bcm uh die Kandidatur für das 2lmt eines zweiten Vizcprä« zidernen annahm. Der Entschluß wurde inir dadurch erleich­tert, daß die Fraktion, deren Hospitant ich bin, während der voran gegangenen parlamentarischen Kämpfe stets eine vermittelnde Stellung eingenommen hatte. Inzwischen haben die Vorgänge bei einer Reihe von Ersatzwahlen zum Reichstage und die Hingst veröffentlichte Erklärung des offiziellen Organs der na­tional liberalen Partei eine erhehliche Vertiefung der Ge­gensätze zwischen den einstigen Blockparteien gezeigt. Der beim Beginn der Tagung gerechtfertigte Versuch, durch den die Möglichkeit e iner Wiederannäherung'offen gehalten werden sollte, ist gegenstandslos geworden und damit her innere Grund für meinen damaligen Eintritt in das Präsidium fortgefallen. Glaubte ich in dieser Entwicklung der Dinge an und für sich noch keinen zwingenden Grund zur Niederlegung des einnial übernommenen Amtes erblicken zu müssen, so erhob sich dagegen angesichts des Inhalts und der Wirkungen der Borromäns- Enzyklika für mich die Frage, ob in der nun eirtstandenen Lage die Fortdauer meiner Zugehörigkeit zu esnem Präsidium, wie es sich durch die parteipolitische Verbindung seiner Bestand­teile darstellt, mit den Grundsätzen vereinbar ist, die mich bis­her geleitet haben. Ich muß diese Frage nach gewissenhafter Prüfung der erwähnten Tatsachen verneinen, und beehre mich deshalb ergebenst zu erklären, daß ich hiermit das Amt eines ztveiten Vizepräsidenten des Deutschen Reichstags nie- dcrlege.

In der Presse wird der Rücktritt des Erbprinzen lebhaft kommentiert. Tie freisinnigeB ossische Zeit­ung" rühmt den Entschluß des Prinzen als eine mann­hafte Tat und das Berliner Tageblatt" hat die Neberzcngung, der Vorgang werde zur Beschleunigung des politischen Umschwungs beitragen. TerVorwärts" meint, der Prinz habe die Zeichen der Zeit nicht recht verstanden und diePost" das Organ der Rcichspartei, der der Erbprinz als Hospitant angehörte beschränkt sich darauf, wenige Worte des Bedauerns über den Rück­tritt anzubringen. TieKreuzzeitun g" schweigt noch.

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Die Wirkungen der Reichsfinanzreform.

Aus führenden Kreisen der Industrie wird dem H a nsa-Bund geschrieben:

WelcheSegnungen" dem deutschen Volke durch die letztjährige Reichsfinanzreform beschert worden find, tritt jetzt, wo die neuen Steuergesetze sich bereits längere Zeit in Wirksamkeit befinden, immer deutlicher zutage. Tie mir fortwährend zugehenden Klagen, die fast durch­weg sehr pessimistisch lautenden Handelskammerberichte sowie die Aeußerungen großer, von den Steuern beson­ders herb getroffener Jnteressentengruppen lassen er­kennen, wie berechtigt die seinerzeit allenthalben an die Reichsfinanzreform geknüpften Befürchtungen waren. Mit geradezu seltener Einmütigkeit wird von allen Seiten über die die Geschäftstätigkeit in hohem Maße lähmende Wirk­ung der neuen Steuern und über einen erheblichen Rück­gang des Konsums als Folge der neuen Lasten berichtet. Besonders deutlich tritt die verheerende Wirkung der Fi- nanzresorm u. a. bei der Zigarren- und Zündwaren-Jn- dustrie und dem Kaffeehandel in Erscheinung. Bezüglich des Kaffees, der jetzt bekanntlich mit einem Zoll von etwa drei Vierteln seines Einfuhrwertes belastet ist, heißt es in einer Resolution, die die Kaffee-Großhändler vor einigen Tagen in Köln faßten, daß durch die Erhöhung des Kaffeezolles alle diejenigen Schäden, welche die Kaf­feehändler zur Zeit der Reichsfinanzreform vorausgesehen und der Regierung gegenüber nachdrücklich geltend ge­macht haben, in vollem Umfange eingetreten sind: daß besonders eine wesentliche Konsumverringerung wahrge­nommen, und daher der Zweck der Kaffeezollerhöhung, die Reichseinnahmen zu vermehren, auch nicht entfernt er­reicht worden ist."

lieber die Wirkung der neuen Finanzgesetze auf den Tabak- und Zigarrenhandel schreibt die Han­delskammer zu Halle in ihrem soeben veröffentlichten Jahresbericht:

Das am 15. August 1909 in Kraft getretene Tabakstcucr- gcsetz hat im Handel mit Tabak und Zigarren außerordentlich große Schwanbingen hervorgcrnfen.

In der ersten Hälfte des Jahres lähmte die Unsicherheit, dir wor der Beratung des Gesetzes herrschte, das Geschäft sehr und mir in der Zeir zwischen Annahme und Inkrafttreten des neuen Stenergesetzcs nahm der Absatz in Fcrtigfabrikaten sei­nen Umfang an, wie er noch nie dagewesen ist, so daß fast sämtliche Fabrikanten ihre Lager fertigen Fabrikates räumen konnten und auch die Detailhändler außergewöhnlich stark be­schäftigt waren.

Die danach eingetretene Stille im Geschäft der ganzen Ta­bakbranche machte diesen.Vorteil aber schnell wieder wett, »md gegen Ende des Jahres standen die Fabrikanten vor Lagern fertigen Fabrikates, die sie ohne Ausnahme zwangen, Arbeiter zu entlassen oder die Betriebe zu schließen.

Die nachteiligen Folgen des Gesetzes dapern an, und in den Detaillistenkreisen macht sich eine sehr bedeutende Einschränk­ung des Konsums bemerkbar.

Nach dem geringen Ergebnis der ersten Monate des neuen Jahres sind die Aussichten für die nächste Zukunft nur als sehr schlechte zu bezeichnen."

Auch die Zündwarenindustrie ist durch die mene Steuer auf das empfindlichste betroffen. Wie dem Hansa-Bund aus Kreisen der Interessenten mitgeteilt wird, sind einige Fabriken in letzter Zeit gezwungen gewesen, ihren Betrieb ganz einzustellen, andere haben eine be­deutete Einschränkung ihres Betriebes sowie Arbeiter­entlassungen vornehmen müssen. Inwieweit als Folge der Belastungen der Industrie durch die Finanzreform Abwanderungen ins Ausland erfolgt sind, wird vom Hansa-Bund noch besonders untersucht werden.

Karlsruhe, 8. Juli. Als in der Zweiten Kam­mer zu Beginn der Sitzung der Präsident auf den Ge­burtstag des Großherzogs hinwies und um die Genehmigung zur Absendung eines Glückwunschtele­gramms nachsuchte, erhoben sich die Sozialdemokra­ten, darunter auch der sonst im Rufe besonders extremer Anschauungen stehende Abg. Geck wie die übrigen Mitglie­der des Hauses zustimmend von ihren Sitzen. Tie sozial­demokratische Partei Gadens beruft ihren diesjähri­gen Parteitag auf Samstag den 20. und Sonntag, den 2l. August nach'Offenburg ein.

Ausland.

Die russisch-japanische Verständigung.

Die Kabinette von Petersburg und Tokio haben den befreundeten Regierungen in Paris und London mitgc-

heilt, daß sie einen neuen russisch-japanischen Vertrag geschloffen haben. Nach diesem verpflichten sich Japan und Rußland ihren gegenseitigen Besitzstand zu respektieren, und zwar so, daß beide Staaten den Status guo aus der Grundlage des Vertrags von 1907 anerkennen. Beide Bertragsteile verpflichten sich, falls von irgend einer Seite daran gerüttelt würde, sich mit allen Kräften Beistand zu leisten. Japan soll Rußland in der Mongolei freie Hand lassen, wofür Rußland Ja­pans Vorgehen in Korea billigt. Der letzte Krieg hat Rußland, wenn man so sagen darf, seinen ostasia­tischen Nimbus genommen, hat ihm moralisch und ma­teriell schwere Wunden geschlagen. Japan hat er eine starke Mehrung seines Ansehens gebracht, aber doch auch finanziell gewaltige Opfer anferlegt. Einen neuen Krieg zu führen ist kein Staat heute in der Lage. Dieser neue Krieg wäre aber auf die Dauer kaum zu vermeiden. Denn Japan hat sich in Korea häuslich niedergelassen und rückt wirtschaftlich in der Mandschurei immer rascher vor. Ta auch die Ehinejen in der Mandschurei etwas aufwachen, geht Rußlands Ansehen stark zurück. Die Russen kön­nen aber, wollen sie nicht den letzten Rest ihren Ansehens einbüßen, ihre ostasiatische Stellung nicht aufgeben. Tie­fen drohenden Konflikt und Krieg, den sie jetzt beide nicht führen können, wollen beide Teile durch den neuen Ver­trag hin ausj ch i eb e n. Tenn trotz des neuen Ver­trags und auch trotz des Portsmouthfriedens bleiben Ruß­land und Japan natürliche Gegner. Jeder wirtschaft­liche Vorteil und jeder Erfolg des einen bedeutet eine Schwächung des anderen. Das geht ohne Krieg solange es eben geht. Ten Eintritt des Zeitpunktes aber, wo sich beide Teile wie früher in Korea, so jetzt in der Mand­schurei sagen:es geht nicht mehr", ha: der neueste Ver­trag durchaus nicht unmöglich gemacht, sondern nur etwas hinausgeschoben.

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Klein-Scheideck, 9. Juli. Eine Gruppe vouzwei deutschen Touristen mit sechs Führern und eine weitert Proviantgruppe von vier Führern wur­den unabhängig voneinander von einer Lawine ver­schüttet. Letztere konnten sich retten, von der ersten Gruppe wurden zwei Personen schwer verletzt .geborgen. Vier Führer und die zwei Touristen, ein Herr Kuhn aus Straßburg und ein Herr Bartold aus Saarbrücken sind noch verschüttet und gelten als verloren.

Nvwyovk, 9. Juli. Durch den Generalstreik von 80 000 Arbeiter und Arbeiterinnen sind sämtliche Konfektionsgeschäfte lahm gelegt.

Württemberg.

dem württ. Landtag.

Stuttgart, 8. Juli. Ter Zweite»» Kammer

ging henie ein 6. Nachtrag zum Etat zu, der eine Forderung zur Deckung der Schäden enthält, die durch die Veruntreu­ungen einzelner O r t s v or ste h c r (Stockheim und Löch- gan) entstanden sind. Das Hans beriet nochmals

die Bauordnung,

soweit sie durch die Beschlüsse der Ersten Kammer abermals Aenderungen erfahren hat. Die wichtigste dieser Aendcrnngen enthält der Art. 3 s, der die Frage der Genehmigung oder Vollziehbarkeit der Ortsb-ausotznngen durch die Regierung re­gelt. Die Erste Kammer hat an der Genehmigung festgehalten. Die Mehrheit der Kommission der Zweiten Kammer hatte sich für den in der Ersten Kammer abgelehnten Kompromißcmtrag Mosthas cntschittien, der ein bedingtes Genehmigungsrecht vor­sieht und bestimmt, daß das Ministerium des Innern das Recht und die Pflicht hat, die Genehmigung zu versagen, wenn die Ortsbcrusatznng mit dem Gesetz in Widerspruch steht, das öffentliche Wohl schädigt, erhebliche Interessen Dritter ohne ge­nügenden Grund beeinträchtigt oder wenn die Vorschriften über die Erlassung und öffentliche Bekanntmachung der Ortsbau­satzung nicht eingehakten sind.

Dr. Eisele (Vp.) erstattete den Ausschuß bericht.

Häffner (D. P.) betonte, die Frage sei jetzt, ob man die Verantwortung dafür überirehmen wölle, daß das Gesetz cm diesem Artikel scheitere. Bei aller Würdigung der prin­zipiellen .Auffassung und obwohl die Vollziehbarkeit eine zweck­mäßige und befriedigende Regelung gewesen wäre, so würde im Lande ein solches Scheitern des Gesetzes doch nicht ver­standen werden, nachdem man drei Jahre an ihm gearbeitet habe und die Auffassung der beiden Häuser, sich so sehr ge­nähert habe, daß der Unterschied verhältnismäßig unbedeutend sei. Die Gemeinden seien durch den Kompromißantrag gegen eine willkürliche Handhabung des Genehmigungsrechts geschützt. Dieses jetzt gebundene Genehmignngsrecht sei aber auch die Grenze des Entgegenkommens. Gehe die Erste Kammer da­raus nicht ein, so trage sie die Verantwortung für das Schei­tern des G esetzes.

Minister v. Pischck führte ans, es sei gänzlich ausgeschlos­sen, daß das andere Haus der Vollziehbarkeit znstimmen werde. Im Interesse des Zustandekommens des Gesetzes sei es drin­gend notwendig, sich auf den Boden des Mehrheitsantrages der Kommission zu begeben und das Gesetz nicht an einer Frage scheitern zu lassen, von der er glaube, daß sie nicht von gro­ßer praktischer Bedeutung sei.

Abg. Haußmann (Vp.): Die Erste Kammer wolle in der alten patriarchalischen Weise, daß ohne die Zustimmung der Regierung nichts gebaut werden dürfe, festhalten, daran werde auch dadurch nichts geändert, daß jetzt die vier Versagungs­gründe auf den alten Stamm aufokuliert werden sollen. Das sei nichts anderes, als wenn ein Zwetschgenreis ans einen Ha- selnußstranch anfgepfropft werden sollte. (Ohc>!-Rufe und Hei­terkeit). Auf Grund der Beschlüsse der Kommissionsmehrheit köirne die Regierung jedesmal nein sagen, so oft es ihr be­liebe. Der Gedanke an die Möglichkeit der Reibungen mit den staatlichen Behörden lähme natürlich die Initiative der Ge­meinde. Hier hätte man eine bedeutende Aenderung herbeifüh­ren müssen und können. Die bisherigen Erfahrungen seien nicht derart, daß die Beibehaltung des Genehmignngsrechtes wünschenswert wäre. Gerade praktische Erfahrungen sprächen für eine Aenderung. (Abg. Liesching: Sehr richtig!) Die Erste Kammer habe leider nicht mit Unrecht auf die Nachgiebigkeit des Hauses rechnen können nach den Erklärungen, die schon in früheren Stadien der Beratung in diesem Hause ausge­sprochen worden seien, und die die ganze Frage für zu unbe- dentffrd erklärt hätten. Wenn jetzt nachgegeben würde, so würde damit ein wichtiges Präjudiz geschaffen zugunsten des andern Hauses. Sei denn das der erwünschte Zustand, der mit der Bcrfassungsreform erreicht werden sollte? (Lachen links.) Man fühle in der letzten Zeit überall die erschwerenden, Unlust er­zeugenden Widerstände, die von der Ersten Kammer ansgingcn. Man habe bei der Beamten gesetznovelle, dem Eisenbahnreservs- scmdgesetz, dem Landwirtschaftskamniergesetz genug gesehen. In der Ersten Kammer finde das Gefühl für die Autonomie der Gemeinden kein Verständnis. Umsomehr habe die I. Kammer Anlaß, dafür einzntreten. Die Volkspartei sei geschlagen, aber

sie wolle den Wert der jahrelangen Anstrengungen nicht dadurch preisgeben, daß sie für den Antrag des Ausschusses stimm». Sie beharre auf dem früheren Beschlust in der stillen Hoff­nung, daß sich dieses Hans doch noch bekehre, wenn auch die Hoffnung gering sei, bei dein geringen Verständnis für die Be­deutung der Frage, das sich auch ans der äußersten Linken zeige. Die Volkspartci beharre bei dein früheren Beschluß, Pa­mir, wenn künftig eine andere Auffasftmg Platz greife, wenn aus diesem Gebiete neue Erfahrungen geinacht seien, die Volks­partei nicht zu .denen gehöre, die'eine wichtige Position anf- gegeben hätten. (Beifall bei der Volkspartei).

Abg. Dr. Lindemann (Soz.): Sachlich seien die Anssühr- nngcn Hanßmanns nichts niederes als eine Wiederholung des­sen, was schon im April ds. Js. von der Volkspartei gesagt worden sei. Es sei ein Klagelied gewesen nach der Melodie: Es geht bei gedämpfter Trommel Klang. Die Rede Hanß- manns sei r^cht bestimmt gewesen für dieses Haus, sondern für die zukünftigen Wahlen. Seine Partei lasse sich durchaus von sachlichen Gründen leiten. An der von dem Abg. Haußmann beklagten Uneinigkeit dieses Hauses sei die Volkspartei vor al­lem schuldig. Er wisse nicht, ob es zweckmäßig sei, in dem jetzigen Nitgenblick ans das Verhältnis beider Häuser einzngehen, in h-r Weise, wie es Haußmann getan habe; der Beschluß des anderen Hauses sei noch nicht gefaßt. Es sei nicht zweck­mäßig, jetzt die Erste Kammer mit solchen bitteren Worten anzngrciscn. (Zurufe aus der Volksparki: Hört, hört!) Wenn der Abg. Haußmann Klagen über die Tätigkeit der Ersten Kam­mer führt, so müsse er fragen, welche Partei habe das Ihrige dazu beigetragen, biese Kammer zu stärken und zu erhalten. (Zentrum und Sozialdemokraten! Sehr richtig!) Die Volks- Partei hätte doch an die zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten denken sollen. Abg. Haußmann sollte die Schuld nicht anderen Parteien, besonders nicht der äußersten Linken und deren Ver­ständnislosigkeit zuschreiben. Die Herren von der Bolkspartei seien es gewesen, denen man jeden sozialen und hygienischen Fortschritt habe abringen müssen. Die Volkspartei wisse und hoffe, daß eine Mehrheit für den Ausschußantrag vorhanden sei. Sonst würde sie nicht eine so ablehnende Haltung einnehmen, und der Abg. Haußmann hätte vielleicht eine andere Rede gehalten. (Heiterkeit im Zentrum). Seine Partei könne nie­mals die Verantwortung übernehmen, an Artikel 3 s die Neu­regelung scheitern zu lassen. Abg. Rembold-Aalen (Ztr.) spricht die Zustimmung seiner Partei zu deni Kommissionsbe­schluß aus, da die Streitfrage keine praktische, nicht einmal eine prinzipielle, sondern nur eine nominelle Bedeutung habe. Abg. Kraut (BK.) erteilt dein Abg. Lindemmin das Zeugnis, daß er für die realen Faktoren unseres Verfassnngswesens mehr Verständnis habe als die Volkspartei. Die Sozialdemokraten berrrteilen das Volksempsinden viel richtiger als die Volkspar­tei. Das Volk würde es niemals verstehen, wenn an diesem Punkte die Neuregelung scheitern sollte.

Abg. Haußmann (Vp.) knüpft an die Aeußerungen Häff- ners und fkenibolds au, paß mau das Gesetz scheitern lassen würde, wenn der ^Beschluß des Ausschusses nicht angenommen werde. Gerade so gut wie von diesem Kompromiß, hätte die Abgeordnetenkammer dies von ihren: früheren Beschluß sage« können. Für die Erste Kammer müsse die heutige Debatte ein reines Vergnügen sein. Zu genußreich, ein wahrer poli­tischer Leckerbissen sei die Rede des M>g. Lindemann gewesen. Während die Bolkspartei größere Rechte für die Gemeinden zu erreichen strebe, falle ihr die äußerste Linke in den Rücken und halte so schöne Reden, daß der Wg. Kraut ihr dafür den ^ Ehrentitel des weiten staatsmännischen Blickes vor versammel­tem Volk verleihe.Staatsmännisch" gelobt zu werden, hätte er in dieser Kammer seit zwanzig Jahren reichlich Gelegen­heit gehabt. Der Abg. Dr. Lindemann sei ein königlich würt- tembergischer Oberdiplomat. (Heiterkeit). Der Opportunismus habe sein Gutes, das wolle er gar nicht verkennen. Es sei eine wenig richtige Kampfesweise, die Bolkspartei wegen ihrer schweren Kämpfe um die Verfassungsreform anzugreifen, zu­mal da die Sozialdemokratie selbst für diese gestimmt habe. Wo wäre die Sozialdemokratie, wenn nicht der Proporz damals eingeführt worden wäre. Die Sozialdemokratie .verdanke ihm die Hälfte ihrer Sitze. Er, Rttmer) sei gewohnt, in diesem Hanse allein zu kämpfen. Und die Wendungen des Abg. Dr. Lindemann habe er seit 15 Jahren gehört. Aber wenn man ihn auch heute im Ptich lasse, so werden doch die richtigen Grundsätze morgen oder übermorgen vor einer aufgeklärteren Kammer zum Siege geführt werden. (Beifall bei der Volks- Partei. Oho!-Rufe bei der Sozialdemokratie).

Dr. Lindemann (Soz.) bestreitet, daß die Sozialdemokratie damals umgesallen sei. Wo wäre denn die Bolkspartei ohne« die Stichwahlhilfe der Sozialdemokratie? Die Sozialdemokra­tie würde immer stärker. Er wisse nicht, ob Abg. .Haußmann das nämliche von der Volkspartei sagen könne Abg. Hauß-- mann (Vp.) erinnert Dr. Lindemann an seine frühere Stellung zu der Gemeindeautonomie und nennt die Erwähnung der Stich- lvahlhilfe durch Lindemann einen kleinlichen Parteikrakehl, was der Präsident rügt. Haußmann stellt sodann den .Antrag, auf dem früheren Beschluß zu verharren.

Sodann wird die Debatte geschlossen. Der Antrag Han st­ur an n wird mit 65 gegen 20 Stimmen der VolMpartei av- ge lehnt. Der Ausschußantrag wird mit 66 Stimmen (Zentrum, Bauernbund, Deutsche Partei, Sozialdemokratie uni» der volksparteiliche Abg. Gaisert) gegen 19 Stimmen der Volks­partei angenommen. Die Erörterung über die weiteren Artikel beschränkt sich meist ans Referate der Berichterstatter. Bei den Artikeln üb^r die Abstandsmahe weist Abg. Hauß­mann in längeren AusführnngDn nach, wie unberechtigt die Ausführung des Abg. Dr. Lindemann sei, der Bolkspartei halten alle berechtigten sozialen und hygienischen Forderungen ab ge­rungen werden müssen. Bei dem Artikel 63 b (Denkmal­schutz), der mit einer Aenderung gleichfalls nach dem Kom- misstonsanlrage angenommen wird, stimmt das Zentrum in Ver­folg seiner bisherigen Haltung gegen den ganzen Artikel. Als Termin für das Inkrafttreten des Gesetzes ist der 1. Jult 1911 vorgesehen. In der Abstimmung wird das ganze Gesetz mit sämtlichen Stimmen gegen drei volksparteiliche (Bearlen, Betz, Schmid-Vesigheim) Stimmen angenommen.

Nächste Sitzung: Samstag Vormittag: Verschiedene Gesetz­entwürfe.

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Erste Kammer.

Die neuesten Beschlüsse der Staatsrechtlichen Kommission der 1. Kammer zu dem Gssetzentwnrs betreffend Aenderungen deS Bearntengesetzes gehen aus Zustimmung mit Ausnahme des Art. 7 s, wo durch Einfügung eines Art. 4 s folgende Fass­ung beantragt wird:Sind in dienstliche Führungsberichte Vor­kommnisse anfgenoininrn, die den Beamten nacksteilig sind, so kann eine Entscheidung hierauf nur gegründet werden, nach­dem dem Beamten Gelegenheit zur Uenßernng gegÄ>en ist. Die Aeußerung ist den Personalakten beizufügen."

Bon Bafiermann bis Bebel".

Zur Frage eines Großblocks von Bassermann bis Bebel äußerte sich der sozialdemokratische Kandidat für die bevorstehende Ersatzwahl im zweiten württembergi- schen Reichstagswahlkreis, der Landtags ab geordnete Keil, der Chefredakteur derSchwab. Tagwacht" in einer seiner Wahlreden in recht bemerkenswerter Weise. Er führte ans, die Nationalliberalen müßten den politischen Ver­tretern der Arbeiterschaft gegenüber ihreHochnäsigkeit und ihre Einbildung" ablegen, wenn ein solcher Groß­block nach badischem Muster zu stände kommen soll. Me nationalliberale Partei in Baden habe früher auch, zum rückständigsten Teil des deutschen Nationalliberalismus gehört, sie habe aber einsehen gelernt, daß sie zerrie­ben werde, wenn sie nicht Anschluß nach links suche. Tiefer badische Grofchlock, in dem dieNationalliberalen mit den Linksliberattn und der Sozialdemokratie zusammen-