Die Wirre» i» Marokko. Ueber dem Fort von Casa-Blanca weht nach den heute vorliegenden Meldungen die französische Flagge. Drei Panzerschiffe des französischen Noidgeschwaders haben Befehl, bis zur Ankunft des Kreuzers Jeanne d'Arc in den marokkanischen Gewässern zu kreuzen. Der französische Geschäftsträger in Tanger erbat vom Admiral Jaureguiberry, welcher mit dem nach Brest zurückkehrenden Nordgeschwader Tanger passierte. Unterstütz, ung. damit die französische Bevölkerung von Tanger während der Abwesenheit des Kreuzers Jeanne d'Arc nicht ohne Schutz bliebe. Der Gouverneur von Tanger machte aus Veranlassung des Geschäftsträgers den Lokalbesitzern Tangers zur Pflicht, keine laute Kritik an der französischen Aktion zu dulden. Zwei Männern, welche Bemerkungen über das Bombardement von Casablanca machten, wurde nach Landesbrauch zur Strafe die Zunge mit rotem Pfeffer eingerieben.
Ein aus Casablanca in Tanger eingetroffener Dampfer meldet, daß bei seiner Abfahrt das Bombardement und der Kampf in den Straßen noch fortgedauert habe. Die Franzosen hätten Dienstag 3000 Mann gelandet. Die Mauren hätten das jüdische Stadtviertel geplündert und viele Jude» getötet. Die Europäer seien alle in Sicherheit. Die Stadt stehe inFlammen oder fei zerstört. Die Stcandbatterien hätten auf die Schiffe gefeuert, seien aber sofort zerstört worden. In Casablanca seien die Straßen voll toter Marokkaner und alle Läden geschloffen. Die Konsuln hätten Anweisung gegeben, die Läden wieder zu öffnen und hätten auch die Preise für die Nahrungsmittel festgesetzt, da die Armen Rot litten. Die Agentur der „Marokkanischen Bank" in Casablamca ist beraubt worden. 3000 Pfund Sterling fehlen.
Hages-KyroniL.
Hamburg, 8. Aug. Der erste Offizier des hier im Hafen liegenden österreichischen Dampfers „Camp ania", Giovanni Balic aus Jofica, wurde von dem Matrosen Antic aus Jeborine (Dalamatien) erstochen.
WUHelmshöhe, 9. Aug. Der Kaiser ist gestern Abend 9.10 hier einaetroffen.
Belgrad, 9. Aug. Der Führer der Nationalen Partei, Kranja-Rista-Pogowitszh ist gestern das Opfer eines Mordanschlags geworden.
Odessa, 9. Aug. Vier Anarchisten, die gestern aus Varna eintrafen, sind unter dem Verdacht verhaftet worden, daß, sie die Ermordung der hiesigen Konsuln beabsichtigen, um dadurch eine Einmischung der Großmächte in die mazedonische Angelegenheit hervorzurufen.
Newyork, 8. Aug. Der Dampfer „City of Panama" ist zwischen Portland und San Franzisko mit dem Dampfer „Alliance" zusammengestoßen; erste- rer sank mit den Passagieren Und der Ladung. Die Passagiere sind gerettet. Nebel scheint den Zusammenstoß herbeigeführt zu haben.
Kalkutta, 9. Aug. 30 Agitatoren griffen die Polizei an, welche in dem Geschäftslokal einer zur Eingebore- nen-Presse gehörigen Zeitung eine Haussuchung vornahm. Zwei Polizeibeamte wurden verletzt. Die nationalistischen Führer organisierten einen riesigen Boykott als Demonstration. Weitere Ruhestörungen sind nicht vorgekommen. Die Bevölkerung steht den Ereignissen gleich- giltig gegenüber. _
In Wimpfen wurde der Bauer August Bordt, als er am Donnerstag auf dem Felde arbeitete von feinem Pferde in den Arm gebissen. Er Mußte in das Krankenhaus nach Heilbronn gebracht werden.
In Sommerau (Sachsen) wurde, wie verschiedene Dresdener Blätter berichten, eine Fryu im Scherz von einem Nachbar zwischen die Stubentür geklemmt. Nach einiger Zeit stellten sich Beschwerden nnd Brechanfälle ein, sodaß die Frau sich in ärztliche Behandlung begeben mußte. Als sie im Begriff war, das ärztliche Rezept ent» gegenzunehmen, brach sie vor den Augen des Arztes zusammen und war sofort tot.
Aus Trier wird gemeldet: Bei einem Fluchtversuch aus dem Wege nach dem Gefängnis wurde der Taglöhner Wirts-Großhettingen von dem begleitenden Gendarmen erschossen.
Das Eisenbahnunglück bei Tremessen hat, wie gemeldet, zwei weitere Opfer gefordert; der Petersburger Ingenieur Zeigli n und der Distriktskommissar! v. Henri i g find ihren Verletzungen erlegen. — Die Eisenbähndi- rektion in Posen versandte an alle Zeitungen in Posen folgendes Telegramm: „Die Ursache des Unfalles, vorbehaltlich gerichtlicher Feststellungen, sind teils unzureichende Vorsichtsmaßregeln beim Gleisumbau, teils große Fahr geschwind igkeit. Dementsprechend richtet sich die Untersuchung gegen den Bahnmeister der Strecke Mogilno-Tremeffen, namens Bajor aus Bromberg und gegen den Führer der ersten Lokomotive Bargel aus Gnesen." Beide sind, wie der „Lokal- Anz." berichtet, sofort ihres Dienstes vorläufig enthoben worden."
Wie der Lok.-Anz. aus Königsberg i. Pr. meldet, sind 9 Personen des Pionierbataillons 1 Nr. 18, infolge Kenterns eines Pontons ertrunken.
In Ne!ubru nst bei Eisenstein in Böhmen br ann te der Herrschaftssitz der alten Böhmerwäldler Gutsbesitzerfamilie Asch erl nieder. Der Schaden ist unberechenbar, weil wertvolle kunsthistorische Sammlungen aus dem Böhmerwalde sowie Gemälde Pud Antiquitäten vernichtet worden sind.
Aus Zbürttemöerg.
Dienstuachrichteu. Uebertragen: Die erledigte Stratzen- bauinspektion Biberach dem etatSmötzigen Regierungsbaumeister Lam- Parler in Biberach und die erledigte Straßenbauinspektion Calw dem ciatSmäßigen Regierungsbaumeister Kur» in Ebingen; die evangelische Pfarreien Derendingen, Dekanats Tübingen, dem Pfarrer Beck in Dürrcnzimmern. Dekanats Brackenheim.
In den Ruhestand versetzt: Professor Binder ander Oberrealschule in Heilbronn seinem Ansuchen gemStz und ihm aus diesem Anlaß das Ritterkreuz I. Klasse des FriedrichSorden» verliehen; den evangelischen Pfarrer Hoffmann in Hemmingeo, Dekanats Leonberg, seinem Ansuchen gemäß und ihm aus diesem Anlaß dar Ritterkreuz i. Klaffe dcS Friedrichordens verliehen.
Stuttgart, 8. Aug. Der Stadibauplan für das! Bahnhofareal sollte in der heutigen gemeinschaftlichen Sitzung der bürgerlichen Kollegien endgültig festgestellt werden. ' Seitens des Bürgerausschuffes wurden jedoch verschiedene Wünsche vorgebracht und schließlich beschloß dieses Kollegium in feiner großen Mehrheit dem Beschluß des Gemeinderais auf Feststellung des Bebauungsplanes vorerst noch nicht beizutreten. Die vom Bürgerausschuß erhobenen Einwände bezogen sich hauptsächlich auf die Gestaltung der in dem Plan vorgesehenen von der Schloßstraße zum künftigen Haupibahnhof führenden Hauptstraße, die nach dem Entwurf von Prof. Th. Fischer nicht in gleicher Breite sondern dem Bahnhof zu in wesentlicher Verengerung durchgeführt werden soll. Am nächsten Montag soll die endgültige Entscheidung über den Plan erfolgen. Die Sache ist deshalb von großer Wichtigkeit, weil zu befürchten ist, daß das Konsortium, welches für das Bahnhofareal 21 Mill. Mk. geboten hat, von dem Kaufvertrag alsbald zurücktreten kann und jedenfalls auch zurücktreten wird, wenn der Bebauungsplan nicht rasch in der ron der Generaldtrektion der württ. Staatseisenbahnen ausgearbeiteten Form zur Genehmigung gelangt. — In der heutigen Gemeinderatssitzung wurde beschlossen, der durch das Areal der ehemaligen Legionskaserne führenden Diago- nalstcaße den Namen „Kleine Königsstraße" zu geben.
Rentltrrgev, 8. Aug. Der Verein württ. Baumschulbesitzer hielt dieser Tage im pomologischen Institut unter Leitung des Vorsitzenden, OekonomieratLukas- Reutlingen eine gutbesuchte Mitgliederversammlung. Der Verein hat sich auch dem neugegründeten Bund deutscher Baumschulbe- sitzer angeschloffen. Die württembergischen Baumschulbefitzer befinden sich in einer etwas gedrängten wirtschaftlichen Lage, weil die vielen kleinen Baumschulen von Laien, besonders aber die Baummärkte in Württemberg den Baumschulbesitzern starke Konkurenz bereiten. Für die gangbarsten Obstbaumformen wurden Mindestpreise beschlossen.
Gaildorf, 8. August. Prälat a. D. D. Rudolf von Schmid ist gestern im Samariterheim auf Schloß Ober- sontheim an einem Schlaganfall gestorben. (Geb. im Jahre 1828 zu Altensteig wurde Schmid Theologe. Er war sodann lange Jahre im Ausland besonders auch als Erzieher beim Herzog v. Argill. In seiner Heimat war er der Reihe nach Stadtpfarrer in Heilbronn und Friedrichshofen, sodann Dekan in Hall und von 1862 an Ephoru; am evangelischen Seminar zu Schöntal. Nachdem er Prälat und Grneral- superintendent in Heilbronn gewesen war, berief ihn König Karl 1890 als Nachfolger Geroks zum Oberhosprediger. Von 1896 an war er zugleich Felvprobst des württembergischen Armeekorps, 1898 trat er in den Ruhestand. Schmid war auch literarisch tätig, besonders auch aus dem Gebiet der Naturwissenschafte«.)
Ulm, 8. Aug. Gestern fand die Feuerbestattung des Kommerzienrats sind früheren Landtagsabg. Mayser statt, an der sich äußer den Angehörigen zahlreiche Freunde, Parteigenossen and Bekannte des Dahingeschiedenen beteiligten. Nach einer Trauerrede des Stadtpfarrers Dr. Pfleiderer, her ein kurzes Lebensbild des Verstorbenen entwarf, legte Oberbürgermeister v. Wagner einen Kranz am Sarge nieder. Kammerpräsident Payer über- , brachte die letzten Grüße der volksparteilichen Fraktion.
' Landtagsabgeordneter Betz sprach namens des weiteren und engeren Landesausschusses der Volkspartei. Hofhutmacher Statt mann-Stuttgart legte namens des Vereins württ. Hutmacher einen Kranz nieder. Mg. Rechtsanwalt Mayer namens des Ulmer Volksvereins. Kränze widmeten ferner die Ulmer junge Volkspartei und der Auffichtsrat der Ulmer Zeitung, die Loge „Karl zu den drei Ulmen" drei Rosen.
Ans dem Güterbahnhof in Stuttgart wurde am Donnerstag abend einem Ankuppler der rechte Fuß abgefahren. Der Verletzte ist auf dem Transport ins Katharinenhospital gestorben.
In der Nacht vom 6. zum 7. ds. wurde in Cannstatt ein frecher Diebstahl verübt. Der Täter stieg Mittelst einer Leiter, die er an einem nebenan befindlichen Neubau fand, hurch ein offenes Fenster des ersten Stockwerks in ein Zimmer in dem die Bewohner schliefen/ entwendete jaus demselben zwei goldene Uhren, eine schwere goldene Damenhalskette, verschiedenen sonstigen Schmuck und auch Kleidungsstücke. Vom Täter hat man bis jetzt keine Spur.
In Erligheim O.A. Besigheim fiel der Bauer Christian Umbach beim Einfahren so unglücklich vom Wagen, daß er auf der Stelle tot war.
Der 56 Jahre alte Maurer Christian Hammel in Göppingen war damit beschäftigt, am Gasthaus zum schwarzen Adler eine Fensteröffnung herzustellen. Hiebei brach ein Teil des Gerüstes zusammen und Hammel fiel vom 2. Stockwerk herab auf die Straße; dabei erlitt er solche innere Verletzungen, daß er bald darauf starb. Der Verunglückte hinterläßt eine Witwe und 6 Kinder.
Beim Spielen mehrerer Knaben auf dem Schloßberg Heidenheim wUrde plötzlich einer derselben, 12 Jahre alt, angeschossen. Schwerverletzt wurde er ins Bezirkskrankenhaus gebracht, wo mittels .Röntgenstrahlenfestgestellt wurde, Aaß die Kugel im Kreuzbein stecken geblieben war.
Der Knecht Haßlanger von der Krone in Steinheim bei Heidenheim geriet unter einen geladenen Wagen und wurde schwer verletzt nach Hause gebracht.
Aus Jsny wird geschrieben: Schwere Gewitter hatten in den letzten Tagen in unserer Gegend bedeutende Brandfälle zur Folge. So schlug der Blitz inSchnatdt Gemeinde Eglofs in den Stadelraum des Bauern Matthias Lenz ein, wobei dessen Scheuer eingeäschert wurde. In der Nacht vom 6. auf 7. ds. MtS. wurde das Wohn- und Oekonomtegebäude des Gastwirts Notzin Wehrlang durch Blitzschlag gänzlich eingeäschert. Zur gleichen Zeit wurde» von hier aus Schadenfeuer in verschiedenen Orten unserer bayerischen Nachbarschaft beobachtet.
Kerichtssaar.
Z«m Fall Ha«.
Ein !Erp r essU ngsv er such?
Die neue sensationelle Wendung, den der Fall Hau durch das Auftreten des Zeugen v. Lindenau genommen hat, scheint auf einen gewöhnlichen Erpressungsversuch!
hinauszulaufen. Wie der Karlsruher Polizeibericht mitteilt, ist der Haftbefehl gegen den 64 Jahre alten, verheirateten, zuletzt in Mannheim wohnhaften Freiherrn Carl v. Lindenau unter der Beschuldigung des Erpress» n gs ve rsu ch es, der Beleidigung und der Begünstigung erlassen worden. Der Haftbefehl wurde Mittwoch Nachmittag in Mannheim vollzogen, v. Lindenau hatte gleichzeitig mit dem Briefe an den Verteidiger Dr. Dietz einen anonymen Brief an Fräulein Olga Molitor gesandt, dessen wesentlicher Inhalt dahin geht, er habe gesehen, daß Olga ihre Mutter erschossen; Lindenau verspricht ihr zu schweigen, versichert sie seiner Liebe Und bittet um ihre Hand. Er erbittet Antwort in der „Bad. Presse". In letzterem Brief wird ein Erpressungsversuch und eine Beleidigung gegen Frl. Molitor erblickt.
Ueber die Verhaftung des Lindenau wird aus Mannheim gemeldet: Als der Baron Mittwoch Abend 6 Uhr von Heidelberg zurückkam, wohin er sich wie er sagt begeben hatte, um sich lästigen Besuchen zu entziehen, wurde er sofort festgeno mmen und abgeführt. Staatsanwalt Bleiche rt traf mit dem nächsten Zuge ans Karlsruhe ein und stellte mit dem Baron ein Verhör an, das sich bis gegen 10 Uhr abends hinzog. Die Nachricht, daß Oberstaatsanwalt Dnffner in Mannheim gewesen sei, Um Lindenau zu vernehmen, wird als unrichtig bezeichnet. Der Herr, der für den Staatsanwalt gehalten wurde, sei ein Zeitungsvertreter gewesen.
Wie weiter ja! ns Mannheim gemeldet wird, ist dort gestern (Donnerstag) Nachmittag Olga Molitor in Begleitung ihres Bruders, des Oberleutnants Molitor eingetroffen, um mit dem verhafteten Baron von Lindenau konfrontiert zu werden. Nach der Gegenüberstellung reisten die Beiden sofort wieder ab. Die Durchsuchung der Wohnung des Barons, ist ergebnislos geblieben. Ueber das Ergebnis der Konfrontation wird Stillschweigen bewahrt.
Eine Charakteristik Lindenaus und ein Stimmungsbild zugleich entnehmen wir der Stg. Morgpst.. Dem Blatt wird aus Karlsruhe telegraphiert: Seit Bekanntwerden des Briefes, welchen Frhr. v. Lindenau an Olga Molitor geschrieben hat und dessen Inhalt zur Verhaftung Lindenaus Veranlassung gab, beginnt hier di e Stimmung umzuschlagen. Das Gros, welches bisher Han für den Mörder hielt, fängt an, in seiner Ansicht zu schwanken. Hier und da taucht die Meinung auf, daß Olga Molitor selbst ihre Mutter ermordet hat. Was Lindenau anbetrifft, so ist er Mls Zeuge denkbar minderwertig.! Seine Vergangenheit ist die so vieler heruntergekommener Individuen. Er ernährt sich kümmerlich mit seinem Heirats- hnrean in Mannheim. Aus welche Weise Dr. Dietz Lindenau als Schreiber jenes anonymen Briefes an ihn und Olga Molitor entdeckte, ist bereits mitgeteilt worden. Lin Vertreter des Berl. Lokalanz. hatte heute Gelegenheit, den ungemein liebenswürdigen Verteidiger des Lindenau, Dr. Gönner, Zn sprechen. Demselben ist vollkommen klar, daß das Vorleben Lindenaus und sein ganzes Gebaren ihn zu dkm denkbar schlechtesten Zeugen stempelt, und doch hält Dr. Gönner die in Rede stehenden Angaben für wahr. Die Anwesenheit Lindenaus in Baden- Baden, nicht weit vom Orte der Tat, wird von Zeugen nachgewiesen. Wie weit nun den detaillierten Angaben bezüglich der Mordtat selbst dem Lindenau Glauben zu schenken ist, muß die weitere Vernehmung ergeben. Es ist bekannt, daß Olga Molitor ständig einen Revolver bei sich trägt, angeblich weil sie weite Spaziergänge liebt. Wenn sich die Behauptung Lindenaus bewahrheiten sollte, so dürste es sich um eine Körperverletzung mit nachgefolgtem Tode handeln, die in dem recht schlechten Verhältnis zu ihrer Mutter zu ergründen ist. Jedenfalls ist der Fall Hau in ein neues Stadium getreten.
Auch ein Vertreter der Fr. Ztg. berichtet sehr ungünstiges über den Baron Lindenau: Er (Lindenau) sollte wie sein Vater, der österreichischer Offizier war, in die äste?-- reichische Armee eintteten, wurde aber bald wegen allerlei Vergehen, zum Teil Eigentumsvergehen, Mit Kerker und Degradation bestraft und schließlich davv »gejagt. Der Brief an Fräulein Molitor soll di e ust- glanblichjten Dinge enthalten. Bemerkenswert ist noch die Feststellung, daß Lindenau über zwei Handschriften verfügt, die er, je nachdem er es für notwendig hält, gebraucht.
Lindenau stellt natürlich den ihm von der Staatsanwaltschaft unterstellten Erpressnngsversuch in Abrede. Auch soll er sich !bei dem Verhör ziemlich arrogant benommen haben. Als ihn Herr Staatsanwalt Bleicher als ,^Herrn Linden<ru" pnsprnch, habe ^ geantwortet: „Für L-ie bin ich der Freiherr von Lindenau."
Zn dieser Mitteilung bemerkt die „N. Bad. Landztg.": Es gibt in Deutschland überhaupt nur einen Freiherrn Karl von Lindenau. Es ist dies der im Jahre 1856 geborene Legationsrat sind ehemalige Vortragende Rat im auswärtigen Amt, Karl von Lindenau, der im Jphr 1906 pensioniert wurde nnd natürlich mit dem „Mann mit dem grauen Bart" absolut nichts zu tun hat. Die übrigen Lindenaus, eine hochangesehene Familie, der hohe Militärs angehören, sind einfacher Adel. Wenn sich der jetzt Inhaftierte also den Titel „Freiherr" beilegt, so hat er dies offenbar ans eigener Machtvollkommenheit getan.
Han
ist im Gefängnis von der Entwicklung, die sein Prozeß genommen hat, unterrichtet worden. Er nahm die Nachricht in der an ihm gewohnten ruhigen Art entgegen und sagte nur, cs sei ihm leid, daß seine Schwägerin diese Unnannehmlichkeiten erleiden müss e.
Rein juristisch bettachtet, hat die Verhaftung Lindenaus mit dem Hauptprozeß nichts zu tun. Ne ist, einstweilen nur wegen Erpressung und Beleidigung verfolgt. Wegen der Ermordung oder Tötung der Frau Molitor fft v. Lindenau bisher nicht in Frage gezogen. Würlw er es aber, als Täter, Mittäter oder wegen Beihelse geschehen, so wäre das immer nur ein eigener neuer Prozeß sein, dessen Ergebnis allerdings dennoch von großer Bedeutung für Len definitiven Ansgang des Prozesses Hau sein könne.