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Nr. 78.

Montag, den L. April lSIV.

27 . Lal)rg.

Frankreich nach der Trennung von Kirche und Staat und was wir daraus lernen können.

Unbekümmert inn das Geschrei eines Haufens von kirchlichen Machthabern, besoldeten Agitatoren und von die­sen aufgestachelten einfältigen Gemütern hat die franzö­sische Regierung die Scheidung von kirchlicher und staat­licher Befugnis vollzogen. Wie es sich zeigt, zum Vorteil des kirchlichen Lebens. Zwar stellt sich heute noch die Köstliche Kirche in Gegensatz zu den Weltpriestern, die sie nicht mehr so fest in der Hand hat, die Bevölkerung aber brauch den Weltpriestern Vertrauen entgegen und besucht die Gottesdienste, nicht aus Furcht vor kirchlichen Stra­fen, sondern aus freiem innerem Drang. Freilich, wenn man seine Kenntnisse französischer Dinge aus den Spalten 'französischer oder deutscher orthodoxer Zeitungen schöpft, dann könnte man glauben, es gehe in Frankreich ganz kun­terbunt zu. Davon ist aber nach dem Zeugnis unbeteilig­ter urteilsfähiger Franzosen keine Rede. Vor uns liegt der Brief eines in hervorragender Stellung befindlichen französischen Beamten, den er an einen ihm befreundeten Heilbronner Industriellen gerichtet hat und in dem er sich Wer die kirchlichen und kulturellen Verhältnisse u. a. fol­gendermaßen äußert:

Ich erinnere mich, daß, nach einem Zeitungsartikel hier ein fürchterlicher Kampf zwischen Rot und Schwarz in vollem Toben sein sollte, so daß gar keine nüchterne Mitte zwischen Jesuiten und Anarchisten bestehen könnte. Das kann nun theore­tisch etwa so vorgestellt werden, wie wenn man sich nach den politischen Rednern eine Meinung macht. Die wollen sich im­mer untereinander überbieten und kommen so zu Extremen, welche die äußersten Grenzen des politischen Meinungsfeldes bezeichnen. Aber an jedem Ende gibt es praktisch nur eine sehr kleine Schar, die sich durch entsetzliches Geschrei Wichtigkeit zu geben sucht. Dieses Geschrei wird nun durch zufällig an­wesende Zuhörer einzig vernommen, und so glauben sie, ps gebe sonst niemand der anders denkt, denn die überwiegend große Mehrzahl schweigt oder hört mit stummem Spott auch zu. Diese nicht manifestierende Menge ist aber kaum in einem Lande so vernünftig, besonnen, gleich­gültig und witzig tolerant wie in Frankreich. Sie sieht allem Treiben zu wie wenn es ein Schauspiel wäre und nimmt die Schreiereien für das was sie sind. Man hat vom Religionskrieg gesprochen, das ist aber der reinste Spaß. Kommen Sie doch herüber und sehen Sie, wie die Kirchen hübsch voll sind und wie ungetrübt die Klerikalen ihre Industrie betreiben in öffentlichen Gebäuden, die diegottlose" Re­gierung ilmen unentgeltlich zur Verfügung stellt.

Seit der Trennung von Staat und Kirche handelt es sich da um eine private Veranstaltung, sodäß diejenigen, denen kirchl. Zeremonien zum Lebensbedürfnis gehören, sich solche für ihr Geld beschaffen können, gerade soviel als sie auszugeben geneigt sind. Das Geschäft wird noch lange gut sein und da es nun frei und privat betrieben wird, so bekümmern sich diejenigen, die keine Kunden sein wollen, einfach nicht darum. Wenn Sie aber das Vertrauen eines intelligenten Priesters (es gibt ihrer sehr viele) besitzen, so würde er sich über die französische Regierung viel weniger beschweren als über die päpstliche und er würde über Jesuiten, Mönche und klerikale Politiker viel strenger urteilen als die meisten Pfaffenfresser in ihrem blinden, unbelehrten Haß. Klar sehende aufgeklärte Deute sehen übrigens in der weltlichen Geistlichkeit mehr und mehr ehrliche, gntmeinende Leute. Die Hälfte dieser Geistlichkeit ist übrigens im geheimen in vollem Aufruhr gegen Rom, wovon der päpstliche Stuhl gut unterrichtet ist. Daher sein Haß gegen die französische weltliche Geistlich­keit, der er das Leben rechi sauer zu machen sucht. Daher kommt es auch, daß der Papst jede gesetzliche Organisation des Kirchenbesitztums verurteilt hat, so daß die französischen Kirchen alle ihre Habe verloren haben, weil Rom für Frankreich schlecht findet, was für .Amerika, England und andern Ländern ge­billigt wird.

Aus diesem Schreiben geht hervor, daß, der Kampf in Frankreich nicht um das religiöse Bekenntnis, sondern um die Machtstellung der römischen Kirche geht. Die Re­ligion ,uüd damit die Kirche gewinnt durch die Trennung, denn sie ist nicht mehr der Handelsartikel zwischen staat­licher und kirchlicher Autorität. Die Geistlichen können mehr als seither 'das religiöse Bedürfnis ihrer Gemeinden befriedigen, weil sie tatsächlich unabhängiger geworden sind als sie vorher waren.

Dieser für das religiöse Leben als ein Fortschritt sich darstellende^ Umwandlungsprozeß muß früher öder später auch bei uns kommen. Und zwar aus gegenteiligen Gründen wie in Frankreich. Wer mit den kirchlichen Dingen nur einigermaßen vertraut ist, der weiß, daß das Hemmnis des kirchlichen Fortschritts in der Verquickung von Kirche und Staat liegt, jene Verquickung, der den Geistlichen mehr zum Staatsbeamten als zum Kirchen­diener macht, und die mit daran Schuld trägt, daß die kirch­lichen Dogmen wie die staatlichen Gesetze auch dann noch fortwirken, wenn sie durch die Verhältnisse längst überholt sind. Seit Jahren klagt man über die wachsende Ent­fremdung der Gebildeten gegenüber der Kirche, man kon­statiert in Großstädten eine wahre Kirchenflncht seitens der Arbeiter. Die Ursache sucht man in dem anschwellenden Materialismus und in den naturphilosophischen Schriften, aber die tiefere Ursache anfzudecken haben nur wenige den Mut.

Tie tiefere Ursache liegt in der Verschiedenartigkeit der Lehre des naturwissenschaftlichen und des kirchlichen Un­terrichts. Für beide aber liefert der Staat durch die Schule! zwangsweise das Menschenmaterial und erleichtert so der Kirche das Festhalten an veralteten Formeln. Tie Folge ist dann, daß init den Schulbüchern auch die Kirchenbücher in die Rumpelkammer geworfen werden und mit dem als! falsch erkannten Dogma eine Summe köstlicher, geistlich­sittlicher Werte vernichtet wird. Eine vom Staat losge­löste Kirche ist entwicklungsfähiger, denn sie npiß ihre Kraft einzig und allein aus der Volksseele holen und mutz deshalb im engen Kontakt mit der Anschauung des Volks bleiben. Wer das nicht glaubt, der blicke nur auf die Ver­einigte Staaten von Nordamerika, wo sich ohne jede staat­liche Beimischung ein unendlich vielgestaltiges religiös­kirchliches Leben entwickelt hat, das auch die freiesten Bild­ungen nicht ausfchließt. Wir wissen, daß! die kircheuge- fch-ichtliche Entwicklung in Deutschland eine andere ist, aber wir wissen auch und finden es durch die Tatsachen bestä­tigt, daß auch bei uns eine Aenderung der Gesinnung ein­getreten ist und daß diekirchliche Not", von der auch aus dtzrn Evangelisch-Sozialen Kongreß in Heilbronn die Rede war, zu einem großen Teil aus die Verquickung von Kirche und Staat znrückzuführen ist. Tie Kirche, die jede staat­liche Maßnahme unterstützt, muß in den Augen derjenigen Bürger verlieren, die mit diesen Maßnahmen nicht ein­verstanden sind, ebenso muß, es der Kirche als solcher schaden, wenn ihre Diener in herrschsüchtiger Weise in staat­liche Angelegenheiten sich mischen. Auch die äußere Gin­wirkung, die der Staat durch seine Autorität zugunsten der Kirche ausübt, verbittert und treibt weite Kreise in eine gegensätzliche Stellung zur Kirche. Man mache die Kirche frei und sie wird, wenn sie ihre Aufgabe richtig erfaßt, eine Stätte freien, inneren Kulturlebens werden denn jede religiöse Gesinnung wächst von innen heraus! '

Veritas.

Württembergischer Landtag.

Stuttgart, 1. April.

Die Abgeordnetenkammer erledigte heute die erste Lesung der Novelle zum Aussührungsgesetzj der Zivilprozeßordnung und der Gcrichts- kostenordnung. Der Entwurf bringt für das ge­meindegerichtliche Verfahren einiqe "Wer

!), als minus und vergebens.

Wird vom Leben abgeschrieben.

Positiv im Buch des Lebens Steht verzeichnet nur das Lieben.

Db ei» Minus oder Plus Uns verblieben, zeigt der Schluß.

Wilhelm Busch.

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Gipfelstürmer."

Roman von Carl Conte Scapinelli.

. (Nachdruck verboten ) (Fortsetzung.)

Mit der Versetzung des Oberexpeditors Meininger ünd dem Einzug der Hausfrau vor zirka fünf Jah­ren war tatsächlich die Unruhe und der Geist des Un­friedens ins Haus gekommen.

Frau Cäcilia wollte ihrer Väter Erbe noch ren­tabler machen, sie fand die Mietzinse zu niedrig für die jetzigen Zeiten, sie fand jene und diese Partei zu kin­derreich, sie fand die Reinlichkeit auf den Treppen nicht ausreichend, sie fand die Düfte, die der Kramladen im Parterre verbreitete, plötzlich störend, kurz, sie begann überall zu reformieren.

Seufzend sah es ihr biederer, runder Gemahl ge­schehen. Und wenn er nur ein Wort der Widerrede fand, dann hieß es:Ich als ein geborenes Fräulein von Merkdorser werde das wohl besser wissen!"

Ja die gute Frau Cäcilie Meininger, geborene von Merkdorser, wußte seit dreiundzwanzig Jahren alles besser als ihr Mann. Sie wußte, daß ihm das viele Bier am Abend nicht bekomme, daß das Schnupfen ein Laster sei, daß er nicht genügend im Amte vorwärts­strebe, daß er sich mit allen Parteien im Hause gemein Mache, daß seine Besuche bei seinem Bruder, dem Ma­ler, wohl hauptsächlich dessen weiblichen Modellen gäl­ten, und derHosbräuhäusler" Meininger hatte seit zwanzig Jahren kein weibliches Modell bei sich gesehen, 77 kurz sie nörgelte und korregierte herum, zankte ihn, ichalt ihn, sprach ihn oft tagelang nicht an, und meinte doch in glücklichster Ehe mit ihm zu leben.

War das gestern wieder ein Sonntag gewesen, - - da Kathi mit ihrem Bräutigam in Kusstein gewesen war und die Ehegatten sich den ganzen freien Tag allein gegenüberstanden. Allein! Denn Meiningers entfernte schwarzhaarige Nichte Marie aus Kempten, die ebenfalls bei ihnen lebte, zählte ob ihrer Bescheidenheit und Dienst- beslissenheit wirllich nicht mit. Sie war, da ihr Vater gestorben war, von Frau und Herrn Meininger ins Haus genommen worden, um an der Seite Kathis in den Haushalt und in die Welt .Münchens eingesührt zu wer­den. Aber aus dieser gründlichen Einführung hatte sich eigentlich gar bald etwas wie ein Dienstverhältnis ent­wickelt, die armeMory", wie man ihren Namen sprach!, ersetzte der Familie Meininger das Dienstmädchen und kostete dazu keinen Lohn. Die Einführung in die Well bestand darin, daß Frau Oberexpeditor dem hübschen Mädchen, mit dem schweren Kranz schwarzer Flechten, mit den blaugraucn Äugen, den ewig roten Backen fort gründlichen Unterricht in Hochdeutsch gab; denn die arme, nette, bescheidene Marie konnte vom heimatlichen Idiom, vom Schwäbischen gar nicht lassen. Und wenn dann Marie oft böse angefahren wurde, dann ging sie in ihr Kämmerlein und weinte sich herzlich aus. Frei­lich, der Herr Oberexpeditor war ein braver, lieber On­kel, der tröstete sie dann und brachte ihr auch gern eine kleine Ueberraschung mit; dem ging es ja auch nicht besser wie ihr, der wurde auch fort von der Frau ge­schimpft, nur mit dem Unterschied, daß er sich daraus nichts machte, höchstens seiner Nase in der Erregung eine noch größere Portion Schnupftabak zusührte und die Hälfte zum namenlosen Entsetzen der Frau Mei­ninger aus das spiegelblanke Parkett des Wohnzimmers fallen ließ.

Das freute die" Nichte Marie immer, wenn auch sie am nächsten Morgen doppelt viel Arbeit des Onkels we­gen hatte, sie lächelte dann nur stillvergnügt vor sich hin:Ja, ja, der Onkel, gegen den konnte hie ge­strenge Tante doch nicht ganz auskommen." Und sie nahm sich vor, nächstens wieder dem lieben Onkel seine Lieblingsspeise zu kochen, mochte da kommen, was da wollte.

So war es gestern, Sonntag, wieder gewesen. Es

hatte Hasenbraten gegeben und aus den von oer Haus­frau vorgeschriebenen MünchenerSpatzen" waren rich­tige schwäbischeSpätzle" geworden.

Frau .Oberexpeditor war, als sie von der Kirche heimkehrte, schon deswegen, wie jeden Sonntag, unge­halten gewesen, weil ihr Mann, es sich hatte nicht neh­men lassen, zu einem kleinen Frühschoppen in denFran­ziskaner" zu gehen.

Trink dich nur wieder toll Und voll an, daß du Mittags keinen Hunger hast und nach Tisch drei Stun­den schlafen mußt!" hatte sie ihm noch nachgernfen.

Aber er war fest geblieben und war zumFranzis­kaner" gegangen. Er wollte doch das kleine Sonntags- Vergnügen haben, besonders nach der anstrengenden Ver- lobungsseier von gestern abends. Wütend war Frau Oberexpeditor nach Hanse gekommen, wütend hatte sie die Küche betreten, wütend hatte sie zu Marie gesagt:

Mach' nur heute kein Federlesens mit dem Ko­chen da Kathi doch nicht zu Hause und Gustav auch nicht geladen ist. Ueberhaupt jetzt, wo er verlobt ist, das merke dir, Marie, machen wir auch mit ihm kein Federlesen, er gehört zur Familie und muß sich mit dem, was wir haben, begnügen. Ueberhaupt diese alpine Schwärmerei gefällt mir gar nicht, besonders für einen Menschen, der noch nichts ist, noch gar nichts als Bräutigam!"

Moi, Tantle, das is scho viel!" wagte Marie zu bemerken, denn der Bräutigam imponierte ihr ge­waltig.Vater hat sich auch als Studentle mit der Muttter verlobt!"

Und ist drum Student geblieben, Marie", sagte die Frau Oberexpeditor scharf.Aberdem Gustav schau ich aus die Finger, der muß jetzt Ernst machen mit dem Studium!" x

Er hat's ja geschtern dem Onkel verspräche!"

Verspräche, verspräche, wahr muß er es machen, die alpine Fexerei muß er sein lassen, und auch die Kathi sich bei der Arbeit ans dem Kops schlagen. Die jungen Leute dürfen sich von nun ab nicht öfter sehen, wie zweimal die Woche. Mittwoch abends und Sonn­tag!"

(Fortsetzung folgt.)