Das
Svmmerfest der Volkspartei.
sk. Ebingen, 13. Juli.
Tie Fortschrittliche Volkspartei Württembergs feierte ihr diesjähriges Sommerfest in Ebingen, der demokratischen Hochburg des Bezirks Balingen, den der Reichs- und Landtagsabgeordnete Konrad Haußmann feit 25 Jahren im Parlament vertritt. Tas Sommerfest wurde daher zugleich mit der Jubelfeier für diese 25jährige parlamentarische Tätigkeit verbunden. Als Einleitung fand am Samstag abend ein zwangloses Beisammensein im Hotel „Post" statt. Tabei wurden verschiedene Ansprachen gewechselt u. a. sprach Privatier Reif-Stuttgart und Konrad Haußmann gedachte der verstorbenen großen Toten der württembergischen Volkspartei, deren Schüler zu sein er sich mit Dankbarkeit, erinnere.
Prächtig ging am Sonntagmorgen die Sonne über dem Ebinger Tal ans und bestrahlte die in schmuckem Festgewand herausgeputzte Stadt. Ueberall Ms allen Häusern der Hauptstraßen wehte das schwarz-rot-goldene Banner, vereinzelt unterbrochen durch die Reichs- oder die Landesfarben. Zahlreiche Häuser waren auch mit frischen grünen Auirlan- den geschmückt. Am Bahnhof erwartete die Stadtkapelle die ankommenden Festgäste und führte sie zum Marktplatz, wo ein Promenadekonzert stattfand. Wer schon früher kam, konnte noch einen Ausflug auf einen der herrlichen Berge der Umgegend machen. Um 12 Uhr fand dann gemeinsames Essen im Hotel „Post" und im „Saalbau" statt, wobei verschiedene kleinere Ansprachen gehalten und die Glückwunschtelegramme verlesen wurden, die sehr zahlreich eingelaufen waren. Unter anderem feierte Herr Wahl-Balingen den 100jährigen Wagner. Sämann aus Ostdorf, den ältesten Wähler Haußmanns, der ebenfalls an dem Essen teilnahm und dessen Photographie Haußmann als Geschenk überreicht wurde . Unter den Begrüßungstelegrammen befand sich u. a. eines von dem badischen Landtagsabg. Muser und Oberbürgermeister v. Gauß.
Nach dem Essen ging es in imposanten: Festzug durch die Stadt hinauf zum Festplatz, wo eine große öffentliche Volksversammlung abgehalten wurde, an der ungefähr 4000 Personen sich beteiligten. Ter Festplatz lag auf sonniger Höhe am Waldesrand mit einer wunderbaren Aussicht auf das Ebinger Tal, in das die schwarz-rot-goldenen Wimpel freudig hinunterwinkten. Fabrikant Eleß-Ebingen begrüßte zuerst die Gäste, Er wies auf das dreifache Jubelfeit hin, das man feierte, das Sommerfest, das Hausmannjubiläum Und das 25jährige Jubiläum des „Neüen Albbolen", und gedachte der Arbeit, die während einem Vierteljahr!)undcrt in Parlament, Presse und Partei geleistet wurde. Es sei für Ebingen eine hohe Ehre, die Gäste so zahlreich in seinen Mauern versammelt zu sehen. Redner wies auf die mächtige Entwicklung der Stadt in den letzten 25 Jahren hin, unverändert sei jedoch' der demokratichsche Geist geblieben, den allezeit hochzuhalten er und seine Mitbürger hier feierlich geloben. Im Namen der Stadt Ebingen begrüßte Stadtschultheiß Spannagel die Anwesenden. Derselbe betonte die Hilfe, die Haußmann der Stadt und ihrer Entwicklung allezeit habe angedeihen lassen und dankte dem Jubilar mit warmen Worten. Im Auftrag der Gesamtpartei überbrachte Reichs- und Landtagsabg. Kopsch-Bcrlin dem wackeren Parteifreund und dessen Wahlkreis die. herzlichsten Grüße und Glückwünsche. Daran anschließend gab er einen Ueberblick über die politische Lage, wie sie durch die Arbeit des Reichstags in den letzten Monaten her- vorgerufen wurde.
Friedrich Payer feierte hierauf die Verdienste Hauß- rnanns während dessen 25jähriger parlamentarischer Tätigleit: „Drei Jubiläen auf einen Schlag, bei diesem seltenen Ereignis habe sogar der Himmel ein Einsehen gehabt. Unter diesen drei Jubiläen gebühre mit Recht Konrad Haußmann der Vortritt und er freue sich, daß er ihm die Festrede halten dürfe. Wenn er dabei auf die Entwicklung der letzten 25 Jahre im Land zurückblicke, dann Weiche sich von selbst ergeben, einen wie großen Anteil dieser Mann an dieser Epoche gehabt habe. Ter Redner zeigte, wie nach dem Krieg von 1870 die Demokratie vollständig darniederlag, so da§ es ihr unmöglich war, irgend etwas Nennenswertes zu leisten, Aber sie habe die Musezeit ausgenützt, um das vvrzubereiten, was in den 90ger Jahren in die Erscheinung getreten sei. Um diese Zeit sei Konrad Haußmann als junger Rechtsanwalt im Jahre 1889 zum erstenmal von dem Be-
Lin rechter Mann hat zwei Gesichter, die er hält,
Das eine auf sein Haus, das andere auf die tvelt.
Das freundliche Gesicht, das wendet er ins Haus,
Das ernste aber kehrt er in die Veit hinaus.
Herder.
Leben.
Roman von George Tellavoß. üs sNachdrnck verboten.!
„Tu kommst von Jagenhofen?" sagte Georg hastig. „Aber so spät solltest du nicht mehr nach Hause reiten."
„Sie wollten misch durchaus znm Uebernachten bereden, aber der Vater könnte sich beunruhigen, wenn ich nicht nach Hause komme. Es wird auch selten so spät. Nur heute — wir hatten wichtige geschäftliche Tinge zu besprechen —" Ti« beiden gingen langsam nebeneinander weiter. Barry, dev merkte, daß es nach Hause ging, lief vergnügt bellend voraus.
„Tu bist sehr unvorsichtig, Erich!" sagte Georg, „du bist gewiß auch den Lepten begegnet, wie leicht hätte sich da eine unangenehmes Rekontre ergeben können?"
Erich zog msi der Gerte einen pfeifenden Hieb durch die Lust.
„Bah", meinte er verächtlich, „die kommen nur hundert gegen einen."
„Sie sind aber hundert gegen einen!" sagte Gerg nachdrücklich.
„An ihren zukünftigen Chef werden sie sich nicht so leicht wagen." Erich ließ wieder die Gerte durch die Luft sausten, „und in Jagenhofen Wird sich vieles gründlich ändern."
„Glaubst du?"
„Es muß. Es sind unglaubliche Verhältnisse dort- Mein Schwiegervater — nun — so recht als Deutscher hat er sich nie gefühlt, wenn auch die Familie schon lange genug jeden Zusammenhang mit ihrer französischen Herkunft verloren hat — mein Schwiegervater hatte nie A^rgen für gewisse Manöver. So nur hat es dahin kommen können, daß heute die ganzen Arbeiter Tschechen sind — -aber zum Weitaus größten Teil auch die Beamten!"
„Was?"
„Und das letztere halte ich für viel schlimmer. Tenn da wirkt der Ehrgeiz mit, das .Verlangen eine Rolle zu
zirk Balingen in den Landtag gewählt worden uns von diesem Tage ab dürfe man einen neuen Aufschwung des demokratischen Lebens in der württ. Kammer feststellen, Es sei für Haußmann und seinen Bruder Friedrich, der ebenfalls mit ihm als Hecht im Karpfenteich im Landtag wirkte, nicht leicht gewesen, sich durchzusetzen, aber dank des Kampfes der beiden Männer wurde die württ. Demokratie so stark, i daß sie die Entscheidung im württ. Landtag in die Hand bekam, die sie auch heute noch habe, und die sie sich nicht mehr nehmen lasse. (Starker Beifall). Payer gab dann einen Ueberblick über die Arbeit des Landtags in den letzten 25 Jahren, die so viele Fortschritte brachte. All der Fortschritt, den wir in den letzten Jahren erlebt haben, trage den Stempel von Konrad und Friedrich Haußmann. Es sei natürlich gewesen, daß bei dieser Arbeit es dem Jubilar nicht möglich war, im Reichstag ebenso tätig zu sein, aber manches gute und scharfe Wort habe er auch dort ausgesprochen, man erinnere sich noch der Abrechnung, die ec in: Namen des deutschen Volkes szt. mit dem Kaiser gehalten habe. (Beifall). Payer kam dann aus die zahlreichen Fähigkeiten zu sprechen, die Haußmann in so ungewöhnlicher Weise auszcichnen, sein Agitations- und Rednertalent, seine ungewöhnlich starke und erfolgreiche journalistische Tätigkeit rc. Nur einer sei noch im Stande gewesen, das glles ebenso zu leisten, Friedrich Haußmann. Wir können den lebenden Bruder nicht höher einschätzen, als indem wir ihn dein verstorbenen gleichschätzen. (Bewegung). Neben seiner umfassenden politischen Tätigkeit sei Konrad Haußmann auch noch in Wissenschaft, Lüeratur und Kunst aktiv tätig, und dabei habe er noch immer Zeit übrig gehabt, sich seiner Familie zu widmen. Er bringe eben alles fertig, was andere nicht fertig bringen und wenn wir uns darüber wundern, so wundere er sich, daß wir das nicht selbstverständlich finden. Mit den Festgästen freue sich die Volkspartei des ganze» Reiches, die er gründen half, daß wir ihn noch unter uns haben. Auch bm der Deutschen Partei und der Sozialdemokratie werde mancher sein, der sich darüber freue. Es ist, schloß Payer, heute eine besondere Feier, die nach einem besonderen Ausdruck verlangt und darum wollen wir einmal das demokratische Zeremoniell in den Wind schlagen und rufen: Unser Jubilar Konrad Haußmann lebe hoch, hoch, hoch! (Lebhafter Beifall und Hochrufe).
Acit einem von Lehrer Heindtel verfaßten Gedicht übergab Frl. Seyb old-Ebingen ein von dem Rcichstags- wcchlkreis und dem Landtagsbezirk Haußmanns gestiftetes und von Prof. Landenberger gemaltes Bild, das die Ebinger Landschaft darstellt. Landtagsabg. Haux-Ebingen feierte den Jubilar im Namen des Bezirks und schloß mit einem Hoch auf die schwäbische Heimat.
Hierauf hielt Konrad Haußmann folgende Ansprache:
Ich weiß nicht, wie ich danken soll für diese Dankbarkeit und dieses Uebermaß von Lob, das freundschaftlich meine Mängel zu ergänzen versucht. Ich bin schon, als ich die Festnummer des „Neuen Albboten" las, bei den warmen Worten von Llösch rüg so ror geworden, daß ich nun vollends bis an mein Lebensende rot bleiben werde. (Große Heiterkeit.) Ich danke meinem verehrten Kollegen K o p s ch und derReichs- tagssiaktion, ich danke meinem lieben Präsidenten und treuen Freund Payer, dem jungen Abgeordneten Haux von Ebingen und dem jungen Fräulein, das eben sprach. Ich b,in, sonst nie auf Ehrungen erpicht, stolz über die Ehrung von der Stadt Ebingen und gerührt über das Kunstwerk von der Hand Ihres ausgezeichneten Landsmanns Christian Landenberger, daß Sie so sinnig sind, mich immer an die Schönheit dieses Bezirks zu erinnern. Und weil ich nicht Worte weiß, mich auszudrücken, flüchte ich zu Freiligrath, der bei einem solchen Fest einmal ausgerufen hat: Ob ich's verdient, ich will nicht rechten, Ihr wollt nun einmal Kränze flechten. Ich halte stolz den rn der Rechten, Den mir zu flechten Euch befiehlt. — Aber wir wollen nicht von dem persönlichen, sondern von dem politischen Ertrag dieser Jahre sprechen.
Versuche ich den Sinn dieser 25jährigen Landtags- tätroker't, die ich mitgemacht habe, zu ergründen und zu deuten, so meine ich: Die politisch« Schaffenslust ist in dieser Feit reger gewesen als zuvor. Die wertvolle Neigung der Balinger, das öffentliche Leben .im Zusammenhang zu' verfolgen und daran die eigene Urteilskraft zu stärken, hat auch in Württemberg zugenommen Die Schwaben sind schon zuvor Politik» nachdenklicher und zäher als manch anderer deutscher VolkSslemnu Dann aber: Die Schulen sind besser, die Steuern gerechter, dir Gewerbetreibenden, Bauern und Arbeiter sind unabhängiger, und gleichzeitig hat der Wohlstand und der Fleiß zugenommen Ans politischem Gebiet hat sich der bürgerliche Einfluß vergrößert. Denn es ist unter dem Konsulat Payer
18 Jahre lang planmäßig, fruchtbar und solid gearbeitet worden. iLebh. Beifall., EZ sind staatliche Organisationen Volks«
spielen — jeder einzelne fühlt sich- zum Volkstribun geboren. Im Augenblick sind in Jagenhofen an deutschen Beamten nur die vorhanden, die noch von dem alten Grundstock übrig sind, und einige junge Leute, die ich nach und nach hineingebracht habe und die ich mit tausend Bitten und Versprechungen halten muß, damit sie nicht aus und und davon gehen."
„Und was wirst du tun können, Erich? In diesem Wespennest?"
Erich schob seinen Arm vertraulich in den des anderen.
„Es wird eine große Ueberraschnng geben. Clermont macht mich nicht zum Teilhaber, sondern übergibt mir das Ganze, zieht sich vollkommen zurück."
„Tas hätte ich mir nicht träumen lassen!"
„Ich auch nicht. Mein Schwiegervater ist ein seltsamer Mensch, niemand kann seine Entschließungen vor- aussehen."
„Was für ein Arbeitsfeld!" sagte Georg mit einem unwillkürlichen Seufzer, „du bist wirklich ein Glückskind!"
„Meine Franzi ist mir doch noch lieber als das ganze Jagenhosen", lächelte Erich. „Aber dir gebe ich mein Wort — in ein paar Jahren ist Jagenhofen wieder so deutsch, als er einmal war — das setze ich durch."
„Tann laß um Himmels wällen nichts von deinen Plänen merken," sagte Georg besorgt, „die .Bande gerät sonst außer sich — und in der Wahl ihrer Mittel ist sie nie in Verlegenheit gewesen!"
„Hältst du mich für so unvorsichtig?" meinte Erich betroffen.
„Es sind genug Leute da, die Erich Winkler als deutschen Couleurstudenten kennen!"
Säe gingen eine Weile schweigend weiter, man hörte ihre Tritte auf der festen Straße widerhallen.' Sonst war alles still, selbst der Gesang der Grillen war verstummt.
„Heute wurden auch die Einladungen ausgeseudet," begann Erich wieder in heiterem Tone, „mein Schwiegervater will meine Verlobung mit einem großen Gartenfest feiern."
„Ein Gartenfest?"
„Warum nicht? Mir lieber als so ein langweiliges Tiner, wo man sich die fatalen Gesichter nicht aus den Augen bringen kann — es gibt für mich fatale (Dichter genug in Jagenhofen!"
„Aber warum feiert ihr die Verlobung nicht im Familienkreise?" sagte Georg verwundert.
„Tu kennst doch Clermont," fiel ihm Erich ungeduldig
mäßig umgebilbet worden und ihr Geist wird auch in Zukunft bürgerlich und erzieherisch wirken. Ich meinerseits habe mitgearbeitet, und nur weil ich- von den Balingern zuerst herein- geschickt wurde, habe ich vielleicht ein klein wenig das Verdienst, das Kousula,. Payer mit vorbereitet und zu der pol» tischen Organisierung des öffentlichen Geistes etwas beigetragen zu haben. Was vor 25 Jahren als Forderungen oes Radikalismus verpönt war, ist heute festgewurzelter bestehender Zustand, und wir sind so konservativ, ihn konservieren zu wollen.
Meine lieben, jungen Freunde! Wir haben manches er- obert und können es Euch vererben, aber: „Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen!" Darnach haben wir selbst gehandelt. Macht es ebenso! (Lebhas- ter Beifall.) Der gottlob gestiegene materielle Wohlstand bedarf als Gegengewicht mehr als je der Kraft der Ideen, damit er nicht in einen Materialismus der Lokalinteressen und der Standes Interessen mündet und zu einem Nachlassen der politischen Betätigung führt! (Sehr richtig!) Sorgt, daß Regierung und Volksvertretung, die den Staat bilden, nie «ins bloße Anstalt zur Schaffung untz Vermehrung und Hö- herbeloldung von Staatsstellen werden. 'Das ist nicht das Ideal der Balinger, der. Schwaben und der deutschen Bürger. (eLbh. Zustimmung./ Diese Entwicklung wäre auch das Ende der Einzelstaaten. Auch der Geist der Unsparsamkeit in öffentlichen Ausgaben, der ansteckend von Berlin in die Einzelstaaten und Gemeinden „ausstrahlt" kann sich zü einer ernsten, politischen und moralischen Gefahr auswachsen, wenn die Wähler dein nicht ein ernstes Gegengewicht entgegenstellen. (Lebh. Beifall./' Bleibt nie an bloßen Schlagworten haften. Seid sparsam auch mit dem schönsten, dem Wort „Patriotismus", weil es schon viele Sünden zugedeckt hat. Der einseitige Patriotismus wird Nationalismus, der Nationalismus wird Imperialismus und dieser mündet in Absolutismus und Völker- feiudschaft. Die wahre Vaterlandsliebe, welche sich in der gleichmäßige» Betätigung des Bürgergeistes auf alten Gebieten betätigen soll, redec nicht immer von sich selber. Sie weiß, daß ge l'st c'g e Freiheit das oberste Bedürfnis eines vorange- schritieucn Voltes ist, und daß ihr staatlicher Ausdruck die polnische Freiheit im Innern wie nach außen ist. Sie fühlt aber auch, daß-
Frieden und Völkerfreundschaft
Stufen einer höheren Entwicklung sind. (Lebh. Zustimmung.)
Deutschland kann und muß, gerade wenn und weil cs stark ist, in ganz anderer Weise Mitwirken an dem gegenseitigen W'er k der Völkerannäherung, als es in den letzten 25 Jahren einer häusig planlosen, äußeren Politik geschehen ist Die Reichsregierung ,nnß auch den Mut haben, den Schreiern im eigenen Larrd, die Deutschlands Ivahre Gesinnung vor dem Ausland entstellen oder falschen und immer das Schwert im Munde führend eins auf diesen großen Mund zu geben. (Lebhafter Beifall, große! Heiterkeit.) Die Aufgaben erweitern sich, Deutschland ist organisiert und damit befähigt und verpflichtet, mitzuwirken an der Organisation Europas, die noch im Argen liegt. Zugleich aber gilt es, im engeren, wie im größeren Heimatland unermüdlich die Entwicklung fortzusetzen, die sich dahin kennzeichnen läßt, im Volk den Staatsgeist, uns im Staat den Volksgeist zu befestigen. Dieser große Prczeß hat genau vor 100 Jahren begonnen. Auch wir Schwaben haben allen Grund, der preußischen Freiheitskämpfer von 1813 in wärmster Dankbarkeit zu gedenken. Damals wurde die Sehnsucht nach Freiheit gegen außen und im Innern geboren, damals ist die allgemeine Wehrpflicht, damls die Idee des allgemeinen Stimmrechts, ja damals sprang der demokratische Gedanke der bürgerlrchen Freiheit zuerst äuf dis Füße. Bald hernach wurden die Hoffnungen, die das preußische und deutsche Volk an seine gewaltigen Leistungen knüpfte, von den Fürsten schnöde enttäuscht. (Sehr richtig!) Das Volk zog die unvergeßliche Lehre, daß das Volksrecht gegen das Füriienrecht erkämpft und verteidigt werden muß. (Lebhafter Beifall.! Noch ist der
konstitutionelle Staat in Deutschland
nicht vollendet. Es ist des Schweißes der Bürger wert, an diesem großen Werk still und kraftvoll mitzuarbeiten, das unsere Kinder erleben werden. Das Werk heißt Sammlung der parlamentarischcu Kräfte, Organisierung der politischen Kräfte und Selbstcrziehung des Volkes. Wenn es gelingt, dann wirb Deutschland eine mächtige Anziehungskraft auch auf andere Nationen ausübeu, die bisher noch fehlt, und die Deutschland stärker machen wird, als Rüstuugsvermehrung. (Lebhaft. Beifall.) Das ist die Entwicklung, die Fteiligrath von der Zukunft forderte, als er ausrief: „Herr Gott im Himmel, welche Wun- dcrblume wird dann vor allem dieses Deutschland sein." So mündet alle unsere Sehnsucht in dem einen großen Gedanken, den wir schwäbische Demokraten nicht unterdrücken wollen, sondern in der Freude dieses Tages hinausklingen lassen wollen durch den ganzen Wahlkreis vom Hohentwiel bis zum Hohen- zollern: Deut/chlaud, unser geliebtes Deutschland, hoch, hoch und zum drittenmal hoch! (Brausender, immer wieder sich erneuernder Beifall./
Es folgten noch verschiedene andere Ansprachen, u. a. von dem Vorstand des 9. Wahlkreises, Hauptlehrer Henke.
ins Wort, „er liebt ein bißchen den Prunk und hält auf seine Popularität. Es wird reine kleine Aufregung in der Stadt geben!"
„Wir auch?" Georg sagte dies unbehaglich.
„Natürlich!" lachte Erich, „ihr werdet euch ganz gut unterhalten. Ich rechne auf deine Tarnen — besonders ans Fräulein Annemarie. Mein Schwiegervater wird' entzückt sein."
Georg erzwang ein Lächeln. Clermont galt als ein großer Tamenfrennd.
„Wenn es sein muß", sagte er resigniert und reichte Erich, der wieder anfgestiegen war, die Hand hinauf, „einstweilen gute Nacht und glückliche Heimkehr!"
Der junge Mann schwenkte grüßend den Hut, dann stob er davon. In Georgs Ohren klang lange noch das Geräusch der klappernden Hufe, als er seinen einsamen Weg nach Hause ging.
Trittes Kapitel.
Tie Einladung zum Gartenfest in Jagenhofen brachte das Hellmannsche Haus in große Aufregung.
Die beiden Mädchen waren sehr vergnügt über diese unverhoffte Episode in ihrem etwas eintönigen Leben und vertieften sich sofort in die Toilsttensrage. Hedwig erklärte zuerst ganz entschieden, es falle ihr nicht ein, dort einen ganzen Nachmittag herumzustehen und Komplimente zu machen. Auch könnten Frieda und Annemarie ganz gut allein gehen, sie wären alt genug dazu.
Vergebens stellte Georg ihr vor, daß eine Absage nicht nur die Clermonts und Erich, sondern auch ihren alten, treuen Freund Winkler verletzen müßte, sie gab erst nach, als er seine Zuflucht zur Bitte .nahm, so sauer es ihm auch wurde.
Zur Anschaffung eines neuen Kleides ließ sich Hedwig aber durchaus nicht bereden, und Georg dachte mit stiller Verzweiflung an die Figur, die sie dort machen würde.
Tie gefällige Frieda legte sich ins Mittel und Hedwig gestattete halb widerwillig, daß sie das schwarze Tasftkleid mit einem Spitzensichu modernisierte und den grellen Blumenschmuck des Hutes durch zarten Tüll ersetzte. Als die geschlickten Hände ihr auch noch das Haar in eine kleidsame Figur geordnet hatten, empfand Hedwig, als sie sich im Spiegel sah, ein Behagen, das nicht fern von Eitelkeit war.
(Fortsetzung folgt.)