Nr. 158.

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

V6. Jahrgang.

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Donnerstag, de» 8. Juli 1920.

Bezu giperi« And«« Stadt mitTrligerlohnMk. ILMvierteljLhrlich, Postbezuglprei» Mk. IL90 mit Bestellgeld. Schluß der klttjeigenannähme S Uhr vornitttog«.

Spaa.

* Der Eindruck, den wir gestern über die Haltung der Al­liierten wiedergegeben haben, daß sie zwar große Töne reden, i aber nicht geneigt seien, es auf einen Krach ankommen zu lassen, weil sie sonst noch sehr viele Angelegenheiten zu regeln haben, wird durch den heutigen Sitzungsbericht verstärkt. Wenn vor­gestern Lloyd George sich bemüßigt gefühlt hat, die deutsche Ab­ordnung vor aller Welt abzukanzeln, so geschah das deshalb, weil man doch nach außen hin das »Ansehen" des Siegers wah­ren muß und weil der deutsche Reichskanzler den Herren eben mit der Erklärung: Deutschland könne nur bis zur Grenze sei­ne: Leistungsfähigkeit zur sog. »Wiedergutmachung" herangezogen werden und mit dem weiteren Hinweis, daß wenn die Entente Deutschland völlig wehrlos machen würde, auch nicht für Ord­nung und Wiederaufbau Garantie geleistet werden könne, sehr bittere Wahrheiten sagte, die sie als Sieger natürlich als eine Anmaßung empfanden. Daher die englische Unverschämtheit, daß man nicht viel Zeit zum Reden habe, und daß die Entente endlich Zahlen haben wolle. Nun, die sind ihr beim auch an­scheinend hinreichend geliefert worden, und die Wogen haben sich daher in der 3. Sitzung augenscheinlich geglättet. Die En­tente scheint sich allmählich überzeugt zu haben, daß der drohende Bolschewismus keine Erscheinung ist, die man unbeachtet lassen oder gar lediglich als deutsches Schreckmittel betrachten könnte. Sie sind von den Polen um dringende Hilfe angegangen wor­den, denn diesen Franzosen des Ostens haben die Bolschewisten anscheinend gehörig auf ihr großes Mundwerk geklopft. Ob es Tatsache ist, daß die Entente schon um Durchmarscherlaubnis bei Deutschland angefragt hat, wissen wir nicht, jedenfalls sollte diese Erlaubnis um keinen Preis gegeben werden. Die Polen haben ihren Raubkrieg nach Osten vom Zaune gebrochen, aller­dings unter Ermutigung Englands und Frankreichs, die durch ^Stärkung Polens Deutschland vollends ganz in die Zange neh­men wollten. Wir haben keinen Anlaß, unsere Neutralität in diesem Falle aufzugeben, um dem polnischen und Entenieimperia- liSmus zu Hilfe zu kommen. Ob man dann den Mut zu Drohun­gen hat, möchten wir bezweifeln, denn auch bei der Entente gilt heute wie bei uns die Parole: Ruhe! Ruhe! und nochmals Ruhe! Wenn die Alliierten bezüglich der Entwaffungsfrage in ihrem Interesse Einsehen haben, so müssen sie erst recht hinsichtlich der »Wtedergutmachungs"-Frage ihrem Ausbeutungsdrang die Zügel auferlegen, wenn sie nicht durch unerfüllbare Forderungen die deutsche Arbeitslust völlig untergraben und dadurch ebenfalls dem Bolschewismus in die Hände arbeiten wollen. Dem deut­schen Volk darf die Hoffnung auf wirtschaftlichen Wiederaufbau nicht genommen werden, das würde aber fraglos geschehen, wenn man erdrückende Lieferungswünsche durchsetzen wollte und im Richterfüllungsfalle, der von vornherein sicher anzunehmen wäre, mit weiteren Besetzungen oder Lasten drohen würde.

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Die S. Sitzung.

' (WTB.) Spa, 8. Juli. Die dritte Sitzung der Konferenz fand gestern nachmittag um )44 Uhr statt. Reichsministrr vr. Simons schilderte zunächst die Schwierigkeiten, die für Deutsch­land mit der Forderung auf sofortige Ablieferung des Heeres­materials und gleichzeitiger Herabsetzung der Truppenstärke verbunden seien, da wir, um das Material zu erlangen, im Notfall« Truppen einsetzen müßten und auf eine ausreichende Sicherung unserer Produktion nur verzichten könnten, wenn die wirtschaftlichen Vereinbarungen in Spa uns industriell und finanziell über die schwere Krisis dieses Sommers hin? weghälfen. Trotzdem wollten wir, dem Wunsche Lloyd Geor­ges entsprechend, bestimmte Daten und Zahlen über die Mate­rialablieferung und Heeresverminderung geben. Wir hegten aber die Erwartung, daß die Alliierten bei den weiteren Verhandlungen Verständnis für unsere wirtschaftliche Lag« bewiesen, daß sie uns bei der Unterdrückung des Waf­fenschmuggels aus dem besetzten in das unbesetzte Gebiet bei- ständen und daß sie insbesondere auf dem Abmarsch der Gar­nisonen aus der sogen, neutralen Zone nicht bestünden, da andernfalls dort Revolten, zum mindesten aber schwere Be­unruhigung und Flucht der leitenden Jndustriekreise unver­meidlich seien.

Darauf legte General v. Seeckt ausführlich den Plan wegen Ablieferung des restlichen Heeresmaterials und der all­mählichen Herabsetzung der Truppenstärke dar. Für die erster« gab er ein Jahr, für die letztere fünf Vierteljahre als Termin an. Er ging besonders auf die große Zahl der noch in Deutsch­land befindlichen Gewehre ein, von denen rechnungsmäßig noch

beinahe S Millionen abzuliesern seien und säst 2 Mil­lionen keinen nachweisbaren Verbleib hätten. Die Verminde­rung der Reichswehr könne daher nur ganz allmählich erfolgen. Sie soll bis zum 1. Oktober 1S2V auf 190 000, bis 1. Januar 1921 auf 180000 Mann, bis 1. April 1921 auf 160 000 Mann, bis 1. Juli 1921 auf 130 000 Mann, schließ­lich bis 1. Oktober 1921 auf 100 009 Mann durchgeführt wer­den. Entsprechend würden die Jnsanteriebrigadestäbe reguliert und gewisse Hilfstruppen schleunigst aufgelöst werden. Für eine besondere Besprechung der militärischen Sachver­ständigen meldete er noch eine Reihe von Wünschen zur leich­teren Verwaltung des Truppenrestes an, die weder zahlen­mäßig noch grundsätzlich dem Friedensvertrag widersprechen.

Lloyd Georg« kritisierte die deutschen Vorschläge in län­gerer Rede. Die eigenen Angaben des Generals zeigen, wie berechtigt die tiefe Besorgnis der Alliierten vor dem gegen­wärtigen Zustande Deutschland» sei, da jetzt über di« im Frie­densvertrag zugelassene Zahl hinaus noch 8 Millionen Be­waffnete sich im Lande befänden. Das bedeute eine beständige Bedrohung nicht nur der deutschen Regierung selbst, sondern aller Nachbarstaaten mit bolschewistischen Angriffen. Er be­greife nicht, wie die deutsche Regierung daran denken könne, solche Zustände auch nur fünf Wochen, geschweige denn fünf Vierteljahre bei sich zu dulden. Sie solle jetzt eine Probe ihrer Mwht geben. Die geforderte Verlängerung der Fristen gehe weit über das notwendig« Maß hinaus. Im übrigen schlug Lloyd George vor, daß di« militärischen Sachverständi­gen der beiden Parteien stch über di« im einzelnen abwei­chenden Ziffern betreffend das Heeresmaterial, sowie über die Durchführung der Klauseln der Marine uud Luftflotte sofort verhandeln sollten und daß die Leiter der alliierten Dele­gationen mit ihren militärischen Hauptsachverständigen die Vorschläge der deutschen Regierung beraten sollten. Morgen um 12 Uhr würde dann die endgültige Antwort auf dre Vor­schläge erteilt werden.

Nach einigen Schlußworten des Ministers Simons, der für die Beratung der Alliierten Dislokationskarten für die Heeres­stärke von 299 009 Mann und für 100000 Mann übergab, wurde die Sitzung um 8.4b Uhr geschlossen und die nächste Sitzung auf Donnerstag mittag anberaumt.

Nach der Sitzung traten sofort die militärischen Sachver­ständigen zu der vorgeschlagenen und deutscherseits angenom­menen Sonderbesprechung zusammen. Dabei wurde über die Ziffern des Heeresmaterials ein Einverständnis erzielt.

Die Berliner Presse zum 3. Tag.

Vertu», 8. Juli. Der Eindruck der Blätter vom gestrigen Tage in Spa ist überwiegend der, daß es als ein Erfolg anzu­sehen ist, wenn eS gelang, dir Verhandlungen in Gang zu brin­gen. ImLokalanzeiger" wird hervorgehoben, daß Mil­lerand sehr optimistisch über die Ergebnisse der Konferenz denke. Von der Regie Lloyd Georges wird gesagt, sie sei raffiniert ge­schickt darauf eingestellt, vor den eigenen Böllern den bisherigen Siegesglanz ungetrübt zu erhalten, selbst wenn man sachlich den Tatsachen nachgeben müsse, gleichzeitig auf das deutsche Voll ein­zuwirken und in ihm die Gegenpole in stärkere Spannung zu bringen. Das »Tageblatt" sagt, die Diskussion über die Entschädigungsfrage werde vermutlich am Freitag beginnen. Auch nach diesem Blatte gehört der Erfolg des gestrigen Tages dem deutschen Minister des Auswärtigen Dr. Simons. Er habe in vollendeter Form und, wie auch von alliierter Seite anerkannt werde, mit großer Schlagfertigkeit den deutschen Standpunkt vertreten. Im Auftrag des polnischen Ministeriums des Aeußern hat sich lautVossischerZeitung" auch der Vor­sitzende des polnisch-oberschlesischen Abstimmungskommissariats, Korfanty, nach Spa begeben. Er hoffe zu erreichen, daß Deutsch­land zu strikter Neutralität während des Volksentscheides ange­halten werde, sowie einer großzügigen wirtschaftlichen Auslegung seines Ergebnisses.

Ententestimmen zur Konferenz.

Spa, 7. Juli. Pertinax gibt im »Echo de Paris" der Mei­nung Ausdruck, daß die Deutschen nur im äußersten Falle das Prinzip der Mindestjahresrate anerkennen würden und sagt, die Vertagung der Sachverständigengutachten bis zur Brüsseler Fi­nanzkonferenz verhindere das von ihnen angesrrebte Ziel. Tie Brüsseler Konferenz werde zweifellos aus Oktober vertagt wer­den. Pertinax betont, daß vor Beendigung der Besprechungen von Spa die Alliierten von neuem ihre Ansprüche feststellen wür­den, unter die sie nicht heruntergingen.

London, 7. Juli. (Reuter.) Die Blätter geben im allge­meinen ihre Zustimmung zu der von Lloyd George gegenüber

den deutschen Vertretern in Spa eingenommenen Haltung Aus­druck. Der gestrige Tag, so heißt es in einem Blatte, sollte den Deutschen zeigen, daß die Alliierten den Deutschen jede vernünf­tige Freiheit bei der Diskussion über die Methode in der Aus­führung des Vertrags gewähren wollen, daß sie aber nicht in der Stimmung sind, mit sich spielen zu lassen.

Weitere deutfche Teilnehmer.

* Berlin, 7. Juli. Der preußische Minister des Innern, Severing, dem die Sicherheitspolizei untersteht, wird heute abend nach Spa abreisen. In Begleitung des Reichsjnftiz- «inisters Dr. Heinz« hat sich der Geh. Regierungsrat Schmied, der im Reichsministerium des Innern Referent für die An­gelegenheiten der Sicherheitspolizei ist, zur Teilnahme an der Konferenz nach Spa begeben.

Dnrchmarfchwünsche der Entente

zwecks Hilfeleistung an Polen.

Die kommunistischen Abgeordneten Frau Zellin und Dr. Levy haben im Reichstag eine kleine Anfrage eingebracht, in der sie auf die Pressenachrichten Hinweisen, daß die Entente­mächte angesichts des militärischen ZusamnrenbruchS Polens an Deutschland das Ersuchen stellen werden, Truppen durch Deutsch­land zur Unterstützung Polens zu führen und die Regierung fragen, ob sie keinerlei Truppentransporte durch Deutschland dulden werde.

Z« Well« Lage.

Die polnisch-bolschewistischen Kämpfe.

Warschau, 7. Juli. Im polnischen Generalstabsbericht vom 6. Juli heißt eS: Auf dem nördlichen Frontabschnitt entwickeln stch die polnischen Angriffe Wetter fort. Infolge der Standhaf­tigkeit unserer Truppen wurde der Feind gezwungen, den mittel­baren Druck auf unsere zurückgehenden Abteilungen aufzugeben. An der Berefina haben wir an einigen Stellen infolge von günstig verlaufenden Ausfällen Material erbeutet, das der Feind zum Brückenbau bereitgestellt hatte. In Poljesie erbitterte Kämpfe, die sich besonders im nördlichen Abschnitt in der Gegend der un­teren Berefina zu großer Anspannung steigern.

London, 6. Juli. Reuter schreibt: DaS Kriegsamt teilt mit: Die Reiterei des Generals Wrangel hat ein bolschewistisches Kavalleriekorps in Ställe von 18 Regimentern umzingelt. Nur ILO Mann sind entkommen. Die Zahl der Gefangenen beträgt 1000. 40 Geschütze, viel Maschinengewehre und eine große

Menge Transportmaterial wurden erbeutet.

Ein Aufstand in Weißrußland gegen die Polen.

Berlin, 7. Juli. Wie der »Lokalanzetger" aus Königsberg meldet, ist in Weiß-Rußland ein Aufstand gegen die Polen aus­gebrochen, der die rückwärtigen Verbindungen der polnischen Armee bedroht. Die Eifrnbahnbrücke auf der Straße Jaflen BobrinSk ist in die Luft gesprengt worden.

Rußland und England.

Amsterdam, 7. Juli.Daily Herald" läßt sich aus Lhri- stiania meldm, daß Krasstn nach Moskau mit einer Note Lloyd Georges gegangen sei, worin dieser vorschlägt, daß Rußland und England beiderseits die Feindseligkeiten einstellen und sich jeder Propaganda oder Einmischung in die inneren Angelegenheiten des anderen Staates enthalten sollen.

Griechisch-italienischer »

Freundschaftsaustausch in Kleinaflen.

Amsterdam, 7. Juli. Me die »Times" aus Smyrna vom 3. Juli meldet, kam es südlich von Smyrna zu einem Zusammen­stoß zwischen italienischen und griechischen Truppen, als die Griechen zwei Stellungen innerhalb der italienischen Linie be­setzten. Die Italiener forderten die Griech n auf, die Stellun­gen zu räumen und «öffneten, als dies nicht geschah, das Feuer. Die Griechen antworteten. Auf beiden Seiten gab es Verluste.

Die englische Flotte in den

kleinafiatischen Gewässer«.

Malta, 7. Juli. (Reuter.) Der KreuzerCardiff" mit Admiral Hope an Bord geht heute nach Konstantinopel ab. Bei­nahe die ganze Mittelmeerflotte ist jetzt in den östlichen Ge­wässern versannnelt.

Gegenrevolptio« in Albanien.

Belgrad, 7. Juli. Das Südslavisll Pressebureau meldet:! Nachrichten aus Ucsküb besagen, daß in Albanien die Gegen­revolution ausgebrochen sei. Die Regierung organisiere neue Truppen. Kroje sei bombardiert und zerstört worden. Auch in Elbasan soll der Bürgerkrieg ausgebrochen sein.