandter Rauscher in Berlin.
TU Warschau, 25. Nov. Der deutsche Gesandte in Warschau, Rauscher, ist am Samstag abend aus Warschau nach Berlin abgeretst.
Die DVP. behält sich ihre Stellungnahme zu den Polenverträge» vor.
Die „Nationalliberale Korrespondenz", der parteiamtliche Pressedienst der DBP„ bemerkt zu der Entschließung des beutschnationalen Parteitags bezüglich der deutschen aus- wärttgen Politik, für die auch gerade die Volkspartei verantwortlich sei, u. a. folgendes: „Einmal ist eS nicht angän- gig, die heutige N-ichsregierung und die hinter ihr stehenden Parteien, zu denen auch das Zentrum, die Bayerische Volkspartei und die Demokraten gehören» für den Verlust des Krieges und seine Folgen verantwortlich zu machen. Zum anderen hat die DVP. weder zu dem deutschpolnischen Liquiöationsabkommen noch zu den deutsch-polnischen Han- delsoertragSvcrhandlungen bis jetzt überhaupt Stellung ge- «ommen. Im Gegenteil hat sie sich ihre Stellung ausdrücklich Vorbehalten."
Tages-Spiegel
Der Reichshaushaltsplan sür 1930 ist fertiggestellt. Er wird dem Reichstag zusammen mit de« Nachlragsetat 1929 vor- gcl.gt rvcrdeu.
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Gegen die VertragSpoliAk mit Polen werden weitere Proteste im Osten des Reiches laut. Die Lösung der Lior'da- t'onsfragc wie das Wirtschastskompromitz werden als verhängnisvoll bezeichnet.
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In Berlin beging der Polizeipräsident die Taktlosigkeit, am Totensonntag Tanzvergnügen und Kabarcttvolstelliingen zu gestatten «nd später in unzureichender Form z« wider, rnfc«. Tie evaug. Kircheubehörden haben Verwahrung eingelegt.
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Die Vombenattentatc 1» Schleswig-Holstein nnd in der Provinz Hannover sind jetzt b>s in alle Einzelheiten hinein aufgeklärt.
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Die Sowjets habe« trotz der weitcrgehsnden Verhandlungen mit der deutschen Negierung 690 deutsche Kolonisten verhaftet und zwangsweise znrücktranSporticrt.
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Der frühere französische Ministerpräsident Elemencean ist »n der Nacht znm Sonntag, 1.55 Uhr, im 89. Lebensjahr gestorben. Mit ihm ist einer dex glühendste« Hasser Deutschlands ans der Welt geschieden.
Die Saarverhandlungen
TN Paris, 25. Nov. Die Führer der deutschen und der französischen Abordnung für die Saarverhandlungen werden heute im französischen Außenministerium zu einer Besprechung zusammentretcn. Eine Vollsitzung ist vorläufig nicht vorgesehen. Die nächsten Verhandlungen werden zwischen den Unterausschüssen stattsinden. Ein Zeitpunkt für diese Besprechungen ist noch nicht festgesetzt.
Die Buhndau-Kontrolle im entmilitarisierten Gebiet
Vor der Veröffentlichung der deutsch-französischen Abmachungen.
TN. Berlin, 25. Nov. Wie von zuständiger Stelle mitgeteilt wird, sind im Zusammenhang mit der rheinischen Eisenbahnfrage von deutscher amtlicher Seite Schritte unter- nommen worden, um die Zustimmung der französischen Regierung zur Veröffentlichung der in dieser Frage geschlossenen Abmachungen einzuholen.
Eine halbamtliche Mitteilung.
In verschiedenen Presseäußerungen der letzten Tag« ist die Besorgnis ausgesprochen morden, daß in den im Monat August abgeschlossenen Vereinbarungen über die rheinischen Eisenbahnen Len in der Botschaftcrkönferenz vertretenen Regierungen ein danerudcs überwachungsrecht elngeräumt worden sei, demzufolge künftig in der entmilitarisierten Zone kein Bahngleis, keine Brücke, keine Laderampe gebaut werden könne, ohne daß zuvor die Botschasterkonfercnz die Genehmigung erteilt hätte. Diese Besorgnis ist unbegründet. Bereits in der Verlautbarung vom S. November ist darauf hingewiesen worden, daß die Botschafterkonfcrcnz weder rechtlich »och tatsächlich die Befugnis in Anspruch nimmt, Deutschlands Freiheit zur wirtschaftliche« Entwickelung des Gifcnbahnsystems in der entmilitarisierten Zone z» beeinträchtigen.
Zur Erläuterung sei noch folgendes bemerkt: Die rechtliche Grundlage der genannten Verhandlungen bildete Artikel 43 des Versailler Vertrages, der Deutschland bekanntlich die Beibehaltung von Mobilmachungsvorbereitungcn in der entmilitarisierten Zone untersagt. Selbstverständlich konnte es sich nicht darum handeln, die Rechte und Pflichten, die einerseits sür die tn der Botschafterkonferenz vertretenen Negierungen, andererseits für die deutsche Negierung aus dieser Bestimmung folgen, zu ändern, sondern nur darum, ihren Umfang und ihre Bedeutung klarzustellen. Daö ist ge- schehen. Eine Mobilmachnngsvorbcreitnng liegt nur dann vor, wen« ei» mit dem Vorwände wirtschaftlicher Interesse« begründeter Bahuba« in der Tat militärischen dient. Die in der Botschasterkonfercnz vertretenen Negierungen habe» nach Artikel 4L auch in Znknuft nur daS Recht, bei der deutsche« Negierung Beschwerde zu erheben, wen» sie glaube«, de» Nachweis führen z« können, daß cs sich im konkrete» Falle «m eine derartige Bahnanlage handelt. Dieser Grundsatz ist i» de, Fassung der Vereinbaruage« z«m Ausdruck gekommen.
Zwangsmaßnahmen gegen die Wolgadeutschen
TN Kowno, 25. Nov. Wie aus Moskau gemeldet wird, hat die OLPU. 880 deutsche Kolonisten fcstgeuommeu «nd sie wieder nach dem Kaukasus adtransportiert. Den Fest- genommenen wurde erklärt, daß die Sowjetregiernng keine Möglichkeit habe, ihnen Auslandspässe auszuhändigen.
Die Sowjetregierung hat weitere Schritte für die Auflösung der individuellen Bauernwirtschaft in der Wolgadeutschen Republik unternommen. Wie amtlich gemeldet wird, erklärte Nyskulow, der Vorsitzende einer besonderen Negierungskommission, die sich zur Zeit in Pokrowsk aufhält, daß die Anlösung der individuellen Bauernwirtschaft in der Wolgadeutschen Republik beendet sei. 80 vom Hundert der Bauern in der Wolgadeutschen Republik hätten sich bereit erklärt, eine Kollektivbauernwirtschaft zu gründen. Mit dieser Maßnahme der Regierung hat sich selbstverständlich die Lage der deutschen Kolonisten, die beschlossen haben, in der Sowjetunion zu bleiben, weiter verschlechtert.
Wie von gut unterrichteter Seite in Moskau mitgeteilt wird, hat die Sowjetregierung die Ausreiseverbote nur sür 1000 dculsche Kolonisten aufgehoben, für dl« anderen bleibt das Verbot weiter in Kraft. Der deutsche Geschäftsträger von Twardowski wird sofort weitere Schritte bei der Sowjet, regierung unternehmen.
Georges LIemenceau -s-
TU Paris, 28. Nov. Der ehemalige französische Ministerpräsident GcorgeS Clemenceans ist in der Nacht znm Sonntag um 1.85 Uhr französischer Zeit seiner Krankheit erlege«.
Elemencean war bekanntlich einer der furchtbarsten Feinde Deutschlands und eiu Verfechter des Krieges bis zum äußersten. Er unterdrückte den Friedensgedanken in Frankreich mit äußerster Schärfe. Seiner eisernen Zähigkeit ist es gelungen, über alle Niederlagen und Enttäuschungen hinweg den Krtegswillen seines Landes wieder anzu- fachen und alle Friedens- und Vcrständigungswünsche zu unterdrücken. Als Vorsitzender des Obersten Rates diktierte er die Friedcnsbedingnngen von Versailles, St. Germain und Neuilly. Nach Len Wahlen im Januar 1920, als Dechanei Präsident der Republik wurde, zog er sich aus dem politischen Leben zurück. Seither lebte er fern von Len Menschen meist in seiner Heimat, der Vendee.
Ministerpräsident Tardteu begab sich nach dem Tod Clemcnceaus sofort in das Trauerhaus. Beim Verlassen des Hauses erklärte er Journalisten, daß dem Wunsch El«, mcnceauö gemäß keine StaatsfeierlichkeU anläßlich der Be- erdiaunp ltattiinden werde.