Nr. 169.
Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.
95. Jahrgang.
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Montag, den 18. Juli 1920.
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* Daß es in erster Linie die Angst der Alliierten vor dem Wiederaufstehen der gefürchteten deutschen Wehrmacht gewesen ist, die sie zu ihren dauernden Drohungen und Schikanen veran- laßte, sehen wir ganz deutlich an dem bisherigen Verlauf der Konferenz. Zuerst wollten die Alliierten sich Sicherheiten über die Entwaffnung Deutschlands schaffen. Lloyd George meinte, es sei ganz gleich, ob unsere Reichswehr 100 000 oder 300 000 Mann stark sei, solange noch 2 Millionen Gewehre innerhalb der deutschen Bevölkerung verteilt seien, bedeute es eine große Gefahr für die Nachbarn. Deshalb mußte von deutscher Seite das befristete Ultimatum bezüglich der Herabsetzung des Heeres angenommen werden, sodann hinsichtlich der Entwaffnung der Bevölkerung und der Sicherheitswehren. Recht hübsch erwiderte der deutsche Außenminister dem englischen Ministerpräsidenten, daß selbst England nicht in der Lage sei, alle Waffen aus Irland herauszuholen, worauf der sonst mundfertige Herr nichts zu antworten wußte. Im übrigen konnten die deutschen Vertreter nichts tun, als ihre Einwände gegen die Entwaffnung zur Geltung bringen, die jedoch ungehört verhallten. Gegen die Fortsetzung der diktatorischen Forderungen hatte unser Außenminister sofort Protest erhoben, und erklärt, daß wir in dieser Behandlungsweise nicht den Versuch einer Verständigung erblicken könnten, und daß unsere Vertreter deshalb mit demselben Vorbehalt unterschreiben müßten wie beim Vertrag von Versailles. In dem Protokoll über die Entwaffnungsfrage ist jedoch keine Zustimmung unserer Vertreter enthalten für den Fall, daß bei Nichterfüllung der Bedingungen die Entente weitere deutsche Gebiete besetzen dürfe, im Gegenteil hat der deutsche Außenminister gegen diese Drohung energisch Stellung genommen, weil sie sowohl dem Versailler „Vertrag* als auch dem Völkerrecht zuwiderlaufen würde. Die Ententevertreter aber antworteten nur, die Alliierten behielten sich das Recht vor, so vorzugehen, wie sie es für nötig erachteten. Auf irgendwelche Erörerungen darüber, wieviel Reichswehr wir brauchen, wieviel Sicherheitswehr und Einwohnerwehr wir nötig haben, haben die Herren sich gar nicht eingelaffen. Sie haben von uns nur einen Plan darüber gefordert, in welcher Zeit wir die Bedingungen des Friedensvertrages erfüllt haben. Angesichts dieser Sachlage mußten unsere Vertreter sich natürlich auf diesen Boden stellen. Vom rein militärischen Standpunkt aus find die Bedingungen jedoch, was die Entwaffnung und speziell die Reichswehr anlangt, nicht Erschwerungen gegenüber dem Friedensvertrag, sondern Erleichterungen.
Als sich die Entente durch die Regelung der Entwaffnungsfrage gesichert glaubte, schlug man sofort einen andern Ton an. Zwar war man selbstverständlich bemüht, bei den wirtschaftlichen Verhandlungen aus Deutschland herauszuholen, was nur möglich war, aber hier zeigt man sich anscheinend zu Zugeständnissen bereit, denn Herr Millerand hat sich herbeigelaffen, dem deutschen Volke sogar ein wirtschaftliches Existenzrecht zuzugestehen. Allerdings wollen die Alliierten auch hier noch Butter zu dem Schinkenbrot, denn erstens verlangten sie die Vorlage des deutschen Wiedergutmachungsplans und gleich dazu eine solche hohe Kohlenlieferung, daß Deutschland gar nicht in der Lage wäre, genügend zu produzieren, um die wirtschaftlichen und finanziellen Forderungen erfüllen zu können. Herr Millerand verlangte nämlich nicht weniger als das 21Lfache des in dem deutschen Kohlen- wirtschaftsvorschlag eingesetzten Kohlenquantums, sodaß der deutschen Industrie nur ihres Bedarfs blieben. Von deutscher Seite wurden 44 000 Tonnen pro Arbeitstag angeboten, sodaß Deutschlands Industrie, Landwirtschaft und Hausbrand nur mit 58 Prozent des Verbrauchs von 1918 beliefert werden kann. Zur Erreichung der vorgenannten Förderungshöhe sollen jährlich 50 000 Bergarbeiter neu eingestellt werden, für die die erforderlichen Wohnungen zu bauen sind. Nur unter der Bedingung, daß die Entente diesen Kohlenlieferungsvorschlag annimmt, wurde dann deutscherseits ein großzügiger Wiedergutmachungsplan vor- geleg^der auch eine umfangreiche Mitarbeit Deutschlands an dem Wiederaustau der zerstörten Gebiete vorsteht. (Wir werden den Plan morgen veröffentlichen.) Nach neuesten Nachrichten sollen die beiderseitigen Kohlensachverständigen danach streben, zu zu kommen. In Frankreich mehren sich auch jetzt die Stimmen, die eine „versöhnliche* Haltung wünschen, denn st sagt die Pariser Presse, Frankreich verfolgt zwei Ziele, es will Deutschland die Möglichkeit nehmen, seine militärischen Unternehmungen wieder zu beginnen, und es wolle auch eine Wiedergut-
Aenderung der Berharrdlungstaktik
machung. Aus letzteren Beweggründen müsse man Deutschlands wirtschaftliche Lage zu heben versuchen.
Aber die Haltung der Entente in der Entwafsur.gsfrage und bezüglich der wirtschaftlichen Bedingungen hat fraglos noch andere Beweggründe. Die Alliierten haben in allen Weltteilen zu tun, um ihren sonstigen Raub zu sichern. Der Orient ist im Aufruhr, die Bolschewisten sind daran, den polnischen Busenfreund über den Haufen zu rennen, und Amerika hat scheinbar sich ganz von den europäischen Angelegenheiten zurückgezogen. Deshalb hat Lloyd George auch in recht verdrießlicher Laune einem amerikanischen Berichterstatter gesagt, die Amerikaner seien schuld daran, daß die Alliierten sich in schlechter Lage befinden, sodaß sic in der Wicdergutmachungsfrage nachgeb n müßten. Das stimmt natürlich nicht so recht, die Aeußerung ist sicherlich eher ein seiner Verschleierungsversuch dieses raffinierten Staatsmanns, hinsichtlich der durchaus nicht glänzenden Außenlage der Alliierten. Deshalb will man zu den vorhandenen keine^neuen Schwierigkeiten fügen, indem man die Drohungstaktik gegenüber Deutschland aufgibt, denn die bolschewistische und orientalische Gefahr treten immer gewaltiger in Erscheinung. O. 8.
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Besprechung über das militärische Ergebnis beim Reichspräsidenten.
Berlin, 10. Juli. Beim Reichspräsidenten fand heute vormittag eine Besprechung statt, in der die ans Spa zurückgekehrten Mitglieder der Delegation, Minister Eetzler, Staatssekretär Albert und Eeral v. Seeckt Bericht erstatteten. Nach allgemeinen Mitteilungen wurden die in Spa getroffenen Vereinbarungen erörtert. Dabei wurde hervorgehobcn, daß Lloyd George den Schwerpunkt der Verhandlungen auf die Entwaffnung der Bevölkerung, d. h. also das Einsammeln der in den Händen der Bevölkerung befindlichen Waffen gelegt habe. Die Androhung des Einmarsches in das Ruhrgebiet ist von den Deutschen nicht genehmigt, sondern nur zur Kenntnis genommen worden, nachdem der Reichsminister des Aeutzern zuvor erklärt hatte, daß eine derartige Klausel dem Friedensvertrag und dem Völkerrecht widerspricht. Die Schlußformel der Unterschrift geht infolgedessen nur dahin, daß die deutsche Regierung Kenntnis nehme und versuchen werde, die Bedingungen auszuführen. Lloyd George hatte ausdrücklich anerkannt, daß die Deutschen durch ihre Unterschrift die Strasklansel nicht deckten. Es wurde weiter klargestellt, daß Lei dem Nachdruck, mit dem die Einsammlung der Waffen von der Entente gemäß dem Friedensvertrag gefordert wird, Deutschland hier alsbald zu einschneidenden Maßregeln greifen muß.
Der Großindustrielle Stinnes
über die Kohlenlieferungsfrage.
Spa, 10. Juli. Die Rede, die Hugo StinneS in der heutigen Vormtttagssitzung der Konferenz hielt, lautete: Ich spreche stehend, damit ich meinen Zuhörern ins Auge sehen kann. Sie werden mir gestatten, freimütig zu sprechen. Herr Millcrand hat gestern erklärt, daß er aus Courtoisie bereit sei, die deutschen Vertreter zu hören. Wer nicht unheilbar von der Siegerkrankheit befallen ist, weiß, daß es mit den jetzt üblich gewordenen „Dczi- sionen* nicht getan ist. Sie find das Ohr, durch das die europäische, ja die ganze Welt hört, was wir Deutsche in einer europäischen Lebensfrage, die ohne unsere tatkräftige Mitwirkung nicht zu lösen ist, zu sagen haben. Ich spreche somit aus natürlichem Recht, nicht aus Höflichkeit geduldet, hier oder anderwärts. Die Zahlen des Herrn Millerand kann ich hier, soweit sie Frankreich betreffen, nicht anerkennen, auch nicht zahlenmäßig bestreiten. Soweit sie sich auf den Versocgungsgrad Deutschlands beziehen, der zu 79 Prozent im allgemeinen, zu 65 Prozent in der Eisenindustrie angegeben wird, sind sie unrichtig. Als deutscher Industrieller weiß ich aus eigenen Betrieben, daß die Versorgung leider nicht annähernd 80 Prozent beträgt. Anerkennen muß ich, daß die französischen Versoraun ^Verhältnisse ebenfalls unerträglich schlecht sind und daß, ganz abgesehen vom Friedens- Vertrag von Versailles, der zwar ein Recht geschaffen hat, aber ein einem ausgehungerten armen Volke abgeprcßtes, xin gleichsam natürliches Recht auf französischer Seite besteht, daß jeder deutsche Unternehmer und Arbeiter das äußerste tut, um dem im Kriege erfolgreichen Frankreich aus seinem jetzigen Zustand schnellstens herauszuhelfen. Wir erkennen an, daß umsomehr Veranlassung zu größter Anstrengung vorhanden ist, je mehr französische Gru-
der Alliierten.
den im Pas du Nord und Pas de Calais zerstört worden sind, systematisch, wie Herr Millerand gestern sagte, aber nicht aus Niedertracht und Vandalismus, sondern aus einer klar erkannten militärischen Notwendigkeit. Sind in den Jahren 14 und 15 doch auch die deutschen Gruben in Oberschlesien fast nur durch ein Wunder demselben Schicksal entgangen. Wir haben gestern Vorwürfe über eine unerhört rechtswidrige Handlungsweise betreffend die Kohlenlieferung durch Deutschland gehört. Wie sieht die Wirklichkeit aus: Ein Rechtsanspruch auf Kohlenlieferungen vor dem 10. Januar 1920 plus 120 Tage, d. h. also dem 10. Mai 1920, bestand überhaupt nicht. Was vorher geleistet worden ist, geschah aus natürlichem Rechtsempfinden heraus, das sich jetzt als falsche Sentimalität erweist. Wir haben, entsprechend den Anforderungen der Reparationskommission, zu liefern, was über die zwingenden Bedürfnisse des deutschen Wittschaftslebens hinaus erübrigt werden kann, und zwar zur Zeit bis zu 39,5 Millionen Tonnen jährlich ohne Luxemburg. Das ist eine vollständig unmögliche Ziffer. Im Frühjahr 1919 betrug die Förderung im Ruhrgebiet, das für die mittelbaren Lieferungen an Frankreich ausschlaggebend ist, rund 220 000 Tonnen täglich. Sie ist jetzt auf 285 000 Tonnen gestiegen. Damals wurde schon in Erkenntnis der kommenden Entwickelung seitens der Bergwerksbesitzer im Einvernehmen mit den Gewerkschaften der deutschen Regierung eine Siedelung von Bergleuten in den Bergwerksbezirken von bisher niemals gehörtem Umfang vorgeschlagen. Allein im Ruhrgebiet müssen mit Familien usw. etwa 600 000 Menschen angesiedelt werden. Allein im Ruhrbezirk werden uns Kosten von weit über 6 Milliarden Mark entstehen, davon sicher 5 Milliarden Mark nicht dauernde Werte infolge der herrschenden Teuerung, also ein gewaltiger Verlust, um ein gesteigertes Opfer an Frankreich zu ermöglichen. Die Siedelung geht, abgesehen von Mängeln der ersten Organisation, nicht flott von statten, weil wegen des Kohlenmangels es an Baustoffen aller Art fehlt. Auch fehlt es an Geld. Da die erforderliche Hebung der Förderung nicht schnell genug durch Heranziehung neuer Arbeiter in die Kohlendistrikte mangels Wohnungsgelegenhett möglich war, beschlossen nach mühevollen Verhandlungen im Februar 1920 die Arbeitgeber und Arbeiter, statt der von letzteren sehnlich gewünschten 6stündigen Arbeitszeit, eine solche von 8 Stunden und 10 Minuten im Wege der Ueberschichten aufzunehmen, Ueberschichtey die mit 100 Prozent Zuschlag bezahlt werden. Die Million Tonnen, die heute als Grundstock der monatlichen Lieferungen an die Entente angesehen werden kann, ist ermöglicht durch die Ueberarbeit deutscher Bergleute, deren Ernährungszustand nach «iner vierjährigen Hungerblockade schlecht ist, deren Familien heruntergekommen und abgerissen sind. Zur Zeit sind wieder Verhandlungen im Gange, um noch mehr überzuarbeiten, täglich IX Stunden, wodurch eine weitere beträchtliche FvrderungSsteigerung sofort eintrelen würde.
Nur wer weltfremd ist, wird glauben können, daß di« freiwillige, mit rohen Gewaltmittel» uncrzwingbare Mehrarbeit in erster Linie mitverwendet werden muß, um in Deutschland die verheerende Arbeitslosigkeit einzudämmen und den deutschen Arbeitern insgesamt eine halbwegs lebenswette Existenz zu ermöglichen. Wir fassen manches als Realisten und so auch die Möglichkeit ins Auge, daß wir Sie nicht davon überzeugen können, unser äußerstes getan zu haben, weshalb Sie zur Gewaltanwendung schreiten, zur Besetzung des Ruhrgebietes oder dergleichen. Selbst wenn dieser Gewaltakt mit Schwarzen ausgeführt werden könnte, bei deren Anblick als Träger öffentlicher Gewalt sich jedes Weißen und Deutschen Herz empört, so wird damit weder für Frankreich noch für Europa etwas genützt. Die Siedelung wird mangels Baumaterials zum Stillstand kommen. Neue Arbeiter werden nicht Zuströmen. Der jetzige Zustand europäischer Kohlennot, dem sonst etwa in drei Jahren abgeholfen werde« könnte, wird dauernd werden und damit auch die Zustände wirtschaftlicher europäischer Ohnmacht bei der Rohstoffvetteilung. Me auf Europa fahrenden Schiffe werden mangels Kohlenausfracht nur «inseitig beladen sein. Eine unendliche Erschwerung hat die Kohlenfrage durch die gestrige Entscheidung der militärischen Frage erhalten. Da werden Unruhen schwerste. Art entstehen, deren Folgen an Produftionsausfall auf Ne in erster Linie zurückfallen. Das Kohlenproblem ist rin einheitliches; di« Ruhr und Oberschlesten sind nicht voneinander zu trennen. Wir sind bereit, mit bestem Willen mit Ihnen zu überlegen, wie wir Ihnen schnell