Nr. 53.

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

S5. Jahrgang.

Trsch «in» ,»«>>«: 8 mal wLchen». Aiizeigkpreltzi Die tlktKspaltige Keile M Psg. Reklamen l.LO Mk Echlutz der Anzeigenannahme 0 Uhr vormittag»,. Fernsprecher S.

Donnerstag, den 4. März 1S2».

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BkrhiiWiMlle Kurzsichllgkeil.

Die Ev. Presse-Korrespondenz für Württemberg schreibt:

Zu den nachdrücklichen Lehreil, die der Weltkrieg uns hinter­lassen hat, gehört die Erkenntnis davon, was uns Deutschen der Mangel einer großzügigen Pressepolitik in den dem Krieg vo:e.i,ögehenden Jahren all Schaden gebracht hat. Was wir beini Ausbau unseres Auslandsnachrichtendienstes an Millionen ge­spart haben, das müssen wir jetzt in Milliarden bezahle». Nun uns der Kriegsausgang und der innere Zusammenbruch nach außen hin wehrlos gemacht hat, ist tatsächlich die Presse das einzige Machtmittel, auf das sich unsere von allen Seiten umstellte Negierung in ihrem VerzweiflungSkampf gegen di« nicht endenden Erpressungen der Gegner zu stützen vermag. Ist es da mit irgend einem Grunde zu verantworten, wenn vor den Augen unserer Rcichsleitung, ja vielleicht mit ihrem Einverständnis diese letzte uns gebliebene Masse unter unseren' Händen zerbricht? Und was von der Abwch. nach außen, das gilt vom Aufbau im Innern. Es wäre schlechterdings nicht ausdenkbar, wie wir des aufllärendcn, be­ratenden, wegweisenden Worts der Zeitung sollten eutraten können unter den Verwicklungen einer wirtschaftlich und politisch imnier lmdurchsichtiger werdenden Zeit. Unter solchen Umständen wäre es eine nicht wieder gutzumachcnde Kurzsichtigkeit, wenn unsere Reichsleitung in der jetzt gebotenen aber gewiß an keinem Punkte übler angebrachten Sparsamkeit sich einer Hilfe be­geben wollte, deren sic gerade jetzt am allernotwendigsten bedarf. Auch von der deutschen Presse mntz rS gelten, was von der

deutschen Nation gilt: Sie darf nicht untergehcn!

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Diese Ausführungen können gar nicht stark geimg hervorgehoben und unterstrichen werden. Es wäre in der Tat nicht bloß eine Kurzsichtigkeit, sondern ein Verhängnis, wenn unsre Regierung die Bedeutung der Presse nicht richtig einschätzen würde. Sie würde dainit denselben Kehler begehen, den man der alten Regierung mit Recht vörgeworfen hat und der ja auch in den obenstehenden Aeuße- rungen hervorgehoben wird. Sollte man aus dem Weltkrieg in dieser Hinsicht nichts gelernt haben? Müssen wir daran erinnern, wie während des Krieges über den Lügenfcldzug unsrer Feinde ge­zetert wurde? War all das Schimpfen nicht ein Eingeständnis der Macht der feindlichen Preise, dir einfach bester und großzügiger organisiert war als unsre eigene? Damals wurde es sehr beklagt, daß wir den papierenen Feldzug unsrer Gegner ohnmächtig hin­nehmen mußten, weil die Wichtigkeit und die Wirkungsmöglichkett der Zeitungen vor dem Krieg bet uns nicht erkannt wurden. Ost genug war in der Presse selbst daraus hingewiesen worden, daß die Regierung sich der Macht der Druckerschwärze und der Rotations- Maschinen nicht tn dem gebührenden Platze für ihre Zwecke bediene, oft genug war betont worden, daß der Auslandsdirnst in einer er­schreckenden Weise vernachlässigt würde. Die Regierung Handelte wie unsre Jnfanteriegcnerale zu Anfang des Weltkriegs: diese lehn­ten die freiwillig angebotene Hilfe der Artillerie häufig ab mit den Worten: »Das macht die Jukanterie allein" Die Folgen sind be­kannt. Ebenso ging unsre alte Regierung kühl lächelnd über die nur zu berechtigten Einwände hinweg, sie verschmähte die Hilfe der Presse, sie tat nichts, um den AuSlaudsdienst der Zeitungen auSzu- bauen. Unterdessen kauften die Angelsachsen eine große Zeitung nach der andern au um sie als -Sprachrohre für ihre Politik zu be­nützen. Von London, Newyork, Paris, Petersburg, Rom flogen die Reuter'- und HavaSnachrichten in alle Welt und färbten die Denkweise aller Völker. Die deutsche Regierung sah stolz und ver­ächtlich zu und tat nichts. Als schon der Krieg ausgebrochen war, wurde uus der .Torricre della Sera" in Mailand ange- boten. Durch einen Kauf dieses vielgelesenrn Blattes hätten wir Gelegenheit gehabt, einen starken Einfluß auf die italienische Volks- stimmugg auszuüben. Vielleicht hätten wir Italien auf unsre Seite bringen können, jedenfalls wäre rS mit Hilfe dieses Blattes gelungen, Italien in seiner Neutralität zurückzuhalten. Die deutsche Regie­rung verschmähte auch dieses Mittel, sie verharrte innner noch in ihrer Verachtung der Presse, und treu diesem Grundsatz verlor sie den Krieg. Oder kann man heute noch bezweifeln, daß eine der Hanpt- nrsachen des deutschen Zusammenbruches unser Mangel an groß­zügiger Prestcpolitik war? Und sollen wir nun auch noch den in­neren Zusammenbruch erleben, bloß weil die neue Regierung kurz­sichtig auf eines der wirksamsten Mittel zum Wiederaufbau des Vaterlandes verzichten will? tt. O. k.

Zur Werk« kW.

Das wirtschaftliche Manifest der Aliierten.

(WTB.) Paris, 3. März. Der Sonderberichterstatter des .Echo de Paris" in London, Pertinax, berichtet, das wirtschaft­liche Manifest, das die Alliierten veröffentlichen jvürden, beginne mit einem langen Vorwort, in dem di« Notwendigkeit betont werde, DentschliurdS und Rußlands wntschastliaic Wiederherstellung sicher zustellen, indem man ihnen Rohmaterialien liefere. Frankreich be­greif«, daß es nicht an der Seite eines Deutschland leben könne, das von Anarchie und Elend beherrscht werde, und daß es nur entschädigt werden könne durch die deutsche Arbeit. Perlinax meint, im pazi­fistischen Europa von 1920 werde das wirtschaftliche Manifest nicht einer Kapitulation vor dem Germanismus gleichkommen.

England und die Lebensmittelversorgung Deutschlands.

(WTB.) Amsterdam, 3. März. .Telegraaf" meldet aus Lon­don: BonarLaw erklärte im Unterhause in Beantwortung einer Anfrage, der Wert der Lebensmittel, die Deutschland bezahlt habe und deren Leistung bereits durchgesührt sei, habe bis zum 13. Fe­bruar 16149677 Pfund Sterling betragen, während sich der Wert der laut Kontrakt noch zu liefernden Lebensmittel zu demselben Zeitpunkte auf 665 473 Pfund Sterling belaufe.

(WTB.) Amsterdam, 3. März. .Daily Chronicle" schreibt im Hinblick auf die Wirtschastsberatungen des Obersten Rates in Lon­don, dem größten Teil des deutsch«! Volles könne der notwendige Bedarf au Lebensmitteln nicht in genügender Menge beschafft werden. Ein Deutscher erhalte weniger als die Hälfte der vom Obersten Wirtschaftsrat für ein Individuum berechneten normalen Ernäh­rungskalorien. Daß Blatt kommt zu dem Schluß, daß das einzige Heilmittel eine gemeinsame Aktion zu Gunsten aller notleidenden Völler sei.

Das LeipzigerProbeoerfahren-.

(WTB.) Amsterdam, 3. März Das Organ Lloyd Georges .Daily Throniclc" schreibt in einem Lcitarükel zu dem von den Alliierten beschlossenen Leipziger Probeverfahr«» gegen diedeutschen Kriegsverbrecher", ein Ausbleiben der Verhaftung der Beschuldigten und ihrer Uedrrsühruu- würde die Stimmung für die Notwendig­keit einer Ausnahmestellung der Alliierten gegenüber Deutschland wieder auflcben lassen.

Französische Anschuldigungen.

(WTB.) Berlin, 3. März. Gewisse Pariser Blätter bringen zu leicht erkenntlichen Zwecken neuerdings öfter Alnrmnachrichten über die Fabrikation von KriegsgerSte Mer Art in Deutschland. So läßt sich das .Journal" aus Berlin schreiben, daß insbesondere Daimler und Bosch in Mariendorf bei Berlin Maschinengewehre Her­stellen, während die Jenaer Zeitzwerkc Teleskope für Schützen­gräben und optische Instrumente für Flugzeuge herstellten unter dem Vorwand, daß diese Kriegsgeräte gegen die russischen Bolschewisten verwandt werden sollen. Demgegenüber wird von amtlicher Sette fepgestellt, daß die Behauptung desJournals" jeder tatsächlichen Grundlage entbehrt.

Tirol sucht Anschluß an Deutschland.

(WTB.) Wien, 4 März. Aus Innsbruck wird denWie­ner Stimmen" geschrieben, das; in einem vom Landcsodnnmn Schraf- feck gezeichneten Ausruf auf die Lebensunmöglichkit Oesterreichs i» seiner jetzigen Form hingewiesen wird mit der Begründung, daß es mehr als zwei Drittel der Lebensmittel einführen müsse, keine Rohmaterialien habe und seine Arbeiter nicht beschäftigen könne und daß cs. da sein wertvollster Besitz vom Ausland gepfändet sei, kein kaufkräftiges Geld besitzt Er fordert daher, daß der ein­stimmige Beschluß des Tiroler Landtags, Tirol wirtschaftlich au Deutschland anzuschließen, nicht mk acta gelegt wird, sondern van der Regierung solange bei der Entente vertreten wird, bis dieser Anschluß ermöglicht wird.

Gegen den Völkerbund.

(WTB.) Christiania, 3 März. Am Vorabend der Storthing- Entscheidimg wurde hier eine Protestversammlung gegen den Ein­tritt Norwegens in den Böllerbund abgehalten. Di« Park besuchte Versammlung Hirach sich in schärfster Form gegen den Böllerbund ans und verlangte hierüber eine Volksabstimmung.

Das Schicksal der Türkei.

(WTB.) London, 2. März. Das Reuterschc Bureau erfährt, daß dir Türkei in Zukunft keine Kriegsflotte halten darf. Den jetzigen Absichten des Obersten Rates zufolge wird die Verkleinerung des türkischen Gebiete» die Bevölkerung der Türkei von 30 auf 6 Mil­lionen vermindern. Die du Türkei abaenommenen Gebiete werden

vielleicht zur Uebernahme eines Teiles der türkische» Schuld heran- gezogen werdcn.

Kindervölkerwanderung.

(WTB.) Wien. 3. März. Die "Arbeiterztg." stellt je'st, daß mit dem am Montag nach Dänemark abgegangenen Ki «Verzüge die Zahl der seit September 1919 nach dem Aus» land gesandten Kinder Lvvvv erreicht hat, und schreibt dazu u. a :Die Geschichte der Menschheit weist keinen ähnlichen Fall auf, daß eine förmliche Kindcrvölkerwanderung nach fernen Landen stattgefunden hat, um die Kinder vor der Not zu retten. Erst später wird man begreifen lernen, wie ungeheuer groß dieses Werk menschlicher gegenseitiger Hilfsbereitschaft war."

Das Kiuderhilfsrverk.

Man schreibt uns: Die Erkenntnis der furchtbaren Notlage, in der sich durch den Krieg die Kinder in Mittel- und Osteuropa befinden, ringt sich jetzt in England immer mehr durch; und während bisher nur in wenigen einsichtigen und klugen Köpfen di« Tatsache zur Gewißheit geworden war, daß der Friedens­veitrag in seiner jetzigen Form undurchführbar ist und das Leiden Europas ins grenzenlose steigert, so ist jetzt die offen; liche Meinung durch die rührige Propaganda der Quäker und anderer kirchlicher Kreise soweit aufgerüttelt worden, daß npn das englische Kinderhilfswerk, wie derSave The Thildren Fund" es darstellt, immer mehr unterstützt wird. Der einstim­mige Appell der Kirchen am Tag de?unschuldigen Kindlein" hat dabei eine große Rolle gespielt. Man kann geradezu den statistischen Nachweis dafür führen, wie sehr die Er­kenntnis von den fürchterlichen Folgen der Blockade jetzt Allgemeingut in England wird. Während die Organisation in den ersten 6 Monaten ihres Bestehens 70000 Pfd. gesam­melt hatte, find ihr allein in den zwei Monaten von Mitte Dezember bis Mitte Februar doppelt so viel, nämlich 140000 Pfd. zugeflossen. Das ist ein Gradmesser für die Veränderung, die die öffentliche Meinung durchgemacht hat. Trotz der Leiden Wiens, Budapests, Polens, des Erzgebirges und der deutschen Großstädte hat es doch vieler Monate bedurft, um die Mauern der Skepsis und des Vorurteils über die furchtbare Lage nieder- zureißen. Auch die englische Regierung beschäftigt sich jetzt mit den wirtschaftlichen Verhältnissen Mittel­europas. Dem Parlament ist ein offizieller Bericht von Sir William Eoode vorgelegi worden, in dem er Bericht gibt über dieRelief Missions", die den Zweck haben, den Gebieten, die am schlimmsten leiden, Hilfe zu bringen. Wenn auch bei der AufstellunL des Arbeitsplanes für 1920 (wo Länder wie Polen, die baltischen Staaten, Rumänien, Armenien, Rußland aufgeführt sind), Deutschland noch nicht eingeschlossen ist, so sind doch immerhin von den ehemals England feindlichen Staaten Oesterreich, Bulgarien, die Türkei darin vertreten. Im ganzen hat die britische Regierung bisher 1SZ4 Millionen Pfd. daiür zur Verfügung gestellt.

Die begehrten deutschen Waren.

Viele französische Firmen, hauptsächlich aus dem Süden Frank reiche, begehren heute deutsche Waren .hintenherum" durch die Schweiz zu beziehen. Die Schweizer Händler lachen sich ins Fäust­chen. Am begehrtesten sind pharmazeutische Produkte, besonders Antipyrin, Phramidon, Coffein, Höllenstein ufw., aber auch andere chemische Erzeugnisse: Bromsalze, Salmiakgeist könne« mit lohnendem Gewinn glatt abgesetzt werdcn. Auffallend stark ist die Nachfrage von französischer wie italienischer Seite nach Farb­stoffen. die besonders von Uebersee gefordert werden.

Mlmd.

Die Einberufung der Aahresklasse 1920 in Trankreich.

(WTB.) Paris» 3. März. Der Senat hat in seiner gestrige« Sitzung den Gesetzentwurf betreffend die Einberufung der JahreS- klaffe 19S0 angenommen

Das belgische Gemeindewahlrecht.

(WTB.) Brüssel, 3. März (Havas-Reuter.) Die Kammer nahm mit ISO gegen 37 Stimmen den ersten Artikel eine» Gesetz­entwurfes an, der allen belgischen Bürger« ohne Unterschied des Ge­schlechts das Wahlrecht für die Gemeindewahlen verleiht.

Die amerikanischen Vorbehalte.

(WTB.) Washington, 3. März. Der Senat hat neuerdings mit 36 gegen 26 Stimmen den Vorbehalt angenommen, der besagt, daß die Bereinigte« Staaten sich das Recht wahren, übe» Me innerpolttischr« Frage« Amerllas selbst zu entscheiden.