Zurücknahme der Fahrkarte«. Es kommt häufig vor, Haß gelöste Fahrkarten nicht benützt und dann für den Eigen­tümer wertlos werden. Bisher machte die Rückgabe und die Wiederherausgabe des Geldes an den Fahrkartenschaltern dem Publikum oft erhebliche Schwierigkeiten. Bor einigen Tagen ist nun eine neue Bestimmung in Kraft getreten, welche diese Frage in zufriedenstellender Weise erledigt. Nach dem Be­schluß der ständigen Tarifkommission hat die Ausführungs­bestimmung 1 zum Z 20 der Eisenbahnverkehrsordnung betr. di« Zurücknahme von Fahrkarten aus Billigkeitsgründen folgende Fassung erhalten:Fahrkarten, die noch nicht burchlocht sind oder nachweislich nur zum Betreten des Bahnsteigs benutzt wurden, können nach dem Ermessen der Eisenbahn auch in Fällen eines Irrtums oder einer Erkrankung oder aus sonsti­gen Billigkeitsgründen vor oder nach unmittelbarem Abgang des betr. Zuges an der Fahrkartenausgabestelle zurückgenom- mm werden".

Stuttgart, 23. dkov. Me Nation alliberals (Deutsche) Partei Graß-Stuttgart beschäftigte sich gestern abend in einer außerordentlich zahlreich besuch­ten Mitgliederversammlung mit der bevorstehenden Ge­mein deratswahl. Rach einem Referat des Vorsitzen­den, Mbg. Kübel, wurde in eingehender Weise die Kan­didatenfrage besprochen und hierauf folgender Wahlvor­schlag beschlossen: 1) Hermann Reihten, Apotheker. 2) Christian Bauer, Gärtner, früher Gemeinderat in Cann­statt, 3) Julius -Naumann, Eisenbahiisekr. und Land- tagsabg. 4) Paul Bubeck, Kronenwirt, Untertürkheim, 5) Louis Häuhermann, Metzgermeister, )6 Eugen Rothen- Hofer, seitheriger Gemeinderat. 7) Adolf Stübler, Kauf­mann. Der Name Reihten soll auf dem Wahlzettel zwei Stimmen erhalten. Im Anschluß hieran hielt Rechts­anwalt Tr. Wölz einen mit großem Beifall aufgenom­menen Vortrag überEin Jahr Stuttgarter Gemeinde- Politik."

Stuttgart, 23. Nov. Wie wir gestern mitgeteilt haben, hat der Gemeinderat in geheimer Sitzung beschlos­sen, vom 1. Dezember ds. Js. an im städt. Amtsblatt den Wohnungsanzeiger nicht mehr zu veröffentlichen. Wie wir erfahren, steht dieser Beschluß in keinem Zusam­menhang mit der Füffion des Neuen Tagblatts und der Württemberger Zeitung, wie von der Schwäb. Tagwacht behauptet worden war, sondern wurde vielmehr lang ge­faßt, lang bevor man überhaupt an einen Zusammen­schluß dieser beiden Blätter dachte. Es ist Vorsorge ge­troffen, daß Mieter und Vermieter von dieser Maßregel leinen Nachteil haben, sondern sich in Zukunft noch besse» stellen als bisher.

Nah und Fern.

Der Hund mit de« lange» Ohren.

Ern Geschichtchen, bas den Vorzug hat, wahr zu fern, er­eignete sich vorige Woche auf der inr Oberamt Gmünd ge­kegenen Parzelle Röthenbach. Entdeckt da so ein kleiner Erdenbürger im Alter von vier Jahren direkt hinterm Haus einen Hund mit auffallend langen hochstrebendeu Ohren. -Komm", sagt er zum Großvater,hinterm Haus liegt a gro­ßer Hund, der Hot lange Ohra". Nach langem Zögern folgt der Alte dem Wunsche des Kleinen und siehe da, ein drei- kennger Invalide in Gestalt eines Rehbocks erhebt sich von seinem Lager, umkreist den Hof und versucht sich auch noch auf der nahe gelegenen Eisbahn. Aber das abgeschossene Bein versagte ihm den Dienst, er kollert und bietet jetzt seine ganze Kraft auf, festen Boden zu erreichen, um in das geöffnete Tor des Lazaretts zu gelangen, wo er alsbald einer radikalen Operation unterlag.

Ei« Erdbeben.

In der Umgegend von Mannheim wurde am Montag abend ein ziemlich heftiger Erdstoß verspürt. So liech aus Seckenheim folgende Meldung vor: Montag abend 9 sthr 10 Min. war hier ein ziemlich starkes Erdbeben bemerk-n:. Es folgten rasch nach einander 2 Erschütterungen, zuerst eine kürzere und schwächere, sodann eine längere und stärkere. Die letztere war von donnerartigem Rollen begleitet. Die Richt­ung ging anscheinend von Nordost nach Südwest. Das ganze Beben dauerte 34 Sekunden. Die Fensterscheiben sollen ge­klirrt haben und Türen aufgegangen sein. Aus Feuden­heim liegt die gleiche Nachricht vor. Der Seismograph des astrophysikalischen Instituts der Untversitätssternwarte auf dem Königsstuhl verzeichnete ein mittelstarkes Fernbeben. Auch »w Instrumente der Erdbebenstation Hohenheim zeigten ein «doch kaum mittelstarkes Beben an.

Die Tat eines Wahnsinnigen.

In der Nähe von Viernheim, auf 'der Strecke Worms-

Ta.gs und sah nicht sein Licht. Es lag um mich, wie des Tickes grauende Ruhe, und mein Mut fieberte, und meine Augen brannten. Sie pochten an meine Tür. Ich Mb ihnen keine Antwort und ließ sie flüstern und raunen. Ich ries deinen Namen, mein Heinz, und mir ward, als hörte ich ein hohnvolles Lachen. Ich'schleppte mich auf den Knien vor dein Bild, aber ich wagte es nicht, den Blick M dir zu heben. Ich schwang mich aufs Fenster, hinab- Mstürzen'in die Tiefe. Mer mir ward, als risse wich fwe unsichtbare Hand zurück, daß ich taumelte und fiel, ach wollte beten, zu dem,, den sie den Allerbarmer nen- wn. Mer ans meiner Kehle kam nur ein trockenes schluchzen.

Und der Tag versank in Dämmern und Nacht. Es legte sich der Sturm, und in mir war's Stille.

, Ich habe gefrevelt an dir und deiner Liebe, mein Heinz, und ich will es' büßen. Ich rüste mich zu einer lveiten, weiten Fahrt. Wirst du mir nun noch einmal "le Hand reichen zum Abschied?

Du wirst es tun, mein Heinz. Denn dein Ver- Wm ist größer als dein Haß, und deine .Liebe ist stärker E dein Zorn.

Mit ihnen trete ich vor dich und neige das Haupt, sch habe deine Treue gelohnt mit Untreue. Mer wenn ich erkannte, was ich getan, und nun ich büßen werde für llreine Unkraft, fühle ich- mich wieder rein wie du.

, Es wird ein sanftes Einschlafen werden, und ich will Willen, daß du kommst, mir Rosen um die Stirne zu -lachten, um mich AU küssen mit entsühnendem Kuß

Ich will träumen, daß dein Auge den Weg sucht lw findet, den ich gegangen. Und ich will deiner harren, "a, wo er hinüberführt zu der großen stillen Ewigkeit.

Tie Sterne glänzen, und die Stimmen der Nacht rufen mich.

. dluch du wirst sie hören und ihnen folgen. Tn hast fch einmal allein gelassen, und ich bin gestrauchelt und fallen. Ms meinen Lippen ruht dein Name. Und nun

Fürth, wurde ein Attentat ans einen Personen­zug verübt. Dort kreuzt die Staatsbahnlinie Worms-Hürth die Pebenbahn Weinheim-Viernheim-Mannheim. Erstere .fährt auf einer Brücke über' die letztere. Vergangene Nacht wurden nun auf einer Strecke von acht Meter durch Abgraben in einer Tiefe von 70 Zentimeter und Freilegung der Stützen die Schwellen gänzlich freigelegt. Der Personen­zug 5.25 Uhr ab Weinheim passierte anstandslos die gefährdete Stelle. Der Personenzng ab Viernheim 6.24 Uhr in der Richtung auf Weinheim konnte auch noch die Stelle passieren. Im letzten Wagen dieses Zuges saß der Rottenführer Johann Kantzenbach, dem das kolossale Schwanken und Schütteln des Wagens ausstel. Mus der nächsten Station, in Mucken­sturm, stieg Kantzenbach aus und ging zu F u ß an die ge­fährdete Stelle zurück. Dort sah er zu seinem Schrecken, daß die Strecke untergraben war. Wäre der Zug 6.24 Uhr hier zum Entgleisen gekommen, so wäre er die acht Meter hohe Böschung heruntergestürzt und Hunderte von Arbeitern, die den Zug benützten, wenn nicht ums Leben gekommen, mindestens schwer verletzt worden. Während Kautzenbach die Stelle besichtigte, kam der Zug 6.44 Uhr ab Weinheim her­angebraust, konnte jedoch von Kantzenbach gestellt werden. Nach­dem die Schwellen wieder notdürftig befestigt waren, konnte der Zug weitersahren. Die angestellten Ermittlungen haben ergeben, daß nur der 26 Jahre alte Maurer Franz Träger von Viernheim als Täter in Betracht kommen kann. Träger ist schon seit zwei Monaten krank. Am Montag kam der Irrsinn bei ihm zum Ausbruch. Lachend gab er die Tat zu und bedauerte, daß der erste Zug, der 5.25 Uhr von Wein- Heim abfährt und der auch immer gut besetzt ist, nicht ver­unglückte. Träger hatte sich nämlich in einer Entfernung von 30 Metern aufgestellt und wollte das Abstürzen des Zuges beobachten. Der Wahnsinnige, welcher ein Hüne von Gestalt ist, wurde in Begleitung zweier Gendarmen nach .dem Darm­städter Provinzialarresthaus gebracht. Von dort wird er nach kreisärztlicher Untersuchung einer Irrenanstalt überwiesen werden.

Meine Nachrichten.

. Beim Abladen von Langholzstämmen geriet in Sulzbach a. Kocher der 18 Jahre alte Georg Härle unter die ab­rollenden Stämme und wurde getötet.

Ein etwas ungewöhnliches Verlangen hatte ein Dieb in Rottenburg, der in die Werkstätte des Bildhauers Hummel einbrach und bei Nacht und Nebel ein Grabdenkmal aus Marmor stahl. Dem Dieb wurde nachgeforscht und er konnte in Wendelsheim verhaftet werden.

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Gerichtssaal.

Ein Sittenbild.

Ein Fall vor dem Schwurgericht Heilbronn be­traf die Strafsache gegen den 29 Jahre alten ledigen Schrei­ner Karl Wilhelm St oll von Lomersheim. Maulbronn, wegen Notzucht. Den Vorsitz führt Landgerichtsrat Egg- mann, die Anklage vertritt Staatsanwalt Frank, die Ver­teidigung führt Rechtsanwalt Dr. Strauß. 14 Zeugen sind geladen. Die Verhandlung findet unter Ausschluß der Oeffent- lichkeit statt, jedoch ist es den Vertretern der Presse gestattet, der Verhandlung anzuwohnen. Dem Angeklagten ist zur Last gelegt, am Sonntag den 29. Aug. abends zwischen 9 und 10 Uhr auf der Straße von Lomersheim nach Dürrmenz die 21 Jahre alte Fabrikarbeiterin Luise Seemüller durch Gewalt und Drohung zur Duldung des Beischlafs genötigt zu haben. Der Angeklagte entschuldigt sich mit Trunkenheit. Er hatte in Ludwigsburg eine militärische Uebuug als Reservist ab­zuleisten und war am Samstag abend mit noch anderen Ka­meraden in Urlaub nach 'Lomersheim gekommen. Der Sonn­tag wurde natürlich gründlich ausgenützt, man ging nach Groß­glattbach zum Turnfest und besuchte abends noch in Lomers­heim zwei Wirtschaften. Nach 9 Uhr machten sich die Reser­visten auf den Weg nach Dürrmenz, um in die Garnison zu- rückzukehren. Auf dem Weg dahin, etwa 200 Meter vor Dürr­menz begegnete ihnen die 21 Jahre alte Fabrikarbeiterin Luise Seemüller von Lomersheim mit ihrem Geliebten, dem 25 Jahre alten Fabrikarbeiter Krautwasser. Stoll, der mit der Seemüller vor mehreren Jahren schon intim verkehrt hatte, schob den Krautwasser beiseite und zog die Seemüller über den Straßengraben in die Wiese. Krautwasser bekam mit den Begleitern Stvlls Händel und sprang dann nach Dürrmenz hinein, um Hilfe zu holen. Inzwischen war es zwischen der Seemüller, die sich heftig wehrte und dem An­geklagten zu einer häßlichen Szene gekommen. Die See­müller rief um Hilfe, ergab sich aber schließlich, der Gewalt unterliegend, in ihr Schicksal. Als Leute dann von Dürrmenz kamen, sprang der Angeklagte davon. Die Sache wurde dann dem Landjäger angezeigt, der Meldung ans Gericht erstattete. Die Zeugenvernehmung ergab im Wesentlichen die Bestätig­ung dieses Vorgangs. Die Geschworenen Obmann Rücker- Frankenbach -bejahten die -gestellten Schuldfragen, worauf Stoll zu zwei Jahren 2 Monaten Gefängnis, 3 Jahre Ehrverlust und zur Kostentragung verurteilt wurde. Zwei Monate der Un­tersuchungshaft wurden angerechnet.

Pforzheim, 24. Nov. Der Gauverbandsleiter der Maurer und soz. Landtagskandidat Harter, der vom Schöffengericht wegen Nötigung eines Arbeitswilligen während des hiesigen Maurerstreiks, zu zwei Wochen Gefängnis verurteilt wurde, hat bei der Strafkammer Revision eingelegt. Die Straf­kammer erkannte auf das doppelte Strafmaß, sie ver­urteilte Harter zu 4 Wochen Gefängnis.

Die Helden von Cherry.

Acht Tage im Bergw-erk eingemauert, lleber die heldenmütigen Männer, die im Schacht des' St. Pauls-Bergwerks in Cherry bisher 78 Totge­glaubte dem Leben wiedergegeben haben, liegen Heute ans Newyork ausführliche Berichte vor. Die Ueber- lebenden verdanken ihre Rettung hauptsächlich der Ener­gie und der Kaltblütigkeit des Grubeninspektors Georg Eddy, der sich mit den anderen Ueberlebenden in der Grube befand und über den Ausbruck der Kata­

strophe sowie über die volle acht Tage in der Grube Eingeschlossenen folgendes berichtete:

Bericht des Gruben Inspektors Eddy:

Ich befand'mich im zweiten Stollen, als ich den Aus­bruch des Brandes wahrnahm. Ich versuchte, die Schachtösf- nung zu gewinnen, allein schon versperrten mir die Flam­men den Weg. Unterwegs, bemerkt« ich schon an einzelnen Stellen Leichen von Arbeitern, die durch Rauch und Gruben­dampf erstickt waren. Es gelang mir, umzukehren und den dritten Stollen zu erreichen. Ich erkannte die Gefahr für die anderen und begann aus Leibeskräften zu schreien, um sie vor dem Weiterdringen zu warnen. Ich stellte mich sogar einigen Grubenarbeitern in den Weg, um sie zurückzudrängcn. Eine große Anzahl von ihnen stürmte jedoch in Angst und Wahnsinn davon und stürzte sich so ins Verderben. Eine größere Zahl Arbeiter scharte sich um mich. Wir zogen uns zurück, und erreichten glücklich eine große Kammer. Das erste, was wir taten, war, den Zugang zu dieser Kammer sofort zu vermauern, um den eindringenden Gasen den Weg zu versperren. Dies gelang uns schon nach einigen Mi­nuten, und ich richtete nun an meine Leute eine Ansprache, in der ich sagte, es sei möglich, daß sie ihre Kinder und rauen wieder sehen werden; sie müßten jedoch alle kaltes lut bewahren, eine Rettung sei immer noch nicht ausge­schlossen. Sie hörten ans mich und benahmen sich überaus tapfer. Das schlimmste, was wir erlitten, war der Mangel an Wasser. Wir begannen sofort in der Mauer zu graben und waren so glücklich, bald Wassertropfen hervorsickern zu

sehen, die wir gierig verschlangen. Wir waren darüber so glücklich, daß wir begannen in die Hände zu klatschen. Wir schrien aus Leibeskräften, in der Hoffnung, gehört zu toerden; aber die Tage folgten einander, ohne irgend welchen Wechsel zu bringen. Wir gaben zuletzt jede Hoffnung auf. Als wir schließlich die Hammerschläge unserer Retter vernahmen, ver­loren die meisten von uns das Bewußtsein."

Eddy war nicht der einzige, dem das Perdienst zu­kommt, die Ueberlebenden auf vernünftige Weise geführt und am Leben erhalten zu haben. Ein großes Verdienst an der Rettung der Ueberlebenden hatte auch ein prote­stantischer amerikanischer Clerk, Lulan e, der jeden zwei­ten Tag Gottesdienst abhielt und den Gesang anstimmen ließ:Erhebe dich, meine Seele." Er sprach den Ueber­lebenden Mut zu und lieh in ihnen die Hoffnung aus Rettung aufkommen. Ein anderer katholischer Geistlicher namens Henry, der mit den Rettungsmannschaften; in die Grube hinabgestiegen war, erzählte:Als wir hinabstiogen, fanden wir, daß dichter Dampf uns.den Weg versperrte. Plötzlich vernahmen >vir ein dumpfes Geräuschs wie von einem Schlag, Erwartungsvoll horch­ten wir, und die Schläge mehrten sich Nach einer Weile gelang es uns, in den Obergang eine Bresche zu schlagen und wir riefen:Sind da unter noch lebende Menschen?" Die Antwort lautete:Ja, wir sind nSch am Leben". Wir drängten uns in die Kammer pnd fanden dort eine Gruppe, die acht Tage unter der Erde gelebt hatte. Sie sahen mehr tot als lebendig aus. Das Fackellicht blendete ihre Angen, und wir warfen ihnen Tücher über den Kopf. Einer von den Geretteten sagte aus:Unsere Kräfte haben uns noch nicht ganz ver­lassen; einer von uns, ein Franzose Frank, ringt mit dem Tode, aber die übrigen haben noch Kräfte." Wir sahen uns den Mann an, der eben im Sterben sag« Ich erteilte ihm die Sterbesakramente und die letzte Oelung; einen Augenblick später hatte der Unglückliche ausgelitten. Am schwersten litten die Ueberlebenden un­ter dem Mangel an Lebensmitteln. Zuerst vereinten sie alle ihre Nahrungsmittel, die sie bei sich hatten und teilten sie so auf, daß sie damit ein bis zwei Tage leben konnten. Ms diese Mittel gänzlich aufgebraucht waren, versuchten sie sich mit dem Kadaver eines durch Ersticken getöteten Maultieres zu ernähren'und aßen dieses ver­giftet schmeckende Fleisch Auch dieser Proviant dauerte nicht lange, und nun kamen die Tage des furchtbarsten Hungers. Mehrere von ihnen wurden wahnsinnig und stürmten davon und man hat sie nie wieder gesehen. Eine Gruppe jedoch blieb zurück. Man hatte versucht, weiter zu dringen, doch wurde dieser Versuch durch die von neuem auftauchenden Flammen vereitelt. Ein Ita­liener namens Pigafi wurde wahnsinnig und verschlang Pakete von Zündhölzern und Kautabak sowie Leder­stücke von seinem Zeug. Er schrieb sein Testament, in welchem er seiner Frau alles vermachte, obwohl er in Wirklichkeit nichts besaß."

DasTestament im Stollen.

Einer der Eingemauerten, ein alter Italiener, machte am vierten Tage in der Grube sein Testament.Ich schreibe dies," heißt es da,hier unten im Dunkeln, weil das Wachs unserer Grubenlampen verzehrt ist. Wir essen Tabakrinde und kauen Schuhe. Hoffentlich kannst Du dies' lesen. Ich fürchte den Tod nicht. Heilige Mutter Gottes, erbarme dich ! Du bist ein gutes Weib gewesen. Erarbeiteten zusammen unser Eigentum. Al­les gehört Dir." Als die ersten zwanzig Geretteten an die Oberfläche gebracht wurden, stürzte die harrende Menge, Frauen und Kinder, auf sie und rief ihre Na­men. Unbeschreiblich war die Freude, als einzelne von den Geretteten auf die Namen antworteten, ebenso er­schütternd jedoch die furchtbare Trauer "derjenigen, deren Vermißte keine Antwort gaben. Die Frauen bestürmten die Ingenieure, hie Rettung der noch unten Befind­lichen vorzunehmen, sie können jedoch infolge der Flam­men die Versuche nicht fortsetzen. »

Cherry, 24. Nov. Gestern wurde unter einem Hau­fen Leichen noch ein Lebender gefunden. Der Mann war bewußtlos, man hofft aber, ihn zu retten.

Wahrheit?)

Von C. L- Siemering (Breslau).

Wahrheit völlig zu ergründen Ist dem Menschenkind versagt;

Niemand, der sie könnte künden.

Wenn das Herz in Sehnsucht klagt.

Keiner, der mit Engelszungen Reine Wahrheit uns; gelehrt.

Keiner, der ihr Lied gesungen,

Der uns völlig je bekehrt.

Doch gar viele sind's auf Erden,

Die nach Wahrheit suchen geh'n,

Die nicht suchensmüde werden,

Nimmer müßig stille steh'n.

Viele, Pie zur Wahrheit wandeln Und als Pilger glücklich sind,

Offen stets und ehrlich handeln Wie ein wohlerzog'nes Kind . > .

Ihnen will ich treulich danken,

Schließ' mich freudig ihnen an.

Ohne Zaudern, ohne Wanken Will ich folgen ihrer Bahn.

Kann ichWahrheit" nicht erringen.

Bleibt das Herrlichste verwehrt.

Will ich doch mein Opfer bringen An der Göttin heil'gem Herd!

Führt des frommen Pilgers Wallen Nicht in's Heiligste hinein

In des Tempels frohen Hallen Will ich dann ein Beter sein.

*) Ans der von Carl S ch o l l-München begründeten Zeit­schriftEs werde Licht". Blätter eines Demokraten für Auf­klärung, Fortschritt und .P.söhnung, die Dr. L. Quidds jln einem Begleitschreiben den politischen Freunden zum Abonne­ment empfiehlt. (Verlag O. Th. Scholl-München. Jährlich 4.25 Mark).