rückung, die auch nicht im Interesse der Beamten selbst liegen und sehr häufig zu viel strengerer Handhabung des Diszip- linarrechts und der Kündigung, die bei uns überaus selten sei, führen würde Die Kürzung der Wartefrist würde er weniger schwer nehmen, halte sie «über doch für bedenklich. In Baden sei der disziplinäre Schutz der Beamten nicht so groß wie in Württemberg. Die Mehrheit der Kommission sprach sich sür die Anträge des Referenten aus, auch auf die Gefahr hin, das zweifelhafte, nicht vollwertige Beamte rascher oder leichter als bisher vom Dienst kommen können. Es könnte sich nur fra­gen, ob nicht statt des 23. das 25. Lebensjahr gesetzt werden solle, zumal die akademischen Beamten nie vor dem 32. oder 33. Jahr zur Anstellung gelangen. Liesching stellte einen ent­sprechenden Antrag. Bei der Abstimmung wurde der Antrag Liesching einstimmig angenommen; serner wurde angenommen der Antrag zu Abs. 2, statt 23. Lebensjahr 25. zu setzen und Endlich die abgeänderte Fassung des Abs. 3 nach dem An­trag Liesching.

Die Wahl in Herrenberg

Ter Bau ern bündler Schntid gewählt. Herrenberg, 13. Nov. Bei der heutigen Land- tagsersatzwahl im hiesigen Oberamt für den verstorbenen Abgeordneten Guoth (D.P.) wurden von 5290 Wahlbe­rechtigten M83 gültige Stimmen gleich 77 Prozent abge­geben. Davon erhielten Schultheiß Gärttner von iGärtringen (Deutsche Partei) 1569 Stimmen, Schultheiß Schmid von Tailfingen (B. d. L.) 2063 Stimmen und Bäckermeister Bötzel in Stuttgart (Sozialdemokrat) 451 (wählt. Bei der letzten Landtagsersatzwahl im Jahre 1906 sind von 5276 Wahlberechtigten 3223 Stimmen ab­gegeben worden. Damals entfielen auf Guoth, der die Unterstützung des Bauernbundes besaß, 2754 Stimmen, auf'die beiden Zählkandidaten Bäckermeister Bötzel 324 und Landgerichtsdirektor Gröber 108 Stimmen. Instruktiver für die Beurteilung der Verschiebungen in den Parteistärke- Verhältnissen ist die Proporzwahl von 1907. Damals waren zugefallen: Dem Bauernbund 2437 Stimmen, der Dolkspartei 791 Stimmen, dem Zentrum 317 Stimmen, der Sozialdemokratie 266 Stimmen und der Deutschen Partei 188 Stimmen. Vergleicht man hiermit die heuti­gen Wahlergebnisse, so ergibt sich für die Deutsche Par­tei, deren Kandidat Schultheiß Gärttner auch als Mitglied des Bundes der Landwirte in den sehr schärfere Wahl­kamps 'trat und von der Volkspartei unterstützt wurde, un­ter .Einrechnung der für sie seiner Zeit abgegebenen 791 Stimmen ein Zuwachs von 590 Stimmen, für den Bund der .Landwirte eine Abnahme von 374 Stimmen und für die Sozialdemokratie eine Zunahme von 185 Stimmen. Das Zentrum stimmte für den Bauernbund.

Eine Aufklärung.

TieDeutsche Reichspost" gibt sich alle erdenkliche Mühe allerdings vergeblich die Haltung ihrer Freunde im Reichstage bei der Reichsfinanzreform zu beschönigen. So behauptet sie nun frischweg, daß bei IGeldabhebungen bei Darlehenskassen usw. keine jQuittungssteuer zu entrichten sei. Mit Verlaub, das ist falsch: Sobald eine Darlehenskasse nach ihren fNeschäftsbestimmungen für Rechnung dritter an jemand Zahlung leistet, muß jedes Mitglied der Kasse für Bar- vntnahmen also nicht bloß Schecks in jedem Gin- tzelfalle 10 Pfg. pro Quittung Steuer bezahlen. Es ist jnun gar nicht erforderlich, daß die Kassen tatsächlich Aus­zahlungen an Tritte vornehmen, schon die bloße Bestem-» imung, daß der Geschäftsbetrieb laut Statuten oder Bestim- fmungen die Berechtigung der Zahlung an fremde Personen vorsieht, genügt für die allgemeine Stempelpflicht. Nehmen wir zur Belehrung chnige Beispiele: Bei einer Darlehenskasse mit den genannten Bestimmungen zahlt fein Handwerker, der für gelieferte Arbeiten Zahlung em­pfängt, M 1000 ein, die er erst in ca. 34 Wochen wie­der benötigt. Dabei muß er für jeden einzelnen Fall der Wiederabhebung 10 Pfennig Steuer entrichten, die jihn allein trifft. Ja, will er das Geld nicht unnötig zu Hause liegen lassen und erhebt er nun Beträge, soweit kr sie täglich gebraucht, in kleineren Summen von M 50 KU M 50 (20 mal M 50), so müßte er 20 mal ä 10 Pfg. 2 M Quittungssteuer bezahlen.

Oder ein Bäcker, Metzger, Schreiner etc. steht mit kiner Gewerbebank in Verbindung, die natürlich sämtlich den Geldverkehr mit Tritten pflegen, also unter das Stenr- pelgesetz fallen, so müssen alle Mitglieder dieser Genos­senschaftsinstitute diese lästige Abgabe beim Holen von Geldern leiden. Selbst wenn sie über ein effektives Gut­haben daselbst verfügen und lauf 'Kredit Geld holen, so sind sie trotzdem Zur Bezahlung der Quittungssteuer ver­pflichtet. Darüber hilft keine Beschönigung hinweg, Und wir möchten jedermann raten, sich die Auffassung der Reichspost" nicht zu eigen zu machen, weil man sonst der empfindlichen Strafe von M 20 fürjede Unterlassene Stempelung verfällt. Das Empö­rende ist noch, daß dagegen der reiche Millionär, wenn er M 100000 auf einmal bei seiner Bank einzahlt, und sie wieder sn einer Summe zurückernpfüngt auch nur 10 Pfg. Steuer hinzulegen braucht, wogegen der kleine Geschäftsmann für 20 Abhebungen ä M 50, wie oben aus- geführt, M 2 Steuer zu zahlen hat. Und das nennen die Herren vom Bauernbund und dem Zentrum alsdann gerechte Besitzsteuern"!

Aber alles Geflunker hilft nichts, die Wähler spüren es am eigenen Leibe, was ihnen der schwarz-blaue Block für Schaden verursachte und demgemäß werden sie bei allen künftigen Wahlen den Stimmzettel zur Hand nehmen.

DieBefitzsteuer."

Jeder Tag bringt neue Beweise dafür, daß eine der samosen sogen. Besitzsteuern, die Talonsteuer, wirk­lich weiter nichts als eine Besteuerung auch der armen ll Leute darstellt. Man weiß nicht von wem diese Steuer er- e hoben werden soll. Tie Stadtverwaltungen sehen sich ge- nötigt, die Talonstenerbeträge ans die Stadtkasse zu über- e. - nehmen. Dieses größere Defizit, das dann die Stadtkasse

ü ! aufweist, deckte natürlich nicht allein der Besitzende, son-

je dern auch der ärmste Mann des Volkes, der in seinem Le-

n ben noch keine Aktie oder ein Wertpapier gesehen hat,

, geschweige denn besitzt. So kamen in den letzten Tagen

Nachrichten aus Koblenz und Dort nt und, wo nach dem Vorgang anderer Städte die Steuer ebenfalls von

der Stadtkasse getragen >mrd. Für Dortmund beträgt die Talonsteuer für den Zeitraum der nächsten zehn Jahre 411 669 Mark! Und dieser erhebliche Betrag muß nun auch vom armen Manne mit aufgebracht werden.

In Württemberg beschäftigten sich kürzlich die bürgerlichen Kollegien , Göppingens mit der Talonsteuer frage. In dem Sitzungsbericht des Hohenstaufen" lesen wir hierüber:

Vors. : Bei der jüngsten Einführung der Reichsstempel- stener Hecken die Gesetzgeber in der Eile vergessen, fest- zusetzen, wer die Steuer zu zahlen hat, und das ist doch auch wichtig. Ich habe bei verschiedenen Stadtverwaltungen, die im Schuldenwesen noch größere Erfahrung haben wie wir (Heiter­keit), ungefragt, wie man es dort halte. Die Antworten zeig­ten, wie durchaus noch keine Klarheit besteht, daß aber die meisten Städte die .Stempelsteuer aus ihrer Kasse zahlen, namentlich um die Konkurrenz der Hypothekenbanken vorzubeugen, welche die auf ihre Obligationen fällenden Steuerbeträge auch aus der eigenen Tasche zahlen.

Schwab : Es Ist Tatsache, daß die Pfandbriefe der Hy­pothekenbanken den städtischen Obligationen im allgemeinen vor­gezogen werden. Wenn nun diese Banken die Steuer selbst tragen, dann ist die Stadt zweimal genötigt, die Steuer auf sich zu nehmen.

Vors. : Dann darf ichalso an nehmen, daß auch hier die Talon st euer derjenige tragen soll, an den der Gesetzgeber vielleicht am wenigsten ge­dacht hat?

Da diese Frage vom Kollegium zustimmend beantwortet wird, wird also die Talonsteuer auf die Stadtkasse übernommen.

Hier ist gleich an einem praktischen Beispiele der ganze Unsinn der klerikal-konservativen Besitzsteuer dar­gelegt. Das Reich hat nun einmal tatsächlich keine wirk­lichen Besitzsteuern bekommen. Die Reform mit einer wirk­lichen Steuer auf den Besitz wird noch erst kommen müssen.

Stuttgart, 13. Nov. Der österreichische Tronfolger trifft demnächst in Württemberg mit sei­ner Gemahlin ein und zwar wird er zunächst Rottenburg einen Besuch abstatten.

Botenheim OA. Brackenheim, 13. Nov. Endlich soll es mit der Schultheißen wähl ernst werden. Das Oberamt griff ein und die bürgerlichen Kollegien fetzten jetzt die Schultheißenwahl auf 15. Dezember fest. Das Gehalt des neuen Schultheißen wurde für einen ge­prüften Fachmann auf 2000 Mark für einen Nichtfachmann auf'1000 Mark jährlich festgesetzt.

Heidenheim, 13. Nov. Der Bierboykott ist nunmehr beendigt, nachdem sich in einer gestern abend abgehaltenen Versammlung von Bierbrauern, Wirten und Arbeitern durch gegenseitige Zugeständnisse, die in Wirk­lichkeit einen Sieg der den Boykott Ausübenden bedeuten, eine Einigung zustande gekommen ist.

Nah und Fern.

Die Bergung des Bodenseedampsers

Kaiser Wilhelm" ist immer noch nicht gelungen. Aus Friedrichshafen wird vom Samstag geschrieben: Die Versuche, den in der Höhe von Eriskirch festsitzenden badischen Dampfer ,Laster Wilhelm" freizumachen, wurden auch heute fortgesetzt. Da der Wasserstaud des Sees täglich um drei bis vier Zenti­meter fällt und böiges stürmisches Wetter herrscht, sind die Ar­beiten mit außerordentlicher Schwierigkeit verknüpft. Der ge­strandete Dampfer hat einen Tiefgang von 1,60 Meter und die Wassertiefe an der Unfallstelle beträgt einen Meter, sonach sitzt der Dampfer sechzig Zentimeter tief im Sande fest. Da nun durch den stürmischen See fortwährend neue Sandmassen angeschwemmt werden, versandet das Schiff immer mehr. Die Bergungsarbeiten sind deshalb außerordentlich schwierig , -und anstrengend und wurden bis heute nachmittag vier Uhr fort­gesetzt, jedoch ohne jeden Erfolg. Da der Dampfer dem herr­schenden Südweststurm seine ganze Breitseite bietet, hat er sich etwas auf die Seite geneigt, sodaß ein Rad völlig über dem Wasser schwebt. Der zur Hilfe anwesende badische Dampfer Greif" fuhr gestern abend fünf Uhr nach Konstanz zurück. Heute früh fuhr er wieder zur Unfallstelle hinaus, um im Verein mit dem württembergischen DampferKönigin Charlotte" die Bergungsversuche fortzusetzen,, außerdem leisteten die beiden Zep- pelmschen MotorbooteWürttemberg" undWeller", welch letz­terem gestern abend die Steuerung brach, Beihilfe, indem sie die Taue von dem gestrandeten Schiff nach den zur Hilfe­leistung bereitsteheuden Dampfern bringen. Bis heute mittag zwölf Uhr war kein Erfolg zu verzeichnen. Der Dampfer ,Lönigin Charlotte" kehrte in den Hafen zurück, während der DampferGreif" an der Unfallstelle verblieb. Heute nach­mittag flaute der Wind etwas ab. Gegen ein Uhr gelang es demGreif", das gestrandete Schiff etwa vierzig Meter herauszuziehen. Auf die Notsignale eilte der DampferKö­nigin Charlotte" wieder herbei, als er jedoch au der UnfaU-- stelle anlaugte, war die Hilfe zu spät. Im letzten Moment war das Tau gerissen und das Schiff wieder in die alte Tiefe Hineingetrieben worden. Heute nachmittag halb 4 Uhr kehrteGreif" wieder nach Konstanz zurück, um noch zwei Dampfer zur Hilfeleistung herbeizuholen. Bei dem wieder stär­ker werdenden Sturm dürfte aber kaum zu hoffen sei», daß das Schiff noch heute frei gemacht werden kann.

Unter de« Rädern.

Aus Biberach wird vom 13. gemeldet: Bahuhofwirt Lo­cher von Warthausen wollte gestern abend mit dem um 7.25 Uhr in Ulm abgehenden Zug nach Hause fahren. Wäh­rend der Fahrt schlief er ein, überfuhr die Station Wart­hausen und versuchte nun in der dunklen, stürmischen Nacht zwischen Warthausen und Biberach aus dem Zug zu springen. Hierbei kam er zu Fall und blieb bewußtlos liegen. Auf dem dicht daneben liegenden Gleis fährt der letzte Zug der Klein­bahn von Biberach nach Ochsenhausen. Dieser erfaßte den inzwischen wieder zum Bewußtsein gekommenen, aber beweg­ungsunfähigen Mann, schleifte ihn eine große Strecke und ver­stümmelte ihn schwer. Ein Bein ist ihm abgefahren, das andere schwer verletzt, auch am Kopfe erlitt er schwere Ver­letzungen. Er mußte ungefähr sechs Stunden in seinem schreck- lichen Zustande in der kalten Nacht auf dem Gleis liegen blei­ben, bis er entdeckt wurde. Der Verunglückte ist etwa 40 Jahre alt und Familienvater. Er ist im Spital gestorben.

Verbrechen gegen das keimende Leben.

Ans Barmen wird geschrieben: Umfangreiche Verhaft­ungen wegen Verbrechen gegen das keimende Leben wur­den Mittwoch abend.in Elberfeld vorgenommen. In den mei­sten Fällen handelt es sich um Frauen und Mädchen aus den sogenannten besseren Ständen. Unter den Festgenommenen be­finden sich auch zwei Hebammen aus Berlin und Leipzig, welche des öfteren Hierher kamen, um ihrePraxis" anszu- üben. Die Affäre erregt großes Aufsehen und soll noch weitere Kreise ziehen.

400 Bergleute ««gekommen!

Ans dem deutsch-atlantischen Kabel wird aus Cherry in Illinois gemeldet: In dem Bergwerk der St. Paul Coal Company fand eine Explosion statt. Nach der Erklär­ung eines Bergwerksbeamren sollen 400 Bergleute da- . bei nmgekommen sein. Das Bergwerk geriet sofort in

Brand. Ein Rettungsversuch wurde aufgegeben, um das Feuer zu ersticken. Nach weiteren Meldungen erfolgte die Explo­sion infolge eines Feuers, welches in einem Heubündel entstand. Die Bergbeamten glauben, daß 400 Mann der Ex­plosion zum Opfer gefallen sind. 5 Stunden nach der Explosion wurden 12 Leichen geborgen. Die Direktion des Bergwerks erklärte, es sei fast unmöglich, daß die Verschütteten noch am Leben seien. Da es unmöglich war, das Berkwerk unter Wasser zu setzen, entschloß man sich, den Eingang zu dem Schacht zu schließen in der Hoffnung, die Flammen zu ersticken, welche bis zur Oberfläche heransschlugen. Die meisten Bergleute sind Oesterreicher oder Italiener.

Zusammenstoß zweier Dampfer.

Ans Singapore wird vom 14. gemeldet: Heute früh stieß der ausfahrende englische Dampfer Onda mit dem nach Singapore bestimmten Postdampfer Laseyne zu­sammen. Der Dampfer Laseyne sank innerhalb zwei Mi­nuten. Der Dampfer Onda rettete 61 Personen und kehrte mit diesen nach Singapore zurück. Ertrunken sind sieben europäische Passagiere, die Kapitäne des Postdampfers, fünf Offiziere so­wie 88 Eingeborene, teilweise Passagiere, teilweise zur Mann­schaft gehörig. Viele Menschen wurden im Wasser von H a i- fischen angegriffen.

Kleine Racheichte«.

Die in den Sechziger Jahren stehende Katharina Scheute, Bauers Witwe in Großingersheim OA. Besigheim ging Sams­tag früh von Hause fort und wurde nach langem Suchen nach­mittags im Neckar bei der Klein-Jngersheimer Mühle als Leiche gefunden. Die Frau war schon längere Zeit schwermütig und hat jedenfalls in geistesgestörtem Zustande den Tod gesucht.

Lrndenhofwirt Schöffel von Alten st adt (Geislingen) schoß ans der Jagd bei Süßen einen Kibitz. Die Jäger erblicken in dem Vorkommen dieses Vogels in unserer Gegend, der sonst nur in nördlichem Gegenden zu Hanse ist, das Herannahen eines strengen Winters.

Am Samstag früh ist Pfarrer Ehmcmn in Dußlingen tot im Bette aufgefnnden worden.

Als der Rechtsanwalt Dodd in London vom Bureau nach Hause kam, fand er seine vier Kinder tot mit durch­schnittenem Halse. Seine Frau, die die Tat in einem Anfall von Geistesgestörtheit begangen hatte, lag neben den Kindern; sie hatte Gift genommen. An ihrem Aufkommen wird gezweifelt.

Genchlssaal

Dresden, 13. Nov. Das Schwurgericht in Pantzen verurteilte den Kutscher Vetter zum Tode. Er hatte sein uneheliches zweijähriges Kind mit vergifteter Chokolade getötet.

Fra« Steirrheil freigesproche«.

Paris» 13. . Nov. Nach Auslosung eines Ersatz-Geschwore­nen begann heute nachmittag die Verhandlung. Die Köchin Mariette Wolfs verlangt vom Gerichtshof für die gegen sie seitens des Staatsanwalts in seiner gestrigen Rede erho­benen Verdächtigungen Genugtuung. Diesem Verlangen wird vom Gerichtshof nicht stattgegeben mit dem Hinweis darauf, daß der Name der Köchin nicht genannt sei. Der Vorsitzende be­merkt hiezu, daß von ihrer Seite keine zivilrechtliche Klage eingereicht sei. Darnach erhält der Verteidiger das Wort. Er sucht seine Klientin von den gegen sie erhobenen Beschuldig­ungen reinzuwaschen. Der Verteidiger kommt auf ihre Jugend zu sprechen und hebt ihre Liebe und Anhänglichkeit an die Eltern hervor. Bei ihrer Heirat erwartete sie einen ener­gischen Mann und fand einen schüchternen. Er betonte serner die Liebe der Angeklagten zu ihrer Tochter und lobt nament­lich den früheren Verlobten des Fräulein Steinheil für dessen Aussagen. Alles was der Staatsanwalt gestern in schwarzen Farben geschildert hatte, malt der Verteidiger in rosigen Far­ben. Für ihn ist sie die tugendhafteste Frau, die liebevollste Gattin, und Mutter, sie ist gütig gegen ihr Dienstpersonal, wohl­tätig für die Armen usw., und eine solche Frau wolle man eines so schrecklichen Verbrechens beschuldigen und wolle ihren Kopf fordern!

Das Urteil wurde nachts 1 Uhr verkündet:, es lautete auf Freispruch.

Die Beratung der Geschworenen dauerte 2i/z Stunden. Die Erregung des Publikums während dieser Zeit war sehr groß. Der Freispruch wurde mit ungeheurem Beifall ausgenommen. Man rief allgemein:Bravo!" Diese Rufe erneuerten sich, als Frau Steinheil in den Saal geführt wurde. Als sie den Frei­spruch hörte, sank sie ohnmächtig zusammen. Nachdem sie sich erholt hatte, verlieh sie kurz nach 2 Uhr früh den Justizpalast.

Kunst und Wissenschaft.

München, 14. Nov. Die Romanschriftstellerin Gräfin Agnes v. Klinckostroem ist hier gestorben.

Handel und Volkswirtschaft.

Zum Verkauf des Renen Tagblatts an die Württem- berger Zeitung. Die Deutsche Verlags-Anstalt ver­sendet an ihre Aktionäre zu der am 22. November stattfinden- den Generalversammlung folgende Mitteilung: An unsere Ge­neralversammlung! Durch nachträgliches Ansschrecken ist aus die Tagesordnung der heutigen Generalversammlung als Punkt 5 gefetzt worden:Bevollmächtigung des Aussichtsrates und Vor­stands zur Einlegung unserer Aktien der Neues Tagblatt A.-G. in eine zusammen mit der Württemberger Zeitung G. m. b. H. zu begründende neue Gesellschaft." Dazu wird bemerkt: Ob­gleich wir in unserem Geschäftsbericht mit voller Uebcrzengung andeuten konnten, daß die Aussichten für die Zukunft des Neuen Tagblatts keine ungünstigen sind, hat die Verwaltung unserer Gesellschaft, Aufsichtsrat und Vorstand, doch für richtig gehalten, einer an sie herangetretenen Anregung Folge zu leisten, um zur Beendigung eines allzu große Opfer kostenden Kon­kurrenzkampfes mit der Württemberger Zeitung die beidersei­tigen Interessen zu verschmelzen. Wir wären zwar nach un­serem Statut nicht verpflichtet, zu diesem Geschäfte die Ent­scheidung der Generalversammlung a..züri.feir, haben aber dies bei d^r großen Wichtigkeit der Sache oeshalü für angezeigt gehalten, weil die ordentliche Generalversammlung ohnedem be­reits einbernfen war; ein Präjudiz möchten wir 'indessen damit für spätere Fälle nicht schaffen, bei denen vielleicht rascheres Zugreifen nötig werden könnte. Wir können nun der General­versammlung Mitteilen, daß ein Vertrag beziehungsweise meh­rere ineinandergreifende Verträge grundsätzlich vereinbart sind, wonach das Neue Tagblatt und die Württemberger Zeitung beziehungsweise die betreffenden Aktien und Ge­schäftsanteile bei Wahrung der Selbständigkeit der beiden Unternehmungen in eine dritte Gesellschaft ein­gelegt werden sollen. An dieser neuen Gesellschaft wäre die Deutsche Verlags-Anstalt nicht nur zur Hälfte beteiligt, sondern es würden ihr in bar' und in anderen großenteils flüssigen Werten so große Beträge zugeführt werden, daß der seitherige Buchwert der Aktien von L 000 000 Mark ausgeglichen würde, selbst wenn wir unsere Beteiligung bei der neuen Gesellschaft nicht voll zum Nennwert einstellten. Es versteht sich von selbst, daß ein derartiges Geschäft, bei dem es sich um Reorganisation zweier bestehender Gesellschaften und die Gründung einer neuen Gesellschaft handelt, genauester Ausarbeitung unter Berücksichtig­ung vieler Einzelheiten bedarf. Es ist deshalb nicht möglich. Ihnen heute schon Näheres zu berichten oder gar einen Ver­trag vorzulegen, zu dem man nur ja oder nein zu sagen brauchte. Wir beschränken uns deshalb auf den Antrag, dem Aufsichtsrat und Vorstand Vollmacht zu erteilen, wie aus Punkt 5 der Tagesordnung hervorgeht. Im Hinblick auf die bevor­stehende Transaktion ziehen wir den Antrag zurück, an den Tagblatt-Aktien 200 000 Mark aus dem Reingewinn abznschrei- ben; wir beantragen statt dessen, diesen Betrag auf diePapier- fabrikSalach ab zu sch reiben.