Mürtt. Landtag.
Stuttgart, 19. Juni.
Präsident Payer eröffnet die 44. Sitzung um 91/4 Uhr. Am Regierungstisch: Kultminister v. Fleischhauer. Auf der Tagesordnung steht die Fortsetzung der Beratung des Kultetats
Lei Kap. 65: Tierärztliche Hochschule.
Berichterst. Schmid: Die Stunden der alten Schule Find gezählt. Die Regierung will ihr ein neues Heim erstellen und hierüber dem Hause eine Denkschrift vorlegen, die wir abzuwarten haben, ehe wir auf die Frage näher eingehen können. Eine Eingabe der Diener und Stallwärter um Verbesserung der Gehaltsverhältnisse soll nach dem Antrag der Kommission der Regierung zur Erwägung übergeben werden. Der Berichterstatter empfiehlt ferner einen Antrag der Volkspartei, die Regierung zu ersuchen, dahin zu wirken, daß bei der Tierärztlichen Hochschule Einrichtungen getroffen werden, wodurch im Interesse der bäuerlichen Bevölkerung auf Antrag der Gemeinden geeigneten Personen Gelegenheit zur Ausbildung in der Geburtshilfe bei Haustieren gegeben wird.
Abg. Elsas (Vp.) befürwortet letzteren Antrag, für den ein dringendes Bedürfnis vorliege. Die Verlegung der Schule in einen Bezirk, wo mehr krankes Vieh ist, ist der Wunsch der Professoren und auch eine Notwendigkeit im Interesse der Schule selbst. Der Antrag werde der Kurpfuscherei entgegenwirken.
Abg. Locher (Ztr.): Der Mangel an Kenntnissen in der Geburtshilfe auf dem Lande schädige oft schwer den Landwirt. Seine Partei stimme dem Antrag zu. Der Redner kritisiert die jetzige Schule als Lehrwinkel und Lehrbuden. Der ganze Zustand sei unwürdig.
Abg. Graf-Heidenheim (BK.) erklärt die Zustimmung seiner Freunde zu dem Antrag, auch der Abg. Krug (Ztr.) stimmt ihm zu.
Gnoth (D. P.) verweist auf den Mangel an Rindvieh, der in Stuttgart vorherrsche. (Heiterkeit). Deshalb fehle es auch der Tierärztlichen Hochschule an Raum und an Objekten.
Minister v. Fleischhauer: Die Mangelhaftigkeit des gegenwärtigen Zustands müsse anerkannt werden. Bei einer Wegverlegung der Tierärztlichen Hochschule könne nur Tübingen in Frage kommen. Die Verlegung nach Tübingen unterliege keinem Anstand. Mit der Stadt Stuttgart seien hierüber noch Unterhandlungen im Gang. Bezüglich des Antrags Elsas müsse er erst die beteiligten Stellen hören. Grundsätzliche Bedenken habe er gegen den Antrag nicht.
Kurz (Soz.): Seine Fraktion werde dem Antrag Elsas ebenfalls zuftimmen.
Nach kurzen Bemerkungen des Abg. Locher und des Ministers bemerkt
Rembold-Aalen: Im Jahre 1899 habe der Minister hinsichtlich der im Antrag Elsas berührten Frage betont, daß man einen Gebärstall einrichten müßte und daß es am nötigen Material fehle. Redner beantragt Verweisung des Antrags an die volkswirtschaftliche Kommission.
Dr. Elsas (Vp.) tritt dem Antrag Rembold auf Kommissionsverweisung entgegen.
Nach kurzer Weiterberatung, an der sich Guoth (DP.), Rembold (Ztr.), Keil (Soz.) und der Minister sich beteiligen, ändert Dr. Elsas (Vp.) seinen Antrag, indem er die Worte: „bei der Tierärztlichen Hochschule" streicht. Der Tit. 1, sowie der Kommissionsantrag und der Antrag Elsas werden sodann angenommen.
Bei Tit. 8 (Einnahmen der Tierärztlichen Hochschule) gab Ber.-Erst. Schmid (Vp.) dem Wunsche Ausdruck, daß bedürftigen Tierbesitzern die Kosten möglichst weitgehend nachgelassen werden möchten.
Zu Kap. 66, Ackerbauschulen, äußerte der Abg. Walter (Ztr.) verschiedene Wünsche betr. Erweiterung der Uckerbauschule in Ellwangen. — Minister v. Fleischhauer sagt tunlichste Berücksichtigung zu. — Der Rest des Kap. gelangt sodann zur Annahme.
Das nächste Kapitel handelt von der Weinbauschule und Weinbauversuchsanstalt in Weins- berg. — Hierzu führt der Ber.-Erst. Schmid (Vp.) aus:
Pie Komödiantin.
Roman von Oswald Benkendorf. 2
s
Oberst Perle, ein alter Freund der Familie, gehörte zu den gern gesehenen Gästen und bei einer Partie Schach vermochte die Witwe alle gehabten Kümmernisse und die Sorge um die Zukunft zu vergessen.
Auch heute war sie ganz vertieft in das Spiel und schien ans dem Mienenspiel des Obersten lesen zu wollen, welchen Zug der Zögernde endlich tun werde, der schon dreimal die Rechte erhoben, um sie gleich daraus wieder sinken zu lassen.
Ta unterbrach der Eintritt des alten Kammerdieners die Ruhepause und störte Gräfin Sidonie ans ihrem Sinnen ans.
Unwillkürlich wandte sie ihre Blicke dem Diener zu, der lang- sam das Gemach durchschritt und scharf zu ihr hinübersah, ohne doch dann den Mut zu haben, eine Störung zu verursachen, indem er die Herrin anrevete.
Augenscheinlich ersreut näherte er sich indessen, als die Gräfin freundlich bemerkte: „Haben Sie mir noch etwas zu sagen, Jean?"
Im Nu war der Alte an ihrer Seite und flüsterte: „Gnädige Gräfin, ich möchte nur untertänigst melden, daß der Fremde, welcher den Grafen so dringend zu sprechen verlangte, sich Verdi Tornelli nannte Er ist nun schon über eine halbe Stunde bei dem gnädigen Herrn, und wenn mir vielleicht die Frau Gräfin einen Aujtrag erteilen wollte, damit ich einen Vorwand hätte hin- überzngehen, denn, gerade herausgesagt, der Fremde sah nicht eben vertrauenswürdig aus."
Unruhe und Befremden malten sich in der Gräfin feinen Zu- gen, nach einem Augenblick des NachsinnenS aber sprach sie: „Nein, Jean, ich kann Sie nicht hinüberschicken, denn Sie wissen, daß der Gras Störungen nicht lirbl,'aber halte» Sie sich in der Nähe auf, damit Sie jür alle Fälle zur Hand sind."
Der Oberst hatte unterdessen einen Meisterzug getan, aber seine Partnerin achtete kaum darauf, etwas anderes schien sie völlig in Anspruch zu nehmen, besorgt blickte der Freund sie an, dann fragte er leise: „Wollen wir das Spiel nicht unterbre- eben?"
„Nicht wahr, ich bin zerstreut, eS ist edel von Ihnen, Oberst, daß Sie davon nicht Nutze» ziehen wollen."
^Nein, verehrte Freundin, viel eher möchte ich meinen Bei-
Der Zusammenhang der Schule mit dem Kultdepartement sei Uin ziemlich loser. Es sei dies jedoch in den letzten Jahren nicht störend gewesen; von Schule und Anstalt sei segensreich gewirkt worden.
Minister v. Fleischhauer: Der Zusammenhang dieser Anstalten mit dem Kultministerium sei kein so loser.
Barth (BK.): Er bitte die Regierung, zu erwägen, ob nicht die zweijährigen Kurse auf ein Jahr reduziert werden könnten.
Kultminister v. Fleischhauer: Er werde diesen Wunsch in Erwägung ziehen.
Betz (Vp.): Dem Wunsche des Abgeordneten von, Weinsberg schließe er sich an. Die Zöglinge der An- Anstalt seien in der ganzen Welt gesucht.
Der Titel wird genehmigt und ohne besondere Debatte der Rest des Kap. vollends erledigt. Ebenso Kap. 68, landwirtschaftliche Winterschulen und Kap. 69, ländliches Fortbildungswesen.
Kap. 70—97 5. betreffen die Technische Hochschule; hier ist wiederum der Abg. v. Gauß Berichterstatter. Er führt aus: Für das wissenschaftliche und wirtschaftliche Leben des Landes habe die technische Hochschule eine große Bedeutung und sie sei nach der Seite der Technik und Architektur gut geleitet. Redner regt an, ob nicht der Unterricht für den Kaufmannsstand verbessert werden könnte, event. durch Errichtung einer Handelshochschule. Man stehe gegenwärtig einer gewissen Unzulänglichkeit des Kaufmannsstandes gegenüber, die von der mangelhaften Fachausbildung 'herrühre. Namentlich sei ein Mangel an qualifizierten und höher gebildeten Kaufleuten zurzeit vorhanden. Aus diesem Grund werden auch so zahlreiche Juristen in die kaufmännischen Unternehmungen hineingezogen. Dem Kaufmannsstand werde gegenwärtig so gut wie keine höhere Bildungsmöglichkeit geboten. Die höhere Handelsschule in Stuttgart sei ein Ersatz für eine Mittelschule, aber kein solcher für eine Hochschule. Eine Handelshochschule oder ein Ausbau der Technischen Hochschule nach dieser Richtung wäre notwendig. In der Technischen Hochschule habe man die hohe Schule des praktischen Denkens zu erblicken im Gegensatz zur Universität, welche die hohe Schule des theoretischen Denkens darstelle. Die technische Hochschule schreie geradezu nach einem Ausbau in volkswirtschaftlicher Hinsicht.
Dr. Bauer (Vp.) äußert verschiedene Wünsche bezüglich Einrichtungen an der Technischen Hochschule.
Dr. Hieb er (D. P.) stellt folgenden Antrag: 1) Die englische Ergänzungsprüfung für die Gymnasial- abiturienten, die sich dem Baufach zuwenden, solle in Wegfall kommen; 2. bezüglich der zur Zulassung zu den Hauptprüfungen erforderlichen Studienzeit sollen den Abiturienten des Gymnasiums die gleichen Bedingungen gestellt werden wie den Abiturienten der Oberrealschule und des Realgymnasiums.
Hey mann (Soz.) bezeichnet die Bemerkungen des Berichterstatters über den Kaufmannsstand und die Notwendigkeit von Schaffung weiterer Ausbildungsgelegenheiten als sehr erwägenswert,
Kultminister v. Fleischhauer: Es werde an ihm nicht fehlen, wenn es sich darum handle, befriedigende räumliche Verhältnisse in der Technischen Hochschule allmählich zu schassen.Die in manchen Städten bestehenden Handelshochschulen seien meist nicht staatlicher Initiative entsprungen. Auch am Stuttgarter Politechnikum habe man in den 50er und 60er Jahren eine Handelsschulabteilung gehabt, die aber wegen ungenügender Ergebnisse wieder aufgehoben worden sei. Von der Errichtung einer eigenen Handelshochschule in Stuttgart werde man wohl Abstand nehmen müssen. Gegen die Errichtung von Kursen an der Technischen Hochschule habe er dagegen nichts wesentliches einzuwenden.
Dr. Elsas (Vp.) beantragt: Die Kammer wolle beschließen, die K. Staatsregierung zu ersuchen, dem Ausbau der Technischen Hochschule durch Beifügung einer Abteilung für Handelswissenschaft näher zu treten.
Berichterstatter v. Gauß (Vp.) betont nochmals die Bedeutung einer besseren Ausbildung der Kaufleute.
St 0 rz (Vp.): Die Kaufmannschaft stehe dieser Frage sehr sympathisch gegenüber.
stand anbieten, wenn es sich nämlich nicht etwa um eine Toilettenfrage bandelt, denn davon verstehe ich rein gar nichts."
Die Gräfin lächelte trübe. „Das würde mir wenig Sorge machen ! JeanS Meldung betraf ernstere Dinge, die für Sie, Erichs Freund, durchaus kein Geheimnis bleiben sollen. Erinnern Sie sich noch des Namens Tornelli ?"
Oberst Perle legte die Hand nachdenklich an die Stirn, dann meinte er: „Hieß die Gesellschafterin der Schauspielerin Helmine Ost nicht Tornelli?"
„Allerdings, Vera Tornelli."
„Diese intrigante Person spielte ja eine hervorragende Rolle in der Ehestandstragödie meines armen Freundes "
„Sie hat viel Unheil angerichtet und war meinem Bruder tief verhaßt. Seit vielen, vielen Jahren ist ihr Name in diesen Räumen nicht mehr genannt worden und jetzt sagt mir Jean, daß der Besucher, welcher Erich dringend zu sprechen verlangte, sich Verdi Tornelli nennt."
Der Oberst schien der Sache nicht eben viel Gewicht beizulegen.
„Vielleicht ein Zufall, wer weiß, ob der Träger dieses Namens in Beziehung steht zu der Signora Vera schlimmen Angedenkens ! Beunruhigen Sie sich doch deshalb nicht."
Aber die Stirn der Gräfin blieb umwölkt. „ES ist seltsam, ich habe das Gefühl, als wenn uns irgend ein Unheil drohe."
„Wiekann man nur so abergläubisch sein," spottete Perle."
„Ich möchte nicht, daß die mühsam errungene Gemütsruhe meines Bruders ausS neue gestört würde."
„Verzeihen Sie, Frau Gräfin, aber die Damen sind nun einmal alle von einer fast krankhaften Sentimentalität, besonders, wenn es sich um Herzenssachen handelt. Ich bin der Ansicht, daß Erich diese unglückliche Heiratsgejchichte längst verwundenhat."
Gräfin Bentheim begnügte sich damit, den Kopf zu schütteln.
Der Oberst fuhr fort, ohne diesen stummen Protest zu beachten : „Bin ich doch selbst einmal in Helmine Ost verliebt gewe- sen, der ich als junger Leutnant denTribnt warmerKnnstbegeiste- rnng'weihte, wenn sie im königlichen Schanspielhanse in Berlin austrat. Sie war eine junge Dame von tadellosem Rufe nnd großer Schönheit, deren bedeutendes Talent ihr eine glänzende Zukunft versprach.
Wie gesagt, auch ich habe mit am Triumphwagen der schönen
> Re mb old-Aalen (Ztr.): Dem Antrag Elsas und z Genossen werden!er und feine Freunde beitreten. Dagegen habe er Bedenken bezüglich des Antrags Hieber.
Kultminister v. Fleischhauer: Die Form der Angliederung der Handelshochschulkurse an die Technische Hochschule müsse er sich Vorbehalten.
Dr. Wolfs (BK.) erklärt die Zustimmung seiner Fraktion zu dem Antrag Elsas.
Der Titel wird sodann genehmigt und ebenso die Anträge Dr. Hieber und Dr. Elsas.
Man geht sodann über zu Kapitel 71 (Baugewerkeschule). Berichterstatter v. Gauß hebt hervor, daß es notwendig sei, die angehenden Baugewerbetreibenden mit den neuesten Erfindungen und Fortschritten re. bekannt zu machen. Die Leistungen der Schule seien anzuerkennen. Es sei bedenklich, wenn die Zöglinge der Anstalt sich als Künstler fühlen. Die Eingabe, das Einjährig-Freiwilli- genzeugnis als Vorbedingung für den Eintritt in die Baugewerkschule zu bestimmen, wurde von der Kommission abgelehnt.
Löchner (Vp.): Der Minister möge sich hierüber klar und deutlich aussprechen. Es sei den Volksschülern schon der Zugang zu manchen anderen Berufen abgeschnitten worden und man sollte ihnen nicht auch noch diese Möglichkeit des Vorwärtskommens abschneiden.
Kultminister v. Fleischhauer: Er halte es für kein Glück, daß ein Beruf nach dem andern bestrebt sei, den Zuzug von unten fernzuhalten. (Sehr richtig).
Der Tit. 1 wird sodann genehmigt.
Unter Tit. 2 stellt der Berichterstatter die Anfrage, ob nicht gewisse Lehraufträge an der Baugewerkschule durch Professoren der techn. Hochschule ausgeführt werden könnten.
Kultminister v. Fleischhauer hebt die Schwierigkeiten hervor, welche eine derartige Personalvereinigung machen würde. Im gegenwärtigen Augenblick sei er nicht in der Lage, eine Zusage zu machen.
Kap. 72 betrifft die gewerblichen Fortbildungsschulen, wobei der Berichterstatter die Wichtigkeit der gewerblichen Fortbildungsschulen für die Hebung des HaÄ- werks betonte.
Löchner (Vp.) tritt für weitergehende Berücksichtigung der Jnnungsfachschulen ein. — Nach kurzer Bemerkung des Ministers wird Tit. 1 des Gesetzes angenommen. Hierauf wird abgebrochen und die nächste Sitzung auf Donnerstag vorm, anberaumt.
Arrndscha«.
Oesterreichischer Reichsrat. Unter großem Gepränge fand am Mittwoch Mittag in der Hofburg zu Wien die feierliche Eröffnung des Reichsrats durch den Kaiser statt. Die Herrenhausmitglieder und Abgeordneten, darunter auch viele Sozialdemokraten, waren in großer Anzahl erschienen. Die Thronrede wurde an vielen Stellen mit lebhaftem Beifall ausgenommen. Besondere Zustimmung fand die Ankündigung der Verwaltungsreform, der Alters- und Jnvalidenversorg- Nng, sowie die übrigen sozialpolitischen Vorlagen, ferner die Hervorhebung der sittlich-religiösen Grundlage des Volksfchulunterrichts und die Teilnahme des Staates am Bergbau. Die Thronrede erwähnte weiter die guten Beziehungen zu iden auswärtigen Machten und sagt, das Verhältnis zu den Verbündeten bestehe in unv eränder- ter Herzlichkeit weiter. Die Monarchie werde ihren Einfluß zum Schutz des Friedens zur Geltung bringen. Alsdann schließt die Rede: „Die Gnade der Vorsehung hat mir beschieden, zwei Generationen meiner Völker zu führen. Die Mühe meines fürstlichen Amtes ist belohnt durch die in allen Wechselfällen des Schicksals erprobte Treue und Liebe meiner Völker durch ihre Fortschritte in Wohlfahrt und Gesittung. Diese zu fördern Und das Erbe der ruhmvollen Geschichte unserer Qätev treulich zu verwalten, das ist die Aufgabe, der ich mein ganzes Leben gewidmet habe. Das gleiche Ziel vor Augen, werden Sie die Eintracht und den innerlichen Frieden gesichert zu sehen als höchste Gnade des Schicksals mit mir preisen. Möge der versöhnende Geist der Liebe zürn gemeinsamen Vaterlande über Ihren Arbeiten wal-
Helmine gezogen, fand es später doch aber sehr töricht, daß mein
Freund und Altersgenosse, Erich Wilmenau, dem Mädchen, daS er tief und leidenschaftlich liebte, seine Hand bot."
„Wie Sie dachten viele," warf Sidonie ein, „auch ich konnte mich mit Erichs Wahl nicht befreunden, aber da unser Vater gestorben mar, vermochte Erich der Stimme seines Herzens zu folgen und er tat es und löste sein Helmiue Ost gegebenes Wort ein. An schlimmen Prophezeiungen fehlte eS nicht und leider sollten dieselben bald in Erfüllung gehen, denn die Ehe war keine glückliche. Aber das Unheil kam von einer ganz anderen Seite, als die meisten eS erwartet hatten."
„Sehr richtig bemerkt," nickte der Oberst, „waren wir alle doch fest davon überzeugt, daß Erich seine übereilte Heirat sehr schnell bereuen werde, indessen war es die neugebackene Gräfin Wilmenau, welche sich nach dem von ihr ausgegebenen Berufe und der Ungebundenheit ihres Künstlerlebens znrücksehnte."
Gräfin Sidonie warf einen prüfenden Blick nach dem Erkerfenster hinüber, wo Franziska über ihren Stickrahmen gebeugt saß, und für nichts anderes Sinn zu haben schien, dann fuhr sie in gedämpftem Tone fort: „Helmine hatte sich eben geirrt, wenn sie gewähnt, daß ihre Neigung für Erich stark genug sei, sie alles vergessen zu machen, was ihr vordem Freude und Genuß gewährt. Freilich war ihr Leben als Schlvßfran und Gebieterin von Wilmenau auch sehr verschieden von der Vorstellung, die sie sich wohl vorher davon gemacht haben mochte. Die Vorurteile unserer Standesgenosseii, der sogenannten guten Gesellschaft, sind schwerer zu überwinden, als Fernstehende glauben. Am wenigsten waren die uns benachbarten Familien des Hochadels geneigt, meinem Bruder seine tolle Heirat zu vergeben und in den Augen der mit Töchtern gesegneten Müttern zählte die Komödiantin garnicht mit. Der Hans Kiudler hatte Wohl auch eine Bürgerliche geheiratet, aber das war doch wenigstens eine Bankierstochter gewesen mit einer Mitgift von fast einer halben Million. Zudem gaben die Kindlers feenhafte Feste und man amüsierte sich im allgemeinen prächtig bei ihnen, während Erich sich beleidigt zurückzog, weil sein früherer Umgangskreis sich ablehnend gegen seine Gattin Helmine verhielt. Bald waren beide vollständig isoliert und die wnge Frau, die mit ihren neuen Pariser Toiletten und den altberühmten Brillanten der Wilmenaus weder Entzücken noch Neid erregen konnte, begann sich zu langweilen." 139,20