Nr. 280. Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamlsbezirk Calw. 93. Jahrgang.

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Die«Stag, de» 30. November 1920.

VezuOspreis; In der etadr «it Lrägerloyn Mt. 12.90 v»ertetjddrl»ch. Pottd»zug»prerK Mt. lLSO mit VefteNgeld. Lchtng der Anzeigenarrnamne S Uhr vormittags.

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* Dir Bauerntagungen des Landwirtschaftlichen Hauptver­bands in Ravensburg, Ulm, Horb, Bietigheim, Hall und Aalen halten durch ihren gewaltigen Besuch einen Beweis sür das rege Interesse geliesert, das diesen Veranstaltungen von Sei­le» des Bauernstandes entgegengebracht wird. Die kriegswirt­schaftlichen Maßnahmen inbezug auf die Landwirtschaft hatten von Jahr zu Jahr eine Stärkung des organisatorischen Gedan­kens in diesem Berus zur Folge gehabt, wie nie zuvor. So hat die berufliche und politisch« Organisationstätigkeit des Bauern­standes in den letzten Jahren bisher nie erreichte Erfolge zu verzeichnen. Die Landwirtschaft wendet sich in erster Linie gegen die Zwangswirtschaft und das in ihr verfolgte Bestreben nach Niederhaltung der Preise Ihrer Erzeugnisse. Eie vertritt den Standpunkt, dag infolge dieser künstlichen Niederhaltung der Preise der Schleichhandel begünstigt werde, der wiederum eine gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung verhindere. Wenn die Preise der freigegebenen Produlte m der letzten Zeit so un­geheuer gestiegen sind, so wird darauf hingewiesen, daß solche Erscheinungen überall zu beobachten gewesen seien, wo die öffentliche Bewirtschaftung gelockert oder aufgehoben worden sei, daß aber eine Zeit von 68 Wochen nicht genügen könne, um solche elementaren Schwankungen auszugleichen. Ferner wird gegen die Preisgestaltung der öffentlichen Bewirtschaf­tung geltend gemacht, daß sie zum Rückgang der Crzeuung ge­führt habe, weil begreiflicherweise eben di« Neigung vorhan­den sei. die Produktion auf den einträglichen Gebieten zu be­treiben, deren Erträgnisse nicht der lästigen Kontrolle unter warfen find.

Innerhalb der Grenzen des Deutschland verbliebenen Ge­biets ist der Ertrag an Brotgetreide um fast 40 Hundertstel, an Kartoffeln um annähernd 50 Hundertstel, an Rohzucker um zwei Drittel, der Bestand an Rindvieh von 21 Millionen vor dem Kriege auf 16.3 Millionen, an Schweinen von 25,7 auf 11,5 Millionen zuruckgegangen, wobei das durchschnittliche Schlacht­gewicht bei Rindern sich von 250 auf 160 Kilogr., bei Schwei­nen von 85 auf 63 Kilogramm vermindert hat. Der Rückgang der pflanzlichen Erzeugung wird aus 1V Hundertstel, der der tierischen aus 60 Hundertstel ihres früheren Umfangs geschätzt. Im Frieden haben wir zudem ein Fünftel unseres Nahrungs­verbrauchs aus dem Auslände bezogen. Durch den Friedens- Muß sind namentlich im Osten große landwirtschaftliche Ueber- schußgebiete verloren gegangen. Der bekannte bayrische Vauern- führer Dr. Heim erklärt angesichts dieser Tatsachen, es sei not­wendig, daß wir uns rundweg eingestehen, daß das deutsche Volk sich künftig nicht mehr selbst ernähren könne, weil unser Boden heute noch nicht genügend erzeuge. Anstatt aber jährlich ins Ausland für Lebensmittel Milliarden zu schicken, die unsere Valuta schwer belasten, wird vorgeschlagen, alle Mittel und Wege zu suchen, um die Erzeugung zu fördern. Die Frage der Ernährung unseres Volkes wird noch für Jahre hinaus der Mittelpunkt aller volkswirtschaftlichen Maßnahmen sein müs­sen. Die Berufsvertretungen der Landwirtschaft stehen nun auf dem Standpunkt, daß ein einseitiger Preisabbau nicht geeignet sei, die Produktion in der Landwirtschaft zu fördern. Als erste und wichtigste Aufgabe wird die Ertragssteigerung der alten Kulturböden betrachtet und als erste Voraussetzung hiefür reich­liche Produktionsmittel, Steigerung unserer Stickstoffproduktion und Verbilligung des Stickstoffpreises. Wenn der Landwirtschaft also auf diesen Gebieten Unterstützung zuteil wird, wenn dazu eine vernünftige Preispolitik getrieben wird, so kann die Land­wirtschaft nach Ansicht der Führer dieser Berufsorganisation die Produktion so fördern, daß Deutfchlastd in normalen Ernte­jahren vom Ausland unabhängig ist, denn das nötige Kultur­land sei vorhanden. Man mag über den deutschen Bauernstand sagen, er habe die Kriegskonjunktur ausgenützt welcher Stand, der dazu in der Lage war, hat das nicht getan? man wird aber gerechterweise zugeben müssen, daß erstens immer ein sehr großer Teil aller Lebensmittel zu den vorgeschriebenen Preisen abgeliefert worden ist, und daß zweitens der Liefer­streik hier und dort in ernsten Formen erst nach der Revolu­tion eingesetzt hat. nachdem überhaupt jeglicher Anstand inbe­zug auf die Preisbildung im Wirtschaftsleben aufgehört hatte. Das aber wird mqn unserem Bauernstand zugeben müssen, ge­arbeitet hat er im Krieg wie nach dem Krieg stets unentwegt, oft unter den mißlichsten Umständen, und so darf man auch das Vertrauen zu ihm haben, daß er. selbstverständlich unter Wah­

rung seiner Interessen, mit zum Aufbau unseres Wirtschafts­lebens beitragen wird, denn ohne willige und durchgreifende Hilfe der Landwirtschaft können wir weder unser wirtschaft­liches noch unser völkisches Leben wiederaufrichten.

Wenn daher die Bauern des Bezirks Talw und der Nachbar­bezirke heute in unserer Stadt sich treffen zwecks Festigung ihrer beruflichen Organisation. Besprechung ihrer Standesinteressen und Verussfragen aller Art, so wünschen wir ihrer Zusammen­kunft einen guten Erfolg, der sich auslösen möge zum Wohle und zur Zufriedenheit ihres Standes und auch zum Nutzen der Allgemeinheit, r *

Ans der Geschichte

der LMMchostlichkn VezirdMreios Calw.

Der landwirtschaftliche Bezirks»««» Calw wurde am 15. November 1839 von dem damaligen Oberamtmann. Regierungs­rat Gmelin, gegründet. In den ersten Jahrzehnten kam dir Mitgliederzahl nicht über 200 hinaus, erst im Jahr 1873 stei­gerte sich dieselbe auf 400. Am 1. Juli 1912 zählte der Verein 1308 Mitglieder. Diese hohe Ziffer verdankt der Verein nicht nur der regen Vereinstätigkeit und dem gesteigerten Interesse für die Fragen der Landwirtschaft» sondern vor allem auch der rührigen Werbearbeit des 1910 verstorbenen Amtsvorstands, Re'gierungsrats Völler, der den Verein wie ein treubesorgtcr Vater leitete. Außer dem 2. Vorstand des Vereins, Pfarrer Klinger von Gechingen, der sich durch seine Ausgrabungen für die Erforschung der Vor- und Frühgeschichte des Gäus verdient gemacht hat und Oekonomierat Horlacher war Immer der je­weilige Oberamtsvorstand auch zugleich Vorstand des Vereins. Die Tätigkeit des Vereins bezog sich in den ersten Jahrzehnten seines Bestehens auf die Veranstaltung der sog. Partikularfeste (landwirtschaftliche Jahresfeste), Verbesserung der Viehrassen und Feldgeräte, Hebung des Flachsbaus, des Futterbaus, der Obstzucht und der Handelspflanzen, Prämierung von Dienst­boten und Erhaltung der Volkstracht.

Später wurde außer den berührten Gebieten das Förtbil- dungswesen, Kredit- und Versicherungswesen, sowie die Feld­bereinigung und Einführung der künstlichen Dünger gefördert, die Wanderkochkurse, Ortslesebibliotheken, der Volkstrachten­verein und die Zweigvereine unterstützt.

Größere landwirtschaftliche Feste wurden abgehalten in den Jahren 1863, 1869 und 1880, eine große Zahl württembergi- scher Landwirte versammelte sich im Jahr 1876 in Calw anläß­lich der Wanderversammlung württembergischer Landwirte. Zur Hebung der Viehzucht wurden vom Landwirtschaftlichen Verein anfänglich Viehkäufe in der Besigheimer Gegend ge­macht, gleichzeitig wurden Zuchttiere der Simmentaler Rasse aufgekauft (erstmals 1840). Doch glaubte man, der schwere Sim- mentaler Schlag eigne sich nur für die Gäuorte und wollte in den Jahren 1860 bis 1863 für den Calwer Wald das Mon- tavoner Vieh einführen, das zur mittelschweren Rasse des Braunviehs gehört und in Vorarlberg zu Hause ist. Schon nach einigen Jahren wurden die Versuche aufgegeben und mit der Zucht des Simmentaler Schlags fortgefahren. Zur Einführung eines besseren Pflugs ließ der Landwirtschaftliche Verein Wett- pflügen mit Pflügen verschiedener Systeme ausführen, in denen der Flanderpflug siegte. Die Doppeljoche wurden auf Anregung des Vereins nach und nach abgeschafft. Die Bemühungen, den zurückgehenden Anbau von Flachs zu heben und die Tauröstung durch Wasserröstung zu ersetzen, erzielten den gewünschten Er­folg nicht, dagegen führte der vermehrte Anbau von Futter­pflanzen einen heilsamen Umschwung der veralteten Wirt­schaftsfolge auf dem Calwer Wald« ein. Die Einführung der Stallfütterung, das Aufgeben der Beweidung von Wald und Kohläcker, und das Einsäen derselben mit Gras und Klee (frü­her hatte die liebe Natur sür di« Berasung zu sorgen) führte zur Vermehrung der Viehzahl und der Erträgnisse der Felder.

Der. Verein förderte in den Iahen 1860 bis 1880 die An­lage de Hochwiesen oderKunstgrasw-iesen" durch Zuschüsse zur Beschaffung von Grasfamen und Prämierung von schönen Erasfeldern. An dieser Stelle sei dankbar des Mannes gedacht, dem die Landwirtschaft unseres Bezirks ja ganz Württembergs so manche Anregung und manchen Fortschritt verdankt: Oeko­nomierat Horlacher (geb. 1823, j- 1890). Vom Jahre 1851 an war er jahrzehntelang Sekretär des Landwirtschaftlichen Ver­eins, zeitweise auch Vorstand. Er hat rastlos und selbstlos an der Entwicklung der Landwirtschaft theoretisch und praktisch (als

Besitzer eines Gutes in Alzenberg) gearbeitet. Horlacher» Lo­sung lautete:Die Landwirtschaft muß sich frei machen von dem Abhängigkeitsverhältnis zum Wald«, denn derselbe ist seiner dreifachen Aufgabe, Futter, Streu und Holz zu liefern, nicht ge­wachsen." Horlacher empfahl, das Futter aus dem Felde zu pflanzen und statt Waldstreu Nadelreisstreu zu verwenden. Während Horlachers Bestrebungen, den Futterbau zu heben, reichen Erfolg zeitigten (die Grasfelder werden oft Horlacher- sche Kunstgraswiesen genannt), fand seine Empfehlung der Ver­wendung von Tannenreisstreu keine Nachahmer in seiner Hei­mat, dagegen wird sie in andern Landesteilrn, z. B. in den Lim­burger Bergen gerne und erfolgreich benützt. Einen Bundes­genossen fand Horlacher außer den Schultheißen Ziegler in Ge­chingen und Hanselmann in Liebeisberg vor allem in dem Schullehrer Alber von Liebelsberg (Ausschußmitglied des Land­wirtschaft!. Vereins), der eine musterhafte OekonomI« betrieb, den Repsbau einführte und staunenerregendr Versuche mit Kunstdünger machte. Alber wirkte ln Liebelsberg von 1856 bis 1886.Für sein erfolgreiches, durch eigenes Beispiel unterstütz­tes Wirken um Hebung der Landwirtschaft" erhielt er 1884 den Septemberpreis. Ihm und dem Schultheiß Hanselmann ver­dankt die Gemeind« Liebelsberg ihren jetzigen Wohlstand und Ihre hervorragende Stellung unter den Gemeinden des Waldes. Von den Männern, die sich um die Landwirtschaft ihrer Heimat verdient gemacht haben, seien noch erwähnt: Holzhändler Ham­mer von Calw, der in den zwanziger Jahren des vor. Jahr­hunderts die Eaißhirtlesbirne einführte und verbreitete, Pfar­rer Klinger (Gechingen), Dr. Schüz (Calw) und Adlerwirt Dingler (Calw). Don den Versuchen des Vereins, Handels­pflanzen einzuführen, glückte nur der Repsbau und die Hopfen­kultur, Versuche mit Welschkorn, Riesengelbriiben. Opium, Ta­bak, Maulbeerbäumen scheiterten am Klima und Boden.

Der Stärkung des Kreditwesens dienen die Kreditbank fir Landwirtschaft und Gewerbe, die Spar- und Vorschußbank, so­wie die Darlehenskassen, die jetzt fast in allen Ortschaften des Bezirks vertreten find, ferner die Viehversicherungsvereine und Kuhleihkassen (die älteste wurde 1847 von Pfarrer Blumhardt in Möttlingen gegründet). Zum gemeinsamen Bezug von Saat- früchten, Kunstdünger und dergl. besteht seit 1881 ein landwirt­schaftlicher Konsumverein.

Die Staatsumwälzung im November 1918 brachte auch für den Landw. Vezirksverein bedeutende Aenderungen. Während seit Bestehen des Vereins stets der jeweilige Oberamtsvorstand zugleich Vorstand des Landw. Bezirksvereins gewesen war, mußte der im ganzen Land unter den Bauern herrschenden Stimmung, nur noch Landwirte als landw. Vereinsvorstände zu wählen, auch hier Rechnung getragen tberden und so wurde am 21. Dezember 1918 an Stelle des nach Reutlingen versetzten Vorstands Reg.-Rat Binder Gutsbesitzer Dingler in Calw zum Vereinsvorstand gewählt.

Dem im April 1919 gegründeten landw. Hauptverband für Württemberg und Hohenzollern schloß sich unser Verein sofort an. Der landw. Hauptverband bildet die Spitze und die Ee- samtvertretung der landw. Dezirksvereine und Gauverbände. Er bezweckt die gemeinsame Vertretung der Interessen der Landwirte, Waldbesitzer, Wein-, Obst- und Eemüsegärtner so­wohl der Regierung und der Oeffentlichkeit als auch andern Berufen gegenüber. Er erstrebt durch eine gesunde Wirtschafts­politik, nach den Grundsätzen ausgleichender Gerechtigkeit, die wirtschaftliche Hebung und Erhaltung eines kräftigen Bauern­standes, sowie den Schutz des Privateigentums.

In Folge des Anschlusses an den landw. Hauptverband mußte der landw. Bezirksoerein erhebliche Aenderungen seiner Satzungen vornehmen, lim sie denjenigen des Hauptverbands anzupassen. Der landw. Bezirksverein gründet sich jetzt auf die landw. Ortsvereine, bis jetzt 35. Die Führung der laufenden Geschäfte, welche früher durch den Vorstand und einen 12köpfi- gen Ausschuß erfolgte, geschieht jetzt durch den Vorsitzenden, seinen Stellvertreter, und 11 gewählte Vorstandsmitglieder, denen der aus den Obmännern der landw. Ortsvereine und-11 gewählten Mitgliedern bestehende Bezirksausschuß zur Seite steht. Einer mindestens einmal im Jahr einzuberufenden Mit­gliederversammlung liegt die Beschlußfassung über wichtigere Fragen, Wahlen usw. vor.

Die Mitgliederzahl schwankte bis Ende 1918 zwischen 1200 bis 1300, ist aber jetzt auf über 2000 gestiegen und nimmt noch fortwährend zu.