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Nr. 300.

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

98. Jahrgang.

»r» Hein un gswe»je: 6 mal wöchentt. Anzeigenpreis: Tre tteinspatlige Zen« 60 Pjg. Netlamen 2. ivlt. Aus Eanimelanzeigen tomnu e»n Zuschlag von Fernsvr.V.

Donnerstag, den 23. Dezember 132V.

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Die Verhandlungen in Brüssel.

* Die Zusammenkunft der wirtschaftlichen Sachverständigen der Entente und Deutschlands wurde bekanntlich zu dem Zwecke in die Wege geleitet, um von Deutschland zu erfahren, wie eS die sog. .Wie­dergutmachung" ziz regeln gedenke. Es ist klar, daß bel diesen Ver­handlungen die Stellung der deutschen Vertreter eine wenig benei­denswerte ist, sie sollen den .guten Willen" Deutschlands inbezug aus die Erfüllung der wirtschaftlichen Friedensbedingungen zeigen, und auf Grund ihrer Erklärungen wird dann die Entente sich dar­über schlüssig werden, ob sie die deutschen Vorschläge als genügend erachten will, oder ob sie infolge eigener Beobachtungen die wirt­schaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit Deutschlands höher ein­schätzt, und danach ihre Forderungen bemessen wird.

Die deutschen Vertreter haben nun zuerst darauf hingewiesen, daß die .Wiedergutmachung" durch die Ausführung der wirtschaftlichen Bedingungen des Friedensvertrags geradezu in Frage gestellt werde. Infolge der Verpflichtung Deutschlands, sämtlichen Alliierten bezüg­lich der Aus- und Einfuhr Meistbegünstigung zu gewähren, d. h. den Alliierten hinsichtlich der Aus- und Einfuhrbedingungen alle Vor­teile zu gewähren, die wir andern Staaten zugestehen, ist Deutsch­land nicht mehr in der Lage, beim Abschluß von Handelsverträgen den Vertragögegnern irgendwelche Vorteile zu bieten, denn die Staa­ten wollen bei Abschluß eines Handelsvertrags natürlich gewisse Be­günstigungen gegenüber andern Konkurrenten erlangen, wenn sie selbst Zugeständnisse machen. Es wurde von deutscher Seite deshalb betont, daß dadurch die wirtschaftlichen Verhältnisse schwer beein­trächtigt würden, und wenn man die Meistbegünstigungsklausel nicht «bändere, müsse eben auch der Betrag für die Wiedergutmachung her­abgesetzt werde». Weiter wurde darauf hingewirsen. daß Deutsch­land zu keiner .Wiedergutmachung"-Leistung größeren Umfangs fähig sei, wenn die Entente das gesamte beschlagnah,nte Eigentum der Ausländsdeutschen behalte, und Deutschland zwinge, diesen Scha­den. der sich auf 90 Milliarden Papicrmark beläuft, seinen Staats­angehörigen zu ersetzen. Auch die Repreffalicnklansel, nach der die Alliierten jede Nichterfüllung des Vertrags, die sie auf Böswilligkeit zurückführen, mit der Besetzung weiteren deutschen Gebiets beant­worten können, wurde deutscherseits beanstandet, weil sie uns im in­ternationalen Verkehr kein« Rechtssicherheit mehr gebe. Auch der Verlust der deutschen Handelsflotte wurde als Hinderungsgrund für die .Wiedergutmachung" angeführt. Deutschland habe nur noch 300 000 Tonnen, darunter zwei oder drei seegehende Schiffe, gegen 5,2 Millionen Tonnen vor dem Kriege. Dadurch sei die Ein- und Ausfuhr völlig von internationaler Tonnage abhängig; da aber die Kosten in fremder Währung bezahlt werden müßten, so würde infolge der hohen Transportausgaben die Wiederaufnahme des deutschen Warenverkehrs behindert.

Zwecks Kennzeichnung unserer inneren finanziellen Verhältnisse gaben die deutschen Sachverständigen einen llcberblick über den Reichshaushalt. Danach belief sich die schwebende Schuld im April 1919 auf 64 Milliarden, und sie beträgt heute 147 Milliarden. In dieser Summe sind aber die SO Milliarden für die Entschädigung der Ausländsdeutschen noch nicht enthalten. Bis zum Schluß des Rechnungsjahres wird mit einer weiteren Zunahme der schwebenden Schuld um 25 Milliarden gerechnet. Eine weitere Erhöhung der direkten Steuern wird für ausgeschloffen erachtet, da die heutigen Sätze eine gewaltige Belastung darstcllen. Als Beispiel wird ange­führt, daß die Einkommensteuer, die in den ersten 3 Monaten des laufenden Finanzjahres nur 41 Millionen ekgcbcn habe, im Juli 396, im August 555, im September 774 und im'Oktober 1082 Millionen erreicht habe. Dieser hohe Ertrag ist nur durch Auferlegung der schwersten Steuersätze erreicht worden. Beispielsweise wird das Ein­kommen von einer Million heute so besteuert, daß dem Besitzer nach Abzug aller Steuern nur noch ein Nettoertrag von 9000 E bleibt, während ihm 1913 noch 40 000 verblieben find. Diese 9000 Papiermark haben aber einen Kauswcrt von 1000 ,L. der FriedcnS- zeit. Gegenüber der Unmöglichkeit der Erhöhung der direkten Steuern glaubt inan noch für eine gewisse Erhöhung der K o hl e n sie u e r, Umsatzsteuer, Zucker st euer und des Branntwein­monopols eintrcten zu können. Das Defizit bei Post und Eisenbahn betrage 20 Milliarden. Im übrigen werde überall äußerste Sparsamkeit geübt. Die deutschen Vertreter betonten im Hinblick auf alle diese Schwierigkeiten, daß es unbedingt notwen big fei, daß Drntschlaud Zeit gelassen werde, seine Finanzen in Ord­nung zu bringen, denn die Vermehrung seiner schwebenden Schuld durch die dauernden Ausgaben zur Ausführung des FriedensvertragS müsse den finanziellen Zusaimnenbruch herbeiführen.

Ans die Erklärungen der deutschen Sachverständigen hin setzte svfvvt in der französischen Presse die gewohnte Stimmungsmache rin. Man bezichtigte Deuischland, daß eS sich durch die düsteren Kchild-teungen seiner wirtschaftlichen und finanziellen Lage um di«

.Wiedergutmachung" drücken wolle, und Havas-Reuter, das Ge­schwisterbüro für angelsächsisch-romanische Weltpropaganda, beeilte sich, der Welt zu verkünden, daß die Alliierten die Aussichten über das Ergebnis der Konserenz sehr pessimistisch beurteilten. Es fanden dann persönliche Besprechungen zwischen den deutschen Sachverstän­digen und den einzelnen Vertretern der Wiierten statt, in deren Verlauf diese anscheinend ein klareres Bild über Deutschlands Lage erhielten, denn plötzlich erklärt nun Havas-Reuter offiziös, daß die Alliierten den guten Willen Deutschlands anerkennen, und daß es daher unklug wäre, die ernste Absicht der Deutschen zur .Wiedergut­machung" zurückzuweisen. Die starke Hand zu gebrauchen wozu der Vertrag von Versailles genügend Möglichkeiten biete (Sehr richtig) sei nur ratsam, wenn man auf bösen Willen stoße, und dann würden auch eine Menge Komplikationen und unüberwindliche Schwierigkeiten geschaffen. Es wäre nun allerdings verfehlt, wenn man deutscherseits die augenblicklich .versöhnliche" Stimmung der Ententestaatsmänuer auf deren Erkenntnis von Deutschlands Gut­willigkeit zurückführen wollte, unseren guten Willen zur möglichst restlosen Ausführung der vernichtenden militärischen, wirtschaftlichen und finanziellen Friedensbedingungen haben die Alliierten schon tausendmal zu erfahren Gelegenheit gehabt, wir haben es hier ledig­lich mit einer Aenderung der Haltung der Entente von rein taktischem Charakter zu tun, die in der Hauptsache auf die derzeitige sehr schwie­rige auswärtige Lage zurückzuführen ist. Das geht auch aus der für die eingeweihten Ententekreise bestimmten Bemerkung hervor, daß ein gewaltsames Vorgehen .Komplikationen und unüberwind­liche Schwierigkeiten" schassen würde. Die Alliierten haben zur Zeit keinen Anlaß, dem großen Fragenkomplex bezüglich Rußlands, des Orients und Asiens ohne Not noch weitere Probleme hinzuzufügen, und deshalb ist man auch wohl geneigt, Deutschland heute vielleicht formale Zugeständnisse zu machen, die man bei besserer Gelegenheit durch das Instrument des Friedensvertrags immer wieder zu besei­tigen vermag. Heute kommt es den Alliierten darauf an, in Mit­teleuropa möglichst Ruhe zu halten, um sich umso besser den rusfisch- orientalisch-afiatischen Problemen widmen zu können, die keines­wegs auch nur die geringste Aussicht auf baldige Lösung versprechen. Solange aber diese Fragen nicht im Sinne des angelsächsisch-roma­nischen Verbandes gelöst sind, solange wird sich die Entente hüten, Deutschland zur Verzweiflung zu treiben. AuS der Erkenntnis dieser Taktik heraus verstehen wir auch das fortgesetzte Spiel Eng­lands mit Sowjctrußland, das darauf hinausgeht, die Bolschewisten politisch im Schach zu halten, weiterhin dir plötzliche Neigung der Entente, den Friedcnsvertrag mit der Türkei zum Nachteil Grie­chenlands abznändcrn, und gleichzeitig die Verteilung des türkischen Besitzes hinauszuschieben, indem man der Türkei die politische .Ober­hoheit" über ihre seitherigen Gebiete belassen und lediglich wirt­schaftspolitische Ansprüche stellt, wie etwa England durch Gewäh­rung der ägyptischen .Unabhängigkeit" die dortige nationalistische Bewegung abzulenken versucht hat. Mit welchem Erfolg diese neue diplomatische Aktion endigen wird, darüber kann man heute und von hier aus nicht urteilen. Leicht wird es nicht sein, die Orientalen nochmals hinters Licht zu führen, denn sie haben die angelsächsisch­romanischen Weltherrschaftsgelüste besser erkannt als da« deutsche Volk, in dessen Reihen, abgesehen von unbelehrbaren Phantasten und Fanatikern heute noch die Illusion von englisch-amerikanischen und englisch-französischen Gegensätzen spukt, aber die Entente besitzt die militärische, wirtschaftliche und finanzielle Uebcrmacht, und hat somit die Haupttrümpfe für das Endspiel in der Hand, und außer­dem den bei «ns seither zu wenig beachteten Vorteil der besten Spieler. , O 8.

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Der »Wiedergritmachungs"-Platt der Alliierten.

Brüssel, 21. Dez. (Havas-Reuter.) Für die Berichterstattung seitens der Alliierten für Spezialfragen wurden noch ernannt: Da- mclie-Jtalieu für die Handelsbeziehungen, Sekiho-Japan für die Handelsflotte und Omer Depreux-Bclgien für die deutsche Schuld im Ausland. Oheyffon ist beauftragt worden, die Möglichkeit von Streichungen de« deutschen Staatshaushalts zu studieren. In dieser Hinsicht wird darauf aufmerksam gemacht, daß einer der Hauptgrund­sätze, den die von den Sachverständigen angefertigten Berichte ent­halten, in einer Reihe von Maßnahmen besteht, welche dazu dienen sollen, den ganzen Komplex parasitärer Ausgaben hinsichtlich der Ausführung des Friedensvertrags, welche besonders die Budgets der Alliierten, wie des deutschen Reichs belasten, einzuschränkcn. Der Gesamtplan der Reparation ist in den großen Linien fertig- gestellt. in Einzelheiten mutz er noch ausgearbcitet werden. Das ist eine langwierige Arbeit, dir die »olle Energie und Arbeitskraft des ersten französischen Delegierten Seydoux in den nächsten Togen er­fordern wird, wobei er mit dem deutschen Staatssekretär Bergmann wiederholt zu sprechen haben wird. Für die Reparation in Geld hat

die Vereinbarung von Boulogne einen Rahmen geschaffen, an wel­chem man glaubt, sich halten zu können. Es wird auch von einem geistreichen System gesprochen, durch welches die Alliierten bald an den Reparationen in natura, bald än den Reparationen in Geld oder an beiden gleichzeitig nach ihren dringenden Bedürfnissen teilnchmen würden und welches ermöglichen soll, die Aussuhr Deutschlands so zu begünstige«, daß die Erholung seiner Valuta und seines Wirt­schaftslebens erleichtert wird. Aber über diesen Plan werden noch keine genauen Angaben gemacht. Uebrigens muß er, ebenso wie die anderen Vorschläge, auch noch die Billigung der beteiligten Regie­rungen erhalten. Die Fragen, über die von den Deutschen morgen noch ergänzende Informationen gefordert werden sollen, scheinen an Zahl nur gering zu sein. Es wird sich also um ein ziemlich umfang­reiches Programm in den einzelnen Berichten handeln, die den Deut­schen mitgeteilt werden müssen unter Angabe der Lösungen, welche vom alliierten Standpunkt aus am wünschenswertesten sind. Diese werden gewissermaßen den Weg öffnen, auf welchem die Delegierte« DcntschlandS einmütig eingeladen «erben, sich zu binde«, Deutsch­lands Verpflichtungen zu erfüllen. Es wird Sache der deutschen Delegierten sein, zum festgesetzten Zeitpunkt mit festen Vorschlägen wicderzukommen.

Brüssel. 22. Deg. In einem Leitartikel desNational Belge" wird ausgeführt: Die Alliierten sind entschlossen, eine Methode festzusetzen, die am Mittwoch vormittag durchberaten wird. Die Deutschen werden davon Kenntnis nehmen. Man wird ihnen Zeit geben, über die Methode nachzudenken. Alle Alliierten haben denselben Plan. Die Deutschen werden den Plan prüfen und sich davon überzeugen, daß bei ihren Gläubigern volle Ein­mütigkeit herrscht. Die Reparation in natura wird zweifellos die Grundlage des Projekte» bilde», das heute ausgearbeitet wikk, aber die Reparation in bar wird nicht vergessen werde». Es ist in der Tat unmöglich, daß Deutschland nicht besonders die für die Wiedergutmachung der verwüsteten Gebiete bestimm­ten Anleihen zurückzahlt. In etwa 20 Tagen wird die Kon­ferenz ihre Arbeiten fortsetzen. Man macht nur eine Nein« Pause und beim Wiederzusammentritt wird man dem genauen Plan näher gekommen sein, den man mit aller Ungeduld er­wartet. Die Alliierten wünschen also Sachleistungen und Bar­leistungen.

Vertagung der Konferenz.

Brüssel, 22. Dez. (Amtliche Mitteilung.) In der heutigen Sitzung der Sachverstündigenkonferenz teilte Delacroix mit, daß es zur Feststellung der den alliierten Regierungen zu unterbrei­tenden Anträge erforderlich sei, die Arbeiten der Konferenz für pvei Wochen zu vertage». Die Zeit solle dazu benutzt werden, die gegenwärtig im Gange befindlichen Untersuchungen zu Ende zu führen. Dabei solle nach der bisherigen Methode verfahren werden, indem jeder Berichterstatter mit den für die zu prü­fende Frage zuständigen deutschen Sachverständigen in Fühlung bleibe. Staatssekretär Bergmann erklärte, die deutsche Delega­tion wisse die nicht vorbehaltlose Aufnahme (accuetl reserve) zu würdigen, die ihren Bemerkungen seitens der alliierten Dele­gierten zuteil geworden sei, und erklärte sich mit dem für die Wiederaufnahme der Arbeit vorgeschlagenen Zeitpunkt einver­standen. Die Sachverständigen würden die Arbeit der Bericht­erstatter nach Möglichkeit fördern. Delacroix forderte die beider­seitigen Delegierten auf, miteinander in Fühlung zu bleiben, um die Prüfung der behandelten Fragen zu erleichtern und seine Hilfe in Anspruch zu nehmen, sobald eine Zusammenarbeit sich als notwendig herausstclle.

Zur Weren Lage.

Sin englisches Urteil über das Ergebnis der Bölkerbundsversamm?ung.

Lands», 23. Dez. Lord Robert Cecit erklärte einem Vertreter des Reuterschen Bureaus, das Ergebnis der Völker­bundsversammlung in Genf lasse sich wie folgt zusammensassen: 1. Die Errichtung eines internationalen Gerichtshofes. Wenn auch die Rechtsprechung dieses Gerichtshofes von freiwilliger An­nahme abhängig sei, so habe doch bereits eine so große Zahl Staaten sich bereit erklärt, ihm ihre Streitfälle zu unterbreiten, daß man seine Rechtsprechung in weitem Maße als eine einer obligatorischen gleichkonrmende bezeichnen könne. 2. Der Völ­kerbund habe die Aufnahme neuer Staaten genehmigt. Es sei ein gutes Zeichen für die Zukunft, daß Oesterreich und Bul­garien zugelassen worden seien. Die Zulassung Deutschlands werde denselben Bedingungen unterworfen werden, wie die von Bulgarien. Es werde nicht unumgänglich notwendig sein, daß Deutschland alle seine Verpflichtungen aus dem Versailler Ver-