Nr. 158.

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

95. Jahrgang.

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Samstag, den 10. Juli 1920.

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Spaa.

Fortdauer der Errtentediktatrrr über Deutschland

* Wir haben schon zu Anfang der Verhandlungen von Spa darauf hingewiesen, daß auch sie unter einer ausgezeichneten Negic wie die politische Kriegführung der Entente und wie die FriedensveHandlungen in Versailles durchgesührt würden. Trotz­dem die Macht der -Alliierten nichts weniger als gesichert ist, haben sie doch das Gesicht zu wahren gewußt, das Gesicht als die unerbittlichen Sieger, di« auf ihremRecht" bestehen, das sie durch den Vertrag von Versailles einem halb verhungerten und zermürbten Volke abgezwungen haben. Von raffiniertester diplo­matischer Fähigkeit zeugte schon die Abwicklung des Programms. Zuerst die Entwaffnungsfrage, deren Behandlung Mer Welt zeigen sollte, daß die Entente die Gewalt besitzt, sichRespekt" zu verschaffen. Formal hat sie dann auch gesiegt, Mer so im Hintergrund des Bewußtseins hat man doch den Eindruck, daß die deutschen Vorschläge, trotz des Fuhrmannstons, in dem Lloyd George zu sprechen beliebte, in mancherlei Hinsicht Beachtung gefunden haben. Denn trotzdem wir heute unser Heer nM nicht auf den Bestand von 100 000 Mann herabgebracht haMr, sind die Herren in Spa nicht aus dem Häuschen geraten, sondern haben zugebilligt, daß die Reichswehr erst am 1. Januar 1921 aus diesen Stand erniedrigt wird, und was die Polizei- und Ein­wohnerwehren anbelangt, so wird darüber noch weiter zu sprechen sein. Selbstverständlich kam nach der Entwaffnungsfrage sofort die Frage der Bestrafung der .Kriegs-,,Verbrechen", llnsere Stel­lung zu dieser Stimmungsmache der Alliierten haben wir ja schon mehrfach gekennzeichnet. Wir haben ja wahrhaftig Ge­legenheit in den letzten 1i^ Jahren genug gehabt, zu sehen wie dieTräger der Weltkultur" sich im Feindesland benehmen, und das noch unter Umständen, die dem Friedenszustand entsprechen sollen. Wir haben schon genügend darauf hingewiesen, welcher Verbrechen sich die Entente während des Krieges schuldig ge­macht hat, sodaß die Alliierten wahrhaftig keinen Grund haben, sich als Richter über Deutsche aufzuspielen. Aber auch hier ging die Sache rein formal ab; man einigte sich dahin, mit den Justiz­ministerien der Entente direkt über deren Anklagen zu verhan­deln, wodurch der Frage das politische Moment großenteils ge­nommen wurde. Dann kam die Entschädigungsfrage zur Sprache. Zuerst die Kohlcnlies:r.>na, über die jetzt eine Kon­trollkommission befinden soll. Es wird nun bald in jedem deut­schen Weiler eine Ententekontrollkommission sitzen, die wir bezah­len muffen. DieDeutsche Allg. Ztg." hat schon recht: Es haben viele bei uns bisher noch nicht so recht eingesehen, was ein verlorener Krieg gegen eine Weltkoalition bedeutet. Aber trotz alledem, wenn endlich mal gewisse Kreise bei uns zum Ein­sehen kommen, daß Hetze und Unfrieden nicht zum Segen eines Volkes gelangen, dann können wir vielleicht doch wieder hoch­kommen, denn daß der angelsächsisch-romanische Imperialismus und Kapitalismus nicht allmächtig ist, das sehen wir an den Vor­gängen in Polen, im Orient, und es ist nicht ausgeschloffen, daß seine Bestrebungen nach Beherrschung und Vergewaltigung der ganzen Welt ihm eines Tages zum Verderben werden.

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Die gestrige Sitzung.

Spa, S. Juli. (Bericht über die Vormittagssihnng vom 9. Juli.) Die Konferenz ist um f411 Uhr zusammengetreten. Präsident Delacroix hat die deutsche Delegation aufgefordert, ihre Antwort, die sie sich für heute Vorbehalten hatte, betreffend Unterzeichnung des Protokolls mitzuteilen, dessen" Text allen Delegierten durch das Generalsekretariat zugestellt worden sei. Die deutsche Delegation erklärte sich bereit, das Protokoll zu un­terzeichnen, setzte Mer auseinander, daß sie das Protokoll mit den durch die Alliierten auferlegten Strafbestimmungen dem Reichstag unterbreiten müßte. Lloyd George antwortete im Namen der Alliierten, daß das Protokoll tatsächlich zweierlei Maßnahmen ins Auge fasse, die eine seitens Deutschlands, die andere seitens der Alliierten. Er sehe nicht ein, was der Reichs­tag mit den Strafbestimmungen zu tun hätte, deren etwaige Ab­änderungen den Alliierten zuständen und übrigens ausdrücklich bereits in dem Schlußabsatz des Protokolls vom 10. Januar 1920, das Deutschland unterzeichnet habe, vorgesehen seien. Der Reichskanzler nahm die Argumentation von Lloyd George an und erklärte dann, daß die deutsche Delegation das Protokoll unterzeichnen würde.

Die Sitzung wurde einige Minuten unterbrochen, um das Protokoll zur Unterschrift fertig zu machen und dann um 12 Uhr mittags wieder ausgenommen. Auf der Tagesordnung stand die Besprechung der Frage , der Schuldigen. Justizminister Dr. Heinze setzte auseinander, wie weit das Verfahren gegen die Beschuldigten vor dem Reichsgericht in Leipzig fortgeschritten ist. Lloyd George gab der Ansicht Ausdruck, daß die Frage noch nicht so weit gefördert sei, um in der Konferenz besprochen, zu werden. Es müsse vorher eine Zusammenkunft zwischen den zu­ständigen deutschen und alliierten Ministern stattfinden. Wenn sie nicht zu einem Uebereinkommen gelangen sollten, würde die Angelegenheit wieder vor die Konferenz kommen. Die deutsche Delegation hat dem Verfahren zugestimmt und erklärt, daß Deutschland ebensoviel Interesse wie die Alliierten daran hätten, die Verbrechen gegen dir Kriegsgesetze zu bestrafen. (Ja, aber auf beiden Seiten.)

(WTV) Spaa, g. Juli. Die Sonderbesprechung der Justiz- minister trat heute um 3 Uhr nachmittags im Schlosse de la Freinouse zusammen. Die Beratungen führten zum Ab­schluß eines llebereinkommeus. Es wird dadurch dem deut­schen Reichsgericht das direkte Verhandeln mit den Justiz­behörden der Alliierte» ohne Benützung des diplomatischen Weges zur Beschleunigung der Verfahren g^en die Kriegs­beschuldigten ermöglicht. Das Abkommen wurde in der spä­teren Vollversammlung genehmigt und unterschrieben.

Die Vollversammlung trat um Uhr zur Besprechung der Kohlensrage zusammen. Die Delegierten waren von einem zahlreichen Stab von Sachverständigen begleitet. Mi­nisterpräsident Millerand machte im Nomen der Alliierten längere Ausführungen, die darin gipfelten, daß Deutschland mit den Kohlenlieferungen, zu denen es durch den Friedens­vertrag verpflichtet gewesen sei, im Rückstand wäre. Die Alli­ierten hätten deshalb Beschlüsse gefaßt, die sie Deutschland zur Unterzeichnung vorlegten. Nach diesen Beschlüssen der Alliierten werde:

1. den Kohlenanforderungen Frankreichs die Priorität aus allen deutschen Forderungen gesichert;

2. eine alliierte Kohlenkontrollkommission mit dem Sitze in Berlin eingerichtet, um die gesamte Verteilung der in Deutschland geförderten Kohle zu überwachen und zu be­aufsichtigen;

3. Deutschland zur Vorlage eines genauen Kohlenliefe­rungsplanes für seine gesamte Kohlenwirtschaft zur Ge­nehmigung durch dies« Kohlenkontrollkommission genötigt werden;

4. im Falle de» Nichterfüllung dieser Bedingungen werden auf Verlangen der Reparationskommission bestimmte Strofmaßnahmen in Aussicht genommen.

Minister vr. Simons erklärte im Namen der deutschen Delegation, daß die deutsche Regierung nicht imstande sei, ohne eingehende Besprechung mit den Sachverständigen zu der An­gelegenheit sich Pi äußern. Es wurde darauf gegen 7 Uhr eine neue Sitzung am Samstag, 11 Uhr, angesetzt.

Zugeständnisse bezüglich der Abröstung.

(WTB.) Paris, g. Juli. Nach einer Depesche desEcho De Paris" aus Spaa wurden Deutschland bezüglich der militäri­schen Klauseln in dem Versailler Vertrage folgende Zugeständ­nisse gemacht, die die Mitteilung über die getroffene Entschei­dung vervollständigen:

1. nicht eingeschlossen in die 4000 deutschen Offiziere, die durch den Vertrag Deutschland zugestanden sind, sind die Aerzte und Veterinäre, deren Zahl auf 300 bezw. 200 festgesetzt wurde;

2 nicht eingeschlossen sind ferner in die genannten 4000 Offiziere 785 Verwaltungsoffiziere:

3. Deutschland kann eine Reserve von 5000 Gewehren und 2 Millionen Patronen halten, um die Verlust« auszu­gleichen, die seinem Vorrat durch etwaige innere Kämpfe entstehen;

4. geringfügige Erhöhung der Zahl der Maschinengewehre, so daß alle Formationen in der Lage sind, sich zu ver­teidigen.

Deutschland hatte außerdenk ein 6. uM 8. Zugeständnis verlangt, für Vermehrung der Waffen und Munition derart, daß alle Formationen, Ergänzungen und Schulen mit Waffen versehen seien, um Angriffe zurückweisen zu können, ferner

Wiederherstellung einer kurzen Militärdienstzeit mit der Garantie, daß man die Vergünstigungen nicht mißbrauchen werde, um eine große Anzahl Deutscher militärisch auszubil­den. Diese letzten Forderungen find nicht gewährt worden. Andererseits erhielt Deutschland da» Recht, vorübergehend inl der neutralen Zone 10 Bataillone, 5 Schwadron«» Md 1 Batterie zu unterhalten.

DieUnterzeichnung der Entwaffnungsbedingungen.

(WTB.) Brüssel, 9. Juli. Die Agentur Havas-Reuter ver­breitet hier folgenden Bericht über die heutige Sitzung in Spa: Die Uebereinkunft betr. die Entwaffnung wurde heute von den deutschen Vertretern nach einer sehr bewegten Sitzung unterzeichnet. Nachdem Or. Simons erklärt hatte, seine Kollegen und er seien zur Unterzeichnung, nicht aber zur Annahme der Strafbestimmungen bereit, bemerkte Lloyd George, es gebe nur ein Ja oder Nein. Darauf Unter­zeichneten die Deutschen.

Berliner Stimmen zur Unterzeichnung.

Berlin, 9. Juli. Die Abendblätter billigen die Unterzeich­nung der Entwafsungsbedingungen durch die Deutschen in Spa, indem sie betonen, daß ein anderer Ausweg nicht möglich war. DieGermania" hebt hervor, daß sich die Deutschen nur dem Zwange gefügt hätten und die Verantwortung für die Fol­gen der Entente überlassen werden müßten. Die Drohung mit der Besetzung des Ruhrgebiets nennt dasBerliner Tageblatt" eine Politik mit dem Revolver in der Hand, die die Erbitterung Deutschlands noch vermehre. In der Bespre­chung der Parteiführer über die Entwaffnungsbedingungen der Alliierten lehnten, laut Abendblättern, alle Parteien geschlossen die Drohung mit neuen Besetzungen deutschen Gebietes ab.

* Berlin, 10. Juli. Zum erstenmal hörte man gestern t» Spaa, wie demTageblatt" berichtet wird, einen Fran­zosen mit einem Deutschen. Zum erstenmal hat Millerand den Vorsitz übernommen. Die Atmosphäre änderte sich danach mit einem Schlage. Die Kohlenfrage wurde behandelt. Ein schwarzer Tag. In der Kohlenfrage wurde das hart« Er­pressungsverfahren fortgesetzt. Ursprünglich beabsichtigte Frank­reich, im Ruhrgebiet Kontrollkommissionen »inzusetzen, und zwar sechs Haupt ladest ellen und zwei Hafenumladestellen, ins- besondere in Ruhrort, also eine Art wirtschaftliche Besetzung. Die Engländer waren dagegen. Nunmehr kommt dt« Ueber- wachungskommission nach Berlin.

Schon die Art, wie die Hohlen frage angeschnitten worden ist, so heißt es in derKreuzztg." zeigt, daß auch hier die Blutsauger zugreifen, gleichviel ob unsere Industrie zugrunde geht, ob Arbeitslosigkeit mit all ihren Folgen entsteht und schließlich die letzte Kohle aus dem Schacht geholt wird.

Das deutsche Volk hat in breiten Schichten, sagt dieDeu t- sche Allg. Ztg.", leider immer noch nicht recht erkannt, was es bideutet, eine« großen Krieg gegenüber einer Welt» koakitio« verloren zu habe«. Jetzt erst beginnen sich allmählich die Folgen bemerkbar zu machen. Wer heute dem deutschen Volke nützen will, kann nichts Besseres tun, als diese Tatsachen deutlich auszusprochen und daran den Wunsch zu knüpfen, daß sich Deutschland das größte Gut erhalten möge, den inneren Frieden.

Auf alle Fälle wird die deutsch« Regierung, wie dieDeut­sche Tagesztg." ausführt, um das Nötige zur Aufrecht- erhaltung der inneren Sicherheit zu tun, mit durchgreifender Entwaffnung der radikalen Elemente sofort einzugreifen und sie rücksichtslos bis zum Erfolg fortzusetzen haben.

Ein neutrales Urteil zur Haltung der Entente.

Rotterdam, 9. Juli. DerNieuwe Rotterdamsche Cou­rant" schreibt: Die Deutschen sollten als Gleichberechtigte an der Konferenztafel sitzen und als Gleichberechtigte verhandeln. Jetzt ist Deutschland schlimmer daran als ein Angeklagter vor Gericht. Dieser Tage haben wir gesagt, die Art und Weise, mit der dt« Konferenz die Schwierigkeiten in der Entwaffnungsfrage lösen werde, werde einen Schluß zulaffen auf das Gelingen «der dM Fehlschlagen der weiteren Verhandlungen. Jetzt wissen wir, daß die Alliierten Erfolge erstrebe», die sogroß und wertvoll" sind, daß sie keine Früchte bringen werden. Denn sie setzen daS Beil an das Mark des Baumes, das diese Früchte Hervorbringen soll.

Der französische Kammeransschntz

und die Entwaffnung Deutschlands.

Paris, 9. Juli. Der ehemalige M nister Renauld hat dem Ministerpräsidenten Millerand tcleg. iphisch mitgeteilt, daß De^MammerauSschuß für auswärtige Angelegenheiten den Be­richt über die Entwaffnung Deutschlands einstimmig angenom­men hat. Renauld und alle Kommissionsmitglieder mißbilligten