Airs dem Reichstag.
VI. Berlin, 29. Mai.
Am Heutigen Donnerstag ging es im Reichstag still, fast allzu still her, man setzte die Beratung über das Reichs- Dlnd Staatsangehörigkeitsgesetz fort und nahm zunächst die Paragraphen 1 bis 4 in unveränderter Kom- snissionsfassung an. Nach Z 5s des Gesetzentwurfs erwirbt eine Ausländerin durch Eheschließung ohne weiteres dre Staatsangehörigkeit des Mannes. Bernstein von der Sozialdemokratie begründete einen Antrag, nach dem eme Ausländerin nur auf ihren.Antrag in den Bundesstaat ern- zubürgern ist, dem .ihr.Ehemann angehört. Die Abstimmung ergab jedoch die Ablehnung des sozialdemokr. Antrags. Nach 8 6 des Gesetzes ist die Aufnahme eines Deutschen in einen anderen Bundesstaat nur auf besonderen Antrag zulässig. Ein sozialdemokratischer Antrag, der das Bürgerrecht eines anderen Bundesstaates nach der Uebersiedelung und Wohnsitznahme in diesem Bundesstaat ohne weiteres verliehen wissen wollte, wurde ebenfalls abgelehnt.
Darauf unterhielt man sich.über die Aufnahmebedingungen eines Ausländers und .auch Heer waren es wieder nur die Sozialdemokraten, die einige Abänderungen beantragten. Besonders wünschen sie, daß bsi der Beurteilung der Eigenschaften des .Einzubürgernden die Konfession keine Rolle spielen darf, denn was den Jesuiten recht sei, das sei auch den .Juden billig. Gchcimrat Dr. Lewald glaubte festflellen zu müssen, daß der Zug der Bevölkerung von Osten nach Westen gehe und diese vordringenden Massen das dringende Bedürfnis hätten, im Deutschen Reiche mit seinen freiheitlichen Institutionen eingebürgert zu werden. Soweit dürfe man nicht in derGesetzgebung gehen, daß man den Ausländern ohne weiteres einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung gesetzlich verleihe. Auch der Zentrumsantrag Bek- ker-Arnsberg wendet sich gegen den sozialdemokratischen Antrag. Obgleich nicht weniger als 5 Sozialdemokraten sich noch für ihren Antrag einsetzten, wurde auch dieser Antrag abgelehnt, ebenso ein Eventualantrag. .
Daraus unterstützte Freiherr von Richthofen von den Nationalliberalen die Darlegungen des Ministerialdirektors Lewald. Je Weiler der Zeiger der großen Plenumsuhr vorrückte, desto mehr leerte sich der Saal. Als die fünfte Stunde schlug, verschwanden die Führer der großen Parteien von ihren Sitzen, um an der Besprechung über die Fassung einer Besteuerungsskala für einen einmaligen Wehrbeitrag mit dem Schatzsekretär Kühn teilzunehmen. Im Plenum begründete der Däne Haussen einen Antrag auf Einbürgerung der im .Reichsgebiet geborenen Staatenlosen und kritisierte die preußischen Verwaltungsmaßnahmen gegen die Dänen in der Nordmark. Nachdem noch der Abgeordnete Mumm von der Wirtschaftlichen Vereinigung die Redelust der Sozialdemokraten einer Kritik unterzogen hatte, erlangte man akich den Z 7a des Gesetzentwurfes, nach dem vor der Aufnahme eines Ausländers jeder Bundesstaat gehört werden muß. So kam man immer ^nehr mit den Beratungen über den Gesetzentwurf in die Abendstunden hinein, ehe man sich vertagen konnte.
Deutsches Reich.
Regcnsburg, 29. Mai. Aus Anlaß des hundertsten Geburtstages RichardWagners fand heute vormittag in der Wa ll; alla die Aufstellung der Büste desMei- sters statt. Prinz Ru pp recht gab das Zeichen zur Enthüllung, Kultminister Tr. v. Knilling hielt die Festrede.
Hannover, 29. Mai. Ter Stadtdirektor Tramm berichiete in der heutigen Sitzung der städtischen Kollegien über seine Eindrücke bei der Hvcktzeitsfeier im Kaiserhause und sprach die Ueberzengung aus, daß zwischen dem HohenMern- und dem Welfenhause der alte Zwist begraben sei und daß die beiden Fürsten in Zukunft treu zusammenstehen werden. Aus dem Trinkfpruch des Kaisers habe mau entnehmen können, daß Prinz Ernst August demnächst in Braunschweig einziehen werde. Gegenüber weitergehenden Wünschen in der Provinz Hannover bemerkte er, es müsse jedem politisch Denkenden klar sein, daß damit auch die hannoversche Frage erledigt sei. Er sei überzeugt, daß das Beispiel der Fürsten
O süße Siimue! viel willkommener Ton der Mnttersprach' in einem fremden LandeI Goethe.
Nach Waterloo.
t Eine Bauerngeschichte aus dem Taunus
von Fritz Ritzel.
(Nachdruck verboten.)
Erschreckt tteß Hansjörg den Sensenstiel satten und fuhr sich mit beiden Händen n-ch dem Krauskopf.
„Des tät' mir fehle', des gäb' en' schöne Krawall! To muß ich gleich hin zu ihr! Kaspar, mäh' fertig un' kumm' -nooch! Un Kaspar! Halt's Maul driwer, es soll dem Schade' nit sein!"
Mit pfiffigem Lächeln hatte ihn der Alte beobachtet. Dann spuckte er in weitem Bogen den Tabakssaft von sich und sagte treuherzig:
„Usf mich darfst du dich verlasse', Hansjörg! Ich Hab' meiner Lebtag noch nix weitergebabbelt, was ich nit Hab' babbele solle'! Geh' nur hin, ich verrat' dich nit!"
Mit diesen Worten schob «r ein neues Priemchen zwischen die Zähne, griff wieder nach seiner Sense und fuhr, als wäre nichts geschehen, bedächtig in seiner Arbeit fort.
Hansjörg stand noch einige Augenblicke unentschlossen, dann nahm er die Sense über die Schulter und ging dem Stege zu, welcher unterhalb der Wiese über den Bach führt. Er mußte noch mehrere Male den Bach überspringen, bis er nach einer halben Stunde in den weiten, von Felsen rings umschlossenen Talkessel gelangte, in welchem die Grundmühle lag. Ein Bild des Friedens und der Ruhe, hob sich das weißgetünchte Haus von dem Hellen Grün der mit niederem Buchenwald bewachsenen Berglehne ab. In eine,? von grüngestrichenem Zaune umgebenen Gärtchen nickten zwischen den Gemüsebeeten Rosen, Levkoyen, Goldlack und andere Kinder des Frühsommerr freundlich herüber; hinter den blitzblank geputzten kleinen Fensterscheiben schimmerten Klüt- weiße Vorhänge — man sah cs dein kleinen Besitztum an, daß ordnende Hände daselbst walteten.
Einen Augenblick blieb Hansjörg stehen und ließ seinen Blick auf dem reizenden Bilde ruhen. Ein trautes Heim- aesühl überschlich ihn bei dem gedämpft herübertlingenden Klappern und Stampfen des Mühlwerks, dem Plätschern der von dem Mühlrade herabfließeuden Wasser u/id fast konnte er sich selbst nicht begreifen, daß er heute mittag den an
bei der Bevölkerung Nachahmung finden werde und daß sise Gegensätze, die seit 47 Jahren störend gewirkt hätten, verschwinden und alle Kräfte sich zur gemeinsamen Förderung der Interessen des ganzen Landes Hannover vereinigen würden.
Ausland.
Der Friede«
London, 30. Mai. Heute mittag. 12 Uhr 14 Minuten ist das Friedenspräliminar-Protokoll U nt e r z e i 'ch n et worden.
Rom, 29. Mai. Die Kammer hat nach langer Beratung die- Wahl Nasis für ungiltig erklärt.
Athen, 29. Mai. (Agence d' Athenes). Nachdem die Bulgaren aus den Höhen von Pravitsch Kanonen ausgestellt hatten, griffen sie am 27. von hier aus ohne jede Veranlassung eine griechische Kompagnie an. lieber den Verlauf dieses neuen Angriffs ist noch nichts bekannt.
London, 29. Mai. Im Unterhaus fragte King den Staatssekretär, ob nicht, um die nationale Erkenntlichkeit für dre deutsche Großmut und Milde gegenüber den drei in Deutschland wegen Spionage verurteilten britischen Offizieren zu beweisen, den Deutschen, die in England wegen Spionage gefangen säßen, der Rest ihrer Strafzeit erlassen werden könne. Mc. Kenna antwortete, er wolle mit Sir Edward Grey darüber beraten. Ueb- rigens sitze jetzt nur ein Deutscher in England deswegen im Gefängnis.
Kit'ttt, 29. Mai. Hier und in anderen Orten der Provinz sind zahlreiche Anarchisten verhaftet und Vorbereitungen zu Gewalttaten gegen verschiedene höhere Beamte bi er Provinz aufgedeckt worden.
Londov» 29. Mai. Ter amerikanische Dampfer „Haverford" mit 4200 Passagieren an Bord ist bei Dannt Rock im Nebel aufgelaufen. Er befand sich ans dem Wege von Liverpool nach Philadelphia. Das Wasser dringt in das Schiff. Rettungsdampfer sind abgegangen.
Württembergischer Landtag.
sie. Stuttgart, 29. Mai.
In der heutigen Sitzung der Abgeordnetenkammer kam es vor der Abstimmung über einen Zentrumsantrag, der entgegen einem Beschluß der früheren Kammer die Erhaltung der Kreisregierungen anstrebt, zu einem Fall von
Obstruktion -er Linke«
Von der Rechten war ein Schluß antrag angenommen worden, der der Linken die Möglichkeit nahm, den erst in dev heutigen Sitzung gestellten Zentrumsantrag zu bekämpfen. Abg. K e i l (Soz.) beantragte deshalb, entsprechend einer Vereinbarung des Scniorentonvents, laut der Abstimmungen auf den nächsten Tag verschoben werden sollen, die Abstimmung über den Zcntrumsantrag ans morgen zu vertagen. Abg. Hau ß mann (Fortschr. Vp.) unterstützte dresen Antrag und warnte die Rechte vor einer Ausnützung der heutigen Zu- fallsmajorität. Nachdem durch Beschluß der Rechten eins sachliche Behandlung des Antrages unmöglich gemacht wor- sei, sei ein doppelter Grund vorhanden, erst am andern Tage die Abstimmung vorzunehmen. Jetzt wolle die Rechte unter Erdrosselung der Redefreiheit dem .Beschluß des Scnioren- konvents entgegenhandcln, wett sie glaub«, mit Stimmenmehrheit zu siegen. Da die Rechte trotz dieser Mahnung darauf behartte, sofort abzustimmen, erklärt Abg. Hau^ mann, wenn die Rechte die Linke vergewaltigen wolle, so sei seine Partei gezwungen, sich der Abstimmung überhaupt zu enthalten. Tie Rechte solle die Linke nicht dazu zwingen, die geschästsordnungsmäßigen Mittel zu benützen, die damit
der Mühle vorbciführenden Fahrweg vermieden hatte, wenn er daran dachte, daß an einem der Keinen Fensterchen gewiß ein buchenden Mädchenantlitz, umrahmt von schwarzen Flechten, nach ihm Ausschau gehalten hatte. Ja die Pauline! Sobald er in ihre Nähe kam, zog es ihn, wie die Motte zum Licht! Was sollte daraus werden, wenn seine strenge Mutter in Erfahrung brachte, daß er mit einem so geringen Mädchen ging — die Mutter, welche ihn täglich bestürmte, doch endlich an das Heiraten, und zwar mit,xiner gediegenen Bauerntochter zu denken? Dachte er an 'seine Mutter, so überfiel ihn eine beklemmende Angst, denn trotz seiner 23 Jahre erschien ihm ein selbständiges Handeln und Denken, welches dem Willen der energischen Frau zuwiderlief, als eine unerhörte Verwegenheit, zu welcher ihm gänzlich der Mut fehlte.
Ein Klirren an einem der Fensterchen unterbrach seinen Gedankengang und die Helle Stimme der Pauline rief herüber :
„No, Hansjörg, lebst du dann noch? Willst du nit e' bißche ereinkommc' ?"
Im Nu waren alle Bedenken des jungen. Burschen verflogen. Seine Sense an das Gattengeländer lehnend, ging er mit raschem Schritte die nach der niedrigen Haustiere führenden Steinstufen hinab und zog das ihm entgegenkommende Mädchen herzlich an sich, während er einen herzhaften Kuß auf dessen blühende Lippen drückte. Wjie ungeduldig ließ Pauline die Liebkosung über sich ergehen und zog den jungen Mann an der Hand in die Stube, wo sie eiitt.ge Schritte von ihm hinwegtrat und in sehr entschiedenem Tone fragte:
„Warum sieht mer dich dann gar nit mehr, Hansjörg? !Es sein jo schun bald verzehn Däg' her, daß du nit kumme' bist!"
„Verzehn Täg'? Och naa'! Verzehn Däg schun! Was die Zeit vergeht!" stammelte der Bursche verlegen. „Waaßt du, Pauline, die viel Arweit, wo wir ewe' hawe'! Mer kann jo kaa' Knecht krieh'e', do muß ich selbst anpacke', daß ich owends dodmüd' bin! Usf dem Altemarkt Hab' ich aach Vieh hole müsse; jetzt sein wir in der Heumahd — der weit' Weg vum Hof bis do crunner, es geht so iwer e' Stund 'druff —"
„No, früher war dir der Weg doch nit zu weit!" unterbrach ihn das Mädchen. „To bist du jeden Owend so pinktlich dogewese', ivie der Steiereinnehmer uff Martin:! Mach' mich doch nix weis. Wahrschein's bist du mich satt!
zum ersten Mal benützt werden, weil hier zum ersten Male eine Vergewaltigung eingetreten sei.
Präsident Kraut gibt der Rechten anheim, ob sie sich nicht freiwillig mit dem Antrag Keil auf Vertagung der Abstimmung ein verstauen erklären wolle. . Tie Rechte ruft darauf: Nein! Nein! Abg. .Rembold-Gmü^) (Z.): Es fehlen auf der Rechten wie auf der Linken je zwei Abgeordnete. Eine andere Frage ist, ob nicht die Linke auf. eine Zufallsmehrheit für morgen rechnet. — Der Antrag Keil ans Vertagung der Abstimmung wird hierauf abgelehnt. Tie Vvlkspartei und die Sozialdemokrat cn verlassen geschlossen den Saal.
Abg. Haußmann (Fortschr. Vp.) bezweifelt jetzt die Beschlußfähigkeit des Hauses. Abg. Wolf (kons.): Ein derartiges Mittel gibt es nicht. Präsident Kraut konstatiert die Beschlußunsähigkeit des Hauses und schlägt daher vor, die Abstimmung auf morgen zu verschieben.
Tie Sitzung, die der Präsident gesch-ästsorvnungswidrig zuerst nur unterbrechen will, wird daraus geschlossen und die nächste Sitzung auf eine Viertelstunde später festgesetzt. Nachdem
die neue Sitzung
eröffnet ist, beantragt Abg. Keil (Soz.), in die Beratung des Titels 2 des- Kapitels 20 einzutretcn; da auf der Tagesordnung der Sitzung „Fortsetzung" steht, müßte sonst zuerst die unerledigte Abstimmung .über den Zentrumsantrag vorgenommen werden. Präsident Kraut erklärt, er gehe davon aus, daß dis Abstimmung auf morgen zu verschieben sei. Abg. Haußmann (Fortschr. Vp.): Seine Fraktion müsse wissen, woran sie sei, ob die Abstimmung nun aus morgen vertagt werde. Abg. Tr. Mülberger (DP.) gibt der Rechten zu erwägen, ob es nicht möglich wäre, den Antrag Haußmann auf Verweisung des Zentrumsantrages an eine Kommission formell wenigstens zuzulassen. Präsident Kraut: Tieft Frage ist erledigt. Vizepräsident v. Kiene (Z.) sagt, er nehme an, daß das heutige Schauspiel vor dem Lande wiederholt werde. (Abg. Haußmann ruft der Rechten zu: Sie haben ein Schauspiel gegeben!) Deshalb stimme seine Partei z u, daß die Abstimmung morgen vorgeuommeu werde.
Abg. Haußmann (Fortschr. Vp.) führt aus, nachdem der Vizepräsident erklärt habe, er sei mit der Verschiebung der Abstimmung einverstanden, sei die Wirkung des Vov- gehens der Linken die heilsame, daß die Herren selbst jetzt auf den Boden seines Antrages träten. Ihm sei durch einen hinter seinem Rücken gestellten Schlußantrag des Zentrums das Wort abgeschnitten worden. Das sei von derselben Partei geschehen, die noch in den letzten Tagen erklärt habe, noch nie einen Schlußantrag gestellt zu haben! Jetzt habe das Zentrum entgegen dieser Praxis bei diesem hochwichtigen Antrag einen Schlußantrag beschlossen, um ihn und seine Freunde zu verhindern, ihre Ansichten darzulegen. Das habe zu der außerordentlichen Maßregel gezwungen. Jetzt sei die Entscheidung auf morgen vertagt. Seine Pattei und wohl auch die Sozialdemotratte hätten daher keinen weiteren Anlaß, an der Debatte nicht teilzunehmen.
Unter dem ironischen Beifall der Rechten kehren die Volkspartei und die Sozialdemokratie in den Saal zurück und es wird in der Debatte über den Zentrumsantrag sort- gefahren. Unter Beifall und Widerspruch von links und rechts spricht
Haußmann
zur Frage der Kreisregieruugeu.
Tie Frage der Kreisregierungen .führt je nachdem sie entschieden wird zu weitgehenden Konsequenzen. Tie Herren der Rechten haben die Frage gewaltsam zu beantworten versucht und dadurch den Rest des Widerstands auf der Gegenseite nur verstärkt. Ter Minister hat sich prinzipiell damit einverstanden erklärt, daß Reformen sich nur in der angegebenen Richtung des Antrags zu bewegen haben. Tie Frage ist in der Kommission noch nicht beraten worden. (Zuruf: Aber im vorigen Landtag!) Wir sind hier ein neuer Landtag mit neuen Abgeordneten. (Sehr richtig.) Zunächst muß bekannt werden, daß dieser Antrag ein maskierter Antrag ist, er müßte eigentlich heißen: Antrag auf Beibehaltung der Kreisregierungen. Das wagt man aber nicht in das Land hinaus zu geben. Ter Abbröckelungs- prozeß der Kreisregierungen soll noch weiter gefördert werden und die Kreisregierungen sollen noch weiter ausrecht erhalten bleiben. Es heißt in dem Antrag: Aufhebung der Beschwerdeinstauzen. Ja, wo sollen dann die Beschwerden
Wann du awer olaabst, daß ich mich vun dir zum beste' halte' ließ, dann bist du uff' dem Holzweg!"
Sie stand vor jhm mit blitzenden Augen, das ebenmäßige, ovale Gesichtchen von Röte übergosfen. Ter energische Zug, welcher um den blühenden kleinen Mund lag, ließ vermuten, daß dieses Mädchen sich nicht als Spielzeug gebrauchen lasse, welches man sortwirft, sobald man dessen überdrüssig ist. Tie wäre wohl fähig — fuhr es Hansjörg durch den Sinn — zu seiner Mutter zu gehen und ihn, der ihr hundertmal das Eheversprechen gegeben hatte, als ihr Eigentum zu fordern. Wenn es ihn auch bei diesem Gedanken ängstlich überrieselte, so schien ihm der Besitz dieses schönen Mädchens, das so lieblich und schlank in dem einfachen sauberen Gewand vor ihm stand, im Moment doch über alles begehrenswert. Tie Erregung, in welcher sie sich befand, erhöhte noch ihren Reiz und ließ das Bild jener anderen, um deretwillen er die ihn hier bindenden Fesseln hätte lösen wollen, entschieden verblassen. Wie konnte er nur jene andere der Pauline verziehen, der Pauline, an welcher ihn jede Bewegung, wie jetzt wieder diese unnachahmliche Wendung des seinen Kopsis, entzückte, deren kohlschwarze Augen ihm bis in das Innerste der Seele brannten! Nein, mit der konnte und durste er nicht brzchcn, es wäre ein Unglück für sein ganzes Leben wenn er sie nicht zum Weibe erhielt — davon war Hansjörg im Moment felsenfest überzeugt. Darum klang es auch wie innige Herzenswärmc aus den Worten, mit welchen er sich jetzt an das Mädchen wandte:
„Awer Pauline, wie kannst du so was glaawe'? J4 dich zum beste' hatte? Am liebste tat ich heit' noch beim Herr Pfarrer des Uffgebot bestelle', awer du waaßt jo doch, wie mei' Mutter is!" ,
„Wie dei' Mutter is, des waaß ich nit, awer daß du en' Lappes bist, des waaß ich! Besser wär's schun, wenn ich dich meiner Lebdag nit gesehe' hätt'!"
Tie Stimme des Mädchens hatte viel von ihrer vorigen Gereiztheit verlogen und nahm jenen zitternden Klang an, wie er von unterdrückten Tränen hervorgerusen wird- Sich abwendend, zog es ein Taschentuch aus den Falten des Rockes und schneuzte sich damit; dann trat es zu einem der kleinen Fenster und sah schweigend in das von Blumen übersäte Borgättchen.
(Fortsetzung folgt.)