Nr. 236.
Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.
SS. Jahrgang.
Erlch«i>>ungLwkii«: 8 mal wSchrnlI. «»zeigcnpreis: Di« kliinsPaUig« Z«Ue M Py
Rellomeu 2.— Ms. — Aus Eammrilmzeigc» kommt «in Zuschlag «ou luv"/,. — ^«rnipr.
Samstag, den 9. Oktober 1929.
v-zugSv-kis- In der Stadl mit DrLgkrlohu Mk.ir.SO vi«rt«IjLhrlich. Postbeziigipr«!«
Mk. 1L.S0 mit v-stellgeld. — Hchlutz drc «ni-ig-n-nnah,»- S Uhr vormittag«.
Die' MstnW» am Rhein.
Zur Frage der -entB-sranr. Berhnndlnngen.
Eine französische Darstellung.
Berlin, 8. Okt. Im Anschluß an die neuerlichen Mitteilungen im Reichsrat über die exorbitante Höhe der Bcsatzungs- kosten berichtet ein rheinischer Abgeordneter dem „Vorwärts", »och zuverlässigen Ermittelungen stehe am Rhein ej» Heer von 14K-1SV0VV Mann.
Was der sozialdemokratische Abgeordnete in diesem Zusammenhang dann weiter über das militaristische Treiben der Franzosen im besetzte» Rheinland erzählt, sollte, wenn wir ein politisches Volk wären, uns endlich aus dem elenden Partei- Hader und der Lelbstzerfleischung herausreitzen. Er weist darauf hi», daß ein so gewaltiges Heer den Charakter einer Besatzungstruppe verliere, daß alle diese Vorbereitungen nur Sinn haben, wenn das Rheinland für de» Aufmarsch neuer gewaltiger Truppenmassen präpariert werden soll. „Bei Trier wird ein wertvolles Gelände von riesigem Ausmaß für eine Feldbäckcrei in Anspruch genommen, die täglich 190 900 Mann mit Brot verargen kann, während doch die jetzige Besatz«ngsarmee mir rund IbbvOV Köpfe zählt. Die bestehenden deutschen Flugplätze reick-en für die Bedürfnisse der Entente-Militaristen nicht aus, -sie werden um zahlreiche neue vermehrt. Neue Exerzierplätze, «euc Truppenübungsplätze, neue Truppenlagex werde» anarsor- dert, neue Kasernen werden gebaut. Diese riesenhaften Anlagen können unmöglich nur für Besatz»,,gszwecke bestimmt sein. Das gilt insbesondere sür das gewaltige Munitionslager, das bei Kaiserslautern geplant ist. Es soll nicht weniger als 60V Hestar umfassen. Das gibt Raum sür so viel Explosionsstosfe, dä'ß man damit die gesamte rheinische Bevölkerung wegfegeu »n»tc. Diese unübersehbaren Munitionsmcngcn müssen für rechtsrheinische Plätze bestimmt sein. Allein das Munitionsdepot bei Kaiserslautern wird für eine Millionenarmee aus- reichen. Ergänzt werten diese Rüstungen durch eine anderwärts geplante große Tankanlage und durch Brrickrnbauiibun- gen an Stellen, die sür einen Rhcinübergang großer Truppenmassen von jeher in Betracht gekommen sind. Alle diese Vorbereitungen sind keineswegs systemlos, sondern geben eine wohlüberlegte militärische Kette von Anlagen am Rhein, die nach weitgestecktcn Plänen geknüpft ist. Nicht zu übersehen ist, daß diese Rüstungen kaum von Amerikanern und Briten, sondern fast ausschließlich von Franzosen und Belgiern betrieben werden." Der rheinische Abgeordnete kommt zu dem Schluß: „Diese Rüstungen bedeuten für das übrige Deutschland, daß wir im gegebenen Augenblick jede Zwangsmaßnahme zu erwarten. haben."
Ei« «ngehenerlicher Anschlag -er Entente ans die -entsche Mnftrie.
Augsburg, 7. -Okt. Dieser Tage erschien bei der Direktion des Werkes „Augsburg-Nürnberger Maschinenfabrik" eine Entcntelom- misston, um den Bestand an Diesel-Motoren aufzunehmcn. Dabei erklärte der Führer der Kommission, daß sämtliche in Deutschland brfinNichm Dieselmotoren vernichtet werden sollen, angeblich um zu verhindern, daß sie wieder für U BootSzwccke Verwendung finden kSnntrn. Die Direktion erklärte, sich mit allen Mitteln der Vernichtung widersetzen zu wollen. Eine Abordnung von Angestellten und Arbeitern ist nach Berlin abgereist, um mit den zuständigen Reichs- stellen und dem Betriebsratekongrcß in Fühlung zu treten. Auch Mitglieder der Direktion sind nach Berlin abgefahren, um beim Reich Vorstellig zu werden. — Wie wir hören, sind auch diplomatische schritte im Sinne einer Aufhebung der Anordnung der Entente anf Vernichtung der Dieselmotoren Im Gange.
Eine solche Maßnahme hätte eine unabsehbare Schädigung Misere» ganzen Wirtschaftslebens zur Folge. Ein großer Teil Gewerbetreibender ist infolge der außerordentlich mangelhaften Kvhkcnlreserung gezwungen gewesen, ihre Betriebe auf solche Wnellausende Djeselmaschinen umzustellen, um im Interesse der Arbeitnehmer eine völlige oder längere Stillegung der Betriebe zu vermeiden. Abgesehen von sonstigen wirtschaftlichen Nor- Mren, die schnclllaufende Diefclmaschinen bieten, haben sich auch öffentliche Elektrizitätswerke, um so leichter entschlossen, nicht vor den bedeutenden Aufwendungen zurück- ptschrecken, die bei der außergwöhnlichcn Entwertung der Mark Knute mit solchen Neuanlagc» verbunden sind, weil diese Motoren rasch geliefert werden konnien. Es ist zu erwarten, daß " dem Reichswirtschaftsministerium gelingt, unser an und für M schon schwer erschüttertes Wirtschaftsleben vor so schwerer «chadigung zu bewahren.
Paris, 8. Okt. Der französische Botschafter in Berlin, Laurent, hatte gestern mit Leygues eine Unterredung über die deutschen Vorschläge in der Wiedergutmachungsftage. Laut „Petit Parisien" sagte Leygues. es sei richtig, daß die deutsche Regierung Laurent ein Schema des Programms unterbreitet habe, das sie sich für die Wiederherstellung der verwüsteten Gebiete in Frankreich, sowie die Zahlung der deutschen Entschädigung in natura auszuführcn vorgenommen habe. Diese Vorschläge seien" imannehmbarer als die in Spa gemachten, denen sie sich übrigens näherten. Die Verhandlungen dauerten an, um zu einem Praktischen Ergebnis zu gelangen. Er sei wahrscheinlich, daß man in allen strittigen Fragen das System der Befragung technischer Delegierter in Anspruch nehmen werde, deren Ergebnis der Wiedergutmachungskommission vorgelegt werden würde.
Die deutsche Erklärung.
V«rlin, 8. Okt. An unterrichteter Stelle wird über die deutsch-französischen Verhandlungen folgendes miigeteilt: Dem französischen Botschafter Laurent ist bei seiner Abreise nach Paris durch den Minister Simons eine Aufzeichnung übergeben worden, die den Vorschlag macht, informelle Besprechungen zwischen deutschen und sranzösischen technischen Sachverständigen über die Frage der Reparationen und des Finanzproblems stattfinden zu lassen. Entgegen anderslautenden Mitteilungen ist bisher mit den Verhandlungen nicht begonnen worden. Deutsche feste Vorschläge sür die Erörterung des Problems, die man schon jetzt als indiskutabel bezeichne» könnte, liegen nicht vor. In der deutschen Aufzeichnung sind lediglich die äußeren Formen der Besprechung fixiert und die Unterlagen bezeichnet, von denen dabei ausgcgangen werden könnte. Wenn französischerseits andere Vorschläge gemacht werden sollten, so werden diese geprüft werden. Es heißt den Geist der deutschen Vorschläge verkennen, wenn man sie sich gewissermaßen als Vorbereitung eines Spruches der Reparationskommission denkt. Deutscherseits ist wiederholt betont worden, daß die Erörterung nur zur Vorbereitung einer internationalen Konferenz dienen soll,"auf dir Deutschland nach den Zusicherungen in Spa Anspruch hat.
Um die Genfer Konferenz.
Paris, 8. Okt. Nach einer Privatmeldung des „Journal des Debats" aus London versichert man dort, die englisch« Regierung habe dieser Tage aufs neue in dringender Weise bei der französischen Regierung Vorstellungen erhoben, damit die Konferenz von Genf, deren Vertagung Millerand verlangt habe, festgesetzt werde. Die Anwesenheit des belgischen Ministerpräsidenten Delacroix in London stehe mit dieser Frage in Zusammenhang und es sei, wie der Korrespondent mitteilt, nicht unmöglich, daß eine Formel gefunden werde, die es gestatte, die französischen und die englischen Interessen miteinander in Einklang zu bringen. — Der „Teinps" seinerseits veröffentlicht eine Meldung des „Daily Chronicle", die besagt, cs sei möglich, daß zwischen Lloyd George und Delacroix, ob zwar letzterer nicht in politischer Mission nach England komme, die interessante aber ein wenig delikat« Frage der Haltung der englischen Regierung gegenüber der französisch-belgischen Allianz berührt werde. Dazu erklärt der „Temps", daß Delacroix sich nicht nach London begebe, um mit Lloyd George über die Wiedergutmachungsftage zu verhandeln. Man versichere in Brüssel, die Reise habe keinen politischen Charakter und einzig und allein den Zweck, das Dankbarkeitsmonument der Belgier, das in England errichtet werden würde, zu enthüllen.
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Berlin, 9. Okt. Zu den englisch-französischen Verhandlungen hinsichtlich der Genfer Konferenz und hinsichtlich einer Zusammenkunft des englischen Ministerpräsidenten mit Delacroix sagt die „Deutsche Allg Ztg." in einer eigenen Drahtmeldung, daß die Pariser Blätter hofften, daß sich Delacroix vor dieser Zusammenkunft mit dem Quai d'Orsay in Verbindung setzen werde. Die französische Regierung werde, so heißt es weiter, den Konferenzplänen wahrscheinlich keinen unüberwindlichen Widerstand entgegensetzen, werde jedoch vermutlich zwei Bedingungen für ihre Einwilligung formulieren: 1. Jede Vereinbarung mit Deutschland hinsichtlich der Entschädigung muß die Möglichkeit des Zurückgreifens auf ZwangS- mahregeln umfassen für den Fall, daß die Deutschen die Vereinbarung nicht erfüllen. 2. Bevor die Verhandlungen in Genf beginnen, müssen sich die alliierten Regierungen auf ein gemeinsames Programm einige». In einem redaktionellen Artikel sagt die „Deutsche Allg. Ztg ", noch immer könnten sich manche Kreise in
Frankreich nicht von der Anschauung fre^ machen, daß die Genfer Konserenz von Deutschland benutzt werden könnte, um Frankreich eine Falle zu stellen. Immer wieder sei betont worden, daß diese Besorgnis unbegründet sei. Es könne sich nur darum handeln, «ine praktisch brauchbars"Lösung zu finden, Deutschland im Interesse der Gläubiger die Möglichkeit zu lassen, wirtschaftlich überhaupt weiter zu leben.
A»Md.
Schluß der Brüffeler Konferenz.
(WTB.) Brüssel, 8. Okt. (Von unserem Sonderberichterstatter.) Die Internationale Finanzkonferenz hat heute Nachmittag ihre letzte Sitzung abgehakten. Der Präsident verlas einen ausführlichen Bericht, der dir Gesamtergebnisse aus den Kommissionen zusammen- faßt. Bemerkenswert ist, daß als letzte Formel für die Ueberwin- düng aller Schwierigkeiten Arbeit und Sparsamkeit in den Vordergrund gerückt werden. Ador erklärte, daß eine der wesentlichsten Voraussetzungen für eine geordnete Wiederaufnahme der Beziehungen der Friede sei. Es sei zu hoffen, daß der Völkerbund in dieser so erfolgreichen Arbeit fortfahren werde. Nach einem kurzen DankcS- wort, das vom belgischen Ministerpräsidenten Delacroix im Namen der Konferenz beantwortet wurde, schloß Ador die Brüsseler Konferenz.
Der belgische Deutschenhaß.
Brüssel, 8. Okt. Das Vorgehen des Schöffen von Antwerpen, Strauß, der sich von der Londoner Freihandelskonferenz zurückzog, weil die Deutschen an den Verhandlungen teilnahmen, wird von den belgischen Blättern mit Beifall ausgenommen.
Sozialisierung der ElektriziMSwirtschaft im „Freistaat" Danzig.
(WTB.) Danzig, 8. Okt. Die verfassunggebende Versammlung verabschiedete gestern nach dreitägiger Beratung ein Ge- sM betr. die Elektrizitätswirtschaft im künftigen Freistaat Danzig. Das Gesetz sieht die Ueberfiihrung aller im Gebiete des Freistaats Danzig befindlichen privaten Kraftwerke in die Hand des Freistaats vor, um so in Anbetracht der großen Kohlennot die größte wirtschaftliche Ausnützung der Svas- serkräfte zu erreichen. Das Gesetz tritt sofort in Kraft.
Litauische Meldungen über neue polnische Angriffe.
Wilna, 8. Okt. Am 7. Oktober abends ist der Friedensvertrag zwischen der litauischen und der polnischen Regierung endgültig unterzeichnet worden. Die Lit. Tel.-Ag. meldet: Trotz der Unterzeichnung des Friedensvertrags fahren die Polen fort, die litauischen Stellungen anzugreifen und die litauischen Truppen mit Artillerie zu beschießen. Gegen diese Verletzung der Bestimmungen des Völkerbunds wird schärfster Protest vor der ganzen Welt erhoben. Angesichts der immer kritischer werdenden Lag« hat die litauische Regierung bei den Vertretern der Entente den Antrag gestellt, die provisorische Vernxiltnng der Stadt Wilna in die Hand zu nehmen. Die litauische Regierung stellt die Kommandantur und die Miliz zur Verfügung.
Kowno, 8. Okt. Von dem litauischen Landeshecr-Komitec wird gemeldet: In den größeren und kleineren Städten Litauens werden Landesheer-Komitees zum Kampf gegen die Polen gegründet. Täglich treffen in Kowno Freiwillige aus allen Teilen des Landes ein, einzeln und in Gruppen bis zu 290 Mann.
Der republikanische Präsidentschaftskandidat über den „Völkerbund."
Paris, 8. Okt. Rach einer Havas-Meldung soll der republikanische Präsidentschaftskandidat Senator Harding in einer Wahlrede erklärt haben, Amerika würde niemals einen Rat ausländischer Mächte in Genf tagen lassen, der den Vereinigten Staaten sagen werde, was sie zu tun hätten. — Harding soll auch auf Anfragen erklärt haben, er glaube nicht, daß ein Sonderfriede mit Deutschland notwendig wäre. — Man sieht, die Amerikaner werden sich den Teufel um den „Völkerbund" kümmern, wenn er ihren Interessen entgegenstehen würde.
Schweres Eisenbahnuuglükk i« Italien.
Venedig, 8. Olt. Heute Nacht stieß auf der Brücke über
die Lagune der Zug Venedig-Bologna auf den Schluß des
nach Mailand bestimmten, wegen Bremsschadens aufgehaltenen Zuges auf. Zwei Wagen dritter Klasse des Mailänder Zuges, sowie Lokomotive, Packwagen und Postwagen des Zuges nach Bologna wurden beschädigt. Es sind acht Tote und mehrere Verwundete, deren Zahl noch nicht sestgestellt ist, zu -«klagen.
Venedig, 8. Okt. Bei dem Eisenbahnunglück sind bisher
23 Tote sestgestellt. Man befürchtet jedoch, daß diese Zahl
noch steigen wird, denn der Zustand mehrerer Verletzter ist hoff»