Der türkisch-italienische Konflikt um Tripolis.
Die Provinz Tripolis
hat eine Fläche von 1033 400 Quadratkilometer, sie ist also fast doppelt so groß wie etwa Deutschland oder Frankreich. Die Zahl der Bewohner wird auf eine Million geschätzt; es sind hauptsächlich Mauren in den Städten, arabische Beduinen und berberische Ureinwohner (Ademser) auf dem Lande, alle mehr oder weniger mit Sudan-Neger gemischt. Der größte Teil des Landes ist Sand oder vegetationsloses Hügelland; die Wüste dringt tief in das Land und stellenweise bis ans Meer. Es gibt indes zahlreiche fruchtbare Oasen, die durch Karawanenstraßen verbunden sind. Solche Oasen gibt cs in fast ununterbrochener Reihe bis an den Tschad-See, also in das Herz des Sudan, und darum geht der Handel des Sudan jetzt schon zu einem großen Teile nach Tripolis, und zwar hauptsächlich auf zwei Karawanenstraßen, von denen die westliche über die Oasen Agaden, Bilma und Tümmo und weiter über die Stadt Mursuk nach Tripolis, die östliche über die Landschaften Borku, Tibesti und die Kufra-Ooasen nach Benghasi geht. Der Handel aus dem Sudan gibt Tripolis und seinen Hinterländern wachsende Bedeutung. Diese Hinterländer haben Frankreich und England durch Vertrag im Jahre 1899 unter sich geteilt. Den östlichen Teil behielt England als ägyptischer Sudan, der Westen fiel an Frankreich, das dadurch seine Kongo-Besitzungen mit dem Hinterland von Algerien verknüpfte und so ein zusammenhängendes Kölonial- gebiet vom Golf von Guinea bis zum Mittelmeer schuf. Die Türkei hat diesen Vertrag nicht anerkannt; sie hat wiederholt militärische Vorstöße in das Hinterland von Tripolis bis nach Ain Galakka in der Landschaft Tibesti unternommen und ist dabei mehrfach in Konflikt mit Frankreich gekommen. Dieses hat ohnehin schwere Kämpfe mit den Stämmen seines Einflußgebietes zu bestehen und sieht es nur ungern, wenn seine Herrschaft auch von türkischer Seite bestritten und eingeschränkt wird. In Tripolis und in dem Hinterlande bis Tibesti soll die Türkei im Ganzen jetzt 40 000 Mann stehen haben; sie dienen zum, Teil den militärischen Exveditioneu ins Innere, zum Teil als Schutztruppe gegen einen etwaigen Handstreich Italiens. Selbst wenn die Türkei keine weiteren Truppen nach Tripolis werfen kann, ist sie dort doch, stark genug, um den Italienern, wenn sie die Landung wagen sollten, einen warmen Empfang zu bereiten.
*
Die etwaigen Folgen: ein Weltkrieg.
Zu den mittelbar Beteiligten gehören in diesem Streitfälle alle europäischen Großmächte. Das Ersuchen um ihre Intervention ist nicht nur durch die Besorgnis der Türkei, einem etwaigen Angriffe Italiens nicht gewachsen zu sein, sondern auch sachlich durchaus gerechtfertigt. Es läßt sich im Voraus gar nicht übersehen, ob ein türkisch-italienischer Krieg lokalisiert werden könnte. Man darf das sogar positiv bezweifeln. In Kreta würde die Ruhe gewliß nicht gewahrt bleiben, und ob Griechenland und Bulgarien die gute Gelegen-, heit passieren ließen, der Türkei in den Rücken zu fallen, ist auch sehr die Frage. Unter solchen Verhältnissen würde aber Italien auf eine aktive Aufnahme seiner alten Aspirationen in Albanien selbst dann nicht verzichten können, wenn es das zu Anfang mit Rücksicht auf Oesterreich beabsichtigen sollte. Selbst Mächte, die au der Wahrung der Integrität des Ottomanischen Reiches garuicht interessiert zu sein glauben, müßten deshalb nach Möglichkeit die Beilegung des jetzigen Konfliktes zu fördern suchen, wollen sie sich nicht dem Vorwurf aussetzeu, kleinen Vorteilen zu.Liebe einen Weltkrieg entzündet zu haben.
Der wein ist der Glättstein De- Trübsinns, der Wetzstein Des Stumpfsinns, der Brettstein Des Siegers im Schach.
kfariri sübertr. von Friede. Rückert).
ÄLAL 3-^
Doraliese von Freilingen.
Von Helene von Mnhlau.
4dl Nachdruck verboten.
(Fortsetzung.)
„Es ist nicht gut für mich, wenn ich mich zu sehr an es gewöhne!" dachte sie jetzt traurig, als sie es im Arm hielt und langsam mit ihm im Zimmer auf und niederschritt -aber der Gedanke, daß eines Tages die Müt
ter kommen und es zurückverlangen könnte, erfüllte sie mit unaussprechliecher Traurigkeit.
„Tann wird es wieder ganz einsam um mich sein!" sagte sie bitter und fühlte, daß die Tränen schwer auf
ihrer Brust lagen-und dann saß sie im Wvhnstübchen
am Fenster und blickte nach Freilingen hinüber und dachte über Alix' Brief nach — — und wie merkwürdig es sie berührt hatte, wie sie zum ersten Male gelesen hatte, daß
Pirono ihr Verlobter sein sollte-Sie mußte fast
lachen!
Ja, wirklich — Alix war eine welkluge Person — Sie, Doraliese und der Pfarrer von Pirono — das wäre eine wunderliche Verbindung — das wäre, wie wenn ungeübte Finger einem Instrument grelle Mißtöne entlockten — das wäre — — —
Aber dann kam wieder der alte, wütende Schmerz über sie.
Was sollte werden ckhne ihn? Wie sollten die Tage vergehen, wenn er nicht mehr kam?
„Tante Marinka", fragte sie ratlos — nur um ihren Gedanken einen Ausweg zu verschaffen. „Tante Marinka, wie findest du es von ihm, daß er daran denken kann, von Papas Frau Geld anzunehmen?"
Aber Kind — Kind", sagte Marinka eifrig. „Nur natürlich kann ich es von ihm finden. Sieh - nur Leine Liebe zu dir läßt.ihn doch wünschen, daß ihr bald
Daß die Regierungen von Berlin und von Wien in dieser Richtung alles tun werden, was nur irgend in ihrer Macht steht, darf man wohl als selbstverständlich annehmen. Herr v. Kiderlen-Wächter, der das Marokko- Abkommen mit Frankreich vielleicht schon in der Tasche hat, steht vor einer neuen, nicht weniger schwierigen Frage.
»
Die Situation von heute.
Die Antworten der Pariser und der Londoner Regierung auf das Ersuchen der Pforte um Vermittlung gegenüber der italienischen Aktion in Tripolis lauten kühl und fast abweisend. Bon Petersburg wird eine ähnliche Antwort in Konstantinopel erwartet. Die Antworten müssen fast als aufmunternd für Italien angesehen werden. Die Blicke der Türken bleiben auf Berlin gerichtet. Man rechnet auf eine direkte Einwirkung des deutschen Einflusses bei dem verbündeten Italien als einzige Möglichkeit, das Schlimmste zu vermeiden.
In Konstantin opel herrscht die Stimmung energischer Abwehr. Die Zeitungen kündigen die schwe r- sten Repressalien gegen die Italiener an. Der jungtürkische „Tanin" verlangt geradezu, alle in der Türkei wohnenden Italiener sollen im Ernstfall zu Kriegsgefangenen gemacht werden. Jedenfalls schweben in biedern Falle die italienische Kolonie in Tripolis, die 8000 Seelen beträgt, sowie die zahlreichen italienischen Kolonien in Kleinasien — beispielsweise sind in dem durch Fanatismus berüchtigten Wilajet Adana 12000 Italiener ansässig — in eminenter Gefahr, da die Erregung der Massen sich leicht gegen sie lenken kann. Große Kolonien weisen die Italiener ferner in Salonik, Smyrna und Konstantinopel auf, bloß irr diesen drei Städten zusammen 40 000.
Der italienische Vorstoß wird so geplant, daß eine Eskadre die Landung von Truppen in Tripolis deckt, eine zweite Eskadre den Bewegungen der vor Beirut liegenden türkischen Flotte folgt und eine dritte vor den Dardanellen Aufstellung nimmt, um im Falle von Ereignissen in den zitierten Hafenstädten zur Hand zu sein.
Der italienischen Besitznahme von Tripolis wird in Athen in allen Kreisen unverhohlen lebhafteste Sympathie entgegengebracht. Die Presse aller Parteirichtungen billigt sie einstimmig unter gleichzeitiger scharfer Kritik der jungtürkischen Zustände und hält den Widerstand der Türkei gegen Italien für völlig aussichtslos.
Rom, 27. Sept. Die Versuche der Sozialisten in Rom, Mailand, Varess, Como und anderen Städten den Generalstreik zu erklären, um gegen ein Vorgehen in Tripolis zu protestieren, und an der einmütigen Haltung der allgemeinen Meinung gescheitert. Das Centralkomitee der Eisenbahner fordert diese auf, sich jedem Streik fernzuhalten mit der Erklärung, daß diese Versuche der Ernsthaftigkeit entbehren und nur eine dekorative Handlung sein würden.
Deutsches Reich.
Dev Nachfolger Liebermann v. Sonnenbergs.
Tie Antisemiten stellten für das durch den Tod des Abg. Lieber manu von Sonnenberg erledigte Mandat im Wahlkreise Fritzlar-Ziegenheim den antisemitischen Generalsekretär Henningsen (Hamburg) auf.
Eine bemerkenswerte Bezirkstagswahl im Elsaß. Bei der Bezirkstagswahl in Bischweilcr wurde der demokratische Kandidat und Vorstand des Demokratischen Vereins Bischweiler, Winkler, mit 2366 Stim-
über die nötigen Mittel verfügt um heiraten zu können!"
Doraliese erwiderte nichts — aber Tante Marinka sprach weiter — sprach endlos — wie das Schnurren eines blitzschnell sich drehenden Rades drangen ihre Worte an Doralieses Ohr — aber der Sinn blieb ihr unverständlich.
Das Mud auf Doralieses Schoß war eingeschlafen, und es war tiefdunkel geworden.
„Nun will ich ein paar Briefe schreiben!" meinte sie endlich und sah zu der immer noch redenden Marinka auf.
„Nur überleg es dir gut vorher, Dolieschen!" mahnte die Tante ängstlich. „Mir ist, als seiest du in sonderbarer Stimmung heute — man soll eigentlich nie am selben Tag auf einen wichtigen Brief antworten — Kindchen. Ist eine Nacht drüber vergangen, so denkt man oft ganz anders!"
Aber Doraliese hörte diese Mahnung nicht mehr - sie brachte das Kind ins Nebenzimmer, kehrte mit ihrer Schreibmappe und einem Tintenfaß zurück — schraubte sich die Lampe zurecht — und saß dann eine Weile sinnend über ihrem Bogen.
„Liebste Alix", schrieb sie endlich. „Der Pfarrer von Pirono ist nicht mein Verlobter! Ich bitte Dich, das Papas Frau mitzuteilen — Alles übrige wird ja dadurch hinfällig. — Deine Doraliese!" —
Und an den Pfarrer *von Pirono schrieb sie, daß sie ihn bäte, in den nächsten Tagen nicht zu kommen, denn sie befände sich in einer eigentümlichen, ihr selbst unverständlichen Stimmung. Sie müsse erst wieder klar und einig mit sich selbst werden — — — eher könne sic ihn freudigen Herzens nicht empfangen — das werde er begreifen — denn sie habe ihm ja nie verschwiegen, daß sie viel unter wechselnden Stimmungen zu leiden habe — und oft habe sie das Gefühl, als könne sie mit ihrer wenig frohen Art sein Leben nicht heiter und harmonisch gestalten!" -
Es fiel ihr sehr schwer, diesen Brief zu schreihen, denn es war ihr nicht gegeben, ihre Gedanken in fließende, elegante Worte zu kleiden. Sie mußte um den Ausdruck ringen und hatte am Schluß eines Briefes trotz aller
men gegen 2056 seines 'Zentrumsgegners gewählt. Bek der Bezirkstagswahl 1003 erhielt der damalige liberale Kandidat von 5032 abgegebenen Stimmen 2525, wurde also mit knapper Mehrheit von nur 18 Stimmen gewählt, obschon die Sozialdemokratie geschlossen für ihn eintrat. Diesmal hatte die Sozialdemokratie keine Wahlparole ausgegeben. D>er Sieg, der diesmal mit der ge steigerten Mehrheit von 310 Stimmen errungen wurde, ist also um so bemerkenswerter.
Ausland.
Ter Untergang der „Liberte."
Trotz der Bemühungen des französischen Marineministeriums, die Sache anders darzustellen, herrscht keinerlei Zweifel mehr, daß die aKtastrophe in Toulon auf die Explosion des Pulvers zurückzuführen ist, daß also die „Liberte" trotz aller seit dem Untergang der> „Jena" ergriffenen Maßregeln dasselbe Schicksal erlitten hat wie dieses Kriegsschiff.
Aus den Erzählungen Geretteter von der „Liberte" sind folgende Einzelheiten hervorzuheben, deren Gewährsmann ein Obersteuermann ist: Als wir nach der ersten Explosion die schwarzen Rauchwolken senkrecht emporsteigen sahen, versuchte uns unser Kommandant Ioubertzu beruhigen „Etwas Ernstes kann nicht mehr geschehen, der Rauch wird sich verziehen, das Feuer ist lokalisiert". In diesem Augenblick herrschte auf dem Schiffshinterteil, wo man die Größe der Gefahr erkannte, eine fürchterliche Verwirrung. Selbst die beherztesten der bretonischen Unteroffiziere, die bisher kaltblütig retteten und die Matrosen beruhigten, sprangen über Bord und suchten die von der „Republique" abge- sandten Boote zu erreichen. Schon wenige Minuten nach den beruhigenden Worten Jouberts erfolgte die furchtbare zweite Explosion. Unter welchen Umständen ich an Bord der „Republique" kam, weih ich nicht mehr. Der Gerettete stand unter dem Eindruck einer großen Gemütsbewegung und seine Erzählung war mehr ein Stammeln denn ein zusammenhängender Bericht. Kurz vor dem Sinken des Schiffes hat man aus dem Chaos von Panzerplatten und Eisenteilen noch einige Matrosen lebend hervorziehen können. Andere Gerettete verdanken! ihr Leben dem Umstand, daß sie nach der ersten Explosion ins Wasser sprangen. Andere, die sich noch im Schiffsraum befanden, wollten folgen, wurden aber zum Dienst abkommandiert. In diesem Augenblick erfolgte die zweite Explosion und alles, was auf dem Schiff war, wurde getötet.
Nach den bisherigen Feststellungen hat die Katastrophe 295 Opfer gefordert.
Oberbürgermeister Kirschn er-Berlin hat dem President du Conseil municipal de Paris folgende Depesche gesandt: „Bei dem schweren Unfall, welcher die französische Flotte durch den Verlust der Liberte getroffen, spreche ich namens der Berliner Bevölkerung der Stadt Paris die herzlichste Teilnahme aus."
Paris, 27. Sept. Der Märineminister Delcass 6 reiste gestern Abend nach Toulon ab. Das Marineministerium beziffert die Zahl der von der Besatzung der „Liberts" Getöteten und Vermißten auf 204, die der Verwundeten auf 136; außerdem sind infolge der Katastrophe 48 Leute auf 12 anderen Schiffen leicht verletzt worden.
»
Streiks «rrd Unruhen.
Wie die Blätter aus Nachod melden, zerstörten 2000 Textilarbeiter im Dorfe Zbemik acht Wirtschaftsgebäude und vernichteten die Vorräte. 170 Gendarmen sind nach Zbeznik entsandt worden.
Mühe doch oft das Gefühl, dem andern nicht das Eigentliche, was sie zu sagen hatte, verständlich gemacht zu haben.
So ging es ihr auch heute — und darum schritt sie zögernd und unsicher die Dorfstrafie hinab — und war sich auf dem ganzen Wege nicht einig, ob sie den Drie§ wirklich absenden sollte — — — Für Sekunden stand sie dann — mit sich selbst kämpfend, vor dem Briefkasten und fühlte, daß die Hand, die den Brief hielt, zu zittern begann.
Aber dann stellte sie sich vor, daß wenn dieser Brief ni ch t abging — er morgen bei ihr sitzen und über das
Geldangebot reden würde - und daß Taute Marinka
auf seine Seite trat — und ---
Nein — nein, das durfte nicht sein — morgen noch nicht — morgen konnte sie ihn nicht sehen!
Aber dann, als der Brief endlich im Kästen war, wurde ihr doch bitter weh zumute, und sie hatte das Gefühl, daß das Leben nun nur noch aus lauter Schatten bestände, und daß sie am besten täte, gar nicht mehr zu Märinka und dem fremden Kind zurückzukehren.
„Ob wohl viele dasselbe leiden? Ob viele dieselben Kämpfe auszufechten haben wie ich?" fragte sie sich trostlos — und blickte ratlos um sich, denn (es schien ihr fast unmöglich, in die kleine Villa, wo all die bösen, dunklen Gedanken auf sie warteten, zurückzukehren. Aber es war dunkel und still rings um sic her — und ihr war, als sei es ganz gleichgültig, wohin sic nun ginge. Eigentlich gut und freudig konnte es doch nirgendwo für sie sein — und Tante Märinka hatte wohl recht,, wenn sie sagte, man müsse das Leben als eine Prüfung und nicht als Genuß aufsassen. —
... Der junge Pfarrer war aufs unangenehmste überrascht, als er am nächsten Morgen Doralieses Brief erhielt. Er hatte einen Tag lang in freudigen Hoffnungen geschwelgt — und — seiner Macht über das merkwürdige, oft so Weiche Mädchen sicher, hatte er sich zurechtgelegt, wie er sie bewegen wollte, auf die angebotene Versöhnung niit der Stiefmutter einzugehen..
(Fortsetzung folgt.)