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Nr. 2N5.
Samstag, den L7. Dezember Ittlv.
27. Jahrg.
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Wochen-Rundschao.
Ä 1 S der Präsident des deutschen Reichstags, Graf Schwerin-Löwitz, Mittwoch Abend um 10 Uhr hie Sitzung Mit einem Weihnächte- und Neujahrswunsch schloß und has Haus seine Weihnachtsserien antrat, da geschah Lies unter nichts weniger als friedlichen Zeichen. Waren schon während der ganzen Etatsdebatle die Geister heftig auseinander geplatzt, so entlud sich in den beiden letzten Sitzungen vor dem Ferienbeginn der angesannnelte Zündstoff nnt explosiver Kraft, und an diesen heißen Schlachi- tagen wurde ein in T ntschland bisher kaum erreichter Rekord der Ordnungsrufe aufgestellt. Zeigte sich hierbei, daß die Gegensätze, auf dem Gebiete her inneren Politik unverändert fortdauern und sich in der Hitze der jüngsten Wahlkämpfe eher gesteigert haben, so war dementsprechend auch die Aufnahme der Programm rede des Reichskanzlers eine sehr verschiedenartige, schwankend zwischen lebhafter Zustimmung und dem schärfsten Widerspruch. Umso einmütigere Zustimmung haben die Ausführungen des leitenden Staatsmannes und des Staatssekretärs v. Kiderlen-Wächter über die auswärtige Po litik gefunden, die ja alles in allem zur Zeit in einem wesentlich freundlicheren Lichte erscheint und eine sichere Steuerung erkennen läßt.
Wenn has Echo dieser Reden wicht allseits pin sonderlich wohltönendes war, so sind die Gründe dafür unschwer zu finden. Während man in Frankreich plle Ursache hätte, hie loyale Behandlung des Zwischenfalles von Agadir seitens der deutschen Staatsmänner pnKUerkennen, hat man sich statt dessen an der Seine recht Unnötiger Weise über die angeblichen Versuche, Rußland dem Zwcibund abspenstig zu machen, aufgeregt und der Leitung her deutschen Regierung unterstellt, haß sie eine Art Umwertung aller weltpolitischen Werte in Szene setzen wolle. Es hätte nicht erst der feierlichen Erklärungen des russischen Ministers des Aeußeren bedurft, daß seine Unterredungen mit den deutschen Staatsmännern „die vollständige Unversehrtheit her gegenwärtigen Gruppierung zur Grundlage gehabt" hätten. Im übrigen wird Herr Sasanow Gelegenheit haben, bei seinen für das nächste Jahr vngekündigten Besuchen in Paris und London hie dortigen Staatsmänner persönlich davon zu überzeugen, haß es niemandem ein
fällt, das französisch-russische Bündnis und die Entente mit England zu durchkreuzen.
Derartige Pläne liegen her deutschen Regierung um so ferner, als ja ihre Anslandspolitik nach wie vor auf dein Dreibund basiert, dessen Weiterbestand picht bloß durch schriftliche Abmachungen, sondern noch mehr durch die Interessen der Völker bedingt ist. Dieser Auffassung entspricht denn auch die außerordentlich beifällige Ausnahme, welche die Bethmann Hollwegschen Ausführungen in der Donaumonarchie gesunden haben, solveit dort die 'soeben ausgebrochene Kabinettskrisis überhaupt ein Interesse für andere Fragen freiläßt. Der Rücktritt hes KabinetsBienerth ist in eine für Oesterreich besonders kritische Zeit gefallen, denn bis zum Jahresschluß pruß wohl oder übel das Budgetprovisorium und die Bankvorlage erledigt werden, sodaß also für das Kabinett Bienerth, welches vom Kaiser Franz Joses mit der provisorischen — provisorisch ist alles .in Oesterreich! — Weiterführung der Geschäfte beauftragt worden ist, das schicksalsschwere Wort gilt: Eine kurze Spanne Zeit ist uns zugemessen.
Auch der englische Premierminister As- quith ist, wenn apch schon die jetzt vorliegenden Wahlergebnisse erkennen lassen, daß es im rvefentlicheic bei den bisherigen Parteiverhälrnissen sein Bewenden haben wird, doch nicht aus Rosen gebettet. Bleibt die liberale Mehrheit im .Unterhause dieselbe, so muß doch das Kabinett einmal mit dem unverkennbaren Ruck nach links innerhalb der Regierungsmehrheit rechnen, der es zu einen: schärferen Vorgehen gegen das Oberhaus zwingt. Ein erfolgreicher Kamps gegen die Lords ist aber zweitens nicht im Unterhause, sondern nur im Oberhause selbst zu führen, und so steht die Frage jetzt genau so wie vor den Wahlen: Wird König Georg angesichts des eben nicht überwältigenden Sieges der Liberalen den geforderten Peersschub' bewilligen oder nicht?
In dieser Beziehung ist König Georg von Griechenland besser daran, denn die Wahlen zur neuen Nationalversammlung haben einen so glänzenden Sieg des Ministerpräsidenten Beniselos ergeben, daß der König es nicht bereuen braucht, wenn er seine Sache auf diesen Mann gestellt hattv, den all die Tatkraft, welche er in Kreta an eine verlorene 'Sache verschwendet hätte, zu einem Reformator des verlodderau Griechentums geeignet erscheinen läßt. Gerade der Sieg der Beniselos-Partei
scheint auch dafür zu bürgen, daß trotz, der fortgesetzten ' Obstruktion der kretischen Natinalversammlung gegen die Schutzmächte wenn nicht auf eine Beilegung, so doch auf eine allmähliche Versumpfung des Kreta-Konfliktes gerechnet werden kann, umsomehr, da man in der Türkei ebenso durch die noch fortdauernde Kabinettskrisis wie durch die immer bedrohlicher umsichgreisenden Unruhen in Syrien und an der persischen Grenze vollauf beschäftigt ist.
Deutsches Reich.
Gute Aussichten
wieder gewählt zu werden hat der durch den Prozeß gegen die „Wahrheit" so be—kannt gewordene antisemitische Reichstagsabgeordnete Wilhelm Bruhn. Er ist am letzten Sonntag von seinen Wählern in Waldenburg, denen -er einen Rechenschaftsbericht abstatten wollte, in unerwartet sremtdlicher Weise behandelt worden. Es kam zu großen Tumulten: man drang init Stühlen aui ihn ein und wollte ihn von der Tribüne herunterziehen. Bruhn stellte sich infolgedessen unter den Schutz der Polizei.
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Oldenburg, 15. Dez, Die Liberalen und Sozialdemokraten setzten hQite im Landtage mit knapper Mehrheit gegen das Zentrum Und die Agrarier die Annahme der Lehrerpetition um Abänderung der Dienstanweisung zum Schulgesetz durch, wodurch der Einfluß der Kirche beschränkt wird.
Ausland.
Paris, 15. Dez, Tie Teputiertenkammer hat init 383 gegen 196 Stimmen die Vorlage betreffend die Besteuerung von automatischen Feuerzeugen angenommen. Apparate ans gewöhnlichem Metall bis zu 10 Zentim. Lärrge, Breite und Stärke werden mit 2 Frcs das Stück besteuert, silberne mit 5 Frcs. und solche aus Gold oder Platina mit M Francs. Die Steuer aur größere Apparate bewegt sich zwischen 5 und 40 Francs.
London, 15. Dez. Im Armenhaus bei Tut ton rn der Graschast Surrey kam es gestern abend zu schweren ^ iku ngen. Me Insassen weigerten sich Haftr- mehlbrer zu essen und bewarfen dtt Vxwtten mi k'-rn,
Auf Glück sich hoffend stützen, Vas ist ein schweres Stück; Oes Zufalls klug benützen Gibt oft Ersaß für's Glück.
KV Lü
herm. Rol let.
Die Versuchung.
Roman von Robert Graf Wickenburg.
Nachdruck verboten.
(Fortsetzung.)
Dxr Karierte hörte plötzlich zu schmatzen auf, seine . Mir einem blitzenden Brillantring geschmückte Rechte langte l nach der Aktentasche, welcher er einen dicken Stoß Papiere ! entnahm. Nach kurzen: Suchen glitt sein Zeigefinger über i die Zeilen eines Mäschinenbrieses in Geschäftsformat, welscher lautete:
Wien, 16. Dezember 190.,
Lieber Freund !
Ans Deinem Geschätzten vom 14. crr., dessen Inhalt ich mir bestens dienen ließ, ersehe ich zu meinem Bo- ^uern, daß die bewußte Sache schief zu gehen scheint? Wenn dieser Coup wirklich mißlingen sollte, können wir Ms nicht darüber täuschen, daß unsere Situation sehr be- - deutlich werden kann, insofern uns nicht ein „Husarenstück!" Zckret! (lieber die folgenden Zeilen glitt der Finger rasch .chmvegerst aus der zweiten Seite machte er wieder Mt:)
Gestern war unser bewusster Freund wieder bei mir, IM ist es mir endlich mit Hilfe von zwei Flaschen Wein einigen „Trabukerln" gelungen, ihm die Würmer ans tver Nase zu ziehen! Nattirlich habe ich ihm in allen t-kvnarten schwören müssen, keinen Gebrauch von seinen idenzen zu machen. Tu muß also Nachstehendes —
Ivorausgesetzt, daß mich der Kerl nicht angelogen har -- so fMell als nröglich zu verwerten trachten:
^ Tie.fragliche Wasserkraft liegr in der Nähe der Sta- Grummau, soll wenigstens 2000 Pferde stark sein, und M Besitzer heißt: Hans von Reitlinger!" k Ter Brief wanderte wieder in die Akreniasche. Der parierte lttß einen prüfenden Blick zu seinem Nachbar hi- k oerschweiftn, der sich in tadellosem einheimischem Dialekt Mndlich, aber doch mit einer gewissen vornehmen Zurücki- ""P Mt dem Wirt unterhielt, vertilgte die letzten Bis
sen, schenkte sich aus der rrffchgvsilllten Wasserflasche ein Glas bis zum Rand voll und hoi re eine riesige knallrote Zigarrentasche hervor. Kaum war der Wirt draußen, steckte er sich eine große Zigarre in den Mund und suchte in allen Taschen vergeblich rach Streichhölzern:
„Ist doch unglaublich!" brummte er ivie im Selbstgespräch vor sich hin. „Met anral Streishölzttln gibt's in den Lokal. . .! O zu gütig . . .! Sehr liebenswürdig . . .! Meinen allerverbindlichsten Tank. . .!"
Mit ettvas übertriebener Höflichkeit sprang er aus und reichte mit einer tiefen Verbeugung die entlehnte Schachtel „Schweden" zurück. Noch stehend holte er wieder die rote Riesenzigarrentasche hervor:
„Würden Sie mir nicht gestatten, mich für Ihre große Güte zu revanchieren! Ich hält' h'cr ganz was Extra- feines! Direkt importiert — in keiner Spezialitätcn-- Trafik zu kriegen! Wissen S' -- ich Hab' an Onkel in Havanna. . .! - Schaun S" machen S' mer do' d' Freud' . . .! Tie da missen S-e versuchen — ich garantier' Ihnen, Se werden sagen. Sv e' Aroma gibt's aus der Welt nicht wieder. . .!"
Halb erstaunt und halb belustigt ließ Herr von Reitlinger diesen von einem einzigen Keinen Streichholz entfesselten Redeschwall über -.GH ergehen, Ta gab es nur zwei Ausivege: grob werden — oder nehmen! Mit eini-pm Widerstreben wählte er endlich den letzteren.
Aber wer ,,A" gesagt hat, muß auch ,,B" sagen, und so konnte er jetzt 'unmöglich dagegen protestieren, daß der Karierte sich behaglich an feinem Tisch niederließ, ohne aus sein „Sie erlauben!" auch nur eine Antwort abzn- wartcn.
„Mir sein Leidcnsgcnossen - die müaffen z'sämmen- halten!" fuhr er in affektiertem Wienerisch fort, nur gleich da rauf wieder in einen Akzent zu verfallen, der seinen Zuhörer zu einem genaueren Studium seiner Gesichtszüge veranlaßt-e. In diesem festen, regelmäßigen Milchgesicht mit den lebhaften, blauen Augen, der wohlgesormten, geraden Nase und dem liebenswürdigen Lächeln au? den normal geschnittenen Lippen, war ater nichts ru finden, das zu den: sonderbaren Beigeschmack seines Dialektes vaßte!
Unaufhaltsam ergoß sich des Karierten Redestrom über das schuldlose siaupt seines Opfers, dem angesichts dieser sprudelnden Liebenswürdigkeit von seiten eines wildsre'w-
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den, chm keineswegs sonverncy churstury., ganz unheimlich zumnt wurde. Aber da war nichts da- üchbn zu machen! Leichte Waffen, wie Einsilbigkett und kühle Zurückhaltung, prallten wirkungslos ab, und um schwereres Geschütz aiifzusahren. erschien die Art des Addern doch zu gut gemeint!
„Sagen Se nur: wie lang wer 'mer denn in den ölendigen Nest picken bleiben? Das ist ja. rein zum Aus- nmchsen. . .!"
„Ja aus zwei bis drei Tage können Sie sich schon gefaßt machen — die Streck- soll mehrere Kilometer weit vollständig zugeweht sein!"
„Na ich danke! Scheene Aussichten das. . .! Da no' mcä' anziger Trost, daß ich so liebenswirdige Gesellschaft gefunden Hab' . . .!"
„Da werde ich Ihnen leider eine Enttäuschung bereiten müssen! Ich bin nämlich nicht weit von hier zu Haus und hoffe, daß in längstens einer Stunde, mein Schlitten, hier sein wird! Ich habe gleich bei der Ankunft nach Grumman telegraphiert, sie sollen mir den Kutscher, der mich dort abholen sollte, herüberschicken. Das sind nur fünf Kilometer, und die Straße soll ganz gut passierbar sein — wenigstens kann man den verwehten Stellen über die Felder answeichcn!"
„O, Sie Beneidenswerter! Und was rang'ich armer Teufel hier allein an? Hier is- ja net «mal a Hotel! Weit und breit kein Haus zu sehen, was so ausschant, als ob ftr schweres Geld e' Bett zu kriegen war'? Na das kann scheen werden! Und ich bin schon die ganze Nacht durchgesahren - in an' ölenden Rumpelkasten von an' Waggon, der so gestoßen hat, daß ich alle Augenblick ausgekommen bin! Alle Baaner in Leib tun mer loch! Und setz soll ich hier auf en Stuhl übernachten . . .! Ich bitt' Ihnen - - Sie sind von hier — und so e' liebens- wirdiger Herr wissen Se mer gar kein' Rat . . .?"
Angesichts dieses Jammers regte sich in Herrn von Reitttngers Brust ein menschlich Rühren, und obwohl ihn die Aussicht, dtt Gesellschaft des redseligen Fremden noch langer zu genießen, keineswegs lockte, sagte er gutmütig:
„Na wissen S:e tvas — fahren Sie mit mir nach Grumman! Dorr finden Sie wenigstens ein Wirtshaus, wo Sie zur Not ein halbwegs annehmbares Bett kriegen!"
(Fortsetzung folgt.)