Heiliger Geist.
Eine Pfingstbctrachtttttg.
Was das Evangelium von der Ausgießung des Heiligen Nestes erzählt, gehört zu den bemerkenswertesten Zügen der Entstehungsgeschichte des Christentums. -Ter Opfertod des Gottessohnes für die sündige Welt und die Auferstehung ist schon eine Glanbensbürgschaft, die ins Uebvrsinnliche hinübergrcift. Und dazu kommt dann noch die Himmelfahrt des Wiedererstandenen und endlich als'der Abschluß aller Offenbarungen der Himmelssall der Feuerflammen des heiligen Geistes, der die Npostelgabe der Jünger wcitergibt in die Welt der Heiden und auf die kommenden Zeiten.
Tie fortschreitende Entwicklung menschlichen Wissens mit der Einsicht in die Zusammenhänge alles Naturgeschehens und mit dem Vertrauen zur sittlichen Kraft solcher Erkenntnis will selbständig Freude am Lehen und Trvst i m Unglück gewinnen. Nicht als ob von diesem Standpunkt alles Kirchentum bekämpft und zerstört werden müßte. Von der Religion gibt es mehr verschiedene Auffassungen noch, als Bekenntnisse entstanden und vergangen sind in der Geschichte der Menschheit, inehr als gegenwärtig gelten und in Zukunft kommen mögen. Tie religiöse Grundstimmung, die nach dem Zweck des Lebens fragt, ist auch dem selbständigen Denken eingeboren. Diese Frage wird jeder Weltweisheit gestellt, und eine schlechte Antwort wäre es, denen, öre im Christentum den Seelenfrieden suchen, ihren Weg zu verwehren und versperren zu wollen. Die kirchlichen Gemeinschaften mit ihren .Stätten der Erbauung und mit ihren feierlichen Formen, denen das Herkommen eine geschichtliche Lhrwürde gibt, mögen wohl die andächtige Trimmung erhöhen und werden stets, auch für die Bereinigung freier Geister, Tempel der Sammlung sein können.
Nicht gegen das Wesen der Religion und nicht einmal gegen das Kirchenwesen richtet sich also die Forderung §>er fortschreitenden Zeit, daß Leben und Glau- vcüt im Einklang stehen sollen, und daß die Kirche nicht mit starren Satzungen in äußerlichen Tingen das geistige Streben sangen, bedrängen und unterdrücken solle. Mit der hohen Empfindung, daß ein heiliger Geist im Schicksal .der Menschheit ivaltet, läßt sich der Zwang und Druck nicht vereinen, den eine übereifrige kirchliche Richtung allen Andersdenkenden auferlegen will. Es verträgt sich nicht mit nnscrm Gefühl sür Heiliges und Geistiges, daß etwa durch Mehrheitsbeschluß einer kirchlichen Behörde dem Prediger verboten werden soll, seinem Gewissen zu gehorchen und seinen Gottesbegriff aufrichtig zu bekennen. Deshalb der tiefeUnmut, der weithin bis in fromme Kreise reicht, wenn im Fall Jatho einem Manne, an dessen Uebcrzeugnngstreu.e, reiner und ernster Gesinnung, niemand zweifeln darf, das kirchliche Lehramt genommen werden soll. Oder wenn der Berliner Pfarrer Fischer von überfrommen Spähern angezeigt wird, weil seine Osterpredigt angeblich die Auferstehung nicht buchstabengläubig genug gedeutet hat. Oder wenn ein verblendeter Zelot in einem uuchristlichen Schmäh- Lries'über einen Unfall des greisen Ernst Hackel triumphiert und den „Finger Gottes" darin zu sehen glaubt, daß ein Denker, der nicht innerhalb der Kirche steht, Schmerz und Siechtum leiden muß, und wenn gar eine so grausame Auffassung mit verhärtetem Herzen dem Verunglückten rät, nun doch Genesung und Gnade bei dem „Gott der Affen" zu suchen. Achnlich betreibend war jüngst die Acußerung einer frommen Stimme, daß bei dem Flugunglück in Paris, der liebe Gott die Opfer habe schlagen wollen, weil sie zu stolz auf ihr irdisches Streben und zu übermütig in ihren Erfolgen geworden seien. Und auch der Machtanspruch, den sich die Kirche beilegt, ein weltliches Gesetz sür null und nichtig zu erklären — man denke an den Gegensatz von Rom und Portugal —, entfernt sich weit von dem eigentlichen Wirkungskreis des
Der Buchstaben rötet, aber der Geist macht lebendig.
Lorinther.
Theater.
Roman von Ernst Gcargy.
73) (Nachdruck verboten.)
Schluß.
Tvkwr Grüner saß wie versteinert. Dann ermannte er sich. „Soviel ich weiß, ist er viel jünger als du!"
,siza, sechs Fahre", entgegnet« Aenne Heller, „aber das stört rhu ebensowenig wie alle meine Erlebnisse. Herbert Ulrich sagte mir, daß feine Frau und er mich verehrten, ehe in ihm ein Gedanke an die Möglichkeit einer Liebe keimen konnte. L-eit dem Tode seiner Gattin erst."
„Und dein neues Engagement? Tein zehnjähriger Kontrakt?"
„Wird innegehalren. Ich werde meinem Berus 'nach- gehcn und die übrige Zeit ihm und den Kindern leben. Wir kaufen eine kleine Besitzung mit großem Garten und- - "
—- also seid ihr ja einig", rief Gelmer, sich gleichfalls erhebend, „wozu fragst du mich?"
Aenne umschlang ihn innig und lehnte ihren Kopf an seiire Brust: „Nein, Paul, noch habe ich ihm mein Jawort nicht gegeben. Aber ich habe die ganze Nacht wachgel'egen, und meine Gedanken sind den Tatsachen hoffend vorausgeeilr."
Paul seufzte: „Was wird Liese sagen? Man ist bei dir nie vor Ueberraschungen sicher, du — —"
„Das ist die letzte Station, wahrhaftig, ich fühle es Bruder!" rief Aenne, die Hand rvie beteuernd auf ihr Herz ?!tzend. „Ich will ja nichts mehr als Arbeit und den -stillen, ruhigen Alltag in seinem ganzen Reichtum! Nur Ruhe und Friede mit dem ernsten Kollegen, den ich ächte, und l>en Kindern, die mir mein eigenes ersetzen werden. Auf Liebesglück und bunte Paradiese rechne ich doch nicht Mehr!"
„Tempora mutavtnr", sagte der Arzt sinnend, „vielleicht ist es die beste Lösung! Ulrich ist ein Ehrenmann." -Er umarmte sie und küßte ihre .Stirn: „Ich wünsche dir den Frieden, den dn dir ersehnst, geliebte Schwester!"
Glaubens, der aus das Jenseits gerichtet ist und hienieden dem heiligen Geist vertraut.
Solchen Erscheinungen gegenüber ist es begreiflich und berechtigt, daß die Trennung staatlicher und kirchlicher Macht selbst vielen Gläubigen als die alleinige Lösung des Widerstreites gilt. Das Gebiet der Religion bleibt unangetastet, wenn wir in weltlichen Fragen Freiheit und Fortschritt anstreben, gestützt auf Gründe der Vernunft und des guten Willens, der das Allgemeinwohl ginn Ziel hat. In einer solchen Weltanschauung, dem Natürlichen zugewandt, lebt nicht minder ein Geist, den wir heilig halten wollen.
Wochen-Rundschau.
I)r. k llebcr allen parlamentarischen Gipfeln ist Ruh! denn zuPsing st e n tritt mit den Parlamentariern a u ch die P o l i t i k die Urlaubsreife an. Aber während der preußische Landtag sich nach den Pfingstfe- r i e n Mitte Juni noch einmal zusaimneininden soll, um den Rest seiner Tagesordnung auszuarbeiten, haben die Reichsbotcn bis zum Herbst Ruhe u. Muße zur Vorbereitung für den immer näher heranrückenden Wahlkampf, in dessen Zeichen die Herbsttagung bereits stehen dürfte. Eben deshalb kann cs auch als einigermaßen ungewiß, gelten, wie weit sich der Reichstag dann noch leistungsfähig erweisen wird; das aber muß ihm zuerkannt werden, daß er in dem Tagungsabschnitt zwischen Ostern und Pfingsten tüchtig und erfolgreich gearbeitet hat. Sind doch neben dem Handelsvertrag mit Schweden, dem Handelsabkommen mit Japan und etlichen kleineren Gesetzentwürfen zwei gesetzgeberische Ausgaben von einschneidender Bedeutung ge- löU worden: die Verfassu n g sresorm sür die Reichs lau de und die R e ich s v e r s i ch c r u n gs- ordnung. Und ist auch die erstere im Kampfe gegen diejenige Partei durchgesetzt worden, auf die sich der Reichskanzler bisher in erster Reihe gestützt hat, so haben sich dvch für beide Gesetzentwürfe im Reichstage ungewöhnlich große Mehrheiten gefunden, in denen manche Ansätze zu neuen Partcigruppierungen erblicken.
Ob 'es sich bei dieser A b s ch w e n k u n g d e r k o n s e r - vativkii Partei zur Opposition, die ein Gegenstück in der im preußischen Abgeordnetenhaus gegen die Stimmen des Zentrums erfolgten Annahme des Feuerbestatt u n g sg e setz c s (dessen Schicksal im Herrenhause übrigens noch ungewiß ist) findet, nur um eine vorübergehende Erscheinung handelt, das kann fraglich sein, denn unverkennbar schlägt ein großer Teil der konservativen Presse neuerdings eine schärfere Tonart gegen den R e i ch s- ka nzler an, dessen K o n fl i k t m i t d e m O st m a r k en - verein ebenfalls kaum als völlig beigelegt bezeichnet werden kann. Zwar hat der leitende Staatsmann in einem Telegramm an den Vorstand des Ostmarkciivereins die „Gerüchte von einem angeblichen Wechsel in der Ostmarkenpolitik der Regierung" als aus der Lust gegriffen bezeichnet, aber in der auf dem Deutschen Tage angenommenen Resolution hieß es ausdrücklich; „die Besorgnis ist nicht mehr durch bloße Versicherungen, sondern nur aiU Grund unzweideutiger Tatsachen zu bannen", und unter diesen Tatsachen ist zweifellos das bisher auf denk Papier stehen gebliebene Enteignungsgesetz zu verstehen, dessen Nichtanwendung dem Landwfrtscha ftsmi- n ist er im preußischen Abgeordnetenhause so scharfe Angriffe eingcbracht hat, baß bereits das freilich «lsbald dementierte Gerücht von seinem Rücktritt umlies.
Auch im französischen Kabinett kriselt es wieder, nicht im Anschluß an die Katastrophe auf dem Flugfelde von Isst), da sich der Ministerpräsident Monis unterdessen bereits auf dem Wege der Besserung befindet, sondern infolge der Marokkopolitik des Ministers Cruppi, die merkwürdigerweise gerade in dem Marine- minister Delcasse, der sich somit gleichsam selbst dementiert, einen scharfen Gegner gesunden hat. Tie Unstimmig-
Kein Mensch erfuhr von der Verlobung. Als aber nach sechs Wochen die Anzeigen der vollzogenen Vermählung versandt wurden, herrschte in Kvllegenkreffen absolut keine Uebcrraschung. Alle harten diese Ehe kommen sehen.
Und Tag reihte sich an Tag, und Woche an Woche — wie innner!
Doktor Herbert .Ulrich und Frau Doktor Anna U1-- rich-Gettner waren mit ihren Kindern in eine reizende Villa im Westen übersiodelt, an die sich ein großer Garten anschloß. Das Ehepaar stellte sich pünktlich zu den Proben und Aufführungen ein. Er in seinem, sie in ihrem Theater.
Das Leben ging seinen Lauf weiter, und Berlin verdaute grade diese neue Heiratsnachricht besonders schnell.
„Wir sind alt geworden", sagte Aenne lächelnd, „wären wir noch Liebhaber und Liebhaberin, so würde unsere Ehe mehr Staub' auswirbeln. Mer für die Darsteller des Charaklerfaches und der älteren Witwen und Mamas verschwendet man nicht zN viel Worte."
„Dü bist keine ältere Mama, Mutti, du bist die jüngste und schönste Mama auf der Welt!" rief Käte und umklammerte Aenne, deren Worte sie gehört.
„Mutti, Mutti!" sprach Kleinpetcr nach und ftrain- pelre auf ihrem Schoße, sein Köpfchen an ihrer Schulter bergend.
'Die vom Leben so stark gerüttelte üKnstlerin zog die Kinder mit inniger, heftiger Bewegung an sich. Sie versenkte ihre Lippen in den Wondschopf des kleinen Knaben ürL sah über ihn hinweg /einen Vater dankbar und voller Vertrauen an.
Ulrich verstand alles, was in diesem Mick seines Weibes lag. In stillen Stunden hatten sich beide in das Studium des Buddhismus versenkt. Eine Strophe aus dem Pratimokshä fiel ihm ein. Ilnd laut und langsam rezitierte er in feierlichem Ernst:
„Das Herz, das jede'»müßige Zerstreuung ängstlich
meidet.
Das sorgsam vflegr des Buddha heiliges Gesetz allein, Das aller Lust entsagt, und Hrum kein Ungemach mehr
leidet.
Geht unveränderlich und standhaft ins Nirwana ein!"
leiten innerhalb der französischen Regierung machen sich denn auch bereits in dem Stocken der Verhandlungen mit Spanien geltend, und nachdem die Behauptung, daß Muley Häfid selbst die Franzosen um Uebernahme des Protektorates über Marokko ersucht habe, als eitel Schwindel entlarvt worden ist, wird man sich irr Frankreich wohl zu einer Einschränkung der Spaziergänge im Scheriffcnreich entschließen müssen.
Ueber die Wahrheit des alten Sprichwortes, das allzu scharf schartig macht, können die Franzosen sich bei ihrem Alliierten informieren. Der Berstvß der Regierung d es Zaren gegen die Pforte hat trotz der Sekundantendienste, die hierbei dieBulgare n leisteten, mü einer schweren diplomatischen Niederlage geendet, deren Vertuschung die Petersburger Offiziösen mit durchaus unzulänglichen Mitteln versucht haben. Die mannhafte Zurückweisung der russischen Intervention durch das türkische Kabinett, welches gegenüber diesem Einmischungsversuch schnell die verloren gegangene Einigkeit wiederfand, hat sich als recht förderlich für den Frieden erwiesen, denn die Bulgaren schlossen sich schnell dem russischen Rückzug an, und auch die türkisch-montenegrinischen Di s- ferenzen nähern sich ihrer Beilegung.
Württemberg.
Württeurbergischer Landtag.
-8. Stuttgart, 1. Jniii.
Präsident Payer eröffnet 9.15 Uhr die Sitzung. Am Regierungstisch: Minister v. Pischek und Präsident v. Mosthaf. Mit der Beratung des Kap. 38 des Etats,
Zentralstelle für Handel und Geiverde,
wird fortgefahren.
Abg. Kacs (Bp.): Leibfried und Wieland hätten in objektiver Weise ein Bild von der Lage der Industrie gegeben. Das scheine auf der Rechten verschnupft zu haben. (O nein! rechts). Die beiden Herren waren zu ihrer Rede geradezu verpflichtet. Die Herren von der Landwirtschaft sollten es nicht verübeln, wenn auch die Industrie ihre Beschwerden vortrage. (Sehr richtig!) Wir wollen uns nicht an die Staatskrippe drängen. (Bravo!) Ich halte es nicht für nützlich, einen Erwerbszweig immer mehr an die Staatskrippc zu bringen. Dadurch verlieren die Leut« ihre Kraft, sie verlieren das Vertrauen in sich. Ich habe den Eindruck, daß die Aushilfe deS Staates niemals entscheidend ist. Das sind nur Palliativmittelchen. Das Kapital ist nicht entscheidend, sondern der Einfluß der leitenden Person. Bezeichnend war, daß Andre sich gegen die Redner der Linken wandte, dann aber selbst die Notlage der Industrie in seinem Bezirk schilderte. (Andre: Uhren- Industrie). Was tut dann der Uhren-Jndnstrie not? (Andre: Günstige Handelsverträge. Lebhaftes Sehr richtig! links). Also schassen Sie diese günstigen Handelsverträge. Körner habe wieder vom Hochschutzzoll gesprochen. Derjenige, der nicht Hoch- schutzzöllncr ist, werde von Körner gleich Freihändler genannt. Lassen Sie doch diese alten Geschichten! (Sehr richtig!) Man kann zu den Zölle» stehen wie man will, aber daß die jetzigen Zölle' zu weit gehen, ist doch klar. Wenn wir sagen: ^Allmählicher Abbau der Zölle", so ist das berechtigt i! nd notwendig. Ich bitte, sich in die Anschauungen Anzudenken, die andere vertreten. Auch der Unternehmer winr seine Ansichten geachtet sehen. Wir haben allen landwirtschaftlichen Positionen zugestimmt- Wenn der Ton des Herrn Andre so weitergeht, dann findet die Industrie bald hier keine Vertreter mehr. Denn so läßt man sich nicht behandeln. Soll die Industrie gehängt werden, so wolle er sich lieber vom Kollegen Lindemann die rote Binde als von Andre die schwarze Binde um den Hals legen lassen. (Heiterkeit und Beifall).
Minister v. Pischek: Leibfried habe sich besorgt geäußert über die Ueberlandzentralen. Er würde ein Privatmonopol aufs tiefste bedauern und einem solchen Monopol mit allen Mitteln entgegen trete». (Lebhafter Beifall!) Ein staatliches Monopol würde ihm jedenfalls lieber fein als ein privates. (Lebhaftes Sehr richtig üinks). Er glaube, daß Wieland die Lage der Industrie in einzelnen Punkten zu schwarz gemacht habe. Di? Rcchtsauskunftstellcn halte er sür wettvolle Einrichtungen. Einzelne davon hätten recht erhebliche Staatsunterstützungen, bis zu 50 Proz. Bedenken habe er aber doch gegen den Antrag Andre-Graf. Diese hier gemeinten Nus- kunftstellen befinden sich mehr oder minder im Besitze einer politischen Partei. Und polit. Parteien könne die Regierung nicht unterstützen. Auch er bedaure den ungenügenden Bauarbeiter-
,Mir haben uns bei Lebzeiten unser Nirwana Erkämpft, Herbert", sästtö sie leise pnd reichte ihm die Hand.
Ihr Gatte ergriff sie nrit /estein Druck: „Wir ^haben es!"
„Das aller Lust entsagt —.-" wiederholte Aenne
leise, träumerisch—.
(Ende.)
Damentasche« — die neueste Herrenmode.
Aus Newport erhält der „Tägl. Korr.,, die folgende Zuschrift: Man geht wohl nicht fehl, es als ein Zeichen unserer Zeit aufzufafsen, daß die beiden Geschlechter sich andauernd bemühen, in ihrem Aeußeren tunlichst den Unterschied zu verwischen. Der Hosenrock oder die Rockhosen, so sich das weibliche Geschlecht zu seiner besseren Vervollkommnung anzuziehen beliebte, war die erste Etappe; noch weit entsetzlicher'und vor allem auch unästhetischer wirkt die aus dem Newyörker Broadway nunmehr langsam auftauchende Modetorheit, daß die Herrrn der Schöpfung, die doch über zwei bis vier Hosentaschen, ebenso viele Westen- und ebenso viele Rocktaschen, also insgesamt über rund 10 bis 12 Taschen verfügen, sich nun noch das unbequemste weibliche Kleidung^ attribut angeeignet haben, offenbar um „einem fühlbarem Mangel abzuhelfen". Wer das einmal in seinem Leben gesehen hat, vergißt diesen kaum beschreiblichen Eindruck niemals : das glattrasierte, blasierte Gesicht, die feingepfl gü» weißen Hände, die übermenschlich weiten, schlotternden Hosen und dann vom linken Handgelenk, an sammtener Schnur, etwa einen halben Meter herabbaumelnd — die Ledertasche oder Sammettasche von derselben Farbe wie der Anzug des Gentlemans. Und was enthält die Tascbe? — Nun natürlich die „notwendigsten" Utensilien: Cigarettenetui, Geldbörse, Riechfläschchen, Füllfederhalter und dergleichen- Und da es keine Dummheit gibt, die nicht einen noch Dümmern fände, der eine ausreichende Erklärung hierfür zu geben imstande ist, so hat man, was bei der gegenwärtig in Amerika herrschenden Hitze ja nicht unbegreiflich ist, auch die Notwendigkeit der Damentasche damit zu erklären gesucht, daß die Facon der Herrenanzügc unter dem übermäßige Anfüllen der Taschen allzu sehr leide (!). Die Rock,- Weste- und Hosentaschen dienen also nur noch ästhetischen Zwecken.