falls nicht. (Bravo). Die gewaltige Anziehungskraft der demokratischen Politik habe sich im Zusammenschluß der bürgerlichen Linken bewährt. Zum Schlüsse feierte der Redner das schöne Schwabenland, auf welches er ein Hoch ausbrachte, das einen begeisterten Widerhall fand. Stürmischer Beifall folgte sodann der Rede Haußmanns. Eine weitere Ansprache hielt hierauf noch Landtags­abgeordneter Rei hl ing, der ein Hoch auf die Jugend au'sbrachte. Im Gasth. z. Schiff fand am Abend sodann eine gesellige Unterhaltung statt, mit welcher das Sommer- fest seinen Abschluß fand.

Mordprozeß Hau.

Karlsruhe. 20. Juli. Aus der gestrigen Abendsitz- ung ist noch die Aussage des Sachverständigen Dr. Batt- lehner zu erwähnen, der erklärt, daß Hau in der ersten Zeit nervös gewesen sei, später sei eine gewisse Apathie eingetreten, doch habe Hau dabei immer sehr genau be- . obachtet. Im allgemeinen müsse er erklären, daß er keine Wahrnehmung gemacht, die darauf hindeute, daß sich der ' Angeklagte in der Zeit, in der er in Baden gewesen sei, in einem Zustand befunden habe, welcher die freie Wil­lensbestimmung ausschließe.

Die Nachricht, daß Hau am Freitag abend noch ein Geständnis abgelegt habe, hat sich nicht bestätigt, dagegen gab 'er a m Schluß der Samstagssitzung eine Erklärung für seine Anwesenheit in Baden.

Zunächst gab Amtsrichter Tr. Ritter Auskunft über die Borvernehmung des Angeklagten. Dann wurde Oberst­leutnant ä. D. Bachelin, der mit einer Tochter der er­mordeten Frau Molitor verheiratet ist, vernommen. Er bezeichnete seine Schwiegermutter als eine herzensgute Frau, die für ihre Kinder sehr besorgt war. Sie sei wohl hie und da heftig, aber gleich wieder gut gewesen. Auch gegen die Dienstboten sei sie gut gewesen, und den Gedanken, daß ein Bediensteter aus Rache den Mord be­gangen habe, halte er für ausgeschlossen. Ein Diener namens Wielandt, der am Abend der Tat verschwun­den ist, habe sich beim raschen Uebersteigen eines Zau­nes verletzt. Vors.: Der Zeuge Wielandt ist nicht auf­zufinden gewesen. Verteidiger: Wielandt hat die Aeußerung getan: Bei der Molitor kann es nie­mand la u s h a l t e n, s i e i st j a v e r r ü ck t. Mir ist heute ein anonymer Brief aus Stettin zugegangen, in dem ihm einer schreibt, daß er bereit sei, das Material zu liefern, wenn wieder Erwarten Hau verurteilt werden sollte.

V ors.: Aehnliche Briefe, oft auch ungezogenen Inhalts, seien auch dem Gerichtshof zugegangen. Zeuge Bache­lin macht weitere Mitteilungen, daß in Baden die un­geheuerlichsten und albernsten Gerüchte verbreitet worden seien. So habe man gesagt, der Mörder verdiene eine Belohnung, weil er diese Frau ermordet habe. Zeuge Wachtmeister Behringer-Baden hat den früheren Die­ner Wielandt noch am Abend vernommen, er komme für die Tat nicht in Betracht.

Dramatisch wird die Verhandlung sodann bei der Ver­nehmung des Zeugen Referendar Lenk, der wegen ei­nes Sittlichkeitsvergehens verhaftet und mit Hau in einer Zelle zusammengebracht worden war, offenbar um später über Mitteilungen Haus vernommen zu werden. Lenk wurde später freigesprochen. Vors.: Glauben Sie, daß man Sie mit Absicht in die Zelle Haus geführt hat? Zeuge: Das mußte ich annehmen. Meine Verhaftung fand am 13. Juni statt und Montag darauf kam ich in eine Zelle zu Hau. Er habe geglaubt, daß man ihn als Zeugen habe benutzen wollen. Vors.: Hat man Sie als Zeuge ängerufen? Zeuge: Es kam ein Schutzmann mit einem Schriftstück zum Staatsanwalt mit der Auf­forderung, mich zu vernehmen, ob ich über Hau etwas Wichtiges auszusagen habe. Er habe selbst nichts aus- sagen wollen und habe diese Meinung erst aufgegeben im Verlauf des Prozesses. Er habe gestern Nacht ei­nen Brief an Frl. Olga Molitor geschrieben und um eine Zusammenkunft unter vier Au- gentzebeten,daerwichtigesmitzuteilen hätte. Diese Zusammenkunft wurde heute Früh von Herrn Ober­leutnant Molitor abgelehnt. Ich sagte, meine Mit­teilungen seien für Frl. Olga und für Hau von großem Interesse. Darauf antwortete der Oberleutnant, ein Interesse an Hau habe er nicht, worauf ich sagte, das werde ihn reuen, lieber dieSacheselbst und was Hau ihm mitgeteilt habe im Gefängnis, werde er nichts aussagen. Vorsitzender: Da­rüber kann ja der Angeklagte am besten Auskunft geben. Verteidiger: Der hat darüber jede Auskunft ver­weigert. Vors.: Hat Ihnen der Angeklagte Mitteilungen gemacht? Zeuge: Ueber die Tat selbst nicht. Vors.: War der Angeklagte während dieser Zeit kurz nach dem Tode seiner Frau erregt? Zeuge: Ich muß hier weiter ausholen. (Beifall im Publikum, der vom Vorsitzenden gerügt wird.) Der Angeklagte hatte zu mir Vertrauen gefaßt. Ich werde nichts aussagen, was er m iranvertraute. Er sprach oft in außergewöhnlicher Erregung und befand sich in großer Depression. Vor­sitzender: Hat er über die Motive seiner Reise Mitteil­ungen gemacht? Zeuge: Darüber verweigere ich die Auskunft. Vorsitzender: Haben Sie dem Angeklagten mitgeteilt, daß Sie der Ansicht seien, Sie seien, mit ihm zusammengesperrt, um ihn auszuhorchen? Zeuge: Das war unsere beiderseitige Meinung. Zeugin OlgaMo­li t o r : die vorgerufen wird, .übergibt einen Brief des Zeugen Lenk. Der Vorsitzende verliest den Brief, in dem, wie schon mitgeteilt, um eine Unterredung gebeten wird.

Der Zeuge erklärt weiter, daß er schon einem Kri­minalbeamten mitgeteilt habe, daß er vor Gericht nichts aussagen werde. Ich hätte auch mit Frl. Molitor nur un­ter ganz bestimmten Voraussetzungen gesprochen.Vor­sitzender: Was sind das für Voraussetzungen? Zeuge: Darüber gebe ich keine Auskunft. Vertei­diger: Wie sind Sie mit dem Hau bekannt geworden?

Zeuge: Es ergab sich bald ein reger Gedankenaustausch über Religion und Politik, wie auch über die Tat vom juristischen Standpunkt aus. Etwas weiteres sage ich nicht. Der Staatsanwalt habe mit dem Tod der Frau Hau operiert, daß es fast ans Unmoralische grenze. So äu­ßerte sich mir gegenüber Hau. Verteidiger: Hatte Ihnen Hau verboten, etwas zu sagen? Zeuge: Das

hat er nicht direkt ausgesprochen. Verteidiger: k Dann beantrage ich das Zeugniszwangsver- ^ fahren gegen den Zeugen. Staatsanwalt: Waren Sie gestern mit dem Verwandten Haus zusammen? Zeuge: Nein. Zeuge Vögele: Ich veranlaßte den Zeugen Lenk, die Genehmigung Haus zur Aussage ein­zuholen. Ich Habe dann noch diese Nacht die ganze An­gelegenheit dem Verteidiger mitgeteilt. Der Angeklagte gibt auf Befragen des Vorsitzenden nicht die Ermächtigung zur Aussage des Zeugen Lenk.

Hierauf wird die Verhandlung auf vier Uhr vertagt.

Nachmittagssitzung.

Nach der Aufnahme der Verhandlung wird nachmit­tags nochmals der Zeuge Lenk vorgerufen. Der Zeuge und der Angeklagte haben damals in der Untersuchungs­haft die Tat vom rein juristischen Standpunkt aus be­trachtet. In seiner damaligen Not habe der Angeklagte sich förmlich an ihn angeklammert. Er lehne unter allen Umständen ab, von seiner Schweigepflicht vom Angeklagten sntbunden zu werden. Ebenso lehnt es der Angeklagte ab. Der Zeuge tut es'deshalb, weil er sich dem Angeklagten gegenüber verpflichtet fühlt, zu schweigen und weil er auf Grund seiner Mitteilungen durch Verbindung mit den Aussagen der übrigen Zeugen in der Verhandlung der Ueberzeugung ist, daß der Angeklagte nicht der Täter sei.

Staatsanwalt Dr. Bleicher gibt nun anheim, gegen den Zeugen im Sinne des § 69 der Strafprozeßordnung vorzugehen und zunächst nach dem Absatz 11 gegen ihn eine Geldstrafe festzusetzen, dann aber auch den Absatz 2, die Zeugniszwangshaft, in Anwendung zu bringen. Der Zeuge hat sich selbst wichtig gemacht, hat sich selbst dem Gericht gestellt und muß nun die Konsequenzen tragen. Dr. Dietz: Der Zeuge Lenk habe über seine Zeugen­pflicht vor einiger Zeit den Rechtsanwalt Vögele konsul- > tiert und dieser hat sich mit Rücksicht auf die Wichtigkeit der Sache für verpflichtet gehalten, ihm darüber Mitteil­ung zu machen. Er habe dann selbstverständlich sofort diesen Zeugen laden lassen. Im übrigen beantragt er, da das Leben seines Klienten davon abhängt, sofort Ab­satz 1 und 2 des Z 69 der Strafprozeßordnung gegen den Zeugen mit aller Schärfe zur Anwendung zu bringen. Der Angeklagte bemerkt, daß er zu dieser Angelegen­heit nichts zu bemerken habe. Bevor das Gericht über die gestellten Anträge beschließt, wird zunächst Kriminalschutz­mann Lochkämper vernommen. Er sagt, er habe dem Zeugen Lenk gesagt, daß er in Zeugniszwangshaft genom­men werden könne. Er erwiderte aber, daß er keine Mit­teilungen machen würde. Der.Zeuge Lenk hat über alles Wichtige, was er wußte, auszusagen sich geweigert. Er hatte den Eindruck, daß Lenk vollständig normal sei, daß er tatsächlich etwas wußte und dies zurückhält. Die Be­schlußfassung über die Anträge des Staatsanwalts und des Verteidigers aus Einleitung eines Zeugniszwangsver­fahrens gegen den Zeugen Lenk wird einstweilen ausgesetzt.

Der als Sachverständige geladene Telegraphen­meister des Baden-Badener Postamts erklärt auf die Frage des Verteidigers, ob es möglich sei, wenn jemand zum erstenmal die Stimme eines Bekannten j durch das Telephon hört, wie das Dienstmädchen in der! Villa Molitor die Stimme des Herrn Hau erkannt haben will, man dann diese Stimme sofort erkenne:das sei kaum möglich". Hierauf zog sich der Gerichtshof zur Beratung über den Antrag zurück, den Zeugen Lenk wegen Zeugnisverweigerung in Strafe zu nehmen.

Nach halbstündiger Beratung kehrt der Vorsitzende in den Saal zurück und erklärt:Der Gerichtshof hat be­schlossen, gegen den Zeugen Max Lenk Kunstschüler in Karlsruhe, weil er auf die an ihn gestellte Frage, welche Mitteilungen ihm der Angeklagte über seine Rückkehr nach dem Kontingent gemacht habe, ohne gesetzlichen Grund die Antwort verweigert habe, auf Grund des Z 69 Absatz 1 des Strafgesetzbuches eine Geldstrafe von 30 Mark und für den Fall der Nichtbeitreibung drei Tage Haft zu verhängen, außerdem die Kosten zu übertragen, die durch seine 'Verweigerung verursacht werden. Der Zeuge Le nkweigertsichhierauf,etwasaus Zusagen. Der Vorsitzende erklärt, er habe bereits mit Rücksicht auf die Persönlichkeit des Zeugen von schärferen Mitteln Ab­stand genommen. Zeuge Lenk erklärt: Erwürdeauch dann,wennerverhastetwerdensollte,nichts aussagen.

Unter großer Spannung des überfüllten Saales er­hebt sich nunmehr der Angeklagte Hau und sagt mit fester Stimme, die Arme übereinandergeschlagcn:

Ich bän bereit, diese Erklärung a b z u g e b e n.

(Große anhaltende Bewegung). Ich will erklären, wes­halb ich nach Baden-Baden gefahren bin, was ich dort getan habe. Ich bin nach dem Kontinent zurück­gekehrt, um vor der Abreise nach Amerika noch einmal

meine Schwägerin Olga zu sehen. Er hatte seiner Frau nichts davon gesagt, weil er von damals in Paris gemerkt hatte, daß seine Frau eifersüchtig sei. Er fühlte sich schuldig, währendsei neSchwägerinOlganichtsdavon wußte. Er ließ sich deshalb in London Per­rücke und Bart machen,: um nicht erkannt zu werden. Er könne nur wiederholen, daß er nicht wünschte, gesehen zu werden. Er wollte seine Schwägerin nur sehen und sprechen. Als er bemerkte, daß sie mit ihrer Mutter die Kaiser Wilhelmstraße hinunter zur Post ging, sagte er sich, daß, wenn sie dort hinkamen, sie er­fahren würden, daß der telephonische Anruf falsch war. Er nahm an, daß sofort Nachforschungen nach dem Tele­phonierenden gemacht würden. Aus diesem Grunde eilte er so schnell als möglich den Berg hinunter, um mit der Bahn sortzufahren. Unten auf der Lichtentaler Allee fand er die Droschke des Kutschers, der als Zeuge geladen i^ar, ihn aber nicht erkannt hatte. Er fuhr mit dieser zur Bahn. Vorsitzender: Wer war es, der den Schuß abgab? Angeklagter: Das weiß ich nicht. Vorsitzen­der: Haben Sie den Schuß nicht gehört? Ange­klagter: Ich habe nichts gehört. Auf weiteres Befragen erklärt Hau, er habe gewußt, daß seine Verkleid­ung zu auffällig war, er habe damals in seiner Aufregung keine ruhige Erwägung gehabt und die Leute, die sich nach

ihm iu'msahen, machten ihn noch viel erregter. Als es ihm nicht geglückt war, seine Schwägerin Olga am Abend zu sprechen und er wieder zum Bahnhof zurückkehrte, hatte er sich im Zuge gesagt: es ist wahrscheinlich nicht das Schlimmste, daß ich mein Vorhaben nicht ausführen konnte. Ueber den Mord kann er (Hau) unmöglicheine Aufklärung geben, erkann nichts darüber sa­gen, auf wen sich sein Verdacht lenkt. Ergab zu, daßihn allesschwerbelaste. Er Habenun­mehr dem Gericht klaren Wein eingeschenkt und gesagt, was er zu sagen hatte.'

Hierauf gibt der Verteidiger Dr. Dietz eine Erklär­ung ab: Was der Angeklagte heute gesagt hat, ist mir bis zu diesem Moment unbekannt gewesen. Der Angeklagte sagte zu mir: Halten Sie mich für schuldig, gut, so rich­ten Sie Ihre Verteidigung danach ein, aber der Täter bin ich nicht gewesen. Ich habe auf ihn eingeredet, daß es ganz verkehrt sei, jetzt ein Familienmitglied zu scho­nen, sein Kopf stände auf dem Spiel. Hau ist jedoch fest geblieben und hat nichts gesagt.

Alsdann erbat sich Refendär Lenk das Wort. Vor­sitzender:Wollen Sie jetzt Zeugnis ablegen? Zeuge: Teilweise. Vors.: Was wollen Sie sagen? Zeuge: Ich will sagen, daß Hau sich allerdings in einer hoch­gradigen seelischen Depression befunden hat. Im übrigen stimmen seine heutigen Angaben nicht mit denen, die er mir gemacht hat. Der Angeklagte hat mir Mit­teilung gemacht, die einen Schluß auf die Tat zulassen; im klebrigen verweigere ich die Aussage.

Es wird danach nochmals

Fräulein Olga Molitor hervorgerufen. Vors.: Sie haben gehört, Fräulein Mo­litor, was der Angeklagte gesagt hat, was sagen Sie dazu?

Zeugin: Ich hatte bisher keine Ahnung von alledem.

Vors.: Halten Sie es für möglich, daß der Angeklagte von London nach Baden-Baden gekommen ist, lediglich um noch einmal Sie zu sehen und zu sprechen? Zeugin: Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Vors.: Hätten Sie denn den Angeklagten, wenn er sich Ihnen mit einem falschen Bart genähert hätte, erkannt? Zeugin: Es ist möglich. Vors.: Wenn der Angeklagte sich Ihnen offen­bart hätte, was würden Sie dazu gesagt haben? Zeu­gin: Ich hätte ihm gesagt: er solle zu seiner Frau zurück­gehen.

Staatsanwalt und Verteidiger erklären danach, auf jede weitere Zeugenvernehmung zu verzichten. Bert.: Ich will blos noch bemerken, daß, obwohl ich an Muri Bay nach Konstantinopel ein Telegramm mit bezahl­ter Antwort mit der Bitte geschickt habe, mir mitzutei­len, ob die Ordensverleihung auf Wahrheit beruhe, ich keine Antwort erhalten habe. (Allgemeine Heiterkeit, in die selbst der Staatsanwalt und die Mitglieder des Ge­richtshofes einstimmen). Danach tritt eine kurze Pause ein. Nach Wiedereröffnung der Sitzung ist der Saal von einem gewählten Damen- und Herrenpublikum Kopf an Kopf gefüllt, sodaß im buchstäblichen Sinne des Wortes kein Apfel zur Erde konnte. Den Vertretern der Presse, ist es vollständig unmöglich, mit der Außenwelt zu verkehren. Di,e Atmosphäre im Saale ist schier uner­träglich. Vor dem Gerichtsgebäude hat eine unüberseh­bare Menschenmenge, die ihrer Ungeduld durch lautes Schreien Luft zu machen sucht, Posto gefaßt. Der zu weit vorgerückten Zeit wegen sollen nur noch die psychiatri­schen Sachverständigen über den

Geisteszustand des Angeklagten vernommen werden.

Geh. Hofrat Prof. Dr. H o ch e - Freiburg: Der An­geklagte war ein frühreifer Jüngling, der sehr verschlossen war. Er habe, als er fast noch im Knabenalter war, ein sehr ausschweifendes Leben geführt und sich dadurch eine böse Krankheit zugezogen. Er habe später an Kopfschmerz und Schlaflosigkeit gelitten. Andererseits habe er ein aus­gezeichnetes Gedächtnis. In der Verhandlung habe er eine staunenswerte Ruhe und Schlagfertigkeit an den Tag gelegt. Dem Angeklagten wäre es, vermöge seiner gro­ßen Intelligenz und Energie ein Leichtes gewesen, etwa vorhandene geistige Atnormitäten zu überwinden. Vu könne sein Gutachten dahin zusamHenfassen: Der Ange­klagte habe sich am 6. November 1906 nicht in einem Zustande der Bewußtlosigkeit oder Geistesstörung befun­den, wodurch seine freie Willensbestimmung ausgeschlossen war. Prof. Dr. Aschaffenburg-Köln: Der Ange­klagte habe ihm erklärt: er habe die Tat nicht begangen, es sei ihm nicht einmal bekannt gewesen, daß seine Schwie­germutter tot sei. Er habe kein pathologisches Moment an dem Angeklagten wahrgenommen, dagegen sei der An­geklagte ein durch und durch psychopathischer Mensch. Er komme ebenfalls zu dem Schluß: Der Angeklagte habe sich äm 6. November 1906 nicht in einem Zustande der Bewußtlosigkeit oder Geistesstörung befunden, die seine freie Willensbestimmung ausschloß.

Während der Vorträge der Sachverständigen sitzt der Angeklagte in förmlich kauernder Stellung auf der An­klagebank. Er senkt seinen Kopf derartig zur Erde, daß er kaum noch zu sehen ist. Gegen halb 12 Uhr nachts wird die Verhandlung auf Montag vormittags halb 10 Uhr vertagt.

Nach Schluß der Sitzung ereigneten sich auf der Straße vor dem Gerichtsgebäude die widerlichsten Szenen.. Die Droschke, welche Frl. Olga Molitor und deren An­gehörige zum Hotel bringen sollte, mußte angesichts der drohenden Haltung der versammelten Volksmenge in das Gerichtsgebäude hineinfahren, dessen Tore dann sämtlich geschlossen wurden. Als der Wagen unter dem Schutz von Polizeikommissaren in Uniform und Kriminalbeamten in Zivil erschien, stürzte ihm eine vielhundertköpfige Menge mit Schreien mrd Pfeifen nach und verfolgte ihn bis zum Hotel Rotes Haus. Hier hatte man schnell den Torweg geöffnet und schloß die Flügel sofort hinter dem Wagen Nunmehr schlug der Pöbel mit Spazierstöcken gegen die Fenster und Türen. Erst einem anrückenden Polizeiauf­gebot gelang es, die tobenden Massen zu zerstreuen. Doch hörte man noch gegen Mitternacht Verwünschungsrufe zu den Hotelfenstern hinaufdringen. Für den morgigen Sonn­tag sind daher besondere polizeiliche Schutzmaßregeln für die Zeugen vorgesehen.