ben des Sultans vorlesen, nach welchem Raisnli ab- gesetzt wird, und wird die Stammeshäuptlinge auffor­dern, sich dem Maghzen zu unterwerfen. Man glaubt, daß sie bereit sein werden, di s zu tun.

London, 28. Dez. Der russische Konsul Robert Hermann hat hier Selbstmord verübt. Er brachte sich zwei Dolchstiche und zwei Revolverschüsse bei. Tie Ursache war eine intime Familienangelegenheit, die sich aufklärte, während Heimann am Sterben lag. Er erfuhr noch die Wendung der Dinge, murmelteZu spät" und schloß die Augen.

London, 28. Dez. Nach Meldungen hies. Abend­blätter aus Tanger ist Raisnli offiziell seines Postens als Gouverneur enthoben worden. Die scherifischen Truppen rücken in Tanger ein. _

Aus Heringen (Prov. Sachsen) wird gemeldet: Ein gewaltiger Brand vernichtete in den Solis d.r Firma Schreiber und Sohn, einer der ersten Weltfirmen auf dem Gebiet der Samenzucht, 10 000 Zentner Rüben- kerne Ter Schaden, der durch Versicherung gedeckt ist, beträgt über 300 000 Mark.

Auf dem He.uptbahnhof in Düsseldorf sind durch Umfallen einer Lampe im Postraum über 1000 Postpakete, meist Weihnachtsgeschenke verbrannt.

Beim Spielen mit einem Revolver erschoß auf Schloß Rothkirch bei Breslau im Schlafzimmer der erst 18 Jahre alte Majoratsherr Severin Freiherr von Roth- kirch seiner: Jagdgast, seinen früheren Mitschüler an der Ritrerakad.mie, Vi.tor von Heinz aus Li.gnitz, und ver­übte dann Selbstmord.

Ter 24jährige Schneider A. Neumann aus Frank­furt a. M. ermordete in Berlin seine Braut, die 18- jährige Näherin L. Reimann, indem er ihr in ihrer Woh­nung in der Hagcnauerstraße den Hals durchschnitt, und stürzte sich dann, nachdem er sich einen Stich in das Herz beigebracht hatte, aus der dritten Etage auf die Straße. Er erlitt dabei so schwere Verletzungen, daß er nach kurzer Zeit starb. Der Grund zu der Liebestragödie soll der Widerstand sein, den die Angehörigen Neumanns einer ehelichen Verbindung des' Paares entgegensetzten.

G:oße gefachvolle Brände haben ffich während der Feiertage m Berlin ereignet. E>n sechsjähriges Mädchen wurde On Opfer der Flammeri.

Der elektrische Zug V a rese-M a iland fuhr im Bahnhof von Ga klarere aus eine dou steheuoe Lokomo­tive ach. Zwei Waggons wurden zertrümmert und 14 Per­sonen verletzt, davon 4 schwer.

Donnerstag Abend platzte auf der Rambla de Flo­res in Barcelona eine Petarde. Es entstand eine ungeheure Panik. Mehrere Personen würden verwundet.

Zur AMstügswaHl

3. Reichstagswahlkreis. Eine gestern statrge- fnndene Vertrauensmännerversammlung des Bundes der Landwirte hat als Kandidaten für den 3. Reichstags- Wahlkreis den Redakteur und bisherigen Reichstagsab­geordneten Dr. Wolf-Stuttgart aufgestellt.

S. Reichstagswahlkreis. (Eßlingen, Kirchheim, Nürtingen, Urach). Seitens der Sozialdemokratie wurde hier der bisherige Abgeordnete Schlegel wieder auf­gestellt.

8. Reichstagswahlkreis. (Freudenstadt, Horb, Oberndorf, Sulz). Die Sozialdemokratie stellte hier den Parteibeamten O st e r - Stuttgart als Kandidaten auf.

11. Reichslagswahlkreis. (Backnang, Hall, Oehr- rng:n, Weinsberg). Von Seiten des Bauernbundes wird hier zweifellos der seitherige Abgeordnete Vogt wieder aufgestellt werden. Eine Kandidatur des Herrn Dr. Frohmaier für die Volkspartei, die vielfach erörtert wird, wird nicht zustande kommen, da Dr. Frohmaier aus Gesundheitsrücksichten ablehnen müßte. Genannt wird noch der Landtagsabgeordnete Käs-Backnang.

Ans den badischen Bezirken. Der am Mitt­woch in Offenburg abgehaltene, schwach besuchte au­ßerordentliche Parteitag der badischen Sozial­demokratie hat eine Resolution angenommen, wo­nach der Wahl.kampf mit gleicher Schärfe gegen alle

bürgerlichen Parteien zu führen sei. Während kürzlich von:Volksfreund" als Wahlparole ausgegeben warn Gegen Nationalliberale und Zentrum!" stimmte« dies­mal demselben Blatte zufolge alle Redner darin überein, daß die Parole lauten müsse:Gegen d.n Block und geg n das Zentrum!" -- Die Nachricht, daß der jungliberale Staatsanwalt In ng h a nn s - Mannheim Blockkandidat für den ersten badischen Reichstagswahlkreis Konstanz werden solle, war mit großer Bestimmtheit aufgetreten. Nun erklärt das Karlsruher nationalliberale Parteior­gan, daß Weber für den Wahlkreis Konstanz, noch für den Wahlkreis Karlsruhe bisher eine Entscheidung ge­troffen sei. Der Landtagsabgeordnete Wittum Hai die ihm angetragene nativnalliberale Kandidatur für den 9. Reichstagswahlkreis Pforzheim aus Gesundheitsrück­sichten nachträglich abgelehut. Der Landes aus- schuß der Nationalsozialen Badens nahm in Mannheim Stellung zu den Reichstagswahlen. Die an­genommene Resolution empfiehlt allen Mitgliedern und Freunden des nationalsozialeil Landesverbands im In­teresse der Einigung des Liberalismus bei den bevor­stehenden Reichstagswahlen für die liberalen Kandidaten einzntreten. Der Landesausschuß setzt dab i voraus, daß die ihm nahestehenden süddeutschen Kandidaten, insbe­sondere Naumann, durch die liberalen Parteien ein­mütig unterstützt werden.

In der städtischen Festhalte in Karlsruhe sprach Bebel vor 4000 Menschen, über die politische Lage, vergleichsweise gemäßigt und mit offenbarer Berechnung auf den nicht sozialistischen Teil der Zuhörer, ckatzickttk rmr bei der Warnung vor der Beeinträchtigung des allgemei­nen Wahlrechts. Gelegentlich klang eine gewisse Rück­sicht ans das Zentrum durch, was Widerspruch zu erregen schien.

Jur LcM Lu Außluttd

Die Bombenwerfer an der Arbeit.

Auf dem Bahnhof in Charkow ließ ein am Abend des 26. Dez. mit einem Zuge angekommener Reisender eine Bombe fallen, die explodierte. Dadurch wurden zwei Reisende getötet und viele verwundet. Das Pu­blikum, darunter auch leichter Verwundete, floh, vom Schrecken ergriffen, nach der Stadt. Der Bahnhof ist von Militär umstellt. Der Generalgouverneur von Odessa verkündet, daß die Ueb erfülle, die in der letzten Zeit einen epidemischen Charakter ange­nommen haben, nicht mehr geduldet werden sollen; die Polizei müsse alle Ueberfallenen sofort festnehmen und dem Kriegsgerichte übergeben. Das letzte Opfer des Bundes des russischen Volkes Perelmann, ist heute ge­storben. Der Polizeimeister von Odessa ist nach Pe­tersburg berufen worden.

Dirnstuachrichten. Ernannt: Den Prozessor Hartwann zmn haup'anUÜch-n Mitglied des Eewerbc-Oberschulrats. zu Mit­gliedern dieser Behörde im Netzesamt den Ministerialrat Dr. Mar­quardt b i dem Miuikeriurn des Kirchen- u«d Schulwesens und die Regieruligsräie Dr. Bcchile und Kälbei bei der Zentralstelle für Ge­werbe und Handel, sowie zum nicht vollbeschäftigten Mitglied den Piosessor Huber au der höhere, Handelsschule in Stuttgart, ferner den E-.peditor der Kommission fiic die gewerblichen Foribildnngs- schulen Kauzlcirat Ganzhorn znm Expeditor bei dem Gewerbe-Oder- schulrnt; den tit, Obeiamtmann Schaffer, Hilfsarbeiter im Ministerium der Innern, zum eiarsmWgeii Assessor bei dieser Behörde; die Post- praknkamen 1. Klasse Bissmger zum OberpsstaMenlen in Ellwanacu, Depaul zum OserpostoM-nien bei dem Bahnpostamt Ulm Acker­monn (Richard) zum Oberpostassistenten bet dem Postamt Nr. 1 in Stuttgart, S'.eqmeyer zum- Oderpoftasststenien in Bopfiugen uud Baumann (Karl) zum Oüerrcnwssinelilcn in Eßlingen.

Versetzt: Die Oberpostaisi-ksntcl! Schwarz »i dem Postamt Nr. 1 in Heildronn und Knoll in Crailsheim zum Postamt Nr. 3 in Stuttgart, Krimmel in Boling.n nach Ebingen und Wuchcer bei dem Postamt Nr. S in Stuttgart zum Bahnpostam! daselbst.

Z«r Proporzwahl.

Abgelehnt. Die von der Deutschen Partei eingeleiteteu Verhandlungen, auf ein allgemeines Zu­sammengehen der drei Parteien (Konservative mit Bau­ernbund, sowie Bolkspartei sowie Deutsche Partei) ge­gen Zentrum und Sozialdemokratie sind, wie vorausznsehen war, als gescheitert zu betrachten, da die

Volkspartesi ein Zusammengehen mit den Konserva­tiven ablehnte und auch die Konservativen Verhand­lungen mit der Bolkspartei von der Voraussetzung abhäng­ig machte, daß die Volkspartei zu grundsätzlichem Vor­gehen gegen die Sozialdemokratie bereit s,i. Die Deut­sche Partei hat sich entschlossen, entsprechend der nun­mehrigen Lage wenigstens so weit noch möglich, eine g- gens it ge Bekämpf-,ng d r nicht ültramentenen und nicht sozialdemokratischen Wählerschaft ausznschalten und sich daher zn Verhandlungen mit Vertretern der beiden ande­ren Parteien, Volkspartei und Bauernbund in einzelnen Wahlkreisen bereit erklärt.

Geständnis einer schönen Seele. Die deutsche Reichkpost bak, wie schon einmal bemerkt, bet chrer Wahl- beipreckung die Jnngliberolen sehr geschmackvoll als die Jagdhunde der radikalen Parteien" bezeichnet. Dagegen nimmt nun ein Jungliaeraler aus Nürtingen i-nSchmäh. Merkur" Stellung und schreibt in seiner Entgegnung wörtlich:

. . Ja mehr noch: Der von derD. R." ver­tretene Bauernbund hat Ui loche verschiedenenFrei­schärlern" (gemeint und d'e Jungltderal n) die bei der Nachwahl tnyordersterReihefüroenBauern- bnndier Lang kämpften, dankbar zu sein.

Nun dieser Dienst ist dem jungliberalen Herrn, den wir innerhalb des Retchsverbcmdes vermuten, von der Deutschen Rcichspost schlecht gelohnt worden.

Feuerbach. 27. Dez. In der letzten Sitzung der bürgerl. Kollegien wurde die Weitererhebnng der örtli­chen Verbrauchsabgaben von hier einstimmig bis 31. März 19l0 beschlossen. Aus der Mitte, der Kolle­gien, insbesondere von der Sozialdemokratie, die die Mehrheit bildet, wurde der prinzipiellen Gegner­schaft gegen diese Steuer Ausdruck gegeben, aber im Hin­blick darauf, daß diese Einnahme von 21000 Mark nur durch Erhöhung der Gcmeindenmlagen aufgebracht wer­den könnte, der Weitererhebnng der Bierstener -«gestimmt.

Calw. 27. Dez. Mit Wirkung vom 1. April 1907 an wurde hier die, Aushebung ver Fleisch st euer beschlosten. Der Ausfall bet vem Etat beträgt rund 10 000 Mark. Die Wersteucr wird jedoch bis 1909 beibehalten; der Ertrag dkeser Steuer beziffert sich aus 2000 Mark

Bad Mergentheim, 23. Dez. Nachdem für die 'vergangene Badesaison viel Neues und Schönes geschafsin worden ist, sind bereits seit Schluß dieser Saison wieder viele fleißige Hände unter Leitung unserer zielbewuss­ten Kurdirektion beschäftigt, um für das nächste Jahr unseren Kurgästen neue Änwehmlichk itcn zu b epn. Be­sonders anerk nnend muß hervorgehob.n wurden, daß die Badedir.ktion a^f ihrem eigen n Grund und Boden einen in schönen Serpentinen bequem zu gehenden Spazier­weg anlegen ließ, auf welchem man in 10 Minuten die Höhen des Kötterwaldes erreicht. Hier oben am Waldes­saum, in der Nähe des herrlichen zu stundenlangen Spa­ziergängen einladenden Buchenwaldes mit einer pracht­vollen Fernsicht in unser schönes Tauberland, wurde ein hübsches Cafs mit Restaurantbetrieb bereits erstellt, welches zweifellos sowohl für unsere Kurgäste ivie auch für die einheimische Bevölkerung einen beliebten Ans- flngspunkt geben wird. Neben den Kuranlagen im Tal wird zur Zeit ein hübsches Gebäude erstellt, in wel­chem die Kurverwaltung Nntergebracht werden soll; au­ßerdem wird dasselbe eine Reihe freundlicher, komforta­bel eingerichteter Zimmer enthalten, welche zur Verfüg­ung der Kurgäste stehen werden. Die Kuranlagen wer­den in der Richtung zur Haltestelle Karlsbad vergrößert werden. Wie wir hören, soll das ganze Kurhaus bis zur nächsten Saison Zentralheizung erhalten.

Fast ans allen Teilen Württembergs, besonders ans dem Schwarzwald und dem Tanbergrund, werden Ver­kehrsstörungen infolge starken Schneefalls und Schneeverwehungen gemeldet. Äehnliche Meldungen lie­gen vom Frankenlande, von der Pfalz, vom Erzgebirge und von der Rheingegend vor. Der Rhein selbst bringt in seiner ganzen Breite Treibeis und zwar ans der rechten Seite schweres Maineis, auf der linken Seite leichteres Neckareis. Das Eis ist ziemlich stark. Die Schiffe waren am ersten Feiertage zum Teil noch ün-

Aewegtes Lese«.

Romhii von Max von Weißenthurn. 40

Das eine derselben würde, das hatte er beim Besuche im Klo­ster sofort begriffen, für ihn eine wichtige Rolle spielen; es galt nur. mit der ihm angeborenen Geschicklichkeit eine Jahreszahl zn ändern und er lieferte damit den Beweis, daß dar Pflegekind des Klosters sein Fleisch und Blut sei, ans welches er mit voller Berechtigung Anspruch erhebe, aber der wichtigste Faktor bei dicft'm seinen Plan war das Mädchen selbst, welches ans seiner Seite stehen mußte.

Ilm ja keine Zeit zn verlieren, machte er sich, von Döbling znrückgekehrt, wfort mit unendlicher Mühe an die Aendernng der erforderlichen Zahlen, ließ aber den Namen Marie stehen, im-ein er sich ragte, daß sich dafür ganz leicht irgend eine harm­los dingende Erklärung finden lassen werde, Kanin befand sich die Adresse, deien er benötigte, in seinen Händen, so beschloß er auch, unverzüglich nach Jolowitz zu fahren, um sich durch den Angemchein zn überzeugen, ob und was sich dem jungen Mäd- gegenüber werde erreichen lassen.

Ein Ge-präch mit Eleonore Tronvc zn erlangen, bot ibm keine besondere Schwierigkeit, und obzwar der Brief Mutter El- twin weichem diese chrer jungen Schutzbefohlenen Mittei­lung von dem Besuche Herr» Sternairs gemacht, bereits in Eie« vnv'rcS Händen sein mußte und Emil das Geiühl hatte, daß die Oberin gewiß nicht in allzu begeisterter Weise über ihn geschrie­ben haben mochte, war das Verhalten des jungen Mädchens kein so ssbrofsis, als er im Grunde genommen eL erwartete. Der ge­riebene Abenteurer sagte sich, daß es ihni diesem unschntdsvol- len Kinde gegenüber ein Leichtes sein müsse, die Roste, weiche er sich erst in den letzten Tagen ansgedacht, auch dnrchznflchren.

Nachdem er nachFränlernTrvnvegefragt, wurde er in einen wir altertümlicher Prachc ansgestatteten Salon geführt, in dem er, wie der alte Kammerdiener ihm sagte, warten möge, bis das Fräulein Zeit habe, zu ihm zn kommen.

Mit jener Neugierde des Emporkömmlings, welchem eine selche Umgcbnngvottständig fremd, musterte und taxierte er alles genau, was sich seinen Bücken bot: die Gobelins an den Wän­den, die Ahnenbiider in den schweren, vergoldeten Rahmen, die schwerfälligen, massiven Mahagoniinöbel, den dicken Teppich, der den Boden vedeckle.

Er hatte seine Schätzung aller Gegenstände, die sich in dem Gemache befanden, längst noch nicht beendet, als eine kleine Ta­petentür aufging und das junge Mädchen, welches zn sprechen er begehrt, vor ihm stand. Unwillkürlich bemächtigte sich seiner bei ihrem Anblick sine Befangenheit, welcher er im ersten Augen­blick nicht Herr zu werden vermochte, hatte er die Empfin­dung, als ob der klare Blick ihrer Angen in seiner tiefsten Seele lesen wollte, und daß es dort so manches zu lesen gab, was das Tageslicht zu scheuen hatte, darüber war niemand so sehr im klaren, wie er selbst. Diese Tatsache aber der Erkenntnis des jungen Geschöpfes zu verbergen, daS gehörte in erster Linie zu seinem Plan.

Nachdem er seinen Namen genannt, fügte Sternau, der recht gut begriff, wie wichtig sein ganzes Auftreten sei, weil ans die­sem der Eindruck hervvrgehe, den er machen wolle, in ernster, würdevoller Weise hinzu:Sie werden vielleicht wissen, mein Fräulein, daß ich in der Heimstätte Ihrer Kindheit bei den Pfle­gerinnen Ihrer Jugend gewesen bin, um zn erfahren, wo ich Sie finden könne, wo es mir vergönnt sei, zu Ihrem Herzen zn spre­chen.

Man hat nur nicht ganz jenes Entgegenkommen gezeigt, welches ich vielleicht berechtigt gewesen wäre, zn erwarten, aber," fügte er mit melancholijchemLücheln hinzu,ich mußte froh sein, daß es mir wenigstens gelungen, in Erfahrung zn bringen, wo ich Sie finde, um Ihnen gegenüber mein eigener Anwalt zu sein. Die Frage ist vielleicht überflüssig, aber ich möchte doch wissen, ob die geringsten Anfänge an Ihre erste Kindheit noch in Jlirem Gedächtnis leben?"

Alle Rückerinnerungcn an meine Kindheit wurzeln im Klo­ster," entgcgnetc Eleonore ernsthaft.Es hat mir oft genug tie­fen Schmerz bereitet, nichcs von dem zn wissen, was vorher gewesen, vor allem nicht zn wissen, woher ich stamme, wem ich angeböre, gegen wen ich, möglicherweise ohne es zu wollen oder zu ahnen, Pflichten verstimm habe, die das Herz vorschreibt, die niir nicht weniger teuer wären, wie den anderen."

Emil Sternau schwieg einige Augenblicke, dann sprach er ernst-' baft:Diese Gedanken also haben Sie beschäftigt, haben Ihnen Sorge bereitet? Und was dann, mein Fräulein, wenn ich im stände wäre, Ihnen Aufschlüsse über Ihre Herkunft zu geben?"

Was dann? Mein Gott, ich würoe Sie segnen als meinen Wohltäter, würde mich glücklich fühlen, zu erfahren, daß eSciue

Menschenseele auf Erden gibt, der ich angehöre, für die ich mich im Falle der Not opfern kann."

Und würden Sie auch glücklich sein, zu wissen, wem Sie augehören, wenn es sich hernnsstellt, daß Sie nicht von vorneh­mer Herkunft sind ?" forschte Sterna» mit einem Lächeln, das Eleonore nicht verstand, weil ehrgeizige Träume ihrem Sinn fremd waren.

Ich habe mir nie eingebildet, vornehmer Herkunft zn sein," entgegnete sie ernsthaft,ich würde mich nur glücklich schätzen, zu wissen, ob es noch Menschen gibt, zn denen ich gehöre, für die ich leben kann. DaS Kloster ist mir so ganz und so voll­ständig Heimat gewesen, daß es eine Unwahrheit wäre, wenn ich sagen wollte, daß ich die Liebe von Angehörigen, welche ich nicht kenne, entbehrt habe. DaS ist es nicht, was ich andeute, aber ich mochte nicht gerne Pflichten versäumen, nicht gerne das Bewußtsein haben daß es Wesen geben mag, die berechtigte An­sprüche an meine Liebe und Treue, vielleicht nn meine Auf­opferung erheben können, ohne daß ich es ahne."

Emil Sterna» schwieg einige AugenblickeUnd was dann," sprach er endlich,wenn ich Ihnen Ansichlüsie erteilen, wenn ich Sie Menschen znftthren könnte, denen Sie angehören?"

Eleonore war bis in die Lippen biaß geworden: man sah es ihr an, wie tief erregt sie sei, ihre Angewrichteten sich ans den Mann, der vor ihr stand, als ob sic das Gefühl habe, daß es ihr mn jeden Preis gelingen müsse, in seiner innersten Seele zu lesen.

Was habe» Sie mir zu sagen?" stieß sie mit zuckenden Lippen hervor.Ich bitte, sprechen Sie rasch, denn diese Mar­ter ist mehr, als ich zn ertragen im stände bin!"

Blicken Sie mich an, mein Kind," sprach Emil Sternan in gut gespieltem Gefühls!»»,regt sich keine Stimme in Ihrem Herzen, keine Stimme des Blutes, welche Ihnen sagen würde, daß wir einandrr nicht fremd sind, daß der Alaun, welcher hier­vor Ihnen steht, Ansprüche zn erheben berechtigt ist an Ihre Liebe, au Ihre Zärtlichkeit, nn Ihre kindliche Aufopferung viel­leicht ?"

Sie starrte ihn fassungslos an. Der Augenblick, welchen sie sich im Geiste zuweilen anSgcmalt, wenn sie an eine fernablie­gende Zukunft dachte, mm stand sie demselben plötzlich und nn- erwarnrt gegenüber. (3k,20