Nr. 154.

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

95. Jahrgang.

Urschet»»»»« weil«: ö mal wöchcntl. N»,«>geprrir: Dle kleinspaltize Zeile SV Psg. Nrllani»» 2. Mk. Aus Tammrlanzeige» kommt ein Zuschlag vou gerns,,r.».

Dienstag, den 6. Juli 1920.

Bezugspreis In d« Stadl mit Lragerlohn Mk. 12 .M vierteljährlich, P»stbe-«gTplri- Mt. 12.SV mit Bestellgeld. Schlub der Anzeigenannahme D Uhr vormittags.

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!ii Die nächsten Tage werden darüber zu entscheiden haben, ob unsere Feinde jetzt endlich mit uns Frieden schließen wollen, oder ob sie den Krieg mit andern Mitteln, d. h. mit den Mitteln dauernder militärischer Bedrohung und wirtschaftlicher Ausbeu­tung, fortführen wollen. Von Frankreich wird ja die Propa­ganda des Schlagworts fortgesetzt: Deutschland hat die Friedcns- bedingungen, die es bis heute zu erfüllen hatte, nicht erfüllt, des­halb müssen Repressalien in Form vonSicherungen" ausgeübt werden. Man kümmert sich nicht darum, was Deutschland bisher geleistet hat, daß es sein Kriegsmaterial abgeliefert hat, seine Kriegs- und Handelsflotte, seine Kolonien, daß wertvolle Teile seines Landes besetzt sind, daß es die Besatzungstruppcn unter­halten muß, daß es seine Kolonien verloren hat, daß es schließ­lich schon eine Riesenmenge von Kohlen und anderemWieder gutmachungs"°Material geliefert hat. Um der ganzen Konferenz sofort den Steinpel aufzuprägen, verbreitete Havas über die erste Sitzung die Meldung, sie habe eineSensation" gebracht, weil man nicht über die Entwasfnungsfrage habe reden können infolge der Abwesenheit des deutschen Reichswehrministers. Die Herren von Paris hätten natürlich zu gern von Anfang an Reibereien geschaffen, um so gleich den französischen Militarismus und seine Kraft im schönsten Lichte erscheinen zu lassen. Der deutsche Reichskanzler gab aber gelassen zur Antwort, daß die deutsch« Mordnung geglaubt habe, zuerst würden die wirtschaftlichen Fra­gen verhandelt, und daß daher die militärischen Sachverständigen noch nicht erschienen seien. Und Frankreich kam um seine Sen­sation, die es zum Säbelrasseln so nötig gebraucht hätte. Es ist schon so, solange die französischen Traditionen der Nieder­haltung und Zersplitterung Deutschlands, und der Verwelschung möglichst großer Teile des deutschen Volkes niit Eifer fortgesetzt werden, wie seit Ludwigs XIV. Zeiten, solange gibt cs keine Ruhe in Europa.

Das Ergebnis der Konferenz von Spaa wird nun davon nb- hängen, inwieweit England und Italien, nicht etwa uns zuliebe, sondern im eigenen Interesse, dem französischen Machthunger ent- gcgenzutrrten vermögen. Der französische Kolonialministcr hat kürzlich erklärt, mit der Annektion der deutschen Kolonien Ka­merun und Togo seien die kolonialen Eroberungen Frankreichs beendet. Man wird sich also jetzt in erster Linie auf die euro­päische Politik einstellen, die darin bestehen wird, in Europa die politische und wirtschaftliche Vorherrschaft mit Hilfe der Angel­sachsen festzuhalten, und zu diesem Zwecke Deutschland dauernd militärisch, politisch und wirtschaftlich unter dem Daumen zu halten. Die Verbündeten Frankreichs, durch deren Hilfe allein di« Franzosen in diese Lage gekommen sind, haben aber andere Interessen, England in seinen Kolonien, Italien auf dem Bal­kan, und so liegt ihnen heute an der Förderung der französischen Pläne nicht mehr, als sich mit ihren eigenen Geschäften verträgt. Die Welt ist heute unruhiger als je, und die Ententestaaten haben das größte Interesse, ihren Raub im Orient zu sichern, und den russischen Bolschewismus an seiner Ausdehnung zu ver­hindern. Schon schreien die Polen, di- seit ihrer Befreiung in einem ausgesprochenen Größenwahn sich nicht nur nach Westen. Norden und Süden, sondern auch nach Osten ausdehnen wollten^ um Hilfe, weil die Bolschewisten dem polnischen Imperialismus nicht nur mit Protestnoten entgcgcngetreten sind, und bereits Lemberg erobert haben. Die Türken führen Krieg gegen die griechischen Absichten auf den Bezirk Smyrna, in Syrien be­kommen die Franzosen, in Mesopotamien die Engländer Hiebe, und in Persien sowie den in der Nähe Indiens liegenden Staa­ten treten stacke bolschewistische Neigungen zu Tage. Die Al­liierten haben also grade genug zu tun, um ihre Macht in andern Gebieten aufrechtzuerhalten, ganz abgesehen davon, daß es auch ftn Innern der Ententestaaten genau so kriselt wie bei uns. Deshalb kann es der Entente nicht daran liegen, im jetzigen Augenblick noch weiteren Konsiiktsstoff zu schaffen, wenn sie die Vertreter zwingt, zu etwaigen unannehmbaren mili- Srischen oder wirtschaftlichen Forderungen ein unbedingtes e nl. zu sagen. Unsere Sachverständigen werden klarlegen, atz wir nur bezahle» können, wenn man unk die Möglichkeit rr. Wiederaufbau läßt, und daß dieser nur

s Es uns ein zuverlässiges Heer in genügend

^ ^ ^ Ordnung und Sicherheit im Innern verbürgt. Dre Behauptung, wir könnten mit 200 000 Mann die n,n-»ü!*-^drohen, ist lächerlich, abgesehen davon, daß wir weder

? noch Kriegsmaterial zum Kriegführen hätten.

. e"ischeVolk muß aber auch endlich wissen, was es zahlen l , welche Sicherheiten es gegen fremde Uebergriffe erhält, denn

sonst wird bei uns keine Arbeitslust mehr einkchren, und den« Bolschewismus werden Tür und Tor geöffnet. Es wird also nun von der Entente abhängen, ob sie wirklich den Frieden in Europa will, oder ob sic durch weiteren unerträglichen Druck auf das deutsche Volk dieses zur Verzweiflung treiben und damit auch sämtliche europäischen Staaten dem wirtschaftlichen und kul­turellen Ruin aussetzen will. O 8.

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Die erste Sitzung.

(WTB.) Spa, 5. Juli. (Havas.) Die erste Sitzung der Konferenz stand im Zeichen einer Sensation. Bei Be­ginn der Sitzung unterrichtete der Vorsitzende de la Lroix die deutsche Delegation darüber, daß die Alliierten gemäß der beschlossenen Tagesordnung die militärischen Fra­gen zuerst zu erörtern wünschten. Reichskanzler Or. Feh­le nbach antwortete daraus, daß die Vertreter Deutschlands die Behandlung der wirtschaftlichen Fragen in erster Linie erwarteten. Der Rcichswehrminister und der militäri­sche Sachverständige seien noch nicht in Spa eingctrosfen. Ohne ihre Anwesenheit sei «s unmöglich, an die militärischen Fragen heranzutreten. Nachdem de la Lroix sich mit den alliierten Kollegen über eine eventuelle Aenderung der Tages­ordnung besprochen hatte, teilte er der deutschen Delegation mit, daß die Konferenz zur Besprechung der Abrüstung in Deutschland die kompetenten Vertreter abwarten wolle. Der Reichskanzler erklärte, die Diskussion über diesen Gegen­stand könne am Dienstag nachmittag ausgenommen werden, da Or. Gebier und^ General Seeckt gegen 2 llhr nachmit­tags ankommen würden. Der erste Meinungsaustausch vollzog sich in durchaus höfkischer Form. Die Deutschen zeigten eine würdige und reservierte Haltung. Um 11L0 Uhr vor­mittags wurde die Sitzung aus Dienstag nachmittag ö Uhr vertagt. Bis dahin werden die Alliierten unter sich Bespre­chungen abhalten über die noch schwebenden Fragen.

(WTB.) Spa, 5. Juli. Die erste Besprechung der Konfe­renz fand heute vormittag 11 llhr im Schlosse de la Freineuse unter dem Vorsitz des belgischen Ministerpräsidenten de la Lroix stast. An der Konferenz nahmen teil von belgischer Seite: der Ministerpräsident, der Minister des Aeutzern und der Minister des Innern; von englischer Seite der Pre­mierminister, der Staatssekretär des Aeutzern und Sir L. Wor­thinton Evans; von französischer Sette der Minister­präsident, der Finanzminister und der Minister für öffentliche Arbeiten; von italienischer Seite der Minister des Aeutzern und Bertolini; von japanischer Seite der Bot­schafter in London; von deutscher Seite: der Reichskanzler, der Minister des Aeutzern vr. Simons, Finanzminister vr. Wirth und Ernährungsminister Hermes. Sofort nach Eintref­fen der deutschen Delegierten, denen an der linken Seite des in Hufeisenform aufgestellten Tisches Plätze neben den Japa­nern reserviert waren, wurde ohne formelle Begrüßung in die Verhandlungen eingetreten und zunächst di« Tagesordnung festgesetzt, welche die folgenden Punkte umfassen soll: Durchführung der militärischen Bedingungen des Friedensvertrags; Wiedergutmachung; Kohlenfrage; Kriegsverbrechen; Danziger Frage. Reichskanzler Fehren- bach erklärte, nachdem er seiner Genugtuung über das Zu­standekommen von kontradiktorischen Verhandlungen Ausdruck gegeben hatte, dah es der beste Will« der deutschen Delegation Und des ganzen deutschen Volkes sei, die Frirdensbedingnngen loyal durchzufiihren. Zur Behandlung der ersten Frage würde allerdings die Anwesenheit des Reichswehrministers und des Generals Seeckt notwendig sein, die, als man gestern von der bevorstehenden Erörterung der militärischen Fragen er­fahren habe, sofort dringend herbeigebeten worden seien, aber nicht vor morgen Nachmittag eintreffen konnten. Die Konferenz beschloß, die Ankunft der Herren abzuwarten. Auf Anfrage des Reichskanzlers, ob vielleicht zur Besprechung der Bestrafungen die Anwesenheit des deutschen Justizmini­sters erforderlich sei, wurde mitgeteilt, daß sie dringend er­wünscht sei. Es würden übrigens auch der englische Lord­kanzler und der französische Justizminister erscheinen. Nach­dem Reichskanzler Fehrenbach darauf aufmerksam gemacht hatte, daß der deutsche Justizminister gleichzeitig Vizekanzler sei und daß, da der Reichstag jetzt tage, die gleichzeitige län­gere Abwesenheit des Reichskanzlers und des Vizekanzlers zu llnzuträglichkeiten führen könnte, beschloß di« Konferenz, di« Frage der Bestrafung bereits am Donnerstag zu bespre­chen. Die Versammlung vertagte sich darauf.

Der deutsche Reichskanzler

an die Vertreter der alliierten Presse.

(WTB.) Hm, S. Juli. Reichskanzler Fehrenbach emp­fing heute nachmittag b Uhr die Vertreter der alliierten Presse in seiner Wohnung. Er machte ihnen folgende EtNS- rungen, die ein Plädoyer zugunsten der Milderung der -Be­stimmungen des Versailler Vertrages darstcllten: Ich danke Ihnen für das Interesse, das Sie mir persönlich un» auch l« Sache entgegenbringen, die ich vertrete. Die Hoffnungen, die wir hegen, habe ich am Freitag im Reichstage dargeleg'. Wir sind mit der ehrliche« Absicht hierhergekommen, den Frie­densvertrag auszusiihre», soweit e» in unser« Macht steht» Es hängt dies von unserer Fähigkeit und in erster Linie von der Aufrechterhaltuug der Ordnung im Innern ab. Unser Volk wurde durch den Krieg erschöpft. Es hat Hunger gelitten und unser Hauptaugenmerk mutz darauf gerichtet wer den. unsere Produktion zu «höhen, die bis jetzt nicht aus­reichte, um unser Volk zu ernähren. Andererseits müssen wir trachten, die Lebensmittel, dl« wir nötig haben, vom Ausland« »inzuführrn. Wenn wir zu einem Abkommen gelangen, wenn die Bedingungen erfüllt sein werden, so hof­fen wir. daß uns die wirtschaftlich« Wiedergeburt unseres Landes gestatten wird, die schweren finanziellen Verpflichtun­gen, die wir durch den Friedensvertrag von Versailles ein­gegangen find, zu erfüllen. Der sechsjährige unglückselige Krieg hat nicht nur in den Ländern, in denen er geführt wurde, sondern auch in Deutschland groß« Verheerungen angerichtet. Wir find entschlossen, unsern Teil zur Wiederaufrichtung der Welt beizutragrn und den Friedensvertrag von Versail­les im Rahmen des uns Möglichen ouszuführen. Ich lege Wert darauf, Ihnen zu erklären, daß wir nach der letzten Note der Alliierten, die uns zugegangen ist, nicht «warteten, daß die militärische Frage zuerst behandelt werden soll. Wir hatten deshalb die Anwesenheit des Reichswehrministers und des Generals v. Seeckt für später vorgesehen.

Berliner Stimme«.

* Berlin, ö. Juli. Ohne sich irgend welchem vorschnellen Optimismus hingeben zu wollen, will das »Tageblatt" in der Tatsache, daß der Reichswehrminist« Gehler und der General v. Seeckt nach Spa berufen worden waren, rin günstiges Zeichen sehen. Da» Blatt glaubt Grund zu der An­nahme zu haben, daß di« englisch« und wohl auch die italieni­sche Regierung nach Ueberreichnng der Ententenoten Berichte aus Deutschland «halten haben, die auf Grund besonder« Er­hebungen verfaßt waren. Vor sein« Abreise nach Spa hatte der Reichswehrminister eine Unterredung mit Vertretern d« Presse und äußerte seine Genugtuung darüber, daß Deutschland nunmehr in der Lage sei, an einem Tisch mit der Entente zu verhandeln. Er «blicke darin ein Zeichen dafür, daß endlich unsere früheren Feinde einsehen, datz ihre eigenen Interessen ihren bisher verfolgten Plänen entgegen­stehen, «in Standpunkt, de» er wiederholt in der Öffentlich­keit geltend gemacht habe, indem « auf die E «fahren hin- wies, die mit der Herabsetzung de» »ns oerblicbenr» Truppen- zahl verbunden sind. Diesen Standpunkt wird der Minister auch in Spa vertreten. vr. Gehler äußerte sich, dem »B. L.-N." zufolge, eingehend über di« Abwickelungsstrllrn, denen nichts mehr im Wege stehe. Mit Interesse nahm der Minister die Nachricht entgegen, datz die Pole« bi« Alliierten in Brüssel um Hilf« gegen di« Bolschewisten gebeten hätte«. Wie derVorwärts" berichtet, ist das Programm der Ver­handlungen von Spa derart erweitert worden, daß sich die Ab­reise weite«» Minister «ach dem Konferenzort notwendig macht. Da der Reichstag nicht in Abwesenheit der aller­meisten Regierungsmitglieder weitrrtagen wolle, dürfte er zu dem Beschluß kommen, sein« Beratungen zu unterbrechen. Im roten .Sag" sagt der frühere Oberpräsident o. Batocki, alles hänge davon ab, ob uns«« Vertreter diesmal die Nerven behalten und ob sie. wenn unerfüllbare Forderungen gestellt werden, die Kraft besitzen, zu erklären: Nein, da» unter­schreibe« wir nicht.

Ein englische» Blatt über die Sntschiidigungsfrage.

Rotterdam, S. Juli. Das Sonntagsblatt Abserver" tritt mit Nachdruck für eine Verminderung der deutschen Entschädi­gungszahlung und für die Festsetzung eine» kurzen TermineS ein. Die äußerste Frist für diesen Termin müssen zehn Jahre sein. .Observer" ist der Meinung, daß di« Alliierten t« diesen zehn Jahren gute Aussicht haben, das Verlangte zu erhalte«. Auf diese Weise bestehe Aussicht, besser« Ergebnisse für die GtaatSkMe der Wiierten und für den Weltfrieden zu eqielen. Es dp».

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