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Nr. 276

Eamstag, den 23. November 1929

Reichskabinett und Volksentscheid

DasFreiheilsgesetz" gilt als versassungsändernd

TU. Berlin, 23. Nov. Amtlich wird mitgeteilt: Das Neichskabinett befaßte sich in seiner gestrige« Sitzung unter dem Vorsitz des Reichskanzlers mit de« infolge der Einbrin­gung des Volksbegehrens an-gcworscne« Fragen. Insonder­heit war das Neichskabinett der Ansicht, daß das Volksbegeh­ren versassungsändernd und daher znr Annahme des Gesetzes durch Volksentscheid nach Art. 78, Abs. 1, Satz 4 der Neichsversassung die Zustimmung der Mehrheit der Stimmberechtigten erforderlich ist.

Das Reichskabinett ist der Ansicht, daß eine Verfassungs- ändernng vorliegt, schon aus dem Grunde, weil in dem be­kannten 8 4 mittelbar anch die Rechte des Reichspräsidenten über das in der Verfassung vorgesehene Maß hinaus, be­grenzt werden sollen. Diese Frage ist deshalb so wichtig, weil sie für die Taktil der anderen Parteien entscheidend ist. Enthält basFreiheitsgesetz" eine Verfassungsänderung, dann mntz der Neichsausschuß aus eigener Kraft die Hälfte aller Wahlberechtigten mit einer positiven Abstimmung an Sie Urne bringen. Ist es keine Verfassungsänderung, dann würde nach der vorherrschenden Ansicht die Teilnahme der Hälfte der Stimmberechtigten genügen, von denen dann wie­der die Mehrheit für das Volksbegehren stimmen müßte, um die Annahme sicherzustellen. Allerdings wird diese Aus­legung auch bestritten. Die Deutschnationalen behaupten, daß dadurch der Verfassung Gewalt angetan würde, daß viel­mehr die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen zur Annahme genüge. Unter diesen Umständen wäre es zwei­felhaft, ob die Regierungsparteien klug daran täten, Wahl- enthaltung zu üben. Alle derartigen Zweifel dagegen wer­de« behoben, sobald es einwandfrei feststeht, daß das Gesetz

eine Verfassungsänderung bedeutet, weil dann nicht mehr die Wahlbeteiligung, sondern die positive Stimmenabgabe der Hälfte der Wahlberechtigten entscheidet.

Die Regierung wird sich bet der Weitergabe des Volks­begehrens an den Reichstag mit der kurzen Erklärung be­gnügen, daß sie den Antrag ablehnt und eine entsprechende Beschlußfassung des Reichstages beantrage

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Das Agrarprogramm der Reichsregierung

Die neuen Getreid-zölle.

TU Berlin, 23. Nov. Wie derVorwärts" berichtet, wurden in der Freitagssitzung des Neichskabinetts die Sätze der seit langem angekündigten neuen Agrarzölle festgelegt. Anstelle der bisherigen starren Zölle sollen gleitende Zölle für Weizen und Roggen treten, und zwar in folgender Höhe: Für Roggen und Weizen in Höhe von 5,7 und 9 Mark bzw. 5,5, 7,5 und 9,5 Mark. Der mittlere Zollsatz von 7 Mark bzw. 7,50 Mark soll so lange in Kraft bleiben, als sich der Noggenpreis in der Grenze von 2224 Mark und der Wei­zenpreis zwischen 25 und 27 Mark bewegt. Unterschrei­ten Roggen- und Weizenpreise die Untcrgrenze, so soll der Zoll auf 9 und 9,50 Mark erhöht werden. Eine Verände­rung gegenüber den bisherigen Plänen wurde dadurch vor­genommen, daß bei Ucberschreitung eines Noggenprcises von 24 Mark und eines Weizenprcises von 27 Mark je Dop­pelzentner der Zoll unter die bisherige Höhe, und zwar auf 5 Mark, ermäßigt werden M. Gegenüber einem bis­herigen Mehlzoll von 14,60 Mark soll in Zukunft bei einem Getreidesoll von 5 Mark (5,50 Marks der Mehlzoll auf 11,25 (12) Mark, bei einem Getreidesoll von 7 (7,50) Mark auf 14,25 (15) Mark und schließlich bei einem Zoll von 9 <9,501 Mark auf 17,25 (18) Mark festgesetzt rverden.

Die Fürsorge für

Rußland

hebt das Auswanderungsverbot auf

Beratungen über das Schicksal der deutsch-russischen Bauern.

TU. Berlin, 23. Nov. Gestern hat im Reichsministerium des Innern eine Sitzung aller beteiligten Ressorts begon­nen, die sich mit der Frag« der notleidenden deutsch-russischen Bauern beschäftigt. Gegenstände der Beratung sind:

1. die Frage der Fürsorge in Deutschland und

2. die Frage, ob die Flüchtlinge nach Kanada oder nach Südamerika zur Auswanderung gebracht werden können.

DaS russische AnswandcrungSverbot aufgehoben.

Wie aus Moskau gemeldet wird, ist am Freitag abend der erste Zug mit 1200 deutschen Kolonisten aus Moskau in Richtung Deutschland abgegangen. Der zweite Zug wird wahrscheinlich am Samstag abend Moskau verlassen. Die deutschen Kolonisten beabsichtigen, vorläufig in Königsberg zu bleiben. Der deutsche Geschäftsträger in Moskau, v. Twardowskt, hat beim Außenkommissariat weitere Schritt« unternommen, um die Auswanderung der deutschen Kolonisten aus der Sowjetunion zu beschleunigen.

Das Verbot brr O.P.G.U. für die Ausstellung der Pässe für die deutsche» Koloniste« ist auf Befehl des Rates der Volkskommissare, der sich grundsätzlich für die Auswande­rung der deutschen Koloniste« ausgesprochen hat, aufgeho- be« worden.

Pässe für weitere 300 Dcutschc ausgestellt.

Nach Moskauer Meldungen teilt die amtliche russische Telegraphen-Agentur mit, daß die Sowjetregterung am Frei­tag 300 deutschen Kolonisten mit ihren Familien Pässe für die Auswanderung nach Deutschland ausgestellt hat. Die Kolonisten sind zunächst nach Leningrad abgereist und wer- den sich am Samstag nach Stettin etnschtffen. Die Freigabe der Pässe für die deutschen Kolonisten ist auf den Schritt der deutschen Botschaft in Moskau zugunsten der Kolonisten zurückzuführen.

Dr. o. Dirks«« fährt nach Moskau zurück.

Wie ein Berliner Blatt berichtet, begibt sich der deutsche Botschafter in Moskau, Dr. v. Dirksen, unter Abkürzung sei­nes Urlaubes am heutigen SamStag auf seinen Posten zurück.

Sturm auf das Sowjetkonsulat in Lemberg

Schwere Ausschreitungen nationcNstlscher Ukrainer.

TU Warschau, 23. Nov. Wie auS Lemberg gemeldet wird, haben dort am Donnerstag große ukrainische üuuü-

die Auswanderer

gebungen stattgefunden, die sich in erster Linie gegen Sow- jetrußland richteten. Der Berichterstatter des Expreß Po- ranny meldet, daß die Kundgebungen an drei Stellen zu- gleich begannen, so daß die Polizei nicht in der Lage war, sie rechtzeitig zu unterdrücken.

Nach dem Bericht der Zeitung rückte« etwa 280 Ukrainer, hauptsächlich Jugendliche, vor bas Sowjstkonsulat und um­zingelte« die alleinstehende Villa. Alle Feustcrscheiben des Gebäudes wnrde« durch Stcinwürfe cingeschlagen, woraus die Kundgebcr unter Absingnng des ukrainischen National- liedcs ins Hans eindrangen und einen Teil der Einrich­tung in Len Räumen zu ebener Erde zerstörte«. Da das Konsulatsbüro unter dem Steinhagel der Ukrainer lag, konnte der Sowjetkonsul Lapczynski das Telefon nicht er­reichen. Die Demonstranten, deren Zahl sich von Minute zu Minute vergrößerte, riefen:Nieder mit den Henkern der Ukraine!" Der sowjetrusslsche Konsul zog sich in die obe­ren Stockwerke zurück und feuerte von dort aus mehrere Revolverschüsse ab, worauf die Angreifer sich zerstreuten. Als die berittene Polizei eintraf, war der Platz vor dem Konsulat bereits fast vollkommen geräumt.

An anderen Stellen wandten sich die Kundgeber gegen Gebäude und Privatwohnunge« derjenigen Ukrainer, die mit Polen und Rußland sympathisieren und das Ukrainer, tum als Eigennation nicht anerkennen wollen. 16 Kund- geber wurden verhaftet. Abends begab sich der Stadthaupt­mann Klotznin in das Sowjetkonsulat, um dort den ange­richteten Schaden festzustellen. Viele durch Steinwürfe und Glassplitter verletzte Personen mußten sich in ärztliche Be­handlung begeben. Die Warschauer Presse fügt hinzu, daß sich die von den ukrainischen Nationalisten ausgehenden Kundgebungen in erster Linie gegen die Maffenerschicßuu» gen und Verfolgungen der ukrainischen Intelligenz i« der Sowjetunion richteten. Außerdem habe der Sowjetkonsul eine kommunistische ukrainische Tageszeitung und eine Zeit­schrift gegründet. Schließlich sei die Protestkundgebung ge» gen die sog. altruffischen Kreise gerichtet gewesen, die eine polenfreundliche Politik machten und der nationalukratni- scheu Idee fernstäuden.

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Russischer Protest in Warschau.

TU Kowno, 23. Nov. Wie aus Moskau gemeldet wird, überreichte der russische Gesandte in Warschau im Aufträge des Außenkommissariats dem polnischen Außenminister eine Note, in der scharfer Einspruch gegen die feindlichen Kund­gebungen in Lemberg erhoben wird. Die Vorgänge seien aus eine Auswirkung der Hetze der polnischen Presse zu- rückzuführen. Die Sowjetregierung spricht weiter die Hoff­nung auS, daß die polnische Negierung scharfe Maßnahmen gegen die Hetze in der polnischen Presse ergreife.

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102. Jahrgang

Tages-Spiegel

Das Neichskabinett hat in seiner gestrigen Sitzung baS Bolksbcgchrc«Freiheitsgesetz" für verfassuugsändcrud erklärt.

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Die der Negicrungskoufercnz vorangehende Juristeukouse, renz ist auf 2. Dezember nach Brüssel cinbr. usen worden, sie wird die Vorschläge der siebe» Kounzptan-Arrsschüfle prüfen.

Die Sowjetunion hat das Nuswanderungverbot für die deutsche« Bauern vor Moskau aufgehoben. Tic erste« Transporte sind bereits «ach Königsberg uu- Stettin ab» gegangen.

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I« Lemberg kam es zu ukrainischen Kundgebungen gegen Sowjetrußland. Das russische Konsulat wurde gestürmt und beschädigt.

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Die deutsche« Vertreter sind gestern ans der lettische« Regie» rung ausgetrete« infolge Annahme eines Gesetzes gegen die Siedelungsrechte der deutsch-baltischen Frontkämpfer.

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Der Orientexpretz ist anf jugoslawischem Gebiet von einer Räuberbande überfalle« worden.

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Hugenberg forderte ans dem Kasseler Parteitag z« einer sofort z« bildenden bürgerliche» Einheitsfront gegen die Marxisten anf, andernfalls er seine Opposition verstärke» werde.

Um den Termin der Regierungskonferenz

Jaspax will das Datum feststen?

TU Paris, 23. Nov. Der Brüsseler Korrespondent de- Echo de Paris weiß seinem Blatt zn melden, die Nachricht» daß sich Deutschland und Frankreich über die Festlegung des Beginns der zweite« Haager Konferenz anf de» S. Januar geeinigt (!) hätten, habe in amtlichen belgischen Kreisen große Ueberraschung hervorgerufen. Man habe den Eindruck gehabt, daß Herr von Hoesch und Briand etwas zu schnell zu Werke gegangen seien. Jaspar, der Präsident der ersten Konferenz, zeige keine Lust, auf seine Rechte zu verzichten, da dies eine Prestigefrage für Belgien sei. Jaspar beabsichtige, selber das Datum auszuwählen und er werde es tun, sobald -er juristische Ausschuß seine Sitzung abge­halten habe, die in wenigen Tagen in Brüssel stattstndeu werbe.

Die Juristenkouferenz aus dr» 2. Dezember einberufe».

Wie das Berliner Tageblatt ans Brüssel meldet, hat Ministerpräsident Jaspar die Juristenkonfereuz aus den 2. Januar nach Brüssel einbcrnfen. Sobald die Arbeit der Kommission genügend vorgeschritten sei« wird, solle die zweite Haager Konferenz einberufen werden, und zwar werde di« Einbernsnng wohl Anfang Januar stattsinde».

Briand über Doungplan und Rheinlandräumung

TU. Paris, 23. Nov. Der Auswärtige Ausschuß -er Kam- mer nahm unter dem Vorsitz Paul Boncours eine ausführ­liche Erklärung des Außenministers Briand über di« inter­nationale Politik entgegen. Briand stellte noch einmal die Ereignisse auf, die der Schaffung des Uoungplanes voran- gingen und ihr folgten. Dank des guten Willens auf beiden Seiten und trotz der großen Schwierigkeiten sei die Haager Konferenz durch ein für alle Teile ehrenhaftes Abkommen beendet worden. Briand kam dann auf die Nheinlandräu- mung zu sprechen und erklärte, daß man aus alle Fälle noch vor Ende Februar nächsten Jahres sehe« wer de, ob der Nonngpla« in Kraft treten könne oder nicht. Sollte das nicht der Fall sein, so könne die Frage der Rhcinlandräumnng überhaupt nicht mehr ansgerollt «erden. Im cntgegengesetz. tcn Fall habe Frankreich jedoch alles Interesse, der Nhein- landräumung keine Schwierigkeiten «ntgegenzusetzen unL diese Räumung nach Möglichkeit zu beschleunigen.

Anschlag auf den Orientexpreß

TU. Paris, 23. Nov. Nach einer Havasmelduiig aus Bel­grad ist der Oricntexpreß zwischen den Erenzbahnhösen Dragoman und Zartbrod von Räubern Überfällen worden. Der Petit Parisien meldet zu dem Überfall aus Belgrad, daß zwei Bomben auf den Zug geschleudert und Gewehrschüsse abgegeben wurden, als er sich dem Bahnhof Zariürvb näherte. Der Anschlag soll von einer bekannten Räuberbande a»S- gcführt worden seiir. Tie Lokomotive wurde beschädigt, der Zug konnte jedoch den Vahnhos Zaribrod erreichen, wo mau feststcllte, daß kein Reisender verletzt war.