Rundschau.

Zur Fusion der Linksliberalen.

Der Beschluß des Werteren Ausschusses der Deut­schen Bolkspartei in Bezug. aus den Zusammenschluß der dvei linksiliberalen Parteien wird in der Presse der Lin­ken allgemein gebilligt. Heute sagt die Fr. Ztg. dazu: Es liegt aus der Hand, daß für eine Partei, deren Eigenart nicht bloß in der mehr oder weniger starken Akzentuierung allgemeiner politischer Forderungen, son­dern bis zu einem! gewissen Grade auch in der Auf­fassung des staatsrechtlichen Verhältnisses der deutschen Bundesstaaten und der engen Verbindung mit der süd­deutschen Art des polltischen Empfindens beruht, die Frage des Zusammenschlusses eine besonders ernste ist, und von ihr besonders große Opfer fordert. Denn es ist Natürlich kein bloßer Zufall, daß die beiden freisinni­gen Parteien vorwiegend nur auf norddeutschem Boden gediehen find, während die Deutsche Volkspartei fast ausschließlich in "Süddeutschland geblieben ist, darüber hinaus aber nur ein Diasporadasein geführt hat. Da­mit verknüpfen sich Unterschiede in der Auffassung der po­litischen Dinge, die weniger leicht zu überwinden sind als Verschiedenheiten, die unter denselben politischen Ver­hältnissen und aus demselben landsmannfchaftlichen Tem­perament erwachsen sind. Wenn nun dennoch der Wei­tere Ausschuß der Partei sich dahin geeinigt hat, dem Parteitag das Aufgehen im einer neuen großen liberalen Partei vorzuschilagen, so haben sicherlich wichtige Gründe ihn bestimmt, seine Bedenken, die ohne Zweifel auch vor­handen gewesen find, zurückzustellen gegenüber dem gro­ßen Gewinn, den er sich für die allgemeine freiheitliche Sache, wie für die Beeinflussung unseres gesamten po­litischen Lebens von der Zusammenfassung der liberralen Kräfte im deutschen Volke verspricht. Es liegt heute in der Tat so, daß ohne ldie Deutsche Bolksparte^ eine große linksliberale Partei nicht zustande kommen würde, und es liegt weiterhin so, daß diese Partei gerade die­jenige ist, ldie vor sechs Jahren zuerst das Elend der Zersplitterung im fortschrittlichen Lager als den Haupt­grund für das Ueberwuchern reaktionärer Bestrebungen erkannt und auf ihrem Heilbronner Parteitag das Pa­nier mit dem FeldgvschreiEinigung der Linken" entrollt hat. Es haben mannigfache Widerstände überwunden werden müssen, um den Weg zurückzulegen, der bis an die heute erreichte Stelle geführt hat, und es besteht kein ^Zweifel mehr darüber, daß der Zusammenschluß der drei

Parteien der Linken das Ende der Entwicklung sein muß. * * *

Fürsi Bülow und die Nationalliberalen.

Auf das vom Reichstagsabgeordneten Bassermann im Namen der Nationalliberalen Partei und Reichstags- fraktivn an den Fürsten Bülow gerichtete Abschiedstele­gramm erwiderte dieser:Ew. Hochwohlgeboren danke ich aufrichtig für die freundlichen Worte, die Sie namens der nativnalliberalen Partei und Reichstagsfraktion an mich gerichtet haben. Ohne die treue und verständnisvolle Un­terstützung der nationalliberalen Partei wären meiner in­neren Politik die Erfolge nicht beschieden gewesen, deren ich mich rückblickend erfreuen darf. Dazu rechne ich vor allem auch heute noch die Ergebnisse gemeinsamer Arbeit der kon­servativen und liberalen Fraktionen, die in großen natio­nalen Fragen für unser politisches Leben immer notwendig werden wird, mögen auch zeitweilige Gegensätze sie ver­hindern. Ich Wunsche der nationalliberalen Partei eine Zukunft, die ihren in der Vergangenheit erworbenen gro­ßen Verdiensten um die Belebung des nationalen Gedan­kens im deutschen Volk und den Ausbau unserer politischen Einheit entsprechen."

Tages-Chronik.

Frankfurt a. M., 19. Juli. Stadtrat Ernst Lautenschlager ist in der Nacht zum Sonntag ge-

Lin ehrlicher Vamps der Ueberzengungcn »nd Prinzipien kann der Sache nicht schaden, er kann sie nur fördern.

S ch m o l l e r.

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Die letzten Tage von Messina.

24) Roman von Erich Friesen.

(Nachdruck verboten.)

Fürwahr eine eigentümliche Art, den nach vier Jahren aus der Fremde Heimgekehrten zu bewill­kommnen! . . .

Inzwischen hat sich draußen der Himmel mehr und mehr verfinstert. Ein heftiger Windstoß fegt daher und rüttelt an den wackeligen Fensterläden, daß sie knirschen und ächzen und stöhnen ...

Unruhig blickt Orlando von Bernado Morgano zu Tr. Röder. Er kann nicht mehr an sich halten. Tie Frage muß heraus, die ihm auf dem Herzen brennt.

Clelia lebt?"

Bernado Morgano wendet sich schweigend ab.

Ter Arzt jedoch erwidert kühl:

Ja. Clelia lebt."

Und ist gesund?"

Ganz gesund."

Wie befreit atmet Orlando auf.

Und wieder tiefes Schweigen in dem niedrigen Raum.

Tie erregte Natur draußen sie ist ein Abbild von Orlandos erregtem Herzen.

Ter Wind avanciert zum Sturm. Tie Baumwipfel, Steinblöcke, Felsschluchten benutzt er als ein einziges ge­waltiges Instrument und durchrast darauf in vollem Or­chester alle Tonarten. Jetzt setzt er ein mit tiefem Geheul, wimmert die ganze Skala einige Oktaven empor und geht über in spitzes Pfeifen, klar und schneidend wie scharf- geschliffener Stahl . . .

Orlandos Erregung wächst. Kalter Schweiß tritt auf seine Stirn.

Ihr verbergt mir etwas!" ruft er heftig.Ich sehe es euch ja an! Was ist es mit Clelia?"

starben. (Lautenschlager, ein gekorener Stuttgar­ter, war der erste Vorsitzende des Stuttgarter Gewerbe- gerichts und Kandidat bei der Staidtvorstandswahl im Jckhr 1899).

Worms, 19. Juli. Wie jetzt bekannt wird, wurde Fveiherrn Heyl zu Herrnsheim von der hinter verschlosse­nen Türen abgehaltenen Bertrauensmännerversammlung sein zurückgegebenes Mandat nicht einstimmig, wie be­hauptet wird, wieder anvertraut. Vielmehr verließen von den 500 Erschienenen ein Drittel vor der Abstimmung den Saal. Von den Verbleibenden stimmten ein Viertel durch Sitzenbleiben gegen die Vertrauensknndgebung.

Berlin, 19. Juli. In Hofkreisen wird behauptet, daß anfangs August der neue Reichskanzler v. Beth - mann-Hvllweg sich dem Kaiser Franz Joseph in Ischl vvrstellen wird und mit Frhrn. v. Aehrenthal Zusammentreffen wird. Darauf wird er sich zu einer Be­gegnung mit Tittoni begeben.

Berlin, 19. Juli. Wie verlautet, sollen die ge­samten Steuergesetze nach erfolgter Unterschrift durch den Reichskanzler in den nächsten Tagen amtlich publiziert werden, und zwar soll die Reichsstempelnovelle mit Aus­nahme der Bestimmungen über den Scheckstempel zuerst in Kraft treten, am 1. August das Brausteuergesetz, die Kaffee- und Teezvllerhöhung und die Schaumweinsteuer- erhöhnng.

Berlin, 19. Juli. Wie derFinanzherold" erfährt, wird in Berliner Kreisen des Hansa bundes erwogen, Fürst Bülow wegen feiner Verdienste um Handel und Industrie zum ersten Ehrenmitglied vorzuschlagen.

Bergen, 19. Juli. Die KaiserjachtHohenzol- lvrn" mit dem deutschen Kaiser an Bord ist um halb 6 Uhr unter dem Salut der Festung und des aus der Rhede liegenden norwegischen PanzersNorge" hier ein­getroffen.

Corno, 18. IM. In! Barese ist heute Nachmittag der spanische Thronprätendent Prinz Karl vjon Bourbon!, Herzog von Madrid, in dem Hotel, in dem er sich seit einiger Zeit mit seiner Familie aufhiell, in­folge eines am 15. IM erlittenen Schlaganfalls ge­storben.

Madrid, 20. Juli. Bei Melilla fand ein Kampf statt, der nach amtlichen Meldungen einen recht heftigen Charakter annahm. Tie Spanier hatten fünfzehn Tote und zweiundzwanzig Verwundete.

Württembergischer Landtag

Die Erste Kammer und die Volksschulnovelle.

Stuttgart, 20. Juli.

Tie Erste Kammer erledigte gestern verschiedene Artikel der Volksschulnovelle, die zu den unwesentlicheren des Entwurfes gehören und keine Debatten hervvrriefen. Erst der Artikel 8, der die Schüler zahlen festsetzt, gab Anlaß zu Erörterungen. Tie Kommission hatte sich hier unter Ablehnung des Beschlusses des andern Hauses auf den Regierungsentwurf zurückgezogen, ein Standpunkt, der nur von Malermeister Schindler bekämpft wurde. Tie beiden Berichterstatter und Präsident v. Sand­berger vertraten den Kommissionsstandpunkt unter Hin­weis auf die Finanzverhältnisse und den Lehrermangel. Minister v. Fleischhauer betonte auch seinerseits, daß die finanzielle Lage die Regierung verhindert habe, we­sentlich weiter zu gehen, als der Entwurf von 1902, aber er ließ doch durchblicken, daß er als Kultusminister sich nur freuen könnte, wenn man dem Beschlüsse des jenseitigen Hauses beitreten würde. Er machte darauf aufmerksam, daß, wenn auch die Zahlen der Zweiten Kammer Gesetz werden würden, sie doch so bald nicht zur Durchführung gelangen könnten. Das hohe Haus blieb jedoch bei dem Standpunkt, welchen seine Kommission eingenommen hatte. Bei diesem Artikel hatte der Minister noch in Aussicht gestellt, daß, wenn die Novelle zur Verabschiedung käme,

Ehe wir weiter sprechen, laß mich Dir erklären^ mein Junge" beginnt Tr. Röder teilnahmsvoll, die Hand auf Orlandos Schulter legend.

Doch unwillig schüttelt dieser die Hand ab.

Ich mag nichts hören, Doktor. Nur Clelia will ich sehen. Ich glaube, ich habe ein Recht darauf!"

Clelia ist nicht zu Hause, Orlando!"

Wo ist sie?"

Spazieren gefahren."

Allein?"

Nein."

Mit wem?"

Durchdringend blickt Orlando den Arzt an. Eine Ahnung der Wahrheit dämmert in ihm auf.

Tr. Röder!" ruft er in heißer Erregung.Sie waren der Freund meines Vaters", seine Stimme bebt in wehmütiger Erinnerung an die toten Eltern Sie sind mir die Wahrheit schuldig, die volle Wahr­heit! . . . Mit wem ist Clelia ausgefahren? Mit ihrer Mutter?"

Clelias Mutter ist tot, Orlando!"

Mit wem also? Mit wem?"

Mit ihrem Bräutigam!"

Totenstille.

Dann lacht Orlando bitter auf.

Ah, jetzt verstehe ich. Deshalb also diese so über­aus zärtliche Bewillkommnung. Clelia hat mich ver­gessen !"

Nein! Nein!" wehrt Bernado Morgano, der sich bis dahin schweigsam Verhalten, erregt ab.Nicht ver­gessen! Aber"

Aber?"

Wir glaubten, Du wärest tot, Orlando!"

Wieder jenes bittere Auflachen, das den beiden Män­nern in die Seele schneidet.

Leider hattet ihr euch geirrt«! Orlando Prini lebt! Und er verlangt aus Clelias eigenem Munde zu hören, daß sie ihn aufgegeben hat um eines andern willen. Und wenn es wirklich so ist, dann"

In diesem Augenblick ein grell herabzuckender Blitz,

Schreckensbleich lauschen alle drei hinaus in den Park.

Da draußen P-erdegetrapPel. Raderrollen.

die Regierung eine Exigenz einbringen würde, die sowohl Forderungen für Schulgehalte, als für Schulbauten enthal­ten solle.

Bei dem Artikel 92 a beantragte Fürst Hohenlohe- Langenburg, den Prozentsatz der Lehrerinnen ge­genüber der Gesamtzahl der Bvlksschullehrstellen von 15 auf 25 Prozent zu erhöhen. Dieser Antrag wurde, nachdem Minister v. Fleischhauer und Präsident v. Sand­berger gegen ihn Stellung genommen, ab ge lehnt.

* * *

Die Finanzkommission

der Abgeordnetenkammer erledigte die Vorberatung der noch "zurückgestellten Etatskapitel 3 (Staatsschuld), 3z (Schatzanweisungszinse), 123 s (Steuerstrafen). Bei Kap. 2 (Ref. v. Balz) wurde die der Kommission zur Begutacht­ung überwiesene Frage, wie die jährliche Tilgung auf'die einzelnen Anlehen (Allgemeine Staatsschuld, Eisenbahn­schuld) zu verrechnen sei, zu einer späteren Beratung zu­rückgestellt. Die nicht kündbare Schuld mit jetzt noch rund 12 700 M Jahreszins an die Geistliche Witwenkasse soll allmählich beseitigt werden. Tie seit 1845 ausgenommen? Staatsschuld, einschließlich 'eines älteren Schuldrestes von 36 Millionen betrug auf 1907 rund 740 Mill., hat sich auf 1. April 1909 um 45,1 Mill. vermehrt, zusammen 785 Mill., woran 90,8 Mill. auf allgemeine Staatszwecke, 694,2 Mill. auf Zwecke der Verkehrsanstalten entfallen. Nach'Abrechnung der vorgenommenen Tilgungen beträgt die verzinsliche Staatsschuld auf 1. April 1909 rund 585,1 Mill., der Zinsbedarf jährlich 20,6 Mill. bezw. 20,5 Mill., der Tilgungsbedarf 3,5 bezw. 3,4 Mill. Der Anlehensbedarf ist in der neuen Etatsperivde auf 151 Mill. für Eisenbahnzwecke und auf 2 Milli für 2 neue Vvlks- schnllehrerbildungsanstalten berechnet. Einer Anregung, am Zinsbedarf je 100000 M wegen voraussichtlich spä­terer Anlehensausnahme weniger einzustellen, wurde eine Folge gegeben. Die einzelnen Titel wurden nach! dem Etat genehmigt.

* * *

Stuttgart, 19. IM. Wie der Schwäbische Mer­kur hört, ist für wachsten Donnerstag den 22. d. M. sin gemeinsaimer Ausflug beider Kammern an den Bodensee mit SoUderzug geplant. Vorgesehen ist dabei einie vom König bereits genehmigte Be­sichtigung des Schloßgartens und nach dem Mittagsmahl Sine Rundfahrt auf dem See.

Aus Württemberg.

Aienünachrichte«.

Der ssornnfe enk der K H,«domäncnkawmer. Hsf'aNmerrat Böller w irke zum O» rhofkamrnerrat ernannt dem Sta i»u«koil> vollem Hefele l yanr »ver die nachgesuchke Ei tlaff ng au« dem 8 aa «di ml e reilr und ker ki>. Sekre är ?chnauier bei de» Sareibiikcb d>« Finanzmini>rerium« seinem Ansuchen gemäß unler An-rkenuun 'e'-er lan jrd 'g u k euen Dienste in den dl ibeud » A Heft nd ve s tzt,

Abschiedsbriefe an Bülow.

Der König von Württemberg hat ein Hand­schreiben an den Fürsten Bülow gerichtet, worin der König als deutscher Bundesfürst dem Fürsten den wärmsten und aufrichtigsten Dank aussprach für das, was der Fürst in einer an Erfolg reichen glänzenden Laufbahn als erster Beamter des Reichs zur Wohlfahrt des deutschen Vater­landes und seiner Glieder gewirkt hat, und nicht minder für die der Regierung des Königs betätigte bundesfreundliche Gesinnung. Ministerpräsident Da .v. Weizsäcker drückte in einem Schreiben an den Fürsten das tiefste Be­dauern des württ. Staatsminifteriums über das Aus­scheiden des Fürsten aus seinen Aemtern und den wärmsten Tank für sein bundessreundliches Entgegenkommen bei der Behandlung der besonderen württembergischen Interessen aus.

Clelia kommt!" flüstert Tr. Röder.Geh, ineil Junge! Sei großmütig!"

Doch Orlando rührt sich nicht.

In düsterem Feuer glühen seine Augen hin nach der

Tür.

Jetzt draußen das Oeffnen und Schließen eines Wa­genschlags . . . ein paar Worte hin und her-

Tie Tür öffnet sich'.

Eine elegant gekleidete, etwas starke Dame mit grau­meliertem Haar und vor Angst gerötetem Gesicht mir ein.

Und dann-dann-

Orlando meint, das ganze Zimmer drehe sich vor seinen Blicken.

Eine überschlanke ätherische Mädchengestalt in tief« Trauergewand steht auf der Schwelle bleich, ach so bleich

-die großen Augen von dunklen Schatten umgebe»,

um den lieblichen Mund ein rührendes, wehes Lächeln -

Die mechanisch geht Orlando ihr einige Schritt entgegen.

Jähes Erschrecken zuckt über das schneeweiße Gesicht Ihre Pupillen vergrößern sich. Ihr Atem scheint z» stocken.

Plötzlich ein Schrei! Ein Jubelschrei! Ein Schl» aus tiefster, tiefster Seele!

Orlando!!!"

Und schon liegt sie an seiner Brust und schlingt die Arme um seinen Hals und lacht und weint und schluchzt vor Glück.

Clelia! Meine Clelia!"

Tief bewegt beugt Orlando sich nieder zu dem gold­braunen Köpfchen. Seine Lippen flüstern leise liebkosend« Worte . . .

O hehre Weihe dieses Wiedersehens! Wer hätte da» Herz, sie zu stören! . . .

Mit geballter Faust und zornglühenden Augen ver­harrt der Marchese auf der Schwelle. Sein egoistisches Herz empfindet kein Mitleiden mit diesen beiden junge« Menschenkindern.

Nur abwarten will er, was noch geschieht um dann mit brutaler Hand einzugreifeu.

(Fortsetzung folg:.)