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Ds nerstag, den 21. Mai

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Zur Reichsfinanzreform.

Eine Finanzreform ohne neue Steuern will das Zentrum durchführen. Sein führendes Organ, dieGer­mania", setzt eingehend auseinander, wie dieses Kunst­stück gemacht wird. Das Zentrumsblatt geht von der Betrachtung aus, daß die bestehenden Zölle und Steuern aus Lebens- und auf Genu ß m ittel im Verhält­nis zum Werte dieser Objekte sehr ungleich sind, und daß der notwendigste Bedarf der breiten Massen, wie z. B. Salz und Petroleum, unvergleichlich höher be­steuert ist als die meisten reinen Genußmittel, wie .Ta­bak, Schaumwein, Bier. Gegen eine gleichmäßig hohe Besteuerung dieser Genußmittel spreche eigentlich nur die historische Entwicklung dieser Steuerarten, andere Gründe dagegen seien nicht vorgebracht, z. B. kein Grund, wes­halb man das Petroleum, das Licht der Aermeren, mit SO Prozent des Wertes, das Licht der Wohlhabenden dagegen,«Gas und Elektrizität, gar nicht besteuere. Auch die Steuerfreiheit des Weines sei grundsätzlich nicht be­gründet. Eine Erhöhung der Schutzzölle ist auf abseh­bare Zeit ausgeschlossen. Eine Erhöhung der Finanz­zölle auf Petroleum und Kaffee dürfe nicht in Frage kommen, weil sie ein Bedürfnis der minderbemittelten Volksklassen und ohnehin schon genug belastet sind. Eine Steuer auf Gas und auf elektrisches Licht sei in Petracht zu ziehen.

Der Artikel empfiehlt dann eine Aenderung der Versteuerung von Tabak und Zigarren, wie sie schon vielfach empfohlen ist, und zwar einen kombinierten Zoll und eine kombinierte Steuer, nämlich Gewichts- und Wertzoll, bezw. Gewichts- und Wertsteuer. Die Steuer- und Zollsätze müßten.jedoch dann, um die von den we­niger leistungsfähigen Konsumenten gebrauchten Qua­litäten nicht zu verteuern, entsprechend herabgesetzt wer­den, vielleicht auf 30 Mark (statt bisher 45 Mark) vom Jnlandtabak und 60 Mark (statt bisher '85 Mark) vom importierten Rohtabak. Hierzu käme eine Zuschlag­steuer nach dem Werte des Steuerobjektes von etwa 50 Prozent des vom Importeur oder Aufkäufer zu de­klarierenden Kaufpreises; der Ertrag einer solchen Wert­steuer würde etwa 82 Millionen ergeben. Hiervon ab­gerechnet den Minderertrag infolge 'Bes ermäßigten Zoll­satzes von ,etwa 27 Millionen, bliebe ein Mehrertrag von jährlich 55 Millionen Mark der ausschließlich 'die besseren, teureren Erzeugnisse belasten würde. Zweitens empfiehlt der Artikel eine Reform der Brannt-

Vetter Gottlieb.

Ein Charakterkopf aus der guten alten Zeit.

Von Edwin Bormann.

(Nachdruck verboten.)

(Schluß.)

Mit dem Gelde war der vorsichtige Mann Zeit seines Lebens weise umgegangen und hatte daher sein Schäfchen Trockene gebracht.. Knickerig war er dabei nicht. Sein Haus war gastfrei. Mit immer freundlicher Miene beher­bergte und bewirtete er meine Großmutter und mich wochenlang. Aber in allem, was das Geschäft betraf, sah er genau auf seinen Vorteil. Eines Morgens fand sch auf meinen jugendlichen Entdeckungsreisen im Laden einen ungebundenen Band der Leipziger Jllustrier- Zaitung, dessen Bilder mich! höchlich iklustigten. Ich forschte, woher der Band stamme, denn er lag noch völlig unaufgeschnitten. Wie groß aber war mein Erstaunen, als. ich erfuhr, das sei nichts als Makulatur, angekauft zur Fabrikation der Tüten, die die Familie in den langen Vnntermonaten selbst zu schneiden und kleben pflegte. Heimlich hat ich die Großmutter, ob sie nicht den Vetter bewegen wollte, den Band vor diesem grausen Schicksale zu bewahren und lieber mir zu schenken. Gern ließ sich er Vetter bereit finden; aber hier begann das Interesse Es handelte sich um etwas für das Ge- IMst Erworbenes, und das mußte selbstverständlich seinen 4 utzen abwerfen. Der Band wurde auf der Ladenwage usgewogen, die Großmutter bezahlte ihn mit sechzig Lsennigen bar, der Onkel verdiente damit gewiß seine zwanzig Pfennige, und ich freue mich noch heute des Be- 1 ßos jenes alten Halbjahrbandes der Illustrierten.

N ging im alten Hause alles seinen Gang.

Punkt sechs Uhr erstes Frühstück, Punkt acht Uhr zweites, tnn ' Uhr das Mittagessen auf den Tisch in der

^Senreichen Stube hinter dem Laden, die' twä eci-E- - sübaus gelegen war. Klingelte während ^ die Ladentüre, ein Zeichen, daß ein Käufer

1 pene« war, so stand das Mitglied der Familie, das

weinsteuer und zwar anstatt des jetzigen äußerst kom­plizierten Steuersystems eine einfache, gleichmäßig hohe Fabrikatsteuer, wie beim Zucker, und Beseitigung der höheren Rückvergütung. Dadurch wären, ohne die Kon­sumenten höher zu belasten, 68 Millionen mehr einzu­bringen und 14,5 Millionen an Erhebungskosten zu spa­ren, so daß sich ein Mehrertrag von 82,5 Millionen ergeben würde. Natürlich würde dadurch auch die sog. Liebesgabe von 48 Millionen beseitigt. Weiter wird vorgeschlagen eine Erhöhung der Schaum­weinsteuer von 50 Pfennig auf zwei Mark pro Fla­sche, wodurch der Ertrag jährlich um 15 Millionen ge­steigert werden könnte.

So würden sich also", schließt der Artikel,aus der Reform der Branntwein-, Tabak- und Schaumwein­steuer ohne Belastung der weniger leistungsfähigenVolks- klassen rund etwa 150 Millionen Mark Mehrertrag jähr­lich ergeben, wenn der Tabak dem Wert entsprechend be­steuert, die Schaumweinsteuer auf eine vernunftgemäße Höhe gebracht und bei der Branntweinbesteuerung die­jenigen Mißstände beseitigt würden, welche durch die Entwicklung der Verhältnisse allmählich eingerissen sind, deren Beseitigung seitens der großen Mehrheit des Reichs­tags aber schon seit Jahren in wohlbegründeten Reso­lutionen gefordert worden ist."

Diese Vorschläge sind an sich nicht neu, es fragt sich nur, ob sie gut sind. Daß dem Zentrum eine Licht­steuer nicht unsympathisch ist, verstehen wir, denn je dunkler es im deutschen Reiche ist, umso besser für das Zentrum. Wir aber wollenm ehr Lich t" und lehnen deshalb diesen Vorschlag ab. Nicht weniger skeptisch stehen wir der Umgestaltung der Tabaksteuer gegen­über, wie sie dieGerm." empfiehlt. Es handelt sich dabei um die schon früher vorgeschlagene Kombination von Gewichts- und Wertzoll, die mit einer Ermäßigung der Zoll- und Steuersätze Hand in Hand gehen soll. Aus dieser Umgestaltung rechnet das Blatt einen Mehrertrag von 55 Millionen heraus; wir glauben nicht daran, sondern vermuten, daß diese Erwartung genau so trü­gen würde, wie die Hoffnung auf die 50 Millionen der Fahrkartensteuer. Ebenso trügerisch scheint uns die An­nahme zu sein, daß man die Schaumweinsteuer um das vierfache steigern könnte. DieGerm." rechnet gus, daß bei feiner Steuer von 50 Pfennig für die Flasche die Schaumweinsteuer 5i/Z Millionen Mark bringt. Nichts einfacher, meint sie, als die Steuer auf 2 Mark für die Flasche zu erhöhen; dann bringt sie 15 Millionen Mark mehr. Das ist eine Milchmädchenrechnung. In

gerade seinenTag" hatte, auf und versorgte den Kun­den. Das ging einen Tag wie den andern. Welche Ueber- raschung also, als ich eines Morgens hörte, der Onkel sei ausgegangen, er sei schon vor fünf Uhr weit, weit hinaus aufs Feld, um zu sehen, wie die Ernte stehe. Sonderbar! Das taten wir doch meist gemeinsam; und wenn ss geschah, war's gegen Abend, ein einstündiger Spaziergang durch die Felder. Erst am andern Tage klärte sich das Rätsel auf. Ein junger Verwandter des' Vetters hatte sich für jenen Morgen schriftlich zum Be­suche angemeldet gehabt. Was das bedeutete, wußte der Onkel nur all zu genau. Ein solcher Besuch endete regel­mäßig mit dem strengen Beweise, daß der Neffe gerade äußerst notwendig" hie Summe von Hundert Talern zum Abschlüsse eines lukrativen Geschäfts bedürfe, die ihm der Onkel unbedingt vorschießen müsse. Ein paarmal war denn auch der Neffe mit gefülltem Portemonnaie ab­gezogen; aber nun war's genug für den Oheim. Direkt der Beredtsamkeit des jungen, Mannes zu widerstehen, diese Kraft traute er sich nicht zu. Er beschloß baher, jedesmal, wenn sich der Neffe wieder zeigte, zuver­reisen", denn so hatten die Seinen dem Geldbedürftigen zu verkünden. Der Onkel aber kannte auch alle sonstigen Lebensgewohnheiten dieses Neffen auf das Genaueste. Er wußte, daß er sehr zeitig vorsprechen würde, um ihn sicher zu Hause zu treffen. Daher rückte er nach Son­nenaufgang schon aus. Er wußte, daß der Neffe, auch wenn man ihm versicherte, der Onkel seiverreist", im Laufe des Tages noch plötzlich drei-, viermal wieder er­scheinen würde, um nachzusehen, ob der Onkel zufällig etwa in der Zwischenzeit zurückgekehrt sei; denn der Neffe war ein beinahe so Heller Kopf wie der Oheim selbst. Aber der Alte war ihm in diesem Punkte doch schließ­lich über. Erst wenn er sich überzeugt hatte, daß der ge­fährliche Mann, ohne seinen Zweck erreicht zu haben, wirklich das Städtchen wieder verlassen hatte, erst in später Abendstunde, kehrte der Onkel schmunzelnd von seinerBe­sichtigung der Felder" zurück. Sie hatte ihm Ja Hundert Taler, wenn auch nicht abgeworfen, so doch erspart.

Zeit seines Lebens war der tätige Mann kerngesund gewesen. Einmal, erst in den sechziger Jahren seines

Wirklichkeit würde Bei 2 Mark Steuer der Konsum von Schaumwein so stark zurückgehen, daß vermutlich kaum her heutige Ertrag erzielt würde. Denn aus der Steuer­geschichte weiß man nur zu gut, daß nichts so schwan­kend ist wie eine hochgeschraubte Luxussteuer. Das ein­zige, was uns von den Vorschlägen derGerm." an­nehmbar erscheint, ist eine Reform der Brannt­weinsteuer. Sie fordert eine gleichmäßig hohe Fa­brikatsteuer unter Beseitigung der höheren Rückvergüt­ung- Daß auf diesem Wege 68 Millionen mehr für die Reichskasse zu gewinnen wären, ist ohne weiteres zu­zugeben. Nur wird dieGerm." zugestehen müssen, daß hieser Vorschlag, so gut er sein mag, nicht neu ist. Von liberaler Seite ist er längst gemacht worden. Immer­hin würden wir uns freuen, wenn jetzt das gesamte Zentrum für diese Reform eintreten will. Aber das sind eben nur 68 Millionen. Damit ist die Zinanz- xeform nicht zu machen; sie erfordert wenigstens has Fünffache an neuen 'Reichseinnahmen, womit zur Genüge erwiesen ist, daß es ohne neue Steuern doch nicht geht. .Und selbst wenn man nach den Vorschlägen derGerm." verfahren wollte, so käme man im günstigsten Falle auf 150 Millionen. Die größere Hälfte des Mehrbe­darfs im Reiche bliebe noch immer zu decken. Da aber auch dieGerm." die weniger leistungsfähigen Volks­klassen nicht belasten will, so bleibt eben nichts anderes stbrig, als auf direkte Reichs steuern zurückzugrei­fen. Blm diese Notwendigkeit kommt man nicht her­um, man mag das Problem der Reichsfinanzreform hin- und herwenden, wie man will.

Württ. Landtag.

Kammer der Abgeordneten.

(89. S i tz u rr g!)

S t«t t g a r t, 19. Mal. ' . Präsident v. Payer eröffnet die Sitzung um 3 Uhr 15 Minuten.

Im Einlauf befinden sch verschiedene Noten der Ersten Kammer.

Zur Beratung steht der Bericht der Kommission für Ge­genstände der inneren Verwaltung zu den Anträgen der Ab- geordneten Dr. Lindemann und Eisele betr. ' '

das Apothekenwese« , ^

und zu der hiezu eingekommcncn Eingabe des Verbands konditionierender Apotheker.

Alters, ward er von einer Krankheit gepackt. Diese Krankheit aber stammte einfach daher, daß er ein Schock Kirschenmit Ä>en Kernen" gegessen hatte. Höchst ver­wundert war er, als ihm der Arzt mitteilte, daß Kirsch­kerne nicht gerade zu den leicht verdaulichen Nahrungs­mitteln zu zählen seien. Und -der Onkel hatte es doch von Kindesbeinen so gehalten: nichts umkommen zu lassen! Warum sollte der sparsame Mann jetzt auf seine alten Tage noch zum Verschwender werden und die Kerne aus­spucken Es war wirklich recht grausam vom Doktor, daß er ihm nach mehrwöchentlichem Krankenlager die ehrwürdige Jugendangewohnheit aus das Strengste unter­sagte.

Unterdessen war ich groß geworden, und meine Schul- ^ ferienbesuche hatten aufgehört. Die Töchter des Onkels waren verheiratet, die Frau war ihm gestorben. Genug zum Leben hatte der Mann, und so verkaufte er sein Wa­renlager aus und ließ den Handel aufhören. Nicht etwa, daß ein Ausverkauf und eine Geschäftsauflösung ange­zeigt worden wäre. Bewahre. Es wurde eben Kasten fiir Kasten, Fach für Fach leer verkauft, bis alles alle war. Und als der letzte Kunde die letzte Elle Kleiderstoff zum Laden hiuaustrug, wurde die Türe zugeschlossen. Das Geschäft hatte aufgehört, aber die Firma prangte nach wie vor über der Ladentüre, und die Ladenfenster wurden jeden Tag geöffnet, der Raum aber nicht anderweit be­nutzt oder gar an einen Fremden vermietet.

Der alte Mann aber faß von nun ab Tag für Tag in seinem einfensterigen Stübchen jenseits der Hausflur und strickte Bälle. Das heißt, er drehte Werk zu einer Kugel zusammen und überspann dann kunstvoll den Knaul mit bunten Wollsäden, die über Korkstöpsel mit eiugesteckten Nadeln zusammengeflochten wurden. Diese Bälle, deren täglich mehrere Dutzend fertig wurden (denn der Vetter-schlug immer wieder seinen eigenen Rekord), wurden sorgfältig in große Fässer nebeneinander gelegt und dann faßweise an äine Spielwarenhandlung abgesetzt, das Stück zu zwei oder drei Pfennigen.

Ter Ballstricker am Fenster aber warf von Zeit zu Zeit einen Blick hinaus auf die Gasse und nickte dem