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Sommerfest der Bolkspartei.
tz. Bietigheim, 20. Juli.
Tos Sommerfest der Fortschrittlichen Volkspartei in Bietigheim, das fünfte des dritten Reichstagswahlkreises, hat, was die Zahl der Teilnehmer anbelangt, sicher alle siine Vorgänger überholt. Aus allen Gegenden der vier Oberämter sind die Männer und Frauen hcrbeigekommen und dazu gesellten sich noch die Freunde aus den benachbarten Bezirken Marbach, Backnang, Ludwigsburg und Stuttgart. Es dürsten gegen 3000 Personen beisammen gewesen sein. Tie Bietigheimer Ortsgruppe hatte alles aufs beste bestellt. Viele Häuser der Stadt hatten Flaggenschmuck angelegt und an manchem wehte die schwarz-rot-goldene Fahne der Demokratie. Frau Sonne, die jetzt so Vielbegehrte, die schon acht Tage zuvor der „Balinger Politik" ein freundliches Lächeln gezeigt hatte, benahm sich auch hier der fortschrittlichen Sache gegenüber ganz manierlich und man hätte die Veranstaltung Wohl im Freien abhalten können. Es war aber bereits in der beim Festplatz liegenden neuen Turnhalle alles für das Fest hergerichtet und dort sind dann auch die Reden, Lieder- und Musikvorträge zu einer viel unmittelbareren Wirkung gekommen. Besonders hat das Bekenntnis Naumanns zu unwandelbarer Freundschaft gegenüber seinen früheren Wählern einen tiefen Eindruck hervorgerufen; auch was sonst gesprochen wurde, sind gute Gedanken gewesen, die unsere Zuversicht gestärkt, unsere Treue zur Partei gefestigt und den Willen zur opferbereiten Mitarbeit aufs neue in uns lebendig gemacht haben. — Das Fest wurde eingeleitet mit einer
Versammlung der Vertrauensmänner in der Bierhalle Karr. Ter Vorsitzende des Wahlkreisausschusses, GR. Wulle-^eilbronn, begrüßte die Vertreter der Ortsgruppen, von denen weit über 100 erschienen waren. Er dankte Tr. Naumann für sein Erscheinen und besprach dann die politischen Verhältnisse in den vier Oberämtern. Bei der Erwähnung der Besigheimer Vorgänge dankte er unter lebhafter Zustimmung dem von seinem Amt zurücktretendon Besigheimer Bezirksvorständen Rechtsanwalt Tr. Heintzcler. Tie Wahl des neuen Bezirksvorsitzenden wuche aus Antrag von Besigheim und Bietigheim von der Tagesordnung abgesetzt und in eine später stattzufindende Besigheimer Vertrauensmännerversammlung verwiesen. In der anschließenden allgemeinen Aussprache sagte Naumann:
Laß er seine erste Reise mit der neuen Reichstagskarte in seinen früheren Wahlkreis gemacht habe, weil er das Gefühl gehabt habe, daß er die erste Aussprache mit denen herbeiführen müsse, die ihn durch Jahre hindurch mit Treue und opferwilliger Arbeit begleitet haben. Er gab dann eine Beschreibung der Widerstände, die seine Wahl in Heilbronn vereitelten. Es würde gewiß der gegenseitigen Gemütsstimmung am meisten entsprochen haben, wenn er die nächsten fünf Jahre der Kandidat für Heilbronn geblieben wäre. (Zustimmung.) Er sei aber von der Partei so oft bestürnn worden, als ein Wahlkreis frei war. Als die Frage Waldea an ihn kam, habe er geglaubt, auch im Sinne seiner früheren Wähler zu handeln, wenn er annehme. Während des neuen Wahlkampfes habe er oft auch seiner alten Wähler gedacht und der Kämpfe, die hier auszufechten waren. Naumann schildert die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in seinem Wahlkreis. Er habe in 2i/g Monaten 67 Versammlungen gehalten. Von allen Seiten, auch aus Württemberg, fer ihm Wahlhilfe angeboten worden. Die Haupthelfcr waren die Sekretäre Kuhlmann und Körsch, Heile von der Hilfe und Alfred Wolf, der elsäßer Landwirt. So eine Nachwahl koste einen schönen Batzen Geld, er danke den Freunden in seinen! alten Kreis aufrichtig und herzlich für ihre Sammlung. Die späteren Wahlaussichten in Waldeck-Pyrmont seien nicht ungünstig. Er hoffe als ein guter Schüler des Heilbronner Wahlkreises, daß d'e Freunde in Waldeck das nächste mal mit noch besserer organisatorischer Mobilmachung antreten können. Es sei keine Rede davon, daß er die Heilbronner nicht mehr sehe, aber mit der Tatsache, daß er in Heilbronn nicht mehr kandidieren könne, müsse gerechnet werden. Er wünsche dem Heilbrunner Bezirk einen Kandidaten, der mehr einheimischen Untergrund habe und der nicht so viel geschrieben habe, wie er. Dann werbe es nicht fehlen. Und wenn man einmal seiner bedürfe, im Kampfe, dann sei er zu haben. (Stürmischer Beifall.)
An der werteren allgemeinen Aussprache beteiligten sich Käser- Walheim, Fackler - Besigheim, Schradin - Bietigheim, Kohl-Brackenheim. — Mit dem Wunsche, daß die volksparteiliche Organisation des 3. Wahlkreises sich noch weiter entwickle, schloß der Vorsitzende die Versammlung.
In -er Turnhalle
Im „Adler" und in der „Rose" wurde das Mittagessen eingenommen. Zum Nachtisch gabs einen kleinen Erdstoß, der auch sonst in Deutschland herum bemerkt wurde. Tann gings, nach Vereinigung mit den Neuangekommenen an der Brücke, mit Musik im langen Zug zur Turnhalle am Enz- Viadukt. Tie dort zusammengekommene mächtige Versammlung, die das Parterre und die „Logen" der großen Halle bis zum letzten Eckchen füllte, wurde zunächst begrüßt von einem Sängerchor, der, aus Bietigheimer Parteifreunden zusammengesetzt, das deutsche Lied kraftvoll zum Vortrag brachte. Es folgten die Begrüßungsansprachen des Wahlkreisvorsitzenden GR. Wullc-Heilbronn und des Vorsitzenden der Bietigheimer Ortsgruppe Tr. Laggai. Herr Wulle, mit Beifall begrüßt, wies darauf hin, daß die Parteileitung gerne das 5. Sommerfest nach Bietigheim gelegt habe, sei doch der Bezirk Besigheim immer eine Hochburg der Demokratie gewesen. Dieser Bezirk werde die Scharte von der letzten Reichs- und Landtagswahl wieder auswetzen (Zustimmung). Redner dankte der Stadt Bietigheim für di: Neberlassung der Turnhalle, den Bietigheimer Freunden für ihre Vorarbeiten und schließlich Naumann, „den nns die Waldecker Bauern weggewählt haben", daß er heute gekommen ist. Haben wir ihn als Kandidaten verloren, so bleibt er uns als Reichstagsabgeordneter erhalten. Wir können ihm nicht besser danken, als daß wir alle unsere Arbeit daran setzen, daß der dritte Wahlkreis das nächstemal der bürgerlichen Demokratie zurückerobert wird. Das Hoch des Redners auf das deutsche Vaterland fand freudigen Widerhall. Tr. Laggai führte aus, es sei für die Bietigheimer eine große Freude und Genugtuung gewesen, als feststand, daß dies Fest in Bietigheim abgehalten werden sollte und groß seien die Erwartungen, die sie an dieses Fest für die ganze liberale Sache sowohl wie für den Ortsverein Bietigheim knüpfen. Auf großem geschichtlichen Boden stehe man hier nicht, doch spiegele sich m der politischen Vergangenheit des Bezirks von der Mitte des letzten Jahrhunderts bis heute ein ganz charakteristisches Bild der (Zeitgeschichte. Redner zählte zur Illustrierung einige interessante Daten und Namen auf. Schauen wir mit leuchtenden Augen hinein in die Zukunft, die uns gehören soll und muß. Wie dort draußen der Enzviadukt, das Wahrzeichen Bietigheims, nun schon über ein halbes Jahrhundert ohne Erschütterung und ohne Schwanken tagtäglich tausende von Menschen und Lasten auf seinen Pfeilern trägt, ebenso unerschütterlich, stark und fest wollen wir sein in der Treue zur Partei. (Lebhafter Beifall).
Friedrich Naumann
beginnt nun, mit Jubel begrüßt, seine Rede mit einer persönlichen Note:
Immer wenn er durch den dritten Wahlkreis fahre, dann überkämen ihn die Erinnerungen, was er da und dort, in diesem und jenem Ort mit den Freunden erlebte. Hier war eS gut und dort ging eS anders Än dieser Stelle waren Debatten mit den Gegnern und an jener war es ganz still. Dort hat man nachher gemütlich zusammengesessen und hier jagten die Automobile immer weiter und die feindlichen Wagen dahinter her. Dann tauchten sie plötzlich den Tag vor der Wahl auf und kreisten w>e ein Gespenst hintereinander durch den Wahlkreis, find bann denke ich auch der Zähltage, wo aus Stimmung Stimmen wurden, und ich erlebe beides in Gedanken nocheinmal Mit Ihnen; wo wir uns gefreut haben, und nachher, wie cs "anders gekommen war, als wir gedacht hatten. Wie die Stimmung einmal hoch gegangen ist und wir dann einmal die Köpfe tief gehängt haben — daß wir das alles miteinander durchgelebt haben. Und wenn mich mein politisches Geschick wo anders hin verschlagen hat, von den Weinbergen am Neckar in die Wälder von Waldeck, so bleiben doch die 5 Jahre unvergessen eingeschrieben in Herz und Gedächtnis, die hier wir miteinander durchgemacht haben. (Bravo.) W tnag kommen, was da will, wir haben ein Stück unseres Lebens miteinander erlebt; wir haben ein Stück energischer Arbeit, gemeinsamer Anstrengung, gemeinsamer Freundschaft, gemeinsamer Treue, das wir miteinander durchgemacht haben, und darum, wenn ich heute nun wo anders gewählt bin, ist meine erste Reise die hierher gewesen, in meinen alten Wahlkreis, (Bravo.), den alten Freunden nocheinmal die Hand zu drücken. Und ich weiß, nirgends in Deuifchland ist der Waldecker Wahlkampf so mit Interesse verfolgt worden wie kn ihren Kreise. (Sehr richtig.> Und ich weiß, wie viel ich bekommen habe an Grüßen und Zuschriften und wie viele nicht geschrieben haben und sie waren gerade so dabei. Wenn ich- jetzt einen anderen Wahlkreis habe, so wissen wir doch, daß wir untereinander Freunde bleiben und in der großen Dache zusammen werter arbeiten wollen. Nach dieser persönliche» Einleitung kam Naumann auf das
Jubilänmsjahr 1913
zu sprechen. Er berührte das Regierungsjubiläum des Kaisers
und gedachte dabei des vor kurzein verstorbenen Schräder und Albert Trägers, die beide die Vorkämpfer der Zeit eines zweiten Kaiser Friedrich waren, die aber leider nicht kam. Schräder habe den Glauben an den Wert der Persönlichkeit gehabt. Wenn man so die Alten gehen sehe, dann müsse die Jugend nach!, folgen und wenn ihn etwas fröhlich mache, so sei es das, daß in allen Gegenden die Jugend nachsprosse und man wieder daran glauben könne, daß der Liberalismus nicht nur gewesen fest sondern auf dem Marsch sei und wiederkomme. Die vergangenen 25 Jahre haben zunächst einen Massenaufmarsch gebracht. Bon links den Massenaufmarsch der Sozialdemokratie und von rechts den des Bundes der Landwirte. Ebenso habe das Zentrum auf katholischem Boden sich als feste Masse ton- strniert mit der Devise, bist du nicht willig, so brauch ich Ge. Walt. Diese drei großen Massenbewegungen stellten sich um den Liberalismus herum und verhöhnten ihn mit seiner Forderung nach Persönlichkeit, aber je massenhafter die Aufstellung der letzten 25 Jahre ist, destomehr ringt sich auch der Gedanke wieder durch, daß das letzte und höchste der Mensch selber ist, die Pflege seiner Persönlichkeit, seiner Innerlichkeit und Tüchtigkeit. Und wenn daö der Fall ist, werden wir auch wieder gute Gesetze machen nicht für die Statistik sondern für den Men- scheu. Den 4,2 Millionen sozialdemokratischen Wählern kann der Liberalismus 3,2 Millionen gegenüberstellen und diese wü» ! den bei einer gerechteren Wahleinteilung einen noch ganz anderen Faktor bilden. Auch das Jahr 1813 ist eine Erinnerung des Li- beralismns. Die Geschichte der damaligen Zeit war keine Für- stengeschichte, sie war der Anfang des Liberalismus. Sie de- deutete die Loslösung von aller anerzogenen Autorität, von da ab mußte» die Fürsten mit dem Volk zu rechnen beginnen. Zuerst waren die Fürsten die stärkeren Rechner bis z»n» Jahr 1848,
Las die Eiiiinerung an die Versprechungen von 1813 war und vhne das 187V nicht möglich gewesen wäre. Wenn 1870 die Süddeutschen- mitgingen, so taten sie das, weil sie das Deutsch, land von 1848 haben wollten. Und in der Wacht am Rhein klingt ein Untertan von 1848 mit. Diesen Unterton müssen wir auch bei der Betrachtung unserer heutigen Politik in Rechnung ziehen. Der Redner kam hier auf'die neue Wehr Vorlage zu sprechen und betonte, daß die Volkspartei ihre Stellung mit vollen! Bewußtsein eingenommen habe weil das deutsche Volk im Konzert der Völker nicht Objekt sondern Subjekt sein solle. Wenn als Ersatz für die Opfer, die das deutsche Volk mit derselben bringe, die Reformen nicht ganz befriedigend ausgefallen seien, so liege das daran, daß die Bolkspartei zur Bewilligung der Vorlage nicht absolut notwendig war. Der Redner bedauerte, daß es nicht gelungen sei, eine wirkliche Vermögenssteuer mit Zugrundlegung der Erbschaftssteuer durchz». setzen, betonte jedoch, daß die Linke infolge des Stichwahtab- kommens mit der Sozialdemokratie es wenigstens durchsetzen konnte, daß keine Massenbesteuernng mehr kam, sondern endlich einmal ein Finanzgesetz mit direkten Steuern. Mit begeisterten Worten forderte der Redner zum Schluß zur Mitarbeit in der Partei aus und wünschte zum nächsten Wahlkampf des Kreises das beste Gelingen. In das von ihm ausgebrachte Hoch aus den L. württ. Wahlkreis wurde jubelnd eingefallen. Seine Ausführungen lohnte lang anhaltender Beifall.
Hofrat Peter Bruckmann-Heilbronn brachte den Tank des Wahlkreises an den bisherigen Kandidaten und Abgeordneten in eindringlichen Worten zmn Ausdruck: Tie heutige Versammlung könne nicht auseinandergehen, ohne daß wir Naumann herzlichen Dank sagen für alles, was er an politischer Erziehungs- und Aufklärungsarbeit für uns geleistet hat. Ihm mit verdanken wir, daß der politisch« Kampf bessere Formen angenommen hat, daß unter seinem Einfluß so mancher aus der Parteilosigkeit entrissen und unter die Fahne der Partei sich stellen konnte. Am Bau -es freien Vaterlandes ist er einer der größten Baumeister und er ist der größte Vertreter des heute von ihm gepredigten Evangeliums von der Persönlichkeit Er kam zu uns als Lehrer, wie ein Freund, ein voller warmer Mensch. An der Geschichte hat er uns gelernt, auch den Gegner zu verstehen und die Hemmungen zu überwinden. Hinter dem glänzenden Redner steht der sachliche scharfe Denker, von dem der Fabrikant, wie der Arbeiter, der Bauer, Weingärtner und Handwerker in gleichem Maße lernen konnte. Redner toastete unter begeisterter Zustimmung auf die liberale Einigung und die treue Arbeit im .Sinne Friedrich Naumanns,
Es folgten noch eine Reihe von Ansprachen: Frau Tr.
Elwert appellierte an die Frauen und legte ihnen in präziser Form die vielseitigen Aufgaben dar, die sie, ohne ihre Wirtschaft zu vernachlässigen, erfüllen können im öffentlichen Leben. Herr Schmidt von der Heilbronner Arbeitergruppe zeigte, wie nur ein starkes Zuströmen denkender Arbeiter in die Fortschrittliche Volkspartei einen sicheren Schutz gegen sozialdemokratischen Terrorismus herbeiführen könne. An die Jugend richtete Redakteur Kühle- Heilbronn einige begeisternde Worte, sein Hoch auf die alle» Demolraten fand lauten Widerhall. Landtagsabgeordneter
kvir lernen fürs Leben verschlingen Der Weisheit gesiebten Extrakt ;
Doch in den entscheidenden Dingen Bleibt Jeder Autodidakt.
Ludwig Fulda.
Leben.
Roman von George Tellavoß. l 2 j sNachdrnck verboten.)
„Hedwig", sagte der Doktor weicher, „wenn Sie Georg lieb Hecken — müssen Sie Geduld mit ihm haben! Sie treiben ihn ja selbst hinein mit Ihrer Härte und Schärfe!"
Tie Frau schluchzte plötzlich wild auf.
„Ich habe ihn ja lieb — lieber als alles auf der Welt! Und darum gönne ich ihn keiner anderen — nicht einmal einen Blick möchte ich verschenken. Ich habe gearbeitet und gespart — wenn wir heute so dastehen, wie wir es tun, wem verdankt er es? Und dann kommt einfach ein hübsches Gesicht, und alles soll vergessen sein?"
„Nein, nein," beschwichtigte sie der Doktor. „Georg weiß, welche Stütze Sie ihm sind — aber Sie — Sie sollten —"
Er verstummte mit einem entmutigten Kopsschüttel». Wozu dieser Frau etwas- predigen, das sie nie und nimmer begreifest würde? Er hörte wieder Georgs erregte Stimme:
- sie qpält sich und mich mit ihrer lächerlichen Eifersucht .—- und macht mir das Leben unerträglich. Ich bitte dich — kläre sie ein bißchen auf —". Er hatte ihn zu beruhigen gesucht — es wäre eine gefährliche Zeit für Hedwig — di« Kinder waren erst nach jahrelanger Kinderlosigkeit gekommen, als sie schon gar nicht mehr erwünscht warcn. Jetzt.sollte er es der Frau sagen, energisch! sprechen, als Freund, als Arzt, und der Mut dazu entfiel ihm plötzlich ganz. Er hatte schon öfters in der letzten Zeit ein solch momentanes Nachlassent seiner Energie empfunden, so daß er bei schweren Fällen immer einen zweiten Arzt zuzog, und nur ganz leichte Kranke allein zu behandeln wagte. Und Hedwig war ein Htarrkops, der alles nach seinem Willen beugen zu können glaubte — zu beugen gewohnt war — selbst'wenn sie ihn verstehen könnte, so würde ihr Eigensinn ihn nicht verstehen wollen,
„Ta spricht man von einem Recht auf Liebe", sagte er halblaut, wie zu sich selbst, „und vergißt ganz, daß sic nur ein Geschenk sein kann. Ein schönes — und vergäng
liches Geschenk! Und wenn es vergeht — wenn die Göttin rntjfhwebt — wxr kann halten, was sich nicht fassen läßt ?"
Hedwig beugte sich mit starrem Gesicht über ihre Arbeit, als hörte sie das leise Selbstgespräch wicht. Sie wußte, daß der Doktor seine junge Frau früh verloren hatte — an einen anderen. Er hatte verzichtet, seiner Frau den Weg zu einem neuen Glück sreigegeben und ganz für sein Kind gelebt — sie konnte das nicht begreifen. Warum sprach er so zu ihr — wollte man an sie herantreten, daß sie Georg sreigeben sollte? Weil Annemarie eben keine Bozena war?
Sie hätte ihn gerne gefragt — ob er vielleicht in einem solchen Auftrag hergekommen sei — und brachte das Wort doch nicht über die Lippen. Es war ihr, als legte sie selbst die erste Bresche in die Mauer, hinter der sie sich verschanzt hielt, wenn sie solchen Gedanken Ausdruck gäbe — nein — sie würde ihren Platz behaupten — bis zum letzten —
Ten Doktor wollte sie nicht verletzen — er meinte es gut mit ihnen und konnte nichts dafür, daß er neutral bleiben mutzte. Sie sann über eine Antwort nach und atmete unwillkürlich erleichtert ans, als Rufen der Kinder und lachende Stimmen draußen die Rückkehr der beiden Schwestern verkündeten. Wie wenn sie dem Doktor nicht zugehört hätte, begann sie halblaut einen Stoß Servietten abzuzählen und schaute erst auf, als die beiden Mädchen eintraten, umdcängt von den Kindern und Hunden.
Frieda und Annemarie waren mit Waldblumen und blühenden Zweigen ganz beladen. Tie Kinder erhielten ein paar riesige, wunderlich geformte Baumschwämme, mit denen sie iubelnd hinausliefen. Der Tottor hatte beim Anblick dieser Ungetüme den Kopf geschüttelt.
„Wenn Sie die gefunden haben, müssen Sie sehr tief im Wald gewesen sein. Das sollten Sie so allein niemals tun!"
„Ist die Gegend unsicher?" fragte Annemarie rasch. Ter Doktor zuckte die Achseln.
„Gesindel gibt es überall!" sagte er trocken, „aber hier hat man mit zwei Tatsachen zu rechnen. Man kann angefallen werden um seines Portemonnaies willen — man kann aber auch ganz unerwartet attakiert werden, weil man deutsch gesprochen hat."
„Hoffentlich stößt Herrn Hellmann nichts zu," sagte Annemarie mit blassen Lippen, „er ist allein weitergegangen, weil er noch in den Holzschlag wollte —" Hedwig fuhr auf, als sie den Namen ihres Mannes hörte — er hatte also die Mädchen begleitet — .
„Wie konnte Georg Sie beide ganz allein zurückgehen lassen!" entsetzte sich der Tottor.
„Herr Hampel — kennen Sie den Keinen komischen Maler? — war mit und hat uns nach Hause gebracht," beruhigte ihn Frieda, „wir hätten uns gewiß gehütet, allein zu gehen, wir kennen ja auch die Gegend nicht. Hier gibt cs ja keine markierten Promenadenwege wie in der Wienci Umgebung — lauter Jägersteige und Holzwege —"
Hedwig atmete auf. Aber nur für einen Augenblick fühlte sie eine Erleichterung; der Gedanke, daß Georg den kleinen Maler gewiß nur um Friedas willen mitgeschleppt! hatte, bemächtigte sich ihrer sofort. Was sollte das überhaupt wieder mit dem Hampel? Georg lud ihn ein so oft, er tonnte und gestern war gar ein Bild von ihm ins HaM gekommen — eine Kleckserei, die jedem, der sie ansah, Augenschmerzen machen mußte. Sinnend strich sie ein Tuch glatt und hörte, nur mit halbem Ohr ans Frieda und den Doktor, die über einzelne schöne Punkte der Landschaft sprachen. Da fragte Annemarie dazwischen:
„Wie geht es Ihrem Sohn weiter im Brautstand? ' „Ja", sagte der Tottor fast andächtig, „mein Erich! ( Ein Glückskind!" -
„Sind diese Verhältnisse nicht auch für ihn unange-' neym?" meinte Frieda. ,
„Ach — ihm geschieht nichts! Er ist einmal ein GliM ' kiild, dem alles gelingt. So war er in der Schule - i aus der Universität — in allem. Und jetzt — in einem Alter, wo andere in den gleichen Verhältnissen erst beginnen kön-: nen nach Brot auszuschauen, wird er Besitzer eines Unter-' nehmens wie das Clermontsche. Es ist wie ein Märchen!"!
Frieda nickte bestätigend, obwohl sie nicht gerne vo» , Jagenhofen sprechen hörte. Annemarie ordnete schweigend i und mit verträumten Blicken ihre Blumen, Hedwig allein siel der seltsam blecherne Klang der Stimme Winklers um seine unnatürlich glänzenden Augen auf. Man hatte P i erzählt, daß der Tottor überall von nichts anderem sprach, als von dem Glück seines Sohnes — -
„Man soll nicht übermütig weiden!" sagte sie kW' schüttelnd. !
(Fortsetzung folgt.)
— V erschnappt. „Leugnen Sie nicht, man hat ^ Tatorte Ihre Fingerabdrücke festgestellt!" — „Haha! — bk bei Hab ich Handschuh ang'habt."