Nr. 306.

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

98. Jahrgang.

Trtch»rnungswerse: vmal wöchentt. Anzeigenpreis: Dir klejnspattige Zette 60 Pjg. Nettameir 2. Mk. Aus Sammelanze?gen kommt rin Anschlag von »60»/,. Fernspr.S.

Freitag, den 31. Dezember IM».

ve,u««»r«i»: In drr Lladl mjl Lrägerlohn Mk, 12.SO oi«rt«Ijäi»rUch. B»l>b«jug»pr«t» Mk. ILM mit vkftcvgeld. kchluh d«, Un,«!-enan»»I>m« 0 Uhr »ormitlog».

Neujahr 1921!

Und wieder ward aus Lag und Mond ein Jahr* 1921 hebt sich aus dem Schoße der Zeit und legt uns nahe, dem scheidenden Jahr die Hand zum Abschied zu reichen, ihm selbst aber mit hassen­dem Ausblick und guten Wünschen den Willkomm zu entbieten.

Das abgclaufene Jahr zeigt Freud und Leid wie bei dem Einzel­nen so auch bei unserem Volke. Kräftigen Anlaus nahm der Wunsch nach Abkehr von den Irrwegen der jüngsten Vergangenheit und das Verlangen nach der Wiederaufrichtung des wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Lebens, aber einer flotten Aufwärtsentwicklung stand immer der Haß und die Ränke, die Habsucht und die Angst unserer einstigen Gegner im Wege. Die Sehnsucht des Volkes nach wirt­schaftlichem und sozialen! Frieden wuchs zwar hier und dort merklich an, aber falsche Propheten, deren Brot eben die Lüge und die in­nere Unsicherheit ist, konnten doch immer kaum Aufgerichteles wieder einrcißen und zarte Keime in den Boden stampfen. Der große, starke Mann aber, der allein alles wenden känntc..... der heilige Zorn, der, ohne zu fragen, was kommen Mächte, die schwarze Schmach aus dem Lande prügelt und freche Fremdlinge mit deutschen Fäusten be­lehrt, daß Deutschland zwar geschwächt, aber noch lange nicht tot ist, der große Wecker der Zeit endlich, ein Fichte oder Jahn oder Arndt sie wurden uns auch vom Jahre 1920 nicht beschert. Und so treten wir denn mit einem großen schweren Bündel deutscher Sorge und Not ins Jahr 1921 hinüber; mit einem Bündel der Sorge Aller, der gegenüber dem, was dem Einzelnen an Enttäuschung bereitet ward, wohl kaum ins Gewicht fällt. Warum?... Was ist denn der Einzelne, mögen sich auch seine Truhen noch so Men mit heute doppelt trügerischem Mammon, wenn das ganze Wirt­schaftsleben auf tönernen Füßen steht? Was bedeutet denn der Ein-

H Wjmst » tt ,* G hvysäs rvenn »VS «V

Trägheit oder Unvernunft verharrt? Und was soll vollends die ganze Arbeit aller Gutgesinnten und Ehrlichen, wenn ungezählte andere in Verstockter Bosheit und Verblendung verharren?

Und so mögen denn auch unsere Wünsche, unsere Hoffnungen für 1921 dem Wohlergehen des Einzelnen, des uns nahestehenden engen Kreises gelten; sie seien auch der Heimat und dem Volksganzen ge­widmet. Nicht mit lautem, übermütigem Becherklang und auch nicht Mit großem Wortschwall. Nein, in ernster Selbsteinkehr und kurzer, aber nachdenklicher Ausschau auf nur zwei Tage, die uns im Laufe von 1921 besonders lebhaft vor das Auge treten müssen: nicht weit hinter der Schwelle des Jahres steht der 50. Jahrestag von Versailles, eines Versailles von dermaleinst. Was ist von seiner Größe geblieben? Wenn aber der Lenz im deutschen Lande auf die Berge steigt und der Maimond neues Hoffe» in die Herzen zaubern wird, werden IVO Jahre vergangen sein, seit ein höherer Wille Einen auf die Bahre streckte, der einst auch Deutschland in den Staub getreten hatte. Was ist von dessen Größe geblieben? So sind weder Größe noch Unglück von ewiger Dauer; und kein Volk, dessen ewig das Licht oder ewig die Sonne wäre. Aufwärts und abwärts vielmehr führen aller Völker Wege; und aller Jahre Inhalt ist Aufstieg und Niedergang, Werden und Vergehen und Wechsel und Wandel.

Mit dem Blick auf diese, von aller Zeiten Geschichte gelehrte Wahrheit wollen wir, das ganze deutsche Volk, ins neue Jahr hin- übertreten; und dieses, jeder nach seinen! Können, der großen Arbeit des nationalen Wiederaufbaus widmen. Tun wir das und darf dieser Arbeit der Segen werden, so wird auch den guten Wünschen und Hoffnungen, die der Einzelne dem Einzelnen an der Jahres­wende mit auf den Weg geben mag, die Erfüllung nicht versagt blei­ben. In diesen! Sinne also Glück auf und Sonn auf in 1921!

Ser Menwechsel öder die PilizelstW.

Berlin, 30. Dezember.

Der Vorsitzende der- Interalliierten Militärkontrollkommifflon, General Rollet, hat an den Direktor der FricdenSabtrilung im Aus­wärtigen Amt am 23. Dezember 1920 folgende Note gerichtet:

Zwei Monate nach Ablauf der für die Auflösung der Sicher­hettspolizei bestimmten Frist ist die Interalliiert« Militärkontroll- kommisston noch nicht im Besitze aller Verfügungen, die die beteiligten Länder des Reiches behufs dieser Auflösung zu erlassen hatten. Außerdem hat Pc keine Kenntnis davon erhalten, daß irgend eine - Ausführung? Maßnahme zur Anwendung der ihr mitgeteilten Ver­fügungen getroffen worden wäre. An keiner Stelle des Reiches hat ^bie Kontrolle festgcstellt, daß die Aufhebung der Sicherheitspolizei durchgcsührt oder auch nur im Gange wäre. Sie hat im Gegen­teil festgestellt, daß die hiesige Ordnungspolizei nichts anderes ist als die Sicherheitspolizei, verstärkt um einen Teil der früheren blau«! Polizei, daß also die Stärk- der Polizei in Zivillleidung eine Ver­mehrung erfahren hat, die sich neben den Bestimmungen des Art. 162 des Friedensvertrages nicht rechtfertigen läßt. Die Interalliierte Militärkontrollkommifflon nimmt Kenntenis von der Verletzung des

Friedensvertrages und der Note von Boulogne, die sich aus den oben wiedergegebenen Tatsachen ergibt. Sie beehrt sich, das Ver­langen zu stellen, daß die Sicherheitspolizei sofort vollständig auf­gelöst wird und daß dir Gesamtstärke der Beamten und Angestellten der verschiedenen Arten von Polizei aufd as Maß zurückgcführt wird, das sich aus der Anwendung der Bestimmungen des FriedenSvertrags ergibt. Ich bitte außerdem, im Anschluß an mein Schreiben vom . Oktober Nr. 1176, daß so bald als möglich der Kommission mit­geteilt werde der Bestand aller Polizeibr'amten, Angestellten in Zivil und Uniform nach Massen geordnet, der in den verschiedenen Staaten des Reiches einerseits, im Budget von 1913 und andererseits im Budget von 1920 vorgesehen ist.

Auf die Note ist vom Auswärtige nAmt am 24. Dezember fol­gende Antwort gegeben worden: Ich beehre mich, den Empfang der Note vom 23. Dezember Nr. 1266 betreffend die Auflösung der Sicherheitspolizei zu bestätigen. Im Namen der deutschen Regierung protestiere ich gegen die Feststellung, daß Deutschland die Bestim­mungen des Vertrags von Versailles und' der Note von Boulogne über die Polizei verletzt habe. Die deutsche Regierung erhebt An­spruch auf eine gerechtere Beurteilung. Eine eingehende Beantwor­tung der Note behalte ich mir vor. Ich bemerke heute nur folgendes: Die deutsche Negierung hat erst anfangs Oktober nach langwierigen Verhandlungen niit den von Ihnen beauftragten Offizieren Klar­heit darüber erhalten, was nach Ansicht der Kontrollkommission zu geschehen hätte, um dm Anforderungen der Note von Boulogne zu genüge». Erst dann konnten die grundlegenden Verfügungen erlassen und die Durchführungsbestimmungen ausgcarbeitet werden. Die getroffenen Anordnungen entsprechen in jeder Hinsicht dem Friedens­vertrag und der Rote von Boulogne. Selbstverständlich erfordert die Umbildung eines so großen Beamtenkörpers, wie «8 die deutsche

»in» s«t»iff» A»»t, s» »oh «r nur HurllEich ist, »»«UN da»

Ergebnis noch nicht überall für dir Kontrolle erkennbar wurde. Wie wenig die Behauptung, daß die gegenwärtige Ordnungspolizei nichts anderes als eine noch verschärfte Sicherheitspolizei sei, den Tat­sachen gerecht wird, ergibt sich aus der Beunruhigung, dir in der öffentlichen Meinung durch die tief eingreifenden Organisations- Maßnahmen hervorgerufen worden ist. In weiten Kreisen ist die Befürchtung entstanden, daß die Polizei in der neuen Gestalt ihren Aufgaben nicht gewachsen sein würde.

Der Botfchastcrkonfercnz ist eine deutsche Note übermittelt wor­den, In der gegen die Unterstellung protestiert wird, daß Deutsch­land den FriedcnSvertrag in der Pollzeifrage verletzt habe. Dir deutschen Botschafter sind angewiesen worden, die Angelegenheit mündlich mit ben Regierungen der EntentclSnder zu besprechen.

Zar Were» Lage.

Belgiens Verzicht auf ein Zwangsmittel des Berfailler Vertrags.

Brüssel, 29. Dez. Auch Belgien hat nunmehr auf den § 18 des Versailler Vertrags verzichtet. Es handelt sich bekanntlich um den Z 18 des Anhangs 2, auf den auch die englische Regie­rung vor kurzem bereits verzichtet hatte, allerdings nicht ohne Protest und Beschwerden seitens der französischen Regierung. Ein belgischer Ministerrat hat sich gestern mit dem Paragraphen befaßt, wonach die Cntentcstaaten ermächtigt find, unter ge­wissen Umständen die Privatguthaben der ehemals feindlichen Staatsangehörigen, soweit sie sich in dem Gebiete der Letr. Ententestaaten befinden, als Zwangsmittel im Falle einer Nichterfüllung des Vertrags durch Deutschland zu beschlagnah­men. Der Verzicht der belgischen Regierung hat die Wirkung, daß die deutschen Schiffe den Hafen von Antwerpen verlassen können. Die belgische Verzichtleistung erfolgte mit Wissen der französischen Regierung, wenigstens haben in der letzten Woche Verhandlungen zwischen Paris und Brüssel stattgefunden. Der Beschluß wurde in erster Linie von den höheren Interessen des Antwerpener Hafens diktiert. Man befürchtet bei einer eventl. Beschlagnahme der deutschen Schiffe, daß di« Deutschen dadurch künftig veranlaßt würden, statt Antwerpen Rotterdam anzu­laufen.

Einschränkung der Rüstungen.

London, 30. Dez.Daily Lhronicle" sagt in einem Leit­artikel über die Einschränkung der Rüstungen zu Wasser und zu Lande: Wenn di« Großmächte sich nicht über dre Einschrän­kung ihrer Rüstungen einigen, so wird der sich gegenwärtig zwischen den Nationen entwickelnde Wettbewerb unvermeidlich und zu einer neuen Katastrophe führen.

London, 30. Dez. In einem anläßlich des von der Newyork World zugunsten der Abrüstung eingeleiteten Feldzugs an das Blatt gerichteten Mief spricht der erste Lord der Admiralität

Walter Beng den Wunsch aus, daß Amerika und England eine vernünftige Einschränkung der Rüstungen vornehmen möchten.

Das Ende der Frage von Flume.

Rom, 30. Dez. Das Abkommen zwischen den Vertretern Fiumes und dem General Eaviglia betrifft u. a. auch die Rück­gabe der Inseln Arbe, Veglia, San Marco, sowie sämtlicher Schiffe und des Kriegsmaterials. Die letzten Nachrichten aus Fiume haben in ganz Italien große Genugtuung Hervor­rufen, da nunmehr auch Italien endlich seine Ruhe finden und für seinen Wiederaufbau sorgen kann.

Rom» 30. Dez. Die Blätter heben die von dem italieni­schen Heer und der Marine bei den Ereignissen vor Fiume be­wiesene Disziplin hervor. Sie hatten ihre schwere Aufgabe ohne auch nur zu schwanken erfüllt. Heer und Marine seien dabei von der öffentlichen Meinung gestützt worden, die sich entschieden gegen jedes neue Abenteuer erklärt habe. Der Abschluß der Fiumer Angelegenheit wird von den Blättern als ein Sieg der Vernunft, der Ordnung und der Disziplin angesehen.

Notenwechsel zwischen Rumänien und Rußland.

Loudo«, 31. Dez. Einer Meldung derDaily News' zu­folge besagt ein Moskauer Funkspruch, Take Jonescu habe zwei Roten an Tschitscherin gerichtet, worin er die Aufmerksamkeit der Eowjetregierung auf die Konzentration russischer Truppen am Dnjester richtet. Tschitscherin habe erwidert. Rußland und die Ukraine hätten keine militärischen Angriffsabsichten gegen Rumänien. Wenn Rumänien den Vorschlag, eine Friedens­konferenz abzuhalten, annehmen würde, wäre jeder Anlaß zu einem Konflikt beseitigt.

Bukarest, 30. Dez. (Tel,-AL. Damian.) Mit dem heutigen Tag find die diplomatischen DeZlehungen mit Bulgarien wieder hergestellt. Der bulgarische Gesandte Nolkosf überreichte heute König Ferdinand sein Beglaubigungsschreiben.

Ausland.

Uneinigkeit aus dem Parteitag in Tours.

Tours, 31. Dez. Die Kommunisten haben gestern nachmit­tag den Parteitag fortgesetzt und beschlossen, ein Manifest an die französischen Arbeiter zu richten. Durch Namensaufruf wurde festgestellt, daß acht Deputierte der sozialistischen Partei sich den Kommunisten angeschlossen haben. Inzwischen hatten die rechts­stehenden Sozialisten und die Anhänger von Longuet in anderem Sälen getrennte Sitzungen abgehalten. Im Laufe des Nach­mittags jedoch find zwischen den Leiden Fraktionen Verhand­lungen angeknüpft worden, um einen gemeinsamen Kongreß abzuhalten.

Französische Energie.

Paris, 31. Dez. Der Minister des Innern hat einen Ge­setzentwurf «ingebracht, durch den Personen, dre die französische Grenze ohne Paß überschreiten, mit Gefängnisstrafen von drei bis sechs Monaten belegt werden. Der Gesetzentwurf ist durch das Auftreten von Klara Zetkin in Tours veranlaßt worden.

Arbeitslosigkeit in England.

London, 30. Dez. Der Kongreß der britischen Arbeiterpartei hat «ine Entschließung angenommen, in der die Regierung aufgefor­dert wird, schnellstens einen Plan zur Behebung der ArbettSlofigkatt aufzustellen. Ferner wird verlangt, daß die Regierung sofort die wöchentlich« Arbeitslosenunterstützung in Höhe von 40 Schilling für Männer und 25 Schilling für Frauen bewilligen soll. Außerdem wurden Entschließungen angenommen, in denen die Aufnahme der Handelsbeziehungen mit Sowjetrußland und di« Gewährung eines angemessenen Kredits für die mitteleuropäischen Staaten gefordert wird.

Kleine politische Nachrichten.

Paris, 31. Dez. Ministerpräsident LehgueS hat gestern vormit­tag den englischen Botschafter Lord Harbins« und den italienischen Botschafter Graf Bonin-Longare empfangen. DasJournal des Debats* glaubt zu wissen, die Unterredung habe der Auflösung der deutschen Einwohnerwehren gegolten.

Kopenhagen, 30. Dez. Die Eowjetregierung hat ein De­kret erlassen, wodurch das Meiersystem in Rußland von 1924 ab ringefiihrt wird. In den staatlichen Betrieben soll es je­doch schon von 1922 ab gelten.

Riga, 30. Dez. Die städtischen Arbeiter des Gas-, Elcktri- zitäts- und Wasserwerks in Riga sind wegen Lohnforderungen in den Ausstand getreten. Der Betrieb wird durch Soldaten ausrecht erhalten.